Ob es das Brauhaus mit der schönsten Aussicht überhaupt ist, kann ich nicht beurteilen, aber mit Sicherheit spielt der Biergarten des Schlossbrauhaus Schwangau, was den Blick auf die Berge und das Schloss Neuschwanstein anbelangt, in der obersten Liga mit.
Der 1. Mai 2019 verwöhnt mit allerschönstem Sonnenschein, und so ist es nur großem Glück zu verdanken, dass wir im überfüllten Biergarten auf Anhieb ein kleines Plätzchen für zwei Personen finden und uns setzen können.
Die Mittagszeit ist gerade vorbei, und man sollte glauben, dass der Ansturm der Gäste nun ein wenig nachlässt, aber weit gefehlt. Diejenigen unter ihnen, die sich gerade den Bauch vollgeschlagen haben und sich nun entweder zuhause auf die Couch verziehen oder auf einen Spaziergang über die Allgäuer Wiesen aufmachen, werden verzugslos von jenen ersetzt, die Lust auf Kaffee, Kuchen und natürlich Bier haben. Ein wuseliges, nicht enden wollendes Treiben.
Mittendrin sitzen wir nun, und für einige Minuten haben wir die Muße und Ruhe, über die Wiesen hinweg auf die Berge zu schauen. Schnee krönt noch die höheren Gipfel, davor aber grünt und blüht bereits alles. Und mittendrin … das Märchenschloss König Ludwigs, Schloss Neuschwanstein. Von hier aus sieht es winzig aus, wie ein Spielzeugschlösschen, verspielt zwischen die Hügel gesetzt. Und was man vor allem aus der Ferne nicht sieht, dass sind die endlosen Schlangen von Touristen, die mühsam den Berg erklimmen und sich dann geduldig am Eingang anstellen, um einen nur wenige Minuten dauernden Blick ins Innere erhaschen zu können.
So sitzen wir und sinnieren wir. Die Bedienungen haben alle Hände voll zu tun und flitzen zwischen den Tischen hin und her, aber irgendwann werden auch wir unsere Wünsche los. „Bier, natürlich“, lautet meine Antwort, welche Frage die gute Dame auch immer gerade gestellt hat. „Und zwar heute, zum Auftakt, das Festbier. Es ist ja schließlich Feiertag!“
Die nette Kellnerin grinst und flitzt wieder los. Jetzt dauert es nur wenige Augenblicke, bis ich das Bier vor mir stehen habe. Hellbraun und nur ganz leicht trüb ist es; in den Strahlen der Frühlingssonne leuchtet es auf. Der Schaum ist stabil und hinterlässt beim Trinken schöne Ringe im Glas. Leider hinken Geruch und Geschmack der Optik ein wenig hinterher. In den malzigen Geruch mischen sich ein paar dumpfe Noten, ganz dezent nur, aber dennoch: Sie sind spürbar. Auf der Zunge ist das Bier sehr voll, sehr rund, aber auch fast schon aufdringlich intensiv malzig, so dass ich nach ein paar kleinen Schlucken recht satt bin. Trinksatt, um genau zu sein.
Trinksatt, was für ein merkwürdiges Wort. 1999 hat die Dudenredaktion mal einen Wettbewerb gestartet, um ein Wort zu finden, das den Zustand beschreibt, in dem man nicht mehr durstig ist. Sitt kam seinerzeit dabei heraus, eigentlich ein schönes und gut anwendbares Wort, das sich aber bis heute irgendwie nicht so richtig durchgesetzt hat. Vielleicht liegt’s ja daran, dass viele hartnäckige Biertrinker unverdrossen behaupten, den durch das Wort sitt beschriebenen Zustand, also trinksatt oder undurstig zu sein, gebe es gar nicht – ein Bier ginge immer noch.
Wie dem auch sei – das heutige, 5,6%ige Festbier macht jedenfalls ein wenig schneller sitt als viele andere, eher ausgewogene Biere.
Kein Grund aber, zu verzweifeln. Die Freundlichkeit der Bedienung und der wunderschöne Ausblick entschädigen, und so bestelle ich mir rasch ein zweites Bier, diesmal das Helle mit 4,8%. Aber auch hier vermisse ich die richtig große Trinkbarkeit. Ist das Bier vielleicht nicht ausreichend lange gelagert, oder woran liegt es, dass es ein paar erdig wirkende Grundtöne in seiner Aromatik versteckt, die den Genuss etwas schmälern?
Das Sudwerk, auf dem die Biere entstehen, steht im großen Saal des Schlossbrauhaus Schwangau. In den frühen achtziger Jahren ist das Gebäude einmal als Kurhaus gebaut worden, und Anfang 2012 zog hier die Brauerei ein. Große Panoramascheiben machen den Gastraum hell, und wenn die Maisonne durch die Fenster scheint, dann glänzen die polierten Kupferkessel mit den blitzblanken Biergläsern im Regal um die Wette. Schön schaut’s hier aus, aber natürlich ist der große Saal bei dem heutigen Wetter komplett leer.
Ich kehre zum Tisch zurück und probiere das dritte Bier, das Dunkle. Ein bisschen frischer, ein bisschen einladender als die beiden anderen wirkt es, trifft aber immer noch nicht meinen verwöhnten Geschmack. „Das geht besser“, denke ich mir, trinke das Glas aber durchaus gerne aus.
Direkt vor dem Biergarten erstreckt sich eine große Wiese, und linker Hand sehe ich einen kleinen Pavillon, der wohl zu Kurhaus-Zeiten für Kurkonzerte gedacht war und nun für alle möglichen Aktivitäten genutzt werden kann. Hinter dem Pavillon erstreckt sich einer der schönsten Minigolfplätze, die ich bisher gesehen habe. Kunstrasenbahnen mit natürlichen Hindernissen, perfekt gepflegt und so angelegt, dass man sich gegenseitig nicht ständig in die Quere kommt. Abwechslungsreich und, was besonders wichtig ist, so konstruiert, dass es wirklich die Qualität der Schläge ist, die den Ausgang des Spiels bestimmt, und nicht das Glück oder Pech, trotz gelungenem Abschlag einmal wieder die Fuge oder die Stufe in der schlecht verlegten Eternit-Platte erwischt zu haben, die den Ball mit Schwung ins Gebüsch katapultiert.
Lust auf ein Spiel hätte ich jetzt, aber es herrscht typischer Maifeiertags-Andrang, und die Wartezeit, bis ein Schlägerset frei würde, ist nicht abschätzbar.
Zurück am Tisch frage ich die Bedienung, ob es wohl noch vom Doppelbock gebe, der in der Getränkekarte noch verzeichnet sei, aber sonst schon nicht mehr beworben würde. Bedauernd schaut sie mich an: „Den hätten Sie vorhin gleich bestellen sollen, vor wenigen Minuten ist das Fass leer geworden. Der Bock ist jetzt aus!“
Ich muss wohl sehr enttäuscht geschaut haben, denn einige Minuten später kommt die nette Dame zurück und bringt mir … einen Krug mit dem Linator Doppelbock. Ich schaue sie fragend an. „Wo kommt der denn her? Haben Sie den jetzt extra für mich gebraut?“, scherze ich.
„Nein“, lacht sie, „aber mir ist eingefallen, dass wir im hinteren Schankraum noch eine zweite Zapfanlage haben, und dort ist das Fass noch nicht ganz leer. Sie haben so enttäuscht geschaut, dass ich bis hinten gelaufen bin, um dort noch ein Bockbier für Sie zu zapfen. Allerdings ist da jetzt auch fast nichts mehr drin – es ist also eines der letzten Gläser dieser Starkbiersaison!“
Das nenne ich mal einen freundlichen Service. Hochzufrieden nehme ich das Glas und stelle fest: Es wäre wirklich schade gewesen, dieses Bier heute nicht probiert zu haben. War ich mit den ersten drei Kostproben nicht wirklich zufrieden, so stimmt mit dem Linator Dunklen Doppelbock eigentlich alles. Ein runder und malziger Geruch, ein voller, schön ausbalancierter Körper, nicht zu stark gespundet, und eine ganz dezente Hopfenherbe – gerade so viel, dass sie ein Gegengewicht zur Süße des Starkbiers bildet.
Natürlich ist auch dieses Bier recht saturierend, aber das liegt bei einem Doppelbock in der Natur der Sache – der ist nun nicht dafür gebraut, um in wenigen Minuten schon die ersten drei Halben weg zu exen. In kleinen Schlucken genieße ich ihn also, schaue abwechselnd auf das kräftig braun in der Sonne schimmernde Glas und auf das Märchenschloss am Horizont, und ganz langsam werde ich sitt.
Das Brauhaus mit der schönsten Aussicht überhaupt? Der Verdacht liegt nahe. Der Blick ist so perfekt, dass er fast schon unzumutbar kitschig wirkt. Allgäuer Idylle am 1. Mai. Für einen Moment passt jetzt alles zusammen. Das Leben ist schön!
Das Schlossbrauhaus Schwangau ist montags bis donnerstags von 13:00 bis 23:00 Uhr geöffnet, freitags bis sonntags bereits ab 11:00 Uhr. Kein Ruhetag. Die Buslinie von Füssen hält direkt vor der Tür des Brauhauses, aber wer mit dem Auto kommt, findet ebenfalls direkt vor der Tür ausreichend viele kostenfreie Parkplätze.
Schlossbrauhaus Schwangau
Gipsmühlweg 5
87 645 Schwangau
Bayern
Deutschland
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