Auf den ersten Blick ein ganz normales Münchner Wirtshaus. Eine grundsolide Stadtteil-Wirtschaft. Mitten im Viertel gelegen, schön hergerichtet, mit ein paar Sitzgruppen vor dem Eingang auf dem breiten Bürgersteig. Die ockerfarbene, nur leicht verzierte Fassade des alten Bürgerhauses wirkt sehr konservativ; die dunkelgrünen Markisen und der in altem, gebrochenem Font gehaltene Schriftzug Wirtshaus Eder ebenfalls. Man spaziert vorbei und glaubt zu wissen, was einen dort erwartet:
Ein schlichter Gastraum, in Braun- und Grüntönen dekoriert mit viel Holz. Klassisch elegante Lampen, blankgescheuerte Tischplatten. Kellner und Kellnerinnen, die mit großen Bierkrügen hantieren und auf weißem Porzellan klassische, bayerische Brauhausküche servieren – riesige Knödel, Weißkraut und Rotkraut, knusprigen Schweinsbraten. Unaufgeregt und entspannt, bayerisch und gemütlich.
Klischee?
Mag sein, aber ein schönes und sehr passendes.
Aber das allein wäre noch nicht genug, um das Wirtshaus Eder in einem Bierblog ausdrücklich mit einem eigenen Beitrag zu würdigen – bayerische Wirtshäuser, selbst gute, gibt es genug.
Was das im Februar 2017 erst eröffnete Gasthaus aber positiv aus der Masse heraushebt, sind zwei Dinge. Zum einen gibt es hier neben dem Augustiner als Standardbier (das in München ja auch schon Kultstatus genießt) auch Biere der kleineren, kreativeren Münchner Brauereien oder von Brauereien aus dem Umland. Münchner Bier aus der Forschungsbrauerei in Perlach, von der CREW Republic oder von Tilmans Biere, oder Bier aus der Region von der Privatbrauerei Schönram oder der Schlossbrauerei Maxlrain. Nicht unbedingt exotische Craftbiere für diejenigen, die den extremen Kick suchen, aber doch solide gebraute, gut trinkbare und trotzdem sich wohltuend vom Massengeschmack absetzende Genussbiere.
Und zum anderen gibt es im Wirtshaus Eder, das sonst nur abends und an Werktagen für einen kurzen Mittagstisch geöffnet hat, einmal im Monat, immer am letzten Sonntag des Monats, ein Weißwurstfrühstück.
Was gibt es Besseres, als an einem Sonntag in der Früh um 10:00 Uhr bei herrlichem Sonnenschein auf der Bierbank vor der Tür zu sitzen, vor sich ein Paar Weißwürste, eine frische Breze und ein golden schimmerndes, frisch gezapftes „Der Weizen“ von Tilmans Biere?
Genau dieser eine, kleine Moment im Monat ist es, der das Wirtshaus Eder zu etwas Besonderem unter den Münchner Wirtshäusern macht. Die gute Küche, das gute Bier, die angenehme Atmosphäre, alles gut und schön, aber ein Weißwurstfrühstück mit Kreativbier als Tüpfelchen auf dem „i“ macht den Unterschied.
So sitze ich denn auch am 30. Juni 2019 in der Sonne, die schon um zehn Uhr morgens den Schweiß auf die Stirn treibt. Gefrühstückt hatte ich im Hotel schon gut, und trotzdem munden Weißwurst und Brezen schon ganz ausgezeichnet. An den Nachbartischen finden sich nach und nach weitere Gäste ein. Ältere Herrschaften aus der Nachbarschaft, junge Familien mit Kindern und, ob der Bierauswahl auch gut verständlich, der eine oder andere bunte Vogel und Hipster. Alle sitzen sie bunt gemischt und ohne Berührungsängste beieinander, und das macht sicherlich auch den Zauber dieses Sonntagmorgens aus.
Aber als ob diese bunte Mischung nicht schon genug sei, wird die Stimmung erst dadurch perfekt (und auf ihre Art fast schon ein wenig surreal), dass durch die offenen Fenster des Schankraums laute Musik dröhnt. Aber kein Metal, kein Punk, kein Discofox, sondern … Wiener Walzer. Das Strauß’sche Repertoire rauf und runter. Mit 90 dB über die ganze Straße.
Angesichts der sonst üblichen Münchner Szene wirkt diese Zusammenstellung auf mich fast schon schräg, aber sie entführt mich auch in Gedanken in längst vergangene Zeiten. Als kleiner Junge zu Besuch bei Oma und Opa, wenn am Sonntagvormittag der Radiogottesdienst lief, davor und danach leise klassische Musik. Gerne Wiener Walzer und Operetten, leichte Kost für den Liebhaber klassischer Klänge. Dazu ein leckeres Frühstück und – in der Erinnerung bestimmt verklärt – ein ewiger, sonniger und heißer Sommer. Sechs Wochen Sommerferien bei bestem Wetter, eine schier endlose Zeit des Kinderglücks.
Heute passt die Sonne zu diesen Erinnerungen, passt ebenfalls die Tatsache, dass das Frühstück wunderbar schmeckt (nun ja, Weißbier gab es damals natürlich nicht), und es passen auch die romantischen Klänge. Ein Sonntagvormittag zum Träumen und zum In-den-Erinnerungen-Schwelgen.
Gegen alle guten Vorsätze bestelle ich mir zu früher Stunde schon ein zweites Weißbier, lehne mich zurück und schließe die Augen. Möge dieser Sonntagmorgen ewig dauern…
Denn, und schlagartig holt mich das auf den Boden der Tatsachen zurück, er ist wohl einzigartig und unwiederholbar. „Spielt Ihr bei jedem Weißwurstfrühstück Strauß’sche Walzer?“, frage ich den jungen Barmann und bekomme eine sehr ernüchternde Antwort: „Nee, natürlich nicht. Sonst lieber Punk oder Metal. Aber heute bin ich völlig verkatert, da muss es etwas Leises sein.“
Etwas Leises. Strauß. 90 dB.
Das Wirtshaus Eder ist üblicherweise dienstags bis sonntags ab 17:00 Uhr geöffnet; montags ist Ruhetag. Dienstags bis donnerstags gibt es von 11:30 bis 14:00 Uhr Mittagstisch. Einmal im Monat, am letzten Sonntag des jeweiligen Monats, gibt es ab 10:00 Uhr Weißwurstfrühstück. Zu erreichen ist die Gaststätte vom Heimeranplatz aus, wo die U-Bahnlinien 4 und 5 und die S-Bahn 7 halten. Von dort aus sind es etwa drei bis vier Minuten bis in die Gollierstraße.
Wirtshaus Eder
Gollierstraße 83
80 339 München
Bayern
Deutschland
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