Ember
Houston
USA

Ich mag keinen Personenkult.

Warum muss man öffentliche Einrichtungen eigentlich immer nach irgendwelchen Personen benennen? Gibt es keine funktionalen Bezeichnungen oder Namen, die auf die regionale Verankerung hinweisen?

Flughafen Erdinger Moos statt Franz-Josef-Strauß-Flughafen?

Kaserne Am Eichelberg statt General-Dr.-Speidel-Kaserne?

Zu den drei Eichen statt Schillerstraße?

Haus des Aufbruchs in Freiheit und Demokratie statt Konrad-Adenauer-Haus?

Zum Ersten sind historisch gewachsene und regional verankerte Bezeichnungen viel origineller und individueller, zum Zweiten sind sie eingängiger und trennschärfer (Wie viele Schillerstraßen gibt es in der Republik?), zum Dritten sollten weniger die Personen als ihre Leistungen gewürdigt werden (Wer weiß denn beispielsweise wirklich, wer General Speidel war, dass er wesentlichen Anteil an der Integration der Bundeswehr in die NATO hatte?), und zum Vierten werden die meisten nach Personen benannten Einrichtungen meistens abgekürzt – FJS-Airport, GDSK oder KAH, und dann geht das Gedenken an die Person sowieso verloren.

Ach, und dann kommt, zum Fünften, noch hinzu, dass manche Personen auch – in den jeweiligen Fällen meistens zu Recht! – in Ungnade fallen und man sich schämt, dass man überhaupt auf den Gedanken gekommen war, einen Flughafen, eine Universität, eine Kaserne oder eine Straße nach dieser Person zu benennen. Gut also, dass der Adolf-Hitler-Platz in Stettin, wo sich die Gasthausbrauerei Stara Komenda befindet, mittlerweile Plac Batorego heißt, oder etwa nicht?

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Gut, dass die Adresse dieser Brauerei nicht mehr „Adolf-Hitler-Platz“ lautet!

Allerdings ist auch die neue Bezeichnung ein Personenkult: Stefan Batory war König von Polen, der Platz heißt eigentlich Plac Stefana Batorego, und Stefan Batory wirkte in Warschau und Vilnus und wurde in Krakau bestattet, aber mit Stettin hatte er nicht wirklich etwas zu tun. Also auch hier die Frage: Warum ausgerechnet an dieser Stelle ein Platz, der ihm huldigt? Warum Personenkult weit weg von seinem Wirken?

Das sind so die Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, während ich am 8. November 2019 die endlosen Gänge des International Airport Houston in Texas entlanggehe. Der heißt nämlich auch nicht mehr einfach nur funktional IAH, sondern George Bush International Airport …

Was George Bush wohl denken würde, wenn er wüsste, dass dieser Flughafen nach ihm benannt ist? Ob er es gut fände, dass man hier in allen Bars und Restaurants nicht mehr persönlich bedient wird, sondern sich seine Bestellung auf einem iPad mit schmieriger, siffiger Oberfläche umständlich und unübersichtlich selbst zusammenstellen muss, sich dann durch eine App mit chaotischer Benutzerführung klicken muss, um mit seiner Kreditkarte zu bezahlen, nur dass dann irgendwann das erste menschliche Wesen vorbeieilt, hektisch und unter Zeitdruck, dem Gast das Essen oder den Drink vor die Nase knallt und sofort wieder abrauscht? Was für eine schöne, neue Welt … Ich könnte kotzen!

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Ohne iPad kein Bier!

Trotzdem, oder gerade deswegen habe ich jetzt Lust auf ein Bier, allerdings nicht auf irgendein geschmacks- und charakterloses Allerweltslager. Ratlos streife ich umher, bis ich schließlich im Terminal C das Ember finde. Weder eine Flughafenbrauerei wie beispielsweise das Airbräu in München noch eine echte Flughafen-Bierbar wie die Bier-Bière-Birra-Biera Bar in Zürich, sondern ein durchaus hochwertiges Restaurant mit internationaler Küche. Wobei man das „hochwertig“ einschränken muss, denn auch hier findet persönlicher Service nicht statt – das Konzept der elektronischen Selbstbedienung, das ältere oder unbeholfene Passagiere, Reisende aus weniger entwickelten Ländern, Menschen ohne Kreditkarte und körperlich oder geistig eingeschränkte Personen konsequent ausschließt und diskriminiert, wird vom Flughafenbetreiber offensichtlich gnadenlos durchgesetzt.

Ich setze mich an die Bar des Restaurants und sehe mich einer schier endlosen Batterie von Zapfhähnen gegenüber – es dürften so rund vierzig Stück sein. Das erste Dutzend ist völlig uninteressant: Modelo, Heineken, Stella Artois, Miller, Budweiser, Michelob – ein Bier langweiliger als das andere. Am anderen Ende der langen Reihe wird es dann interessanter: Biere von lokalen Brauereien aus Texas oder etwas größeren Craftbrauereien der USA, aber auch einige interessante internationale Biere, Pilsner Urquell beispielsweise.

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Langeweile in der Vielfalt?

„Ich hätte gerne das Lame Duck Pale Ale“, signalisiere ich dem Barkeeper hinter der Theke, doch er zuckt nur freundlich mit den Achseln. „Gerne, aber Du musst es in das iPad eintippen“, erwidert er.

„Okay, aber Du kannst ja schon mal anfangen, zu zapfen, oder?“, frage ich.

„Nee, geht nicht. Das System überwacht mich gnadenlos.“

So dauert es einen Moment, bis ich mich durch gefühlt siebenundvierzig Menüebenen durchgeklickt und das Bier bestellt habe. Vielleicht war es sogar gut, dass der junge Mann nicht vorzapfen durfte, denn mittlerweile wäre das Bier schon warm und abgestanden, vermute ich. Die Menüführung ist eine Katastrophe – wie von blutigen Anfängern programmiert.

Endlich steht aber das Bier vor mir, gebraut in der 11 Below Brewing Company hier aus Houston, die ihren merkwürdigen Namen „elf weniger“ aus der Tatsache ableitet, dass ihre Gründer in der Ölindustrie gearbeitet haben, bevor sie sich dem Brauen zuwandten. Und in der Ölindustrie hat ein Barrel Rohöl 42 Gallonen, während ein Barrel Bier lediglich 31 Gallonen enthält, elf weniger also. So führt dann das idiotische US-amerikanische Maßsystem wenigstens in diesem einen Fall zu einem positiven Effekt, nämlich einer originellen Bezeichnung für eine Brauerei.

5,5% Alkohol hat das Bier, verfügt über eine ordentliche, nur leicht fruchtige und eher erdig-harzige Hopfennote, einen durchaus kräftigen, kernigen Geschmack und eine anhaltende Bittere. Lediglich ein bisschen mehr Frische würde dem Bier gut tun, es wirkt ein wenig kraftlos und dumpf.

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11 Below Brewing Company – Lame Duck Pale Ale

Während ich das Bier trinke, werde ich Zeuge, wie neben mir eine Reisende am Zahlungssystem verzweifelt. Zwar hat sie sich nach einigen Fehlversuchen durch das Bestellmenü hangeln können, nun aber verweigert das iPad die Annahme ihrer Kreditkarte. Wieder und wieder versucht sie es, wechselt die Karte, aber es geht immer noch nicht. „Vielleicht ist der Kartenleser kaputt, probier‘ es doch an dem iPad nebenan einmal“, ermuntert sie der Barmann freundlich und geduldig. „Und dann noch mal durch dieses ganze fucking system klicken?“ Wütend steht die Dame auf. „Dann verzichte ich lieber auf mein Bier!“, stöckelt sie wutentbrannt davon.

„Sie ist nicht die einzige“, stellt der Barmann grinsend fest. „Das passiert jeden Tag. Es ist ein blödes System!“ Ich stimme ihm zu. Während der ganzen Zeit, wo ich hier gesessen und mein Bier getrunken habe, habe ich weder an der Bar noch im Restaurant einen einzigen Gast gesehen, der schnell und ohne Probleme mit seiner Bestellung klargekommen wäre. Überall wird geseufzt, neu angefangen, wütend auf das Display gehackt oder gar laut geflucht. „Ein Scheiß-System“, stelle ich fest und wünsche dem Barmann weiterhin ein dickes Fell und gute Nerven im Umgang mit den unzufriedenen Kunden.

„Und ein Scheiß-Airport“, füge ich in Gedanken hinzu, während ich in Richtung meines Gates laufe. Nirgends kann man sich hinsetzen, ohne etwas bestellen zu müssen, nirgends kann man etwas bestellen, ohne sich mit Engelsgeduld durchklicken zu müssen. Service? Absolute Fehlanzeige! George Bush Senior würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, was für ein Katastrophenflughafen hier nach ihm benannt worden ist. Schlagartig hätte wohl auch er keine Lust mehr auf Personenkult …

Das Restaurant Ember mit gut bestückter Bierbar im Terminal C des International Airport Houston befindet sich hinter der Sicherheitskontrolle ungefähr auf Höhe des Gate C12 und ist täglich von 06:00 bis 22:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag.

Bilder

Ember
3870 N Terminal Road
Houston
TX 77032
USA

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