Mitten in Erfurts Altstadt, nur wenige Schritte von der berühmten Krämerbrücke entfernt, finden wir ein klassisches deutsches Wirtshaus, das Restaurant Zum Goldenen Schwan. Schön renoviert sieht es aus, mit seiner dunkelroten Fassade, und es lässt ahnen, dass es hier schon seit Jahrhunderten steht.
Ich mache ein paar Bilder, und dann schaue ich erstmal in der Chronik dieses Gasthauses nach, wie alt es wohl wirklich ist.
Oh, ziemlich alt, stelle ich fest. 1789 ist es als Gasthaus Zum Goldenen Schwan eröffnet worden. Zumindest stammt aus diesem Jahr das Wirtshausschild, das am 18. November 1789 aufgehängt worden war – 2014 hatte man das Schildfest 225 Jahre Gasthaus Zum Goldenen Schwan gefeiert.
Aber die Bausubstanz ist noch viel, viel älter, stelle ich beim Weiterlesen fest. Eines der drei Steinhäuser, aus denen das Gasthaus heute besteht, wurde bereits 1200 errichtet, vor mehr als 800 Jahren, und von diesem Gebäude sind noch „Keller und Teile der Erdgeschosswand mit Portal“ erhalten, heißt es.
Aber das sind alles nur einzelne Aspekte, denn so, wie das Gasthaus insgesamt heute da steht, ist es noch keine zwanzig Jahre alt. Nach der Wende stand es zunächst leer, weil es so verfallen war, dass man es gar nicht mehr nutzen konnte und durfte, dann wurde es 2002 verkauft und von Grund auf renoviert.
So viel Geschichte! Jetzt wird es aber Zeit, zu schauen, wie es heute, am 30. November 2019, von innen aussieht. Wir drücken die Tür auf und stehen im Erdgeschoss mitten im Gasthaus. Es ist ziemlich voll. Na klar, es ist Sonnabend, und morgen ist der 1. Advent, da ist die Welt auf Reisen. Direkt vor uns sehen wir an der Theke eine kleine, kupferfarbene Brauerei. Groß kann der Ausstoß dieser mit ihren kugelrunden Kesseln lustig aussehenden Anlage nicht sein, denke ich mir und betrachte mein Spiegelbild im gehämmerten und sorgfältig auf Hochglanz polierten Metall.
„Einen Tisch für zwei?“, spricht uns eine nette Kellnerin an. „Kommen Sie mit, oben finde ich bestimmt noch etwas für Sie!“
Wir gehen die schmale und steile Treppe hinter der Theke hoch. Oben erwartet uns ein großer, gemütlich eingerichteter Schankraum, allerdings ist es auch hier sehr voll. Nur ganz hinten findet sich noch ein Plätzchen für uns beide.
Vier verschiedene vor Ort gebraute Biere schlägt uns die Speisekarte vor, und dazu gibt es deftige regionale Küche, klassische Hausmannskost. Na prima, das passt doch zum Ambiente und zu einem klassisch deutschen Weihnachtsmarkt- und Adventswochenende. „Wir nehmen die Riesenbratwurst und das gefüllte Schweineschnitzel“, signalisieren wir dem jungen Mann, der an den Tischen hier oben bedient. „Eine gute Wahl“, nickt er. „Das Pils dazu?“ Jetzt ist es an mir, zu nicken.
Es dauert, trotz dass es hier so voll ist, nicht lange, bis das Bier serviert wird. Goldgelb ist es, leicht trüb, mit kremigem und haltbarem Schaum. 4,8% Alkohol. Ein bisschen grasiger Hopfenduft, auf der Zunge dann eher mild und ein bisschen ins zu Süßliche tendierend. Ein gutes Trinkbier für große Schlucke gegen den Durst, auch ein guter Begleiter zum deftigen Essen, aber mit Pils hat es stilistisch nicht so viel zu tun, da fehlt schon noch die eine oder andere Schippe Hopfen.
Die Riesenbratwurst ist in der Tat riesig, und sie wird begleitet von Sauerkraut und Bratkartoffeln. Wenn schon, denn schon. Die Portion wird uns durch den Tag retten. Aber auch das gefüllte Schweineschnitzel für meine holde Ehefrau ist nicht von schlechten Eltern. Ebenfalls mit Bratkartoffeln, und für das schlechte Gewissen ein bisschen Salat dazu, so dass man immer sagen kann, man habe sich gesund und vitaminreich ernährt.
Viel Fleisch macht Durst, und so bestelle ich mir das 6,0%ige Weihnachtsbier. Rötlich schimmernd, mit nur wenig Schaum steht es vor mir. Im Gegensatz zum Pils, das im Glaskrug serviert wurde, kommt das Weihnachtsbier nun in einem Pilsglas. Versteh einer die Welt! Aber es schmeckt gut. Rund und vollmundig, für meinen Geschmack vielleicht fast schon ein bisschen zu mastig, andererseits ist es bei der Eiseskälte, die draußen herrscht, auch ein passendes, weil nährendes und wärmendes Bier.
Damit könnte es eigentlich für heute sein Bewenden haben. Satt sind wir, der Durst ist gestillt, und aufgewärmt haben wir uns auch. Aber so richtig Lust, aufzustehen und in die frostige Luft hinauszugehen haben wir auch noch nicht. Und da mittlerweile der Andrang im Restaurant etwas nachgelassen hat und niemand darauf wartet, dass unser Tisch frei wird, gönne ich mir doch noch ein drittes Bier, das 4,8%ige Schwarzbier, während meine holde Ehefrau sich lieber einen Kaffee bestellt.
Ich bin froh, so entschieden zu haben, denn das Schwarzbier ist von den drei heute verkosteten Bieren das beste. Eine dunkle, rubinrote Farbe, wenig Schaum. Ein feiner, röstiger Geruch, röstige und leicht mokkaartige Aromen auf der Zunge, am Gaumen und beim Ausatmen auch in der Nase, also retronasal. Im Schluck dann aber recht schlank und rasch abklingend. Sehr stilecht, sehr sympathisch.
Ein gelungener Abschluss für einen durchaus schönen Brauereibesuch. Klassische Gasthausbrauereikultur, „treudeutsch Altenbeken“, wie meine schon lange nicht mehr lebende Oma gesagt hätte*. Also in der regionalen Kultur verankert, gutbürgerlich, ohne Experimente und ohne Exotik. Aber gerade dadurch auch stimmig.
Das Gasthaus Zum Goldenen Schwan ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist es in einer Minute von der Krämerbrücke aus, von der westlichen Seite der Brücke sind es nur ein paar Schritte in Richtung Norden.
Zum Goldenen Schwan
Michaelisstraße 9
99 084 Erfurt
Thüringen
Deutschland
*Anmerkung: Der Ausdruck „treudeutsch Altenbeken“, den meine Oma häufig nutzte, um etwas zu beschreiben, das ihrer Meinung nach eine klassische, dörfliche deutsche Kultur ausmachte, ist zu Beginn der Nazi-Herrschaft entstanden. Menschen, die der Deutsch Nationalen Volkspartei nahestanden, begrüßten sich mit „Treudeutsch, alle Wege!“ (so, wie es auch im seinerzeitigen Liedgut als „treudeutsch allewege“ enthalten war), und Schulkinder im Westfälischen, die dies nicht richtig verstanden haben, übersetzten sich das mit „treudeutsch Altenbeken“, dem Namen einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Paderborn, in erster Linie durch ihren Bahnhof bekannt. Mit dem verballhornten Gruß „treudeutsch Altenbeken“ war somit eine Kritik am Nazi-Regime verbunden, die den einen oder anderen, der sich so ausdrückte, ins Gefängnis gebracht hat.
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