Zwei Nächte Wien – zwei Abende Craft Bier Fest Wien. Tolle Aussichten, wenn dann bereits der erste Zug Verspätung hat und wir zwei Mal umsteigen müssen… Aber letztendlich schüttelt sich alles, und zwar auf die einfachste Art und Weise: Wenn alle Züge, sowohl die der Deutschen Bahn als auch die der Österreichischen Bundesbahnen ÖBB zehn Minuten verspätet sind, dann klappt’s auch wieder mit den Anschlüssen!
Das Craft Bier Fest Wien folgt dem bewährten Konzept. Die Marx Halle stellt reichlich Platz zur Verfügung, Dutzende von Brauereien aus der ganzen Welt bauen ihre Stände auf, dazwischen stehen Food Trucks, und ein Leitthema versüßt uns den Besuch zusätzlich – dieses Mal Finnland – aus der Wildnis. Rund ein Dutzend finnische Brauereien und ein paar weitere Stände aus Finnland entführen uns in den hohen Norden.
Gerne lassen wir uns darauf ein und beginnen mit der Hiisi-Panimo, der Teufelsbrauerei. Sie wurde 2013 von Mikko Mäkelä und Tatu Hiitola in Jyväskylä gegründet, mitten in der Seenplatte, die Finnland im Landesinneren prägt. Sie sagen von sich selbst, dass sie zwar kommerziell arbeiten, sich aber immer noch als Hausbrauer verstehen würden, da sie nur Biere brauen, die ihnen auch selbst schmecken, und dabei immer wieder neue Ideen suchen.
Zwei dieser Ideen probieren wir gleich einmal, und zwar das Käre und das Aarni. Käre ist ein Forestfinnish Wheat Beer, gebraut mit Wacholder, Roggen und leicht geräuchertem Malz. Ein sehr volles und rundes Bier, ziemlich dunkel, kein Schaum. 5,5% Alkohol. Eine sehr interessante Erfahrung. Aarni ist ein Spruce Tip Ale, 6,9% stark und mit Kiefernsprossen gewürzt, die ihm einen schönen harzigen Touch verleihen. Sehr fein.
Ein guter Einstieg, aber jetzt müssen wir erstmal etwas essen. Die Auswahl ist groß, ob klassisch mitteleuropäisch, vietnamesisch, Burgerküche oder frisch gebackene belegte Brote. Man holt sich hier etwas und dort etwas anderes, und zum Essen trifft man sich auf einer der vielen Bierbänke in der Mitte der Halle.
Gut gestärkt legen wir jetzt los und werden gleich von einem jungen Mann abgefangen, der uns das Ambrosia Ale anbietet. Ein Golden Ale mit 5,8% Alkohol. Mild und weich, ausgewogen und rund. Recht schön. „Wenn aus Bier Kunst wird…“, schmalzt die Brauerei in ihrer Werbung und ziert die Flasche mit einem Deckengemälde von Raffael aus der römischen Villa Farnesina. Dick aufgetragen und selbstbewusst schwülstig ist der Auftritt, aber neben viel blumigen Erzählungen findet man kaum konkrete Informationen – noch nicht einmal, wo dieses Bier gebraut wird. So bleibt trotz der guten Qualität ein schaler Beigeschmack.
Das legt sich ein paar Schritte weiter am Stand von MadCat Brewing aber schnell wieder. Die winzige tschechische Brauerei wurde 2011 in Kamenice in der Nähe von Iglau / Jihlava auf der grünen Wiese errichtet und heimste schon in den ersten Jahren ihres Bestehens großes Lob ein. Aus Neugier probieren wir das Pumpkin Ale – eigentlich, um uns selbst zu provozieren. Gefühlt 99% aller Kürbisbiere sind mit Zimt, Gewürznelken, Anis, Vanille, Muskat oder was auch immer versetzt und dienen in unserer Wahrnehmung lediglich der biologisch-ökologisch verträglichen Entsorgung von überflüssigen Spekulatius- oder Glühwein-Gewürzmischungen. Dieses hier nicht. Runder und weicher Geschmack und, wenn überhaupt, nur Spuren von Zimt, aber auch da sind wir nicht sicher, ob uns unsere Sinne nicht täuschen und die Erwartungshaltung „kein Pumpkin Ale ohne Gewürze“ uns in die Irre führt. 5,0% lassen das Bier noch trinkbar sein, und wir können es uns sogar als Durstlöscher vorstellen.
Langsam bummeln wir weiter. Ein großes Hallo ein paar Stände weiter. Simon Latzer vom Bräuhaus Ten.Fifty. hat uns entdeckt. Ohne lang zu fragen schenkt er uns einen Schluck seines Session IPA ein. Nur 4,2% Alkohol, aber kernige und präsente Hopfenaromen. Ein sehr schönes Sommerbier. Restbestände aus der heißen Jahreszeit? Simon nickt. „Aber doch noch super, so als Auftaktbier, oder?“ Für ein Auftaktbier ist es schon zu spät, aber im Prinzip hat er recht.
Es bleibt aber nicht beim Auftaktbier, sondern wir probieren noch das English Porter mit 4,6%, das uns mit seinen wunderbaren Mokka-Aromen zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Feierlich vergeben wir fünf Sterne und werden mit einer weiteren Bierprobe belohnt, dem 5,3%igen Union Pale Ale. Hm, kein schlechtes Bier, aber irgendwie fehlt der Pfiff. Und nach dem Porter kann es sowieso nicht glänzen. Drei Sterne, solide Mittelklasse. Simon weist uns noch darauf hin, dass seine Anfang 2018 erst gegründete Brauerei mittlerweile auch Dosen abfüllt, aber bevor wir anfangen, zu überlegen, uns davon ein Sixpack in den Rucksack zu packen, werden wir abgelenkt.
„Kiesbye’s Waldbier“ lesen wir auf einer Tafel. Seit 2011 braut Axel Kiesbye in seiner Naturbrauerei seine Waldbier-Serie, und jedes Jahr verfeinert er das Bier mit einer anderen Zutat, die er frisch aus dem Wald sammelt – ob Tanne (2011), Zirbe (2012), Lärche (2013), Schwarzkiefer (2014), Fichte (2015), Wacholder (2016), Wilde Kirsche (2017) oder Holzbirne (2018). Heuer, in 2019, ist die Elsbeere dran. Wir probieren ein kleines Glas und erfreuen uns an den runden, fruchtigen, aber recht zurückhaltenden Aromen. 6,0% Alkohol, eine orange leuchtende Farbe, sehr ausgewogen. Die vergangenen Jahre waren prägnanter, ausdrucksstärker, dieses Jahr ist das Waldbier milder und weicher. Nicht besser, nicht schlechter, aber anders.
Nur zwei Schritte vom Waldbier entfernt kommt der Stand vom Bierkanter. Der Biername Lupo Lin zieht uns in seinen Bann und neugierig bestellen wir das Single Malt India Pale Ale, gebraut mit Mosaic und Citra Hopfen. 5,8%, schon prägnante und ausgewogene Hopfennoten – nicht nur Frucht, sondern dank des Mosaic auch eine leicht würzige, harzige Grundnote dazu. Das gefällt.
Wir wollen uns ein bisschen bewegen, vielleicht auch mal ein Wasser zwischendurch trinken, und wenden uns gerade ab, als wir aus dem Augenwinkel noch ein besonders spannendes Bier angeschrieben sehen: Einen Kollaborationssud der Beaver Brewing Company mit Next Level Brewing. Ein Barrel-Aged Barley Wine ist es, gelagert in Whisky-Fässern von Slyrs. Hört sich wahnsinnig spannend an, hat aber 11,3% Alkohol. Wir sehen uns an. Da ist sie wieder, diese Diskussion, die wir immer führen. Trinken wir zu Beginn eines Festivalbesuchs schon besonders seltene und hochprozentige Biere und nehmen das Risiko in Kauf, bereits um 20:00 Uhr genug zu haben und zurück ins Hotel zu müssen? Oder heben wir uns diese Extremspezialitäten für nachher auf. Dann allerdings laufen wir Gefahr, die hervorragende Qualität gar nicht mehr so recht würdigen zu können. Wer hat es nicht schon erlebt, dass zum Ende eines Festivals oder am Ende einer geilen Party sündhaft teure Spezialitäten nur noch um des Trinkens selbst willen durch die Gurgel rauschen? Am nächsten Morgen dann der Katzenjammer: Die 150,- EUR teure Whiskyflasche leer, die fassgelagerte Bierspezialität auch leer, und selbst den Kühlschrank mit den Hefestartern hat jemand leergesoffen…
Aber ach, wir behaupten einfach, es sei nun schon später, und bestellen uns das Bier. Und gut so! Wunderbar komplex, weich, samtig, aromatisch und mit fast schon öliger Textur gleitet es sanft den Rachen hinunter. Herrlich. Fünf Sterne. Heute schon zum zweiten Mal vergeben!
Ein Blick auf die Uhr sagt uns: Es ist Zeit, zum Pilsner-Urquell-Stand zu gehen. Punkt 18:42 Uhr, das passt zum Gründungsjahr 1842 der Brauerei, wird dort ein Fass ungefiltertes Pilsner Urquell angestochen. Freibier!
Uns geht es weniger um das Freibier als vielmehr darum, die Bombenstimmung mitzuerleben und unsere Freunde Wolfgang Hinterdobler und Conrad Seidl zu treffen, die unter Garantie pünktlich dort sein werden, der erste als Conferencier, der zweite wird den Anstich vollziehen.
Ein großes Hallo, und unter lautem Geschrei wird runtergezählt. Vier, drei, zwei, eins und … Prooost!
Anschließend (weil es schon zum zweiten Mal so ist, ist es schon gute Tradition) finden wir uns im Backstage-Bereich vom Pilsner Urquell ein. Ein Moment der Ruhe und des Durchatmens, einmal einen großen Schluck Wasser oder Cola, und einige gute Gespräche, bevor es wieder in den Trubel zurück geht. Hier kredenzt uns Norbert Seifried von der Biergärtnerei das Citra-Pils der Braufreunde Læssiger. Rund und weich, schon ausgewogen. Ein Bier, das kein großes Aufheben macht, sondern einfach nur schmeckt. Gerne zum raschen Durstlöschen – Zisch! – genauso gerne aber auch zum langsamen, nippenden Genuss.
Wir setzen unseren Rundgang fort und kommen wieder bei MadCat Brewing an. Einmal rum um die Halle sind wir gekommen. Das Bier Brut, ein mit Champagnerhefe vergorenes Bier mit immerhin 9,4% Alkohol lockt uns, aber hundertprozentig zufrieden sind wir nicht. Zwar macht es seinem Namen alle Ehre und ist knochentrocken, aber es weist leider auch eine leichte Säure auf. Nichts Dramatisches, aber doch so, dass wir nicht völlig zufrieden sind.
Viel, viel besser das Sacher. Wie die Sachertorte. Auch geschmacklich, denn es ist ein Chocolat & Apricot Stout. Ich befürchte ein pappsüßes und klebriges Gebräu und werde völlig überrascht. Weich, schokoladig, mit zurückhaltenden, aber spürbaren Aprikosenaromen, ein bisschen Mokka, und das Ganze bei 7,2% schön ausgewogen und balanciert. Hochzufrieden vergeben wir ein drittes Mal für heute fünf Sterne, und während wir zufrieden vor uns hin strahlen, treffen wir Dominik Ahmidou-Fend, Biersommelier aus Dornbirn im fernen West-Österreich. Von unserem Heimatort nur um die Ecke, aber um sich zu treffen, muss man wohl bis Wien reisen…
Gemeinsam verkosten wir ein Blueberry Imperial Stout mit 9,2% der slowakischen Remeselný Pivovar Hellstork. In edlem Dunkelviolett funkelt das Bier im Glas, und feine Blaubeeraromen umschmeicheln unsere Nasen. Ein bisschen Schokolade im Abgang kommt noch hinzu, und das Fehlen von Röstaromen macht das Bier schön ausgewogen.
Ach, jetzt haben wir schon so viel Hochprozenter genossen, da können wir auch noch mal zu Next Level Brewing gehen und das andere Barrel-Aged Bier probieren, den Barley Wine – Barrel Aged – Rye Whisky – Waldviertler Whisky J.H., wie die schwarze Tafel etwas umständlich schildert. 10,2% Alkohol und etwas weniger Fülle und Körper als der Slyrs-Barley-Wine von vorhin. Für fünf Sterne reicht es nicht ganz, aber trotzdem genießen wir das Bier mit allen Sinnen.
Langsam merken wir, dass die schweren Biere Folgen zeigen. Viel dürfen wir nicht mehr trinken – schließlich haben wir morgen noch einen zweiten Festivaltag vor uns. Dominik überredet uns noch, bei Hellstork ein echtes Experiment zu trinken, und zwar die Jalapeño Mango Gose. „Nur 5,0% Alkohol, das geht schon noch!“
Stimmt, vom Alkohol her geht es schon noch. Intensive Mangoaromen riechen wir, fast wie auf einem Obstmarkt irgendwo im sonnigen Süden. Der erste Schluck fördert etwas Säure und ein bisschen Salz zutage, es ist also tatsächlich als Gose eingebraut. Und auch die Jalapeño-Chilis kommen deutlich zur Geltung. Zunächst dezent hinter den Mangoaromen verborgen, nach dem Schluck dann aber mit kräftiger und langanhaltender, sauberer Schärfe. Sicherlich kein Bier für jeden Tag, und auch keins gegen den Durst, aber eines, über das man diskutieren und sinnieren kann – ein Bier, das zum Gespräch einlädt und mit dem man als Thema eine gute Unterhaltung bestreiten kann.
Ein spannender Abschluss des ersten Tages – eine leichte Schärfe im Rachen begleitet uns noch während der Straßenbahnfahrt zurück zum Hotel.
„Ring frei zur zweiten Runde“, heißt es am darauffolgenden Spätnachmittag. Heute beginnen wir in der BeerLovers-Ecke, einem Themenbereich, in dem Brauereien ihre Biere anbieten, die von BeerLovers, einem der besten Bottle Shops in Wien eingeladen worden sind.
Den Auftakt macht das Dulle Wind, ein Belgo-American IPA der Brasserie de la Senne. 6,2% Alkohol und eine Kombination aus amerikanischen Hopfenaromen und phenolischen Noten belgischer Hefe. Prima!
Hier treffen wir auch Kevin Reiterer, den Organisator des Festivals. Einen kurzen Moment hat er Zeit, wenigstens einmal anstoßen können wir, bevor er wieder irgendwo gebraucht wird.
Am Stand der estnischen Brauerei Põhjala empfiehlt es sich, einmal zu jodeln. „Jõuluöö!“ Das Mädel am Stand lacht und schenkt mir ein Jõuluöö ein, ein achtprozentiges Chocolate Vanilla Oak Aged Imperial Porter. Was sich fürchterlich sperrig anhört, ist in Realität ein ausgewogenes, rundes Porter mit vielen und komplexen Aromen, die sich harmonisch zu einem Ganzen fügen. Fünf Sterne, da sind wir uns einig. Und zwar nicht wegen meines Jodlers, sondern einzig und allein für Aroma und Geschmack.
Die italienische Brauerei East Side lockt mit einer schlaflosen Nacht. Sleepless Night, ein Imperial Coffee Porter. Neun Prozent Alkohol machen kreiselig, der Kaffee im Bier hält wach. Es schmeckt hervorragend, aber wir mögen uns gar nicht vorstellen, wie es wäre, sich von diesem Bier zu betrinken. Hellwach auf der Bettkante sitzend, alles dreht sich, und der verzweifelte Versuch, den Rausch wegzuschlafen, scheitert am Koffein.
Am gleichen Stand – bei den BeerLovers sind pro Kiosk immer zwei Brauereien am Start – schenkt die Browar Stu Mostów aus Wrocław den Salamander aus, ein Double Dry Hopped (Mosaic Simcoe) Double IPA mit 7,7%. Heftig und intensiv auch dieses Bier. Miteigentümerin Arletta Ziemian steht persönlich hinter der Theke, und für einen Moment klönen wir, und ich erzähle von meinem Besuch in der Brauerei vor einem Jahr.
Gavin Flanagan läuft mir in die Arme. Geschäftsführer des Brickmakers Pub & Kitchen in Wien war er, aber kurz bevor die Mutterfirma völlig überraschend Konkurs angemeldet hat und der schöne Laden geschlossen werden musste, hatte er schon zu den BeerLovers gewechselt. Glück gehabt, genau im richtigen Moment abgesprungen.
Ein Icelandic Toasted Porter von Einstök verkosten wir noch, bevor wir den BeerLovers-Bereich verlassen. 6,0% Alkohol hat es, wirkt aber nach den Bieren vorher ein wenig dünn. Nicht schlecht, aber in dieser Reihenfolge war das nix mit der Verkostung. Ein bisschen schade…
Um die Ecke treffen wir Micky Klemsch, der das Festival früher organisiert hat und sich mittlerweile auf die Herausgabe des begleitenden Biermagazins fokussiert. Mit bei ihm am Stand sitzen die Pauls, zwei Hausbrauer, die – wie ein paar andere Hobbybrauer auch – erstmalig auf dem Bierfestival ausschenken dürfen. Martin und Sonja Paul bieten das Dark Star² an, ein Black India Pale Ale mit 7,2%. Sehr schön und ausdrucksstark.
Noch ein paar Schritte weiter, und wir stehen am Gemeinschaftsstand der Culturbrauer, einer Gemeinschaft von acht österreichischen Familien- und Traditionsbrauereien. Hier fällt uns das Beerique ins Auge, ein holzfassgereiftes Starkbier der Hirter Brauerei. 9,3% Alkohol hat es und ist sehr harmonisch und weich, lässt aber Fülle vermissen. Sollen das wirklich fast zehn Prozent Alkohol sein? Es schmeckt eher wie ein einfacher Bock. Zwar nicht wässrig, aber die Erwartungshaltung war eine andere. Kein schlechtes Bier, aber trotzdem sind wir ein bisschen enttäuscht.
„Hej, Ihr Zwei! Heute müsst Ihr aber mal unser Vienna Grape Ale probieren, das Bier mit etwas Wein“, lässt sich Norbert Seifried hinter uns vernehmen. Gebraut wurde es in einer Zusammenarbeit des Brauwerk Ottakring mit den Braufreunden Læssiger. 6,4% Alkohol, ein paar Weinnoten im ansonsten sehr runden und weichen Bier. Könnte schön sein, würde es nicht im Aroma ein bisschen schwefeln. Liegt’s an der Hefe oder am Wein, oder liegt’s daran, dass das Fass schon eine Weile angestochen ist? Weder Norbert noch wir wissen es. Ein grundsätzlich aber schönes Bier und eine interessante Idee mit dem Bier-Wein-Hybriden.
Wir sinnieren über dieses Bier vor uns hin, als uns jemand fast umrennt. Martin Seidl. „Hej, toll, Euch hier zu treffen“, posaunt er, schließt uns wie ein Schraubstock in seine riesigen Pranken und drückt uns zwei Flaschen aus eigener Produktion in die Hand. „Hier, zum Verkosten!“
„Sorry, hab’s eilig, wir sehen uns nachher bestimmt noch!“, ruft er noch und verschwindet im Gewühl, um irgendwo die Kisten und Kästen mit seinen Bieren, der Schwarzen Tinte und der Sauren Tinte, aufzubauen.
Wir kommen gar nicht zum Durchatmen. „Da seid Ihr ja!“ Kevin hat uns wiedergefunden. „Schaut mal, das hier ist Sanna, die arbeitet für Business Finland bei der finnischen Botschaft. Die nimmt Euch jetzt mal unter ihre Fittiche und führt Euch durch die finnischen Stände.“
Sanna Sipilä-Axnix nimmt ihre Aufgabe ernst. Unter ihrer wunderbar herzlichen und liebevollen Führung beginnt ein geschmacklicher Parforceritt durch Finnland. Zunächst stellt sie uns Pekka Kääriäinen vor, die graue Eminenz der finnischen Bierszene. Bereits 1985 hat er mit Lammin Sahti die erste Mikrobrauerei Finnlands eröffnet.
Und ein Lammin Sahti bietet er uns auch gleich mal zum Probieren an. Klassisch mit einfacher Hefe und bei hohen Temperaturen vergoren, gebraut mit Wacholder und über Stroh geläutert. Ein wuchtiges Bier mit Ecken und Kanten, aber eines, das uns trotzdem beeindruckt. 7,5% Alkohol sind für ein Sahti verhältnismäßig leicht, machen es in diesem konkreten Fall aber auch angenehm trinkbar.
Ein weiteres Bier schiebt Pekka gleich hinterher über den Tresen, das Groteskie. „Groteskie? Das klingt aber sehr nach Grodziskie, dem polnischen Rauchweizen“, lache ich, und Pekka nickt. „Genau!“ Und in der Tat, es ist ein dem Grätzer Rauchweizen fast perfekt nachempfundenes Bier. 3,2% Alkohol nur, so, wie das Original. Entstanden ist es in der Iso-Kallan Panimo und hat unlängst erst einen Brau-Wettbewerb gewonnen. Zwar sagt mit dieser Bierstil nicht wirklich zu, aber ich muss zugestehen: Stilistisch ist das Bier außerordentlich gut gelungen.
Sanna bittet uns weiter und wir gehen zur Brauerei Vakka-Suomen Panimo Osakeyhtiö, die 2008 in Uusikaupunki gegründet worden ist und ihre Biere unter der Marke Prykmestar vertreibt. Heikki Heikkilä, der Production Manager Logistics der Brauerei, begrüßt uns mit einem Rauchbock mit Wacholder, dem neunprozentigen Savukataja. Intensiv im Geschmack und sehr vollmundig, aber der Rauchgeschmack verbindet sich so harmonisch mit dem Wacholder, dass es nicht zu krass wird Sehr schön! Wir sind hochzufrieden.
Heikki ist zufrieden, dass wir zufrieden sind, und strahlend schenkt er uns den Hunajabock ein, einen 6,6%igen Honigbock, und gleich drauf auch noch das Blueberry Ale mit 5,5%. Insbesondere das Letztere begeistert uns. So intensive Blaubeeraromen in einem Bier haben wir noch nicht erlebt – ein wahrer Fruchtcocktail aus dem hohen Norden.
Vom Blueberry Bier zum Blackberry Bier. Timo Konttinen von der 1998 gegründeten Stadin Panimo aus Helsinki bietet uns ein New Zealand Blackberry IPA an. Neuseeländischer Hopfen und finnische Brombeeren gehen eine feine Symbiose ein. 6,5% Alkohol sind kräftig, aber nicht zu stark, und im Resultat genießen wir ein feines, ausgewogenes und trotzdem charaktervolles Bier.
Viel Zeit zum Durchatmen lässt uns Timo aber nicht, sondern schenkt gleich ein Elderberry American Farmhouse India Pale Ale ein. Deutlich dunkler in der Farbe, mit 7,0% etwas stärker, und durch ein paar phenolische Noten wirkt es robuster und kerniger. Ebenfalls sehr schön, aber völlig anders im Charakter.
Geheimnisvoll zapft Timo nun noch einen kleinen Schluck eines sehr dunklen Biers für uns. Katariina Imperial Stout, Whisky Barreled. 9,0% Alkohol und ein echtes Wumms in Aroma und Geschmack. Es hat alles, was ein gutes Stout ausmacht, im Überfluss und zusätzlich noch reichlich Whisky-Aromen. Wir können unser Glück kaum fassen und vergeben noch ein weiteres Mal heute fünf Sterne.
Damit kann das Raspberry Witbier leider nicht mithalten. Obwohl herrlich fruchtig, kräftig aromatisch, mit einer feinen und ausbalancierten Säure und erfrischend spritzig fällt es natürlich im direkten Vergleich ein bisschen ab. Das war wohl die falsche Reihenfolge. Trotzdem reicht es für das 5,5%ige Bier für solide vier Sterne.
Timo strahlt. Stolz darauf, dass uns seine Biere so gut geschmeckt haben, drückt er uns eine Handvoll Dosen und Flaschen in die Hand. Wir wollen abwehren, aber Widerspruch ist zwecklos. „Try them at home, and they will be even better“, lacht Timo, als wir uns dankend verabschieden.
Am nächsten Stand, bei der Rock, Paper, Scissors Brewery treffen wir Conrad Seidl wieder und genießen mit ihm gemeinsam ein Dandelion Dream, ein 4,9%iges Belgisches Wit mit Löwenzahn. Schmeckt gut, aber wir sind vorsichtig. Löwenzahn wird im Saarland nicht umsonst Bettseicher genannt – er wirkt harntreibend. Können wir hier auf dem Bierfest vielleicht nicht wirklich gut gebrauchen. Aber immerhin haben wir genug Grund, um zu witzeln.
Beim nächsten Bier aus dieser Brauerei folgt aber Genuss ohne Reue. Ein hopfengestopftes, helles Lager überrascht uns. Blütenzart, weich und ausgewogen. Nur 4,7% hat das Bier mit dem witzigen Namen An All-day, Everyday Lager. Aber genau das ist es: Ein Bier, das man schön zum Frühstück trinken möchten, dass uns den ganzen Tag begleiten kann, dass den Abend abrundet. Immer da, immer als Durstlöscher und als feiner Genuss griffbereit. Die ganz hohe Kunst des Lagerbierbrauens. Fünf Sterne für ein einfaches Lager? Ja, in diesem Fall schon!
Janne und Samuli von der in Kuopio irgendwo zwischen Seen und Felsen im Landesinneren Finnlands gelegenen Brauerei beeilen sich, uns das nächste Bier einzuschenken, das New England India Pale Ale (NEIPA) The Lizard. Ein Stil, der mir persönlich gar nicht so gut gefällt – ich kann diesen trüben Bieren nicht wirklich viel abgewinnen. Aber es ist gut gelungen. 5,5%, leicht orangegelbe Farbe, stilecht sehr trüb und mit kräftigen Fruchtaromen für die Nase, die mich dann immer gedanklich in eine Erwartungshaltung bringen, die der überhopfte, bittere Körper eines NEIPA dann nicht zu erfüllen vermag. So auch hier. Aber der Stil will es so, und wenn ich versuche, so objektiv wie möglich zu sein, muss ich schon feststellen: Gut gemacht.
Das einfache Pale Ale, das 5,4%ige Indie Pale Ale, gefällt mir da deutlich besser. Die Frucht- und Harznoten des Hopfens, der malzige Körper, die kernige Herbe harmonieren deutlich besser und bilden einen schönen Aromabogen vom ersten Schnuppern bis nach dem Schluck. Fein!
So langsam haben wir unsere Kapazitätsgrenze erreicht. „Ganz ehrlich, Sanna, der Alkohol beginnt, sich bemerkbar zu machen“, entschuldigen wir uns bei unserer wunderbaren Begleiterin und ihrer ebenso bezaubernden Kollegin Lili Lehtovuori. Sie hatten uns zwischendurch immer mal mit feinen Lachshäppchen verwöhnt, auf dass uns das Bier nicht zu arg zu Kopf stiege, aber irgendwann ist wirklich mal Schluss.
„Eine letzte Brauerei noch“, lacht Sanna und zieht uns zum Stand der Laitilan Wirvoitusjuomatehtaalta, deren Biere unter der Marke Kukko in ganz Finnland und darüber hinaus bekannt sind. Wir verkosten das fünfprozentige Tomáš Dampfbier und das mit 5,5% etwas kräftigere India Pale Ale. Beide Biere, obzwar nicht miteinander vergleichbar, sehr solide und fehlerfrei gebraute Biere ihres jeweiligen Stils. Ein wunderschönes Bild einer finnischen Wald- und Seenlandschaft bietet uns noch einen herrlichen Hintergrund für ein paar letzte Bierfotos.
Zwei vollgepackte Tage liegen hinter uns. Viele spannende Gespräche, genauso viele spannende Biere, und zum Schluss ein Parforceritt durch die finnische Bierszene. Finnland als Partnerland des diesjährigen Craft Bier Fest Wien, das war sehr schön – insbesondere natürlich durch die persönliche und so herzliche Betreuung durch Sanna.
Das Craft Bier Fest Wien zählt was die Breite an verschiedenen Brauereien und Bierstilen und die professionelle Organisation anbelangt, zu einem der besseren in Europa. Nicht überfüllt, stets genügend Plätze, aber auch nicht zu kahl und leer. Es scheint jedes Mal auf’s Neue zu gelingen, genau das richtige Maß, genau den richtigen Füllungsgrad an Gästen hinzubekommen, so dass es gemütlich ist ohne beengt zu wirken.
Toller Artikel, viele der erwähnten Biere haben wir auch verkostet. Eine kleine Berichtigung – Micky Klemsch war nicht am Stand der Pauls, sondern die Pauls am Stand von Micky Klemsch bzw. des Bier Magazins :) Danke für die Erwähnung!
Oops, ja, natürlich! Hab’s schnell korrigiert…
Mit bestem Gruß,
VQ