Freudenstadt im Schwarzwald – die Stadt mit Deutschlands angeblich größtem Marktplatz. Mitten auf diesem Marktplatz steht ein großes und langgestrecktes Gebäude, die ehemalige Post, das jetzt das Turm-Bräu beherbergt, auch Freudenstädter Brauhaus am Markt genannt.
Unter dem in der Tat beeindruckend großen Marktplatz erstreckt sich eine ähnlich große Tiefgarage; rasch ist der Wagen abgestellt, und mit etwas Glück erwischen wir genau den Treppenaufgang, der direkt vor dem Eingang zum Brauhaus ans Tageslicht führt.
Große Kunststofffolien an der Außenwand wünschen uns noch etwas verspätet „Frohe Weihnachten!“, und als wir die Tür aufdrücken, begrüßt uns ein Spalier von Weihnachtsmännern, die vor dem kupfernen Sudwerk aufgereiht stehen.
Mit dem Sudwerk ist der wichtigste Blickfang gut platziert – das erste, was der eintretende Gast zu sehen bekommt, sind die beiden Kupfergeräte und das Steuerpult dazwischen. Das klassische Aushängeschild einer deutschen Gasthausbrauerei. Schade nur, dass die Brauerei von Plexiglasplatten eingerahmt wird und dadurch viel von seiner Ausstrahlung verliert. Ob sie vor klebrigen Kinderhänden geschützt werden muss? Oder ob zu viele neugierige Gäste sich mit fettigen Fingern auf dem sauber geputzten Kupfer abstützen und dicke Fingerabdrücke hinterlassen? Oder hat sich gar ein Gast während des Brauvorgangs mal die Pfoten verbrannt, als er irgendwohin griff, wo er nicht hätte hingreifen dürfen, und dann die Brauerei verklagt? Wer weiß …
Wir gehen weiter in den großen Schankraum hinein und suchen uns einen Platz mit Blick auf Theke und Sudwerk. Eine krachlederne Gasthausbrauerei, so schießt es mir durch den Kopf, als ich mich weiter umsehe. Und zwar im doppelten Sinn krachledern:
Zum einen metaphorisch, also im übertragenen Sinne. Das Turm-Bräu ist so deutsch-rustikal und bodenständig, wie es nur sein kann. Viel, viel Holz wurde in der Inneneinrichtung verbaut, wuchtige Holztische und Holzstühle, teils bewusst mit Kratzern und Schrammen versehen, dicke Baumstämme mitten im Raum, Tannengrün, Strohballen, ein alter Holzschlitten. Alle Dekorationen greifen die Bodenständigkeit auf, selbst die zahlreichen Weihnachtspäckchen, die überall von der Decke herabhängen. Dazu eine Speisekarte, die klassische Schweinsbratenküche anbietet und ein paar Biere, die deutlich signalisieren: Keine Experimente. Krachledern und bodenständig also im Sinne von: Keine Überraschungen, der Tourist weiß vom ersten Augenblick an, was ihn hier erwartet, und er wird nicht enttäuscht.
Krachledern geht es im Turm-Bräu zum anderen aber auch im Wortsinn zu. Alle (ausschließlich weiblichen) Servierkräfte tragen krachlederne Kniebundhosen, dicke Wollstrümpfe und – kleiner modischer Touch – Sneakers. Sorgfältig sind die Kniestrümpfe heruntergeschoben, wölben sich in dicken Falten über den Schuhen auf und geben die strammen Waden der Damen frei. Das mag bequem sein, das mag rustikal-süddeutsch wirken, das ist aber auch latent sexistisch. Wie’s gefällt …
Ich passe mich an die Rustikalität an und bestelle mir zunächst ein dunkles Weizen und einen deftigen Schweinsbraten mit Knödel und Rotkraut dazu. Das Bier ist recht süßlich und lässt ein bisschen Kraft und Charakter vermissen, trinkt sich aber sehr gut und passt gar nicht so schlecht zum Schweinsbraten. Hungrig falle ich über mein Essen her, und in wenigen Augenblicken sind sowohl Teller als auch Glas leer. Die riesigen Maultaschen meiner holden Ehefrau sind ebenso erwartungsgemäß – keine kulinarische Offenbarung, aber solide und sättigende regionale Kost.
Einen Moment bleiben wir noch sitzen, einen Kaffee und ein Pils gönnen wir uns noch. Auch hier aber: Das Pils ist zwar durchaus süffig und gut trinkbar, aber ebenfalls sehr süßlich. Mit einem doch eigentlich hopfenbetonten Bier hat das nicht viel zu tun – eher schon mit einem in Süddeutschland so beliebten Hellen.
Ein Blick auf die Uhr: Eilig haben wir es heute nicht, Stau ist auf dem Heimweg auch nicht zu erwarten, und was die nette Kellnerin gerade an unserem Tisch vorbeigetragen hat, sah gar zu schmackhaft aus. Also, sollen wir …? Meine Frau nickt, und so bestellen wir uns noch einen heißen Apfelstrudel mit Eis und Sahne. Völlig übermütig, aber wenn es doch so appetitlich aussieht …
Und schmecken tut’s auch!
Mit prall gefüllten Bäuchen machen wir uns auf den Weg zurück zum Auto. Ein nettes Brauhaus, das alle Stereotypen deutscher Gasthausbrauereikultur perfekt bedient: Süffige, wenn auch nicht gerade spannende Biere, deftiges Essen in großen Portionen zu recht geringen Preisen, rustikale Dekoration, in die sich die kupfernen Braukessel perfekt einfügen, und freundliche, aufmerksame Kellnerinnen in auf neuzeitlich getrimmtem Trachten-Outfit. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Heerscharen asiatischer Touristen, die hier alle Klischees deutscher Kultur in harmonisch-zufriedenstellender Weise vorgeführt bekommen.
Keine separate Anreise wert, aber wenn man schon mal in Freudenstadt ist oder ganz in der Nähe vorbeikommt, ist ein Abstecher keine verschwendete Zeit.
Das Turm-Bräu – Freudenstädter Brauhaus am Markt ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist es bequem mit der Bahn – vom Stadt Bahnhof Freudenstadt (Regionalexpress und S-Bahn) sind es drei Minuten zu Fuß in Richtung Süden, und wer mit dem Auto kommt, parkt quasi direkt unter dem Brauhaus.
Turm-Bräu – Freudenstädter Brauhaus am Markt
Marktplatz 64
72 250 Freudenstadt
Baden-Württemberg
Deutschland
Be the first to comment