Fein&herb
Pfronten
DEU

„Irgendwie schaffen wir das“, sagt Arbo und schaut mich mit großen Augen über seine Alltagsmaske hinweg an. „Es war jetzt zwei Jahre hintereinander schwieriger als gedacht, aber dann schaffen wir halt alles etwas langsamer.“

Fast eine Stunde habe ich mich mit Arbo Zeller vom kleinen, aber sehr feinen Biershop Fein&herb in Pfronten unterhalten. Wir stehen zwischen den perfekt ausgeleuchteten und penibel sortierten Regalen mit Bieren aus aller Welt, und noch keine einzige Flasche oder Dose habe ich raussortiert, um sie mitzunehmen. Sonst ist es ja meistens andersherum: Zuerst suche ich mich die Biere zusammen, die ich kaufen möchte, und dann komme ich an der Kasse ins Schwätzen. Heute haben Arbo und ich gleich mit dem Schwätzen angefangen, und das Einkaufen kommt später.

draußen bricht die Dämmerung herein, drinnen ist es gemütlich

Ende 2018, kurz vor Jahreswechsel, habe er den kleinen Laden aufgemacht, erzählt Arbo. Er habe immer schon etwas eigenes gewollt, und das Fotografieren, das er professionell unter Arbogast Photoart betreibe, sei nicht ausreichend gewesen. Da habe es sich wunderbar ergeben, dass mitten in Pfronten, nur wenige Schritte vom Bahnhof entfernt, das kleine Ladengeschäft freigeworden sei. Genau die richtige Größe für einen Craftbier-Shop. „Kreative und handwerklich produzierte Biere, dazu noch ein paar weitere Getränkespezialitäten, die es garantiert nicht irgendwo im Supermarkt gibt, das war meine Idee.“

die Biere sind zum Teil gekühlt

„Eine ausgezeichnete Idee“, stelle ich fest und drehe mich begeistert einmal um die Achse. Ein Regal voller Kreativbiere aus der Region, ein weiteres mit Bieren aus dem etwas größeren Umkreis. Ein paar Fächer voll mit ausländischen Bierdosen, dazwischen ein Kühlschrank mit einer repräsentativen Auswahl vorgekühlter Biere. Ein paar Schritte weiter Whisky, Gin, Rum, Liköre. Keine Massenprodukte, alles in kleinstem Maßstab und meistens in der Region produzierte Spezialitäten.

Fassgereiftes vom Zötler

„Ja, aber dann kam die Großbaustelle.“ Arbo zuckt mit den Achseln. „Die hatten wir nicht auf dem Schirm.“ 2019 wurde die Zufahrtsstraße zur Bahnhofsstraße, die Meilinger Straße, in Pfronten komplett erneuert. Dreck, Lärm, Straßensperrungen – hier am Laden kamen nur noch Menschen vorbei, die gezielt irgendwohin wollten. Keine Laufkundschaft, keine Touristen, keine Spontankäufer. Und kein Parken direkt vor der Tür. „Da gab es Phasen, wo wir bei einigen Bieren sehr sorgfältig darauf achten mussten, dass die Mindesthaltbarkeitsdaten nicht abliefen. Aber das haben wir hingekriegt und dann alle Hoffnungen auf 2020 gesetzt.“

Biere aus der Region

„Und dann kam Corona …“, ergänze ich. „Ja, dann kam Corona“, echot Arbo. Einerseits wäre der Flaschen- und Dosenbierabsatz in der Corona-Krise gestiegen, erzählt er. Andererseits seien aber auch längst nicht mehr so viele Touristen nach Pfronten gekommen, die beim Bummel durch die Stadt auf seinen kleinen Laden aufmerksam geworden seien und gute Biere eingekauft hätten. Am stärksten hätten wohl die klassischen Getränkemärkte gemerkt, dass statt Fass- nun Flaschenbier getrunken werde. Es sei aber auch nicht einfach gewesen, die Kunden unter den geltenden Corona-Auflagen zu beraten. Nur ein oder zwei Kunden gleichzeitig im Laden, immer nur mit Alltagsmaske und Abstand, und oft hätten sich Kunden auch nicht getraut, lange zu stöbern. Das, was die besondere Atmosphäre eines Craftbier-Shops ausmacht, sei fast verloren gegangen.

die Flaschen sind durchweg penibel sortiert

Um so schöner aber, dass hier und heute, am 27. November 2020, während meines Besuchs alles stimmt. Ich bin zwar kurz vor Geschäftsschluss der einzige Kunde, aber ich genieße die gemütliche Atmosphäre und das Fachsimpeln mit Arbo. Zwei Tage vor dem 1. Advent ist das Lädchen schon dezent weihnachtlich geschmückt, und für die dunkle und kalte Jahreszeit sind viele schwere und aromatische Biere im Angebot. Ob fassgereifte Spezialitäten, Doppel- oder Eisböcke oder Imperial Stouts und Double IPAs. Für jeden Geschmack ist etwas dabei.

quietschbunte Dosenkunst von True Brew

Langsam beginne ich, mir eine Auswahl zusammenzustellen und auf den Tisch am Eingang zu platzieren. Hier etwas Fassgereiftes vom Zötler, dort ein paar exotische Sachen von Mad Scientist aus Budapest. Ein klassischer Weizenbock und ein Grünhopfenbier vom Mariahilfer Sudhaus und ein buntes, ein quietschbuntes Dosensortiment von True Brew. Hier noch eine Flasche und dort noch eine Dose.

Zu vielen dieser Biere erzählt mir Arbo eine Geschichte. Wie er den Kontakt zur jeweiligen Brauerei hergestellt hat, über wen er die Biere vermittelt bekommen hat, wer für ihn importiert. Ich merke, dass er in seiner Aufgabe richtig aufgeht und mit heißem Herzen dabei ist. Sehr schön – genau so muss ein Einkauf im Craftbier-Shop sein!

schöne Deko

„Ein kleines Hindernis gibt es noch“, sagt Arbo schließlich, als ich genügend Biere auf den Tisch gestellt habe. „Ich habe zur Zeit keine Registrierkasse!“

„Ja, wie? Und wie soll das nun gehen?“ Ich bin für einen Moment irritiert. „Ich schreibe alles händisch auf, auf ein Blatt Papier“, grinst Arbo und macht sich an die Arbeit. Rund fünfzig Positionen. Brauereiname, Biername, Preis und Pfand. Er schreibt geduldig, und ich nutze die Zeit noch einmal für einen Rundgang entlang der Regale. Noch viele Biere mehr hätte ich einpacken können, aber mit fünfzig Flaschen und Dosen komme ich schon mal ganz gut durch die Adventszeit. Es stehen ja auch noch ein paar Online-Lieferungen an. Da ist es dann irgendwann mal genug.

Online-Lieferungen sind auch hier ein Thema: Arbo hat seit kurzem auch einen Online-Shop, in dem man virtuell stöbern und sich seine persönliche Bierlieferung zusammenstellen kann. Nach einer schlechten Erfahrung mit GLS versendet er nun per DPD.

zur Not muss es auch mal ohne Registrierkasse gehen

Arbo ist mit dem handschriftlichen Kassenzettel fertig. Während er mit meiner Bankkarte hantiert (das geht zum Glück auch ohne Registrierkasse), bewundere ich noch die Fotografien, die zwischen den Regalen an der Wand hängen. So ganz hat sich Arbo nicht von seiner zweiten Profession gelöst – die eindrucksvollen Aufnahmen, die in hervorragender Qualität auf matt schimmernde Oberflächen gedruckt sind, schmücken nicht nur den Laden, sondern können auch gekauft werden. Die Motive haben allerdings, so viel sei gesagt, nichts mit Bier zu tun, sondern greifen die wunderbare Landschaft und Natur hier im Allgäu auf.

eigentlich war vor einer halben Stunde schon Feierabend

Ein Blick auf die Uhr: Vor rund einer halben Stunde hat Fein&herb offiziell schon Geschäftsschluss gehabt, wir haben viel zu lange erzählt … Aber es hat sich gelohnt, der Bierkühlschrank daheim wird wieder randvoll sein.

Fein&herb – eine schöne Anlaufstelle für den Bierkenner.

Der kleine Craftbier-Shop Fein&herb ist dienstags bis freitags von 10:00 bis 12:00 Uhr und von 14:30 bis 17:30 Uhr (im Sommer von 14:00 bis 18:00 Uhr) geöffnet; sonnabends nur von 10:00 bis 12:00 Uhr (im Sommer bis 13:00 Uhr). Sonntags und montags ist zu. Zu erreichen ist der Laden problemlos mit dem Auto (wenn man viel einkaufen möchte), man kann mit etwas Glück direkt vor der Tür parken. Die Bahn ist eine hervorragende Alternative – der Bahnhof Pfronten ist direkt schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite.

Bilder

Fein&herb
Bahnhofstraße 8
87 459 Pfronten
Bayern
Deutschland

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