Während die dunklen Wolken der dritten Welle über das Land ziehen und es einschüchtern, die zaudernden Politiker einmal mehr zu spät und zu schwach auf CoViD-19 reagieren und die Infektionszahlen beängstigend steigen, ist gar nicht daran zu denken, sich auf ein Bier zu treffen und gemeinsam zu verkosten. Es sei denn, man macht es virtuell, so wie der Biersommelier Frank Di Marco, der rund zwanzig Bierliebhaberinnen und Bierliebhaber eingeladen hat, einen Wettstreit zwischen Baden und Württemberg zu entscheiden. Einen Wettstreit in Sachen Bier.
am Küchentisch ist alles vorbereitet
In drei verschiedenen Stilen, dem einfachen Hellen, dem klassischen Dunklen und dem eigentlich eher in Franken beheimateten Rotbier, treten die Regionen gegeneinander an. Frank leitet uns durch die Verkostung, versorgt uns mit Hintergrundinformationen und moderiert unsere Diskussion, und nach jeder Runde wird abgestimmt.
Den Auftakt macht das 4,9%ige Hochdorfer Helle aus der Hochdorfer Kronenbrauerei in Nagold-Hochdorf:
KronenBräu – Hochdorfer Helles
Eine hellgelbe Farbe, ein blanker Glanz, darüber eine überraschend üppige und schneeweiße Schaumkrone. Eine schwach metallische Note im Duft huscht rasch vorüber und macht Platz für eher getreidige, fast schon etwas brotige Noten. Auf der Zunge zeigt sich das Bier leicht süßlich, ein kleines bisschen kohlensäurescharf und malzig-mild. Die getreidigen Noten bleiben, changieren ein wenig ins Schweflige, und dann nach dem Schluck bleibt nur eine ganz dezente Bittere, die rasch verschwindet.
„Hohe Durchtrinkbarkeit“, raune ich meiner holden Ehefrau zu, und Sekunden später erklärt Frank über den Bildschirm, dass er dieses Bier früher immer gerne als süffig bezeichnet hat, nun aber, „auf Volkers Anregung hin“, gerne auch den Begriff der Durchtrinkbarkeit verwendet, als Eindeutschung und leichte Anpassung des englischen Begriffs Drinkability. Zufrieden nicke ich in die Kamera, obwohl gerade hier, bei diesem Bier auch der Begriff Süffigkeit gepasst hätte, denn nach vielen, vielen Diskussionen mit Bierliebhabern bin ich zu der Überzeugung gekommen, das Süffigkeit immer auch mit Malzigkeit und einer gewissen Mindest-Vollmundigkeit einhergeht, während trockene, hochvergorene Biere, auch wenn sie beliebig gut in großen Mengen trinkbar sind, eher selten als süffig bezeichnet werden – daher Durchtrinkbarkeit. Losgelöst vom Malz und der Vollmundigkeit, fokussiert darauf, dass man gerne auch ein zweites oder drittes großes Glas von diesem Bier trinken würde.
Als zweites Bier folgt Bauhöfer’s Schwarzwaldmarie Lager Hell, nur echt mit dem Retroetikett, 5,2% Alkohol, dem Schraubverschluss und leider auch mit dem Deppenapostroph:
Familienbrauerei Bauhöfer – Bauhöfer’s Schwarzwaldmarie
Noch einen Ticken heller als beim Hochdorfer Hellen ist das Gelb dieses Biers im Glas, genauso klar ist sein Glanz, und etwas geringer die schneeweiße Schaumkrone. Aber schon beim ersten Schnuppern offenbaren sich größere Unterschiede: Harmonische und überraschend intensive Fruchtnoten und eine durchaus spürbare Hopfenbittere umschmeicheln die Nase und lassen an ein amerikanisches Pale Ale denken. Der Eindruck bestätigt sich auch beim Trinken. Feine Aromen von exotischen Früchten und eine leichte Kräuterbittere zeigen deutlich, dass dieses Bier hopfengestopft wurde. Die oftmals von der obergärigen Hefe eines Pale Ale zusätzlich in das Bier gebrachten estrigen Aromen fehlen zwar, aber gerade dadurch wird das Bier noch klarer und harmonischer. Eine schöne und ausgewogene Bittere schließt den Gesamteindruck ab und macht große Lust auf den nächsten Schluck. Ein sehr schönes Bier!
Aber … ein gewisses „aber“ muss an dieser Stelle sein: Das Bier geht in seiner komplexen Aromatik weit über das hinaus, was klassisch ein Helles ausmacht. In einem strengen Wettbewerb müsste man urteilen: Ausgezeichnet, aber Thema verfehlt.
Für einen Moment geht die Diskussion in Richtung Vor- und Nachteile des Schraubverschlusses. Zwar wird diesmal nicht pauschal gegen den Schraubverschluss polemisiert („Ist Scheiße, weil … isso!“), aber die berechtigte Frage kommt auf: Wer braucht bei einem so herrlich durchtrinkbaren Bier und einer 0,33-l-Größe eine wieder verschließbare Flasche?
Bei der nun folgenden Abstimmung („Haltet mal bitte das von Euch bevorzugte Bier in die Kamera!“) gewinnt die Schwarzwaldmarie deutlich vor dem Hochdorfer Hellen – Stilkategorie hin oder her.
Die erste Runde geht als an … öhm, da muss ich überlegen … Baden. Oder? Ich schaue noch mal bei Google nach. Ja, Ulm bei Renchen liegt in Baden, nicht in Württemberg. Amüsiert blicke ich auf die Landkarte. Da gibt es Baden, da gibt es Württemberg, da gibt es Hohenzollern, die Grenzen sind verwoben, schieben sich ineinander, bilden Anhängsel und Enklaven. Was für ein kleinkariertes Denken sich da offenbart, und wie gut, dass diese Grenzen heute keine wirkliche Rolle mehr spielen.
Obwohl, bin ich als „Wahl-Bayerisch-Schwabe mit niedersächsischen Wurzeln und pan-europäischer Sozialisierung“ überhaupt befugt, darüber zu urteilen, oder halte ich mich da besser, erstens, für wenig kompetent und, zweitens, raus? Bei Twitter entwickelt sich ob dieser meiner Selbsteinschätzung eine Diskussion, die mich von der Verkostung ablenkt, bis mir meine holde Ehefrau den Ellenbogen in die Rippen rammt: „He, es geht weiter!“
Und in der Tat, die zweite Runde beginnt, und zwar mit dem 5,6%igen Waldhaus Ohne Filter Dunkel:
Waldhaus – Ohne Filter Dunkel
Sehr dunkelbraun und leicht trüb, mit einer dunkelbeigefarbenen Schaumkrone präsentiert sich das Bier, offeriert einen leichten metallischen Hauch im Duft und danach eine überraschend zurückhaltende Aromatik. Nur ganz schwach können wir Kaffee- und Röstnoten identifizieren, und auch beim Trinken passiert außer einem feinen, durchaus angenehmen adstringierenden Gefühl auf der Zunge nur wenig mehr. Keine Fehlaromen, stattdessen ganz leichte Andeutungen des verwendeten dunklen und Röstmalzes, aber von allem irgendwie viel zu wenig. Harmonisch, aber zu dünn. Da hätten wir gerade von dieser Brauerei einen selbstbewussteren Auftritt des Biers erwartet. Ein sehr zurückhaltendes Dunkles.
Mal sehen, ob das zweite Dunkle etwas selbstbewusster auftritt – es ist das 5,2%ige Alpirsbacher Kloster Dunkel:
Alpirsbacher Klosterbräu – Kloster Dunkel
Kastanienrot und glanzfein leuchtet das Bier im Glas unter seiner beigefarbenen, vielleicht etwas zu grobporigen Schaumkrone. Wir riechen diesmal deutlichere Röst- und Bitterschokoladenoten, vielleicht sogar einen Hauch Mokka. Der Antrunk ist deutlich runder und voller als beim vorherigen Bier, alles wird markanter und präsenter, dabei schön kompakt. Eine Röstbittere ist gut spürbar, ohne zu dominieren, und sie prägt auch den Abgang ein wenig.
Aus unserer Sicht der klare Sieger dieses zweiten Duells, und die Abstimmung mit der Flasche vor der Kamera zeigt: Das sehen die meisten anderen auch so. Der Punkt geht nach Württemberg. Gleichstand – die Schlussrunde muss es also entscheiden.
Wir gehen über zum Rotbier. Eigentlich ein fränkischer Bierstil. Dort ist er zuhause, dort hat er überlebt, als fast niemand mehr Rotbier braute, dort ist er seit einigen Jahren wieder im Kommen.
Wir beginnen die Runde mit dem 6,3%igen Mars aus der Lammbrauerei Hilsenbeck, die unter der Marke Gruibinger Bier bekannt ist und das Bier mit der Kooperation Inspirationsbräu trifft Gruibinger Bier bewirbt:
Inspirationsbräu trifft Gruibinger Bier – Mars
Das Bier entpuppt sich als eigenwillige Kreation. Schön rot leuchtend und klar steht es im Glas und funkelt in der Abenddämmerung; der leicht cremefarbene Schaum bildet eine schöne und recht lange haltbare Schicht. Neugierig schnuppern wir am Glas und sind überrascht: Ein paar runde, malzige Noten, etwas Melanoidin, etwas Biskuit, darüber aber eine Schicht tropischer Früchte und ein mentholartiger Hauch. Das harmoniert nicht so richtig. Der Schluck bestätigt unseren Eindruck. Ein volles und rundes Mundgefühl, warm und weich zunächst, honigartig, und dann plötzlich ein kühler, eisiger Eindruck wie von Menthol oder Gletschereis-Bonbons, der die Harmonie zerreißt. Wir schauen auf das Etikett. Gebraut ist es mit Wiener Malz, das passt, aber als Hopfen wurde neben Cascade und Tettnanger auch Polaris verwendet, und der ist für die mentholartigen Empfindungen verantwortlich. Nein, wir sind nicht zufrieden und vorverurteilen dieses Bier schon einmal, noch bevor wir das zweite getrunken haben.
Oder sollten wir es besser etwas diplomatischer formulieren? Vielleicht so: Der organoleptische Spannungsbogen vom gletschereisbonbonartigen Hopfen zum runden, vollen und fast schon sättigenden Malzcharakter erschließt sich uns sensorisch nicht auf Anhieb.
Ja, das klingt besser und höflicher.
Im Chat hatte sich schon vor den ersten Verkostungsanmerkungen die Feststellung gefunden: Wenn Distelhäuser dabei ist, kann es nur gewinnen. Egal, wer der „Gegner“ ist. Da sind wohl ein paar Regionalpatrioten mit zugeschaltet … Fast möchten wir uns der Meinung nun anschließen, doch warten wir ehrlicherweise ab.
Das letzte Bier für heute, das Distelhäuser Landbier, ein klassisches Rotbier mit 5,1% Alkohol:
Distelhäuser – Landbier – Rotbier
Das dunkle und glanzfeine Rot des Biers fängt das letzte Tageslicht ein und nimmt den Rotton des Flaschenetiketts harmonisch auf; darüber steht eine Schicht feinporigen, kremigen Schaums. Wir riechen Melanoidinnoten, kräftiges Malz, herben Honig. Die Zunge fühlt die runde Vollmundigkeit dieses Biers, kräftig und durchaus auch ein bisschen saturierend ist es in seiner Fülle – hier kann man nicht mehr wirklich von Durchtrinkbarkeit sprechen, dafür ist es doch ein wenig zu mächtig. Die Hopfung ist sehr zurückhaltend, und selbst im Abgang spüren wir statt der üblichen leicht haftenden Bittere eher eine kräftige Malznote, die überraschend lange anhält.
Aus unserer Sicht das deutlich bessere Bier im Duell, aber trotz des im Chat von den Claqueuren schon ausgedrückten Glaubens an den Erfolg des Distelhäuser Biers geht die Abstimmung überraschend knapp aus. Mit winzigem Vorsprung rettet sich das Distelhäuser Landbier über die Ziellinie, und damit auch Baden. Distelhausen ist ein Ortsteil von Tauberbischofsheim und liegt somit im badischen Teil Mainfrankens, oder so … Aber dieses Bindeglied zu Franken lässt dann auch den Sieg in der Kategorie des Rotbiers, dieses urfränkischen Stils, passend erscheinen.
schön war‘s
Zwei Punkte für Baden. Ein Punkt für Württemberg. Der Südgipfel³ ist entschieden, die Verkostung vorbei. Schön war’s, und für ein paar Minuten bleiben die Teilnehmer noch online, diskutieren, erzählen, tauschen letzte Gedanken aus. Restetrinken – die Flaschen und Gläser müssen noch geleert werden.
Der Biersommelier. Frank Di Marco
Lilienstraße 3
70 825 Korntal-Münchingen
Baden-Württemberg
Deutschland
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