Belgien. Wir sind uns alle einig, dass dieses kleine Land eine einzigartige und vielfältige Brauerei- und Bierkultur beherbergt, die auf der Welt ihresgleichen sucht. Entsprechend viele Bücher sind über das Bierland Belgien mittlerweile auch schon geschrieben worden. Bedarf es da wirklich noch eines weiteren?
Mit Blick auf das Buch von Filip Nerad lautet die Antwort ganz eindeutig: „Ja!“
Filip arbeitet für den tschechischen Rundfunk als Fachmann und Analyst für Außenpolitik und hat seinen Schwerpunkt auf NATO und Europäischer Union. Er kennt die spezifische Bierkultur Tschechiens quasi von Geburt an, und er hat als Korrespondent in Deutschland auch deutsche Bierkultur persönlich erlebt. Mit diesen beiden Perspektiven im Hinterkopf wirft er nun einen Blick auf Belgien und lässt sich vorurteilsfrei auf etwas ein, das von vielen konservativen Biertrinkern in Deutschland und Tschechien gar nicht so richtig als Bier anerkannt wird („Das ist doch gar kein richtiges Bier, was die da brauen!“).
Filip Nerad
The Beer Kingdom of Belgium
Beer and more, through the eyes of a Czech Radio foreign correspondent
In angenehmem Stil schreibt er über seine sehr persönlichen Eindrücke und Erfahrungen, und schon beim ersten Durchblättern springt der Funke seiner Begeisterung auf den Leser über. Klare und eingängige Formulierungen, zahlreiche Bilder, die Filip fast ausnahmslos selbst gemacht hat und die davon zeugen, wie umfassend seine Recherchen waren, eine übersichtliche Kapitelstruktur mit insgesamt elf Abschnitten und drei zwischen diese Kapitel eingestreute Gespräche und Interviews charakterisieren dieses Buch.
Natürlich beginnt die Darstellung mit den Trappistenbrauereien, quasi dem Aushängeschild der belgischen Bierkultur: „1° – Trappist is not another word for suffering“ Nicht zu Unrecht liegt der Schwerpunkt dieses Kapitels auf der Brauerei des Trappistenklosters Orval – der vielleicht bekanntesten Brauerei und dem vielleicht ungewöhnlichsten Bier im Trappisten-Portfolio.
Ähnlich typisch für Belgien sind die spontanvergorenen Biere, die Lambiks und Geuzes, und so folgt deren Beschreibung bereits im nächsten Kapitel „2° – The “Sours” of the Senne“, und zwar mit Schwerpunkt auf der Cantillon-Brauerei im Brüsseler Stadtteil Anderlecht.
„3° – Of Cherries and Donkeys“ lautet das nächste Kapitel. Die belgischen Krieken, eine ganz besondere Sorte Sauerkirschen, die im Brüsseler Distrikt Schaarbeek angebaut werden, verfeinern die säuerlichen Geuze-Biere zu fruchtigen, aber trockenen Kriekenbieren. Die Esel hingegen dienten nicht als Zutaten für das Bier, sondern für den Transport der Krieken zum Markt, wo diese einst an die Brauereien verkauft wurden.
Es folgt das erste Interview – geführt von einem Tschechen über belgische Bierkultur mit einem … Italiener! Lorenzo Dabove dürfte einer der größten Experten in Sachen spontanvergorener Biere sein. Der „Prince of Pajottenland“, wie er genannt wird und wie auch das Interview überschrieben ist, kennt sich in der Welt der Lambiks und Geuzes aus wie kein Zweiter, und im Gespräch mit Filip versteht er es, uns an seinem ungeheuren Wissen teilhaben zu lassen.
Das vierte Kapitel, „4° – When a Beer is not a Hopped Drink“, befasst sich mit Kräuterbieren, Bierstilen aus einer Zeit, als Hopfen noch nicht das vorwiegend oder ganz einzig genutzte Biergewürz war. Insbesondere die kleine Brauerei Gruut in Gent und ihre Inhaberin Annick De Splenter finden hier ausführlich Erwähnung.
Annick De Splenter und die Brauerei Gruut in Gent
Die in Belgien sehr beliebten Weihnachts- und Winterbiere sind dann das Hauptthema im fünften Kapitel „5° – A Strong Beer under the Christmas Tree“, und Filips Beschreibung des großen Winterbierfestivals im belgischen Essen leitet nahtlos über zum nächsten Kapitel „6° – The Belgian Oktoberfest and other Beer Fests“, denn natürlich gibt es keine Bierkultur ohne Bierfestivals. Auch nicht in Belgien.
Im Gespräch mit Luc De Ræedemaker erfahren wir von den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der tschechischen und der belgischen Bierkultur: „Of Czech and Belgian Beer DNA“.
Zur belgischen Bierkultur gehört auch der Hopfenanbau. Auch wenn er mit nur geringer Anbaufläche und wenig Sortenvariabilität keine große Rolle in der Welt spielt, so ist er doch innerhalb des Landes bekannt, berühmt und geschätzt; das Anbaugebiet rund um Poperinge veranstaltet alle zwei Jahre ein großes Hopfenfestival und wird daher auch „Belgian Saaz“ genannt, genau so, wie das siebte Kapitel.
„8° – Belgian White Gold“ ist das nächste Kapitel überschrieben, und es dürfte für die meisten Leser eine Überraschung bereithalten, kann man doch mit Hopfen nicht nur Bier würzen, sondern aus seinen Schösslingen im Frühjahr sogar ganz ausgezeichnete Speisen zubereiten. Hopfenspargel werden dieses Schösslinge öfter genannt, und sie gelten als vorzügliche, wenn auch sehr teure Spezialität.
Neben Bier gehören auch Schokolade und Pralinen zu den typisch belgischen Spezialitäten, und so wundert es den Leser nicht, dass sich ein ganzes Kapitel mit der Kombination von Bier und Pralinen beschäftigt: „9° – Some Like it Bitter-Sweet“.
Das dritte Interview hat Filip mit Denis De Keukelaire geführt, einem Bierkenner und Dozenten, der sich insbesondere mit dem Hopfenanbau beschäftigt und daher auch die tschechische Bierkultur und das Anbaugebiet rund um Saaz besonders schätzt: „The Belgian Gambrinus, who Cherishes Czech Pilsner“.
Wohl jeder, der in Belgien schon einmal in ein Bier Café (so werden die Bierbars hier genannt) gegangen ist, wird bemerkt haben, dass es in diesem Land guter Stil ist, jedes Bier in dem dazu passenden Glas zu servieren. Angesichts einer Auswahl von vielen Dutzend und manchmal noch mehr Bieren eine echte Herausforderung für jeden Gastwirt. Insofern ist es nur folgerichtig, dass sich das vorletzte Kapitel „10° – The Beer Glass Symphony“ mit eben dieser Glaskultur ausführlich beschäftigt.
Die alte und wunderschöne Handelsstadt Brügge steht dann im Mittelpunkt des letzten Kapitels. Hier braut die Brauerei De Halve Maan mitten in der historischen Altstadt und stößt an die Grenzen der Betriebslogistik. Die Abfüllerei musste aus Platzgründen schon vor die Tore der Stadt verlegt werden, und über einer mehrere Kilometer lange Bier-Pipeline wird das frisch gebraute Bier nun zur Abfüllung hinübergepumpt. Die Brauerei wirbt mit dem Slogan „The World’s First Beer Pipeline“, und so ist auch dieses Kapitel überschrieben. Das stimmt zwar nicht, denn in der Familienbrauerei Leikeim in Altenkunstadt gibt es eine solche Bierpipeline schon seit 2010, während die (zugegebenermaßen längere) Bierpipeline in Brügge erst 2016 in Betrieb genommen wurde, aber trotzdem ist es natürlich eine insbesondere für den Besucher spannende Vorstellung, dass sein Lieblingsgetränk kilometerweit unterirdisch durch die Stadt fließt.
Mit einem kleinen Glossar und einem Kalender der in Belgien regelmäßig veranstalteten Bierfestivals schließt Filip Nerad dieses Buch ab, und hochzufrieden lege ich es aus der Hand. Ein wirklich gutes Buch.
vom Autor mit einer Widmung versehen
Einzig die Landkarte Belgiens auf Seite 15 irritiert ein wenig. Die Auswahl der dort eingetragenen Orte und Brauereien ist für mich nicht nachvollziehbar. Nur die Trappistenbrauereien und die großen, teilweise internationalen Bierkonzerne aufzuführen, erscheint mir der bunten Vielfalt der belgischen Bierkultur nicht angemessen – sind es doch gerade die kleinen, regionalen Braustätten, die diese nachhaltig prägen. Aber das ist (neben der nicht ganz richtigen Information über die erste Bierpipeline der Welt) auch schon der einzige negative Kritikpunkt an diesem Buch.
Eine große Leseempfehlung also, die ich hier abgebe. Auch und besonders für diejenigen Bierliebhaberinnen und Bierliebhaber, die meinen, schon alles über Belgien gesehen, gelesen und gehört zu haben.
Filip Nerad
The Beer Kingdom of Belgium
Beer and more, through the eyes of a Czech Radio foreign correspondent
Radioservis, a.s.
Praha, 2020
ISBN 978-80-88286-15-8
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