Südgipfel 4 – David gegen Goliath
Online-Verkostung mit Biersommelier Frank Di Marco

Langsam klingt die dritte Welle ab, die Politiker werden wieder leichtsinnig. In den Stadien der Europameisterschaft treffen sich zehntausende Fans, niemand interessiert sich dafür, dass fast alle während der Spiele ihre Masken abnehmen, auf Abstände pfeifen und sich im Jubel umarmen. Gleichzeitig gelten in den Schulen nach wie vor Auflagen, die insbesondere für die Grundschüler einen angenehmen und zielführenden Unterricht fast unmöglich machen. Weitreichende Lockerungen hier, strenge Auflagen dort – mit Logik hat das nichts mehr zu tun. Sehr viel aber mit dem Unvermögen der Politiker, stringent regieren zu können. Oder zu wollen. Fast könnte man meinen, sie hätten es darauf angelegt, es sich systematisch mit allen potenziellen Wählern zu überwerfen – sowohl mit denen, die die Regeln gerne lockern würden, als auch mit denen, die gerne noch weiter vorsichtig wären.

Auch Bierverkostungen wären theoretisch schon wieder als Präsenzveranstaltungen möglich. Praktisch ist aber noch eine zurückhaltende Vorsicht zu beobachten. Und vielleicht zählt auch das Argument der Anfahrt: Wer hinfährt, muss auch wieder zurückfahren – dann darf er oder sie aber nichts trinken, und das geht bei einer Verkostung schlecht. Und wenn die Anfahrt weiter ist als nur ein paar Kilometer, dann stellt sich auch schnell die Frage: Lohnt sich der zeitliche Aufwand oder gar der für ein Taxi?

das Line-up für die heutige Verkostung

Der Biersommelier Frank Di Marco veranstaltet seinen Südgipfel4 – David gegen Goliath also als Online-Verkostung. Wie schon bei den Südgipfeln zuvor lässt er Biere aus Süddeutschland in unterschiedlichen Disziplinen gegeneinander antreten. Waren es beim Südgipfel3 vor wenigen Wochen Biere aus Baden gegen Biere aus Württemberg, so sind es heute Biere aus Großbrauereien (Goliaths) gegen Biere aus Kleinbrauereien (Davids). Frank wird heute unterstützt von seiner Kollegin Nina Witzemann, die als Biersommelière unter ihrem genialen Künstlernamen Nina Bierista bekannt ist.

Auf geht’s, wir starten in der Kategorie Export. Wer fängt an, David oder Goliath? Das Los entscheidet: Es ist Goliath. In diesem Fall also die Stuttgarter Hofbräu mit ihrem Export.

Noch bevor die Flaschen geöffnet und die Gläser gefüllt sind, macht sich Gemaule breit. „Hofbräu? Kannste nicht trinken!“, „Kopfwehbier“ oder „Schädelbräu“ lauten die Kommentare. Der liebe deutsche Bierdimpfel nimmt aufgrund seiner Vorurteile die Ergebnisse einer Verkostung halt gerne vorweg. Ein Argument für eine Präsenzveranstaltung, denn da hätte man das Ganze als Blindverkostung organisieren können, und vielleicht wäre der eine oder die andere am Ende ganz erstaunt gewesen, wie gut so ein Bier schmecken kann, wenn man nicht weiß, dass es aus dem Hause Stuttgarter Hofbräu kommt …


Stuttgarter Hofbräu – Export (5,6%)

Stuttgarter Hofbräu – Export

Eine schöne, goldgelbe und satte Farbe; das Bier ist blank filtriert. Der feinporige, weiße Schaum ist nicht allzu lange haltbar. Ich rieche leichte malzige Noten, etwas Getreide, etwas Süße, und ein Hopfenaroma ist eigentlich nicht spürbar. Der Antrunl ist spritzig, dann folgt auf der Zunge rasch eine runde Süße, die im Abgang schön erhalten bleibt und sich mit einer feinen, weichen und recht flüchtigen Bittere paart. Alles wirkt sehr harmonisch. Die Kritik der Vorurteilstrinker kann ich nicht nachvollziehen. Mir gefällt das Bier sehr.

Es folgt der David, die Hirschbrauerei Flözlingen, eine der kleinsten Brauereien Deutschlands – zumindest im Kreise der alten Traditionsbetriebe. Kleine und manchmal geradezu winzige Craftbrauereien sind ja mittlerweile einige hinzugekommen. In Flözlingen wird die Maische noch mit Holz erhitzt und die Temperatur durch das Hineinschieben und Herausziehen der Holzscheite geregelt. Und trotzdem gelingt es dem Brauer, gute und solide Biere zu produzieren. In der Flasche ist nur eines erhältlich, und zwar das Spezial in der Bügelflasche.


Flözlinger Hirschbräu – Spezial (5,0%)

Flözlinger Hirschbräu – Spezial

Das Bier hat eine dunkelgoldene Farbe, wie Waldhonig, ist klar und wird bedeckt von einer sehr dünnen Schicht weißen Schaums. Der Duft ist malzig, hat aber ganz im Hintergrund eine leichte Azetonnote. Der Antrunk ist süßlich, auf der Zunge und am Gaumen ist es sehr vollmundig, im Abgang kommt eine leichte, zunächst kremige, dann aber seifig wirkende Textur durch, die die sehr zurückhaltende Hopfung noch weiter in den Hintergrund drängt. Ein sehr ordentliches Bier, das aber doch die eine oder andere kleine Eigenart aufweist.

Für mich persönlich gewinnt hier ganz klar das Bier aus der großen Brauerei. Stimmiger, harmonischer, wenn auch weniger originell. Die Mehrheit der Seminarteilnehmer sieht das anders, vielleicht (ganz bestimmt …) auch beeinflusst vom vorher schon geäußerten Unmut.

Ergebnis Export

Ring frei zur zweiten Runde – die Auslosung bestimmt, dass es diesmal mit David losgeht, also der kleinen Brauerei.

2018 wurde die Singhbräu gegründet, und zwar von Daniel Singh. Er hat, wie der Name erkennen lässt, indische Vorfahren, und da Singh das indische Wort für Löwe ist, findet sich im Wappen der Brauerei ein Löwenkopf in einer Hopfendolde. Die Biere werden in handgefertigten Holzkisten verkauft, für Preise, die angesichts der vielen Handarbeit zwar verständlich sind, in Schwaben aber für erhebliches Stirnrunzeln sorgen. Daniel stellt sein g’stopftes Pils per Audio-Botschaft auch selbst vor – vom quäkenden Telefonlautsprecher über das Computermikrofon ist er quer durch Deutschland gut zu verstehen.


Singhbräu – g’stopftes Pils (4,2%)

Singhbräu – g’stopftes Pils

Das Bier ist ganz hell gelb, schön gleichmäßig trüb, und der zurückhaltende Schaum ist schön weiß, zerfällt aber recht rasch; für ein Pils hätte er mehr und stabiler sein dürfen. Der dezente Duft ist harmonisch zitronig und kräuterig. Der Antrunk ist spritzig, ein bisschen kohlensäurescharf, auf der Zunge bereits beginnt sich eine prägnante Bittere breit zu machen, im Abgang wird sie noch deutlicher. Retronasal kommen dann die kräuterigen Aromen noch einmal sehr schön zur Geltung. Nach dem Schluck bleibt eine feine, weiche Trockenheit am Gaumen, die Lust auf den nächsten Schluck macht. Ein wirklich schönes Pils, auch wenn man formal konstatieren muss, dass ein „echtes“ Pils weder so blumig und fruchtig noch ungefiltert sein sollte.

Da wird es das Pils aus der Großbrauerei schwer haben, denke ich, und versuche, trotzdem so objektiv wie möglich an das nächste Bier heranzugehen. Es kommt aus der Brauerei Rothaus, die sich im Besitz des Bundeslandes Baden-Württemberg befindet. Und da Baden-Württemberg von einem grünen Ministerpräsidenten regiert wird, entspinnt sich unter den Verkostungsteilnehmern eine Diskussion, wie es eigentlich sein kann, dass ein Staatsbetrieb dann so umweltschädliche Gimmicks wie die dicke Stanniolfolie um den Flaschenhals zulässt.

Aber heute soll es um den Geschmack gehen, nicht um die Umweltfreundlichkeit.


Rothaus – Tannenzäpfle – Pils (5,1%)

Rothaus – Tannenzäpfle – Pils

Das Bier ist hellgelb und klar und bildet eine schöne Schaumkrone aus, die recht stabil ist und lange hält. Der Duft ist sehr zurückhaltend, nur ganz schwach malzig und brotig. Der Antrunk ist schön rezent, auf der Zunge wirkt das Bier allerdings nicht wirklich spritzig. Es ist durchaus schlank und trocken, aber trotzdem steht der Malzcharakter im Vordergrund. Es ist ein bisschen adstringierend, die Herbe ist sehr zurückhaltend und klingt sehr schnell ab. Von wirklicher Hopfencharakteristik, wie für ein Pils typisch, kann hier nicht die Rede sein.

Beide Biere erfüllen nicht völlig meine Erwartungen an ein stiltypisches Pils, obwohl sie jenseits der Stilbetrachtung hervorragend munden. Wenn ich mich entscheiden soll, ist mir das Singhbräu dann deutlich lieber. Im direkten Vergleich fehlt es dem Rothaus Pils einfach an Charakter.

Diesmal habe ich mit meiner Meinung die Mehrheit der Seminarteilnehmer auf meiner Seite; das Abstimmungsergebnis ist recht eindeutig.

Ergebnis Pils

Frank und Nina haben sich in Fahrt geredet, geschickt spielen sie sich die Bälle zu, und es gelingt ihnen beiden, auch die manchmal recht abseitigen Fragen der Seminarteilnehmer immer pfiffig und unterhaltsam zu beantworten.

Für die letzte Runde bestimmt das Los, dass wir mit dem Goliath-Bier anfangen, also dem Hefeweißbier aus dem Hause Eichbaum in Mannheim. Eichbaum ist eine große Industriebrauerei, die sehr viele Etikettenbiere für Lidl und Aldi braut (und dabei fleißig die Bierbezeichnungen und die Gestaltung der Labels von erfolgreichen Craftbrauern kopiert – immer wieder wird von Plagiaten gesprochen). Gleichwohl sind die Biere nicht schlecht, und mit den preiswerten Einstiegs-Craftbieren hat Eichbaum mit den Marken Steam Brew und Monkey Brew vielleicht doch den einen oder anderen Otto Normalbiertrinker dazu veranlasst, mal etwas anderes auszuprobieren.

Das Hefeweißbier gehört aber nicht zu den Etikettenbieren, sondern zum Standardsortiment der Brauerei.


Eichbaum – HefeWeizen Hell (5,0%)

Eichbaum – HefeWeizen Hell

Das Bier hat eine kräftig gelbe Farbe, ist gleichmäßig trüb (auch ohne Aufschütteln eines Bodensatzes), und es wird gekörnt von einem dicken, feinporigen Schaum, der ewig lange hält und fest ist wie Pudding. Ich rieche überreife Banane (Isoamylacetat), eine feine Säurenote und ein bisschen Aprikose im Hintergrund. Der Antrunk ist sehr spritzig, geradezu kohlensäurescharf, danach ist das Bier aber auf der Zunge schön weich und voll, könnte aber noch einen Ticken kremiger sein. Viel Süße ist zu spüren, das Bier wirkt fast schon zuckrig. Der Abgang ist weich; eine Hopfennote oder gar -bittere ist eigentlich nicht zu spüren. Insgesamt ein sehr typischer und gelungener Vertreter eines Hefeweißbiers, dem nur ein Hauch vollmundiger Kremigkeit zur Perfektion fehlt.

Das wird es David schwer haben, denke ich.

David, das ist in der letzten Runde des Südgipfels das Fischer’s Brauhaus in Mössingen. Es ist 1938 gegründet worden und regional mit seinem Bier Heinerle bekannt, einem Kultbier in Mössingen und unter den Fans dieser Brauerei. Heute gibt’s aber nicht das Heinerle, sondern das Hefeweizen Hell namens Brau Bär. Das Etikett ziert ein Braunbär, der ein Bierglas in der Hand hält. Originell ist es sicherlich, vielleicht aber auch ein bisschen albern. Die Meinungen zum Label sind geteilt. Aber es soll ja um den Geschmack gehen.


Fischer’s Brauhaus Mössingen – Brau Bär – Fischer’s Hefeweizen Hell (4,9%)

Fischer’s Brauhaus Mössingen – Brau Bär – Fischer’s Hefeweizen Hell

Das Bier ist dunkelgelb, weist eine deutliche Trübe auf und hat einen leichten Graustich. Der Schaum ist nicht wirklich üppig und haltbar, aber grundsätzlich noch in Ordnung. Die Nase erschnuppert etwas Banane, etwas Gewürznelke und etwas Karamell. Der Antrunk ist ausgeprägt süßlich und recht weich, nicht so stark gespundet; auf der Zunge kommen runde, karamellige Aromen zum Vorschein. Der Abgang ist weich, nur ganz schwach bitter und mit ganz wenig Hopfenaromen, dafür retronasal erneut ein paar deutliche Karamell-Aromen. Sehr untypisch für ein Weißbier. Es schmeckt nicht schlecht, aber mich persönlich überzeugt es aufgrund der für diesen Stil untypischen Karamellaromen nicht. Da war meine Erwartungshaltung eine andere.

Ergebnis Hefeweißbier

Ich plädiere bei der abschließenden Abstimmung also für den Großbrauer aus Mannheim, finde mich dabei aber in der Minderheit wieder.

Abschluss der Verkostung in romantischer Abendstimmung

Für einen Moment bleiben Frank und Nina noch in der Leitung, und wir diskutieren über das Biertrinken im Allgemeinen und die vorgestellten Biere im Speziellen. In allen drei Disziplinen haben bei den Abstimmungen die Kleinbrauereien gewonnen, da war wohl viel betriebsbezogene Sympathie dabei. Sicher kein Ergebnis, das es zu verallgemeinern gilt, aber doch ein interessanter Ansatz, wie eine Verkostung auch strukturiert werden kann. Sehr schön!

Bilder

Der Biersommelier. Frank Di Marco
Lilienstraße 3
70 825 Korntal-Münchingen
Baden-Württemberg
Deutschland

4 Kommentare

  1. Wie viele Biere schon vorm Öffnen vorverurteilt werden. Das spricht mir aus dem Herzen. Danke, dass Brunnenblog da anderes ist. Als Stuttgarter hab ich vor Wochen das Hofbräu Export nach langer Zeit wieder mal probiert und kann dein Urteil nur bestätigen. Ich war auch angetan. Als Tipp kann ich dir noch das Stuttgarter Hofbräu Herrenpils empfehlen. Das hat alles, was dem Rathaus fehlt.

    • Hallo, Christian,

      hab‘ herzlichen Dank für Deine Zustimmung. Natürlich sind nicht alle Biere aus Großbrauereien gut, genauso wenig, wie sie alle schlecht sind. Schade ist, dass man bei einer Online-Verkostung keine Blindverkostung machen kann, um die letzten Zweifler ihrer Vorurteile zu überführen.

      Gleichwohl: Ich versuche, so vorurteilsfrei wie möglich an jedes Bier heranzugehen, obwohl ich mir dessen bewusst bin, dass es beim Verkosten keine Objektivität geben kann. Zu stark beeinflussen auch die jeweiligen Rahmenbedingungen (Wetter, Stimmung, Mit-Trinker, …) das individuelle Empfinden.

      Mit bestem Gruß,

      VQ

  2. Dem Kommentar von Christian kann ich nur beipflichten. Wer vor lauter Vorurteilen aufhört, auf seine Geschmacksnerven achtzugeben, dem entgeht wirklich etwas, wenn er die Stuttgarter Hofbräu von vornherein außen vor lässt. Das Export finde ich wirklich gelungen, und das Herrenpils ist für mich eines der Topbiere dieser Art im deutschen Südwesten. Aus erster Hand weiß ich auch, dass dessen Rezept nicht geändert wurde, als die Hofbräu in die Hand des Lebensmittelkonzerns wanderte. Ein Glück!

    • Hallo, und danke für Deinen Kommentar.

      Wenn Du und Christian Euch so einig seid, dann ist es wohl Zeit, dass auch ich das Herrenpils bei Gelegenheit mal probieren sollte. Mal sehen, wann ich eine Flasche davon ergattern kann.

      Mit bestem Gruß,

      VQ

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