Storch-Bier
Lychen
DEU

Wir fahren bis dorthin, wo sich Fuchs und Hase „Gute Nacht!“ sagen. Und dann noch ein Stückchen weiter. So weit, dass die Flat Earther langsam Sorge bekommen, dass wir bald vom Rand der Erdenscheibe hinunterfallen könnten. Und dann sind wir da. Irgendwo im Nirgendwo, zwischen Wälder, Feldern, Wiesen und Seen.

Teil 1 – 3. Juli 2021: Biergarten und Brauerei

Hinter einer dichten, verwilderten Buschreihe hören wir Stimmen, und am schmalen Weg, der in die Büsche führt, steht ein alter, knorriger Holzbalken. Ein Violinschlüssel ist darauf gemalt, der mit einem roten Schnabel so verziert wurde, dass er wie ein Storch aussieht. „BIER“ steht in knallroten Lettern darunter, und wir bekommen das Gefühl: „Hier sind wir richtig!“

BIER – hier sind wir richtig!

Seit rund fünf Jahren braut Henning Storch im Keller seines Wohnhauses Bier. Also eigentlich schon etwas länger, aber vor fünf Jahren hat er begonnen, sein Hausbräu unter dem Namen Storch-Bier auch zu verkaufen. Aus einem Hobby ist etwas mehr geworden. Gut gelaunt empfängt uns Henning in seinem kleinen Biergärtchen. „Hell, rot und schwarz“, stellt er fest und mustert meine holde Ehefrau, die mit hellem Mundschutz, roter Hose und schwarzer Bluse um die Ecke biegt. Und „hell, rot und schwarz“ wiederholt er, als ich ihn frage, ob es denn bei ihm Bier gebe, und falls ja, welches. Wir grinsen uns an.

„In dieser Reihenfolge“, stelle ich lakonisch fest, und wir suchen uns zwischen Feuerschale, Holzhütte und Sonnenschirm einen schönen Platz auf einem der mit dickem Lammfell gepolsterten Gartenstühle. Urig und improvisiert wirkt das kleine Biergärtchen, so, als seien überraschend ein paar Freunde gekommen und man habe deswegen einfach mal alles draußen auf die Wiese gestellt.

das kleine Biergärtchen

Henning serviert mir das erste Bier, das Helle. 4,5% Alkohol, goldgelb, schön gleichmäßig trüb, ein ordentlicher Schaum. Eine hopfige Herbe spüre ich schon in der Nase, und der erste Schluck unterstreicht dies: Kernig herb, hopfig und aromatisch. Keine feinziselierte und sorgfältig abgewogene Komposition, sondern ein robustes und erfrischendes Zischbier für den Durst. Passend zum Ambiente und bestens durchtrinkbar.

Ob sie denn einen Kaffee haben könne, fragt meine holde Ehefrau, die nachher vom Ende der Welt zurück in die Unterkunft fahren muss. Offiziell zwar nicht, es gibt nur Bier, aber Augenblicke später wird ihr von der Dame des Hauses trotzdem ein großer Pott serviert, frisch aus der privaten Küche.

Henning lehnt derweil am Sonnenschirm und erzählt den interessierten Gästen von seiner kleinen Brauerei. Etwas über 200 Liter pro Sud könne er brauen, maximal zwei Sude gleichzeitig vergären, und so bliebe es auch im Sommer in der Hochsaison bei einer Maximalkapazität von knapp fünf Hektolitern pro Woche. Mehr würde er nicht schaffen. Weder zeitlich noch räumlich. Von daher gebe es auch nur drei Sorten Bier – den Hellen Storch, den Roten Storch und den Schwarzstorch. Alle mit 4,5% Alkohol.

Roter Storch

„Apropos Roter Storch“, bemerke ich vielsagend und schwenke mein leeres Glas. Henning grinst und serviert eine Runde des rot beziehungsweise rötlich-bernsteinfarben leuchtenden Biers. Etwas runder, etwas voller, aber ebenso hopfenbetont wie das Helle ist es, und genauso durchtrinkbar. Zwei, drei große Schlucke bei dem Sommerwetter, und schon ist das Glas leer.

Zwei Gaststätten im Ort Lychen würden sein Bier führen, und den Rest verkaufe er ausschließlich vor Ort, in Halbliterflaschen zum Mitnehmen oder im kleinen Biergärtchen. Mehr ginge nicht, und damit sei er auch zufrieden, erzählt Henning. Feste Öffnungszeiten gebe es nicht. Zwar sei der Biergarten normalerweise von zwölf Uhr mittags bis achtzehn Uhr abends geöffnet, aber wenn genug Gäste da seien, dann auch länger, bis es irgendwann dunkel wird. Und Flaschenverkauf wäre immer, wenn jemand zuhause sei. Man müsse halt klingeln, und wenn jemand aufmache, dann gebe es auch Bier. Eine ziemlich einfache Regelung, eigentlich.

das Storch-Bier wird frisch gezapft

Er zapft uns eine Runde des Schwarzstorchs, und wir sind begeistert. Waren die ersten zwei Biere solide und gut trinkbare Alltagsbiere, so erfreut der Schwarzstorch über seine Durchtrinkbarkeit hinaus mit feinen Mokka- und Röstaromen, die die kernige Herbe harmonisch ergänzen. Sehr schön.

Neugierig gehe ich mit Henning die paar Stufen in den Keller hinunter. Eng in die Ecke gezwängt steht dort ein 200-l-Braumeister von Speidel, mit einer großen Kupferhaube als Brüdenabzug darüber. Daneben Bierkästen, Fässer, Tanks, der Abfüller und viel, viel Kleinkram. Was man zum Brauen halt so braucht. Eigentlich ist alles viel zu eng, und ich versuche, mir vorzustellen, wie während des Brauens ständig hin und her geräumt werden muss. Echtes Handwerk mit viel Aufwand. Aber das schmeckt man auch: Das frische Bier spiegelt mit seinem kernigen Charakter die Arbeit wider, die in ihm steckt. Ein ehrliches, geradliniges Produkt.

Ambitionen zu wachsen habe er keine, stellt Henning fest. Die Corona-Krise hätte ihm gezeigt, wie leicht es hätte sein können, sich für eine größere Produktionskapazität zu hoch zu verschulden und dann auf die Nase zu fallen. Fünfhundert Liter pro Woche, im Winter etwas weniger, das sei völlig in Ordnung. Ein paar KEGs, der Rest als Hofverkauf. Ein konkretes Produkt von eigener Hände Arbeit, das sei genau das, was er immer habe machen wollen. Und wenn daneben dann noch Zeit bliebe für seine sieben Kinder und für die Musik, letzteres habe er immerhin studiert, dann sei er zufrieden.

Blick ins „Sudhaus“

Wir sind es auch, zufrieden nämlich. Zufrieden mit der Qualität der Biere, zufrieden mit der Idylle des kleinen Biergärtchens und zufrieden schließlich mit uns selbst, dass wir heute dieses Kleinod am Ende der Welt entdeckt haben.

Teil 2 – 4. Juli 2021: Klangfahrt auf dem Musikfloß

Erneut sind wir in Lychen, aber diesmal nicht im Biergarten der Storch-Bier Brauerei, sondern am Anleger Treibholz, zur Fahrt mit dem Musikfloß.

Fast lautlos legt das große Floß ab und surrt mit seinem Elektromotor langsam über den Zenssee. Am Steuer: Henning Storch, der heute seine beiden Passionen, die Musik und das Bier, zusammen ausleben wird. Wir genießen die Landschaft, die Natur, das Idyll – alles ist so harmonisch, dass es fast schon unwirklich wirkt. Und während wir an Schwänen und Seerosen vorbeigleiten und in der Ferne einen Eisvogel über das Wasser flirren sehen, genießen wir das extra für das Musikfloß auf 0,33-l-Bügelflaschen gefüllte Bier, das bernsteinfarbene Flößer-Storch. Es ist das Rotbier von gestern, aber in dieser Flasche nur hier an Bord erhältlich.

Flößer-Storch

Nach gut zwanzig Minuten Fahrt macht Henning das Floß im Schilf am Ufer fest und stellt den Elektromotor ab. Es herrscht fast völlige Stille. Ab und an der Schrei eines Vogels oder das leise Plätschern des Wassers. Um uns herum nur Wasser und Wald.

Vorsichtig baut Henning sein Alphorn am Bug des Floßes auf und bläst hinein. Gewaltige Klänge und ungewohnte Harmonien entlockt er dem 3,60 m langen Instrument. Die Melodien wandern über den See, begeistern durch ihre Kraft, und das nur langsam verklingende Echo jagt uns Schauer des Wohlbehagens über den Rücken.

Für einen Moment vergesse ich das Bier in meiner Hand und bin ergriffen von der wunderbaren Akustik. Rund dreihundert Meter misst der Zenssee an dieser Stelle, so dass das Echo rund zwei Sekunden braucht, um zu uns zurückzukehren.

Alphorn-Töne in Brandenburg

Auch mit einem Kuhhorn und mit einem großen Schneckengehäuse, das durch Entfernen der Gehäusespitze zu einem Horn umgebaut wurde, erzeugt Henning Storch wehmütige Melodien und gewaltige Klänge, die sich im Wald gegenüber brechen und zu uns zurückkehren, bevor es dann, nun wieder von Bier statt von Musik begleitet, viel zu früh wieder zurück nach Lychen geht.

Musik und Bier – der Musiker und Brauer Henning Storch verbindet beides in einzigartiger Weise. Biergarten und Hofverkauf seiner Brauerei Storch-Bier sind dienstags bis sonnabends von 12:00 bis 18:00 Uhr geöffnet, aber auch außerhalb der Öffnungszeiten wird Bier verkauft, wenn jemand da ist. Die Klangfahrten auf dem Musikfloß mit Storch-Bier und Alphorn finden von Juli bis September am ersten und dritten Sonntag des Monats um 10:00 Uhr statt. Zu erreichen sind Brauerei und Floßanlegestelle mit dem Bus von Fürstenberg oder Templin, aber man muss für die Anreise schon Zeit mitbringen. Doch auch mit dem eigenen Auto zieht sich die Fahrt auf den winzigen Nebensträßchen lang hin.

Bilder

Storch-Bier
Rutenberger Straße 1
17 279 Lychen
Brandenburg
Deutschland

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