Rund drei Wochen ist es her, dass mir ein Malheur passiert ist. Irgendwann im letzten Jahr habe ich eine Flasche Enzian Fassl N° 48 geschenkt bekommen – einen im Enzian-Fass ausgebauten hellen Bock der Privatbrauerei M.C. Wieninger. Auf der Flasche stand ein recht kurzes Mindesthaltbarkeitsdatum und der Zusatz „Optimaler Genuss bei nicht zu langer Lagerung“, aber mündlich bekam ich den Tipp: „Das Bier kannst Du ruhig noch ein bisschen stehen lassen!“
Leider hatte sich der Tipp als falsch erwiesen, und als ich das Bier im April 2022, viele Monate nach dem MHD, verkosten wollten, war es bereits umgekippt. Vermutlich waren es wilde Hefen aus dem Enzianfass, die im Bier fleißig weitergearbeitet hatten. Im Ergebnis schoss mir der Inhalt der Flasche entgegen, spritzte fröhlich über den Balkon, und der kleine Rest, den ich im Verkostungsglas noch auffangen konnte, war leider ungenießbar. Bei so etwas stehen mir ja fast die Tränen in den Augen: Ein Bier, das mit so viel Aufwand hergestellt wurde, und ich Depp lasse es geradezu vergammeln.
Innerlich leistete ich Abbitte an den Brauer und nahm mir vor, in Zukunft in meinen Bierkühlschränken etwas sorgfältiger die Übersicht zu behalten. Und Langzeitlagerungs-Experimente, die mich trotzdem irgendwie reizen und die gelegentlich auch ganz vorzügliche Aromen zum Vorschein bringen, nur noch mit Bieren zu machen, die ich wenigstens frisch schon mal genossen habe.
Um so größer die Überraschung, als mich die Privatbrauerei M.C. Wieninger anschrieb: „Hallo Volker, damit du unser Enzian Fassl unverfälscht genießen kannst, würden wir dir gerne eine ‚frische‘ Flasche zuschicken. Melde dich einfach bei uns! Bierige Grüße“
Das ist ja wie Weihnachten!
Tja, was soll ich sagen: Heute klingelt der Paketbote und bringt ein großes Überraschungspaket. Nicht nur mit frischem Enzian Fassl N° 48, sondern auch mit Teisendorfer Hell, Hellem Lagerbier, einem Brauerei-Schlüsselbund, einem Kunststoffdeckel für auf’s Glas im Biergarten, einem dazu passenden Willibecher, einem Verkostungsglas und einem Lebkuchenherz.
Das ist ja wie Weihnachten!
Ein herzlicher Dank geht an die Privatbrauerei M.C. Wieninger, und jetzt krempele ich die Ärmel hoch und mache mich an die Verkostungs-„Arbeit“!
Verkostungsnotizen
Enzian Fassl N° 48 – Heller Bock gereift im Original Enzianfass; Wieninger Helles Lagerbier (2x); Wieninger Teisendorfer Hell
Enzian Fassl N° 48 – Heller Bock gereift im Original Enzianfass (7,0%)
Das Bier hat eine schöne, goldgelbe Farbe und ist nach vorsichtigem Einschenken fast klar – nur ein ganz leichtes Opalisieren ist zu sehen. Der Schaum ist schneeweiß, feinporig, lange haltbar und hinterlässt sogar leichte Trinkränder, was für ein fassgereiftes Bier dieser Alkoholstärke recht ungewöhnlich ist. Der Duft ist kräuterig-bitter – der Enzian ist sofort und sehr deutlich zu spüren, aber ohne, dass er aufdringlich wäre. Stattdessen tanzen die Enzianaromen auf einem soliden Malzfundament herum. Der weiche Antrunk leitet über zu einem ebenso weichen Eindruck auf der Zunge. Eine feine, deutlich spürbare, aber nicht zu intensive Bittere ist an den Zungenrändern zu spüren, während sich in der Mitte der Zunge eher eine angenehme, aber nicht zu mastige Malzsüße bemerkbar macht. Beides gemeinsam harmoniert sehr schön mit den retronasal sehr deutlich werdenden, aber recht rasch abklingenden Enzian-Aromen. Liegt es daran, dass die Duftrezeptoren ob der Fülle der Enzianaromen rasch in eine Fatigue übergehen? Der Schluck verstetigt diesen Eindruck: Malzsüße, Bittere und Enzianaromen ergänzen sich vorzüglich, aber die Aromatik ist zu diesem Zeitpunkt nur noch dezent, bleibt in dieser Dezenz aber sehr lange spürbar. Außerordentlich!
Überhaupt kein Vergleich zu der vor wenigen Wochen genossenen und durch meine eigene Schuld leider überlagerten und umgekippten Flasche. Ganz im Gegenteil: Ein Hochgenuss!
Wieninger Helles Lagerbier (5,2%)
Ein einfaches, helles Lagerbier, genossen aus einem ebenso einfachen Willibecher. Oft liegt der Genuss so nahe, ganz ohne Fisimatenten und eigentlich auch ohne sich mit dem oder über das Bier lange unterhalten zu müssen. Einfach nur zisch und weg!
Ein paar Worte aber doch: Das Bier ist goldgelb und weist eine leichte, gleichmäßige Trübe und einen festen, lange haltbaren und schneeweißen Schaum auf. Der Duft ist tendenziell eher malzig mit einem feinen, zitronigen Pfiff – letzteres vermutlich wohl aufgrund der Kalthopfung. Der Antrunk ist malzig-mild, auf der Zunge ist das Bier weich, recht süßlich und insgesamt ausgewogen dezent. Ebenso weich bleibt es auch nach dem Schluck. Lediglich ein paar retronasale Aromen erinnern noch einmal an den zitronigen Hauch, und dann klingt das ganze harmonisch ab. Wie schon gesagt: Zisch und weg!
Des schönen klappbaren Kunststoffdeckels zum Anklemmen an den Glasrand bedarf es daher eigentlich gar nicht – das Glas ist leer, bevor die ersten Fliegen hineinfallen können …
Wieninger Teisendorfer Hell (5,0%)
Goldgelb und blank strahlt mich das Bier an. Es ist gekrönt von einer feinen weißen Schaumschicht, die allerdings nicht allzu lang hält, der es aber mit ihren feinen Resten dennoch gelingt, beim Trinken schöne Ringe im Glasinnern zu hinterlassen. Der Duft ist fein malzig mit dezenten Lemongras-Noten und einem ganz entfernten Hauch Schwefel, der etwas Fülle verleiht – kein Stinkerle, sondern wirklich nur ein allerfeinstes Lüftchen. Passend zum Duft ist der Antrunk ebenfalls fein malzig, und während das Bier weich und glatt über die Zunge rinnt, kommen die Lemongras-Aromen retronasal verhältnismäßig deutlich zur Geltung. Sehr schön – das verleiht diesem Bier eine schöne Frische, die mich angesichts der sommerlichen Temperaturen draußen begeistert. Der Abgang ist dann eher unauffällig. Eine sehr feine Herbe bleibt für einen kurzen Moment haften, und die Schleimhäute im Rachen fühlen sich vorübergehend leicht viskos belegt an. Dann klingen die sensorischen Eindrücke aber auch schon ab. Fein!
Privatbrauerei M.C. Wieninger
Poststraße 1
83 317 Teisendorf
Bayern
Deutschland
Danke für den Hinweis zur Haltbarkeit vom Enzian Fassl. Hatte mehrere Flaschen vom Bock zu Weihnachten verschenkt und bin damit völlig baden gegangen. Wahrscheinlich waren da die Flaschen noch zu „frisch“. Nach deinem Hinweis jetzt meine Flasche mit MHD 22.06.2022 aus dem Keller geholt. Flasche hatte 15 Grad und es war ein Genuss. Danke
Hallo, Christian,
tja, das ist ein ganz, ganz feines Bier, aber offensichtlich nur mit einem relativ kurzen Zeitfenster für den höchsten Genuss. Zu jung habe ich es noch nicht probiert; zu alt war leider eine große Enttäuschung.
Aber mittendrin war das Bier eine Offenbarung – ganz, ganz hervorragend.
Mit bestem Gruß,
VQ