Der Tag der offenen Flasche. Immer am ersten Freitag im Monat.
Was sich in Langenargen am Bodensee als Institution etabliert hatte, ist in den vergangenen zwei Jahren pandemiebedingt fast in Vergessenheit geraten. Im März 2020 hatte der Tag der offenen Flasche zum letzten Mal stattgefunden.
Tag der offenen Flasche ist, wenn das wohl beste Biergeschäft Deutschlands, das KommproBier, seine Hallen und Kühlräume öffnet und die Bierliebhaber dazu einlädt, sich beliebig zu bedienen und zu trinken, was ein jeder und eine jede nur möchte (einzige Voraussetzung ist, dass man das Leergut sammelt, am Ende des Abends damit brav zur Kasse geht und die Rechnung auch ehrlich bezahlt).
‘zig, wenn nicht gar weit über hundert Menschen finden sich ein, und die Bierauswahl steht einem professionell organisierten Bierfest in irgendeiner Großstadt in nichts nach. Im Gegenteil, sie übertrifft sie wahrscheinlich sogar – den welches Bierfest kann schon mit rund 800 verschiedenen Bieren aufwarten?
Tüpfelchen auf dem „i“ ist immer auch ein Brauer, der mit ein paar Fässern eigenen Biers anreist und sich und seine Biere den Gästen vorstellt. Im April 2020 hätte dies Max Senner von der Brauerei Yankee & Kraut sein sollen, aber er war der erste, der pandemiebedingt ausgeladen werden musste. Heute, am 6. Mai 2022, ist er dafür der erste, der nach der Pandemie wieder dabei ist. Es geht wieder los: Der Tag der offenen Flasche ist zurück!
Volker, Max & Dominik
Yankee & Kraut, das ist eine Craftbiermarke aus Ingolstadt. Max Senner (der Kraut) und Bryan France (der Yankee) machen unter diesem Label spannende Biere, die sie in künstlerisch gestalteten Dosen und Flaschen auf den Markt bringen (ein sehr schöner Bericht über die beiden findet sich bei Hopfenhelden). Vor einiger Zeit hatte ich von den beiden mal eine Dose erwischt, die nicht ganz so schmeckte, wie sie sollte (was auch den besten Brauern mal passieren kann). Und anstatt die Meinung des unzufriedenen Kunden dann in Frage zu stellen (was mir im Stil von „Wer bist Du denn? Bist Du überhaupt Brauer, und hast Du Ahnung von Bier?“ auch schon widerfahren ist), schickte mir Max kurzerhand ein feines Probierpäckchen als Wiedergutmachung und als Beweis: Yankee & Kraut, die können schon was; das war ein einmaliger Ausreißer, der durch die Qualitätskontrolle gerutscht ist. Diese Souveränität rechne ich ihm hoch an, und nutze die Gelegenheit, ihm das jetzt auch mal persönlich beim Bier zu sagen.
Gut gelaunt haut Max mir mit seiner Bärenpranke auf die Schulter. „Schön, dass wir uns jetzt auch mal ‚in echt‘ kennenlernen!“ Er zapft mir einen Fünfer-Flight – fünf kleine Probiergläschen aus dem Angebot, das er heute mitgebracht hat. Zusammen mit meinem lieben Freund, dem Biersommelier Dominik Ahmidou-Fend aus Vorarlberg, den ich hier ebenfalls gerade getroffen habe, suche ich mir einen noch freien Platz in der großen Lagerhalle, und gemeinsam machen wir uns an die Verkostung.
Volker & Dominik
Das „Kiss Ass“, ein einfaches Helles mit feinen fruchtigen Akzenten macht den Auftakt. Ein gut gelungenes Alltagsbier mit 5,0% Alkohol, für den großen Durst, oder für Gelegenheiten, wo es einfach mal nur „ein Bier“ sein soll und keine kunstgedrechselte Aromasensation. Schön!
Weiter geht’s mit einem Fruit Sour Ale, also einem Sauerbier mit Früchten. „Maracujizzle Brombizzle“ nennt es sich, ist mit Passionsfrüchten und Brombeeren gebraut, hat 4,9% Alkohol und überzeugt selbst mich, der ich doch eigentlich keine Sauerbiere mag. Schöne, aber nicht zu aufdringliche Fruchtaromen, bei denen es die Brombeere überraschenderweise schafft, die sonst doch so dominante Maracuja zu „übertönen“, ein knochentrockener, schlanker Körper und eine ganz dezente und weiche Säure – da ist selbst mein diesbezüglich überkritischer Gaumen hochzufrieden!
Die nächsten drei Biere sind einerseits ganz nah beieinander, andererseits doch wieder ganz individuell. Alle drei sind Double Dry Hopped New England India Pale Ales, oder kurz DDH NEIPAs. Double Dry Hopped, also doppelt hopfengestopft, ist fast selbsterklärend: Nach der Bierbereitung wird noch einmal Hopfen in den Lagertank gestopft. Was ein India Pale Ale ist, glauben wir auch alle, zu wissen: Ein alkoholstärkeres, kräftiger gehopftes Ale, dass vor hundert Jahren und mehr aufgrund des höheren Alkoholgehaltes und der kräftigen Bitterwerte besser in der Lage war, den Seetransport von Großbritannien in die Kolonie Indien zu überstehen, ohne sauer zu werden. Und New England? In New England ist die Mode geboren, ein India Pale Ale so zu brauen, dass es vor lauter speziellen Aromahopfen wie ein Obstkorb mit tropischen Früchten riecht und durch die reichliche Zugabe von Hafer auch noch milchig trüb wie ein frischgepresster Obstsaft aussieht. Voila, jetzt haben wir ein DDH NEIPA.
Jetzt kommt aber noch etwas dazu: Die drei Biere sind samt und sonders mit Cryo-Hops gehopft. Cryo-Hopfen, das ist ein mit Flüssigstickstoff bei extrem niedrigen Temperaturen extrahierter Hopfenauszug, bei dem das in den Hopfendolden enthaltene Lupulin gewaltig aufkonzentriert wird, ohne dabei zu oxidieren oder zu sehr an Aroma zu verlieren. Mit verhältnismäßig wenig Cryo-Hopfen können also gewaltige Aromamengen in das Bier gebracht werden.
Drei Mal DDH NEIPA, drei Mal unterschiedliche Cryo-Hops-Kombinationen. Und unterschiedliche Hefen, wie uns Max erzählt.
Das „Taco Truck Terror“ (6,7%) wurde mit einer Kveik-Hefe gebraut, einem ungewöhnlichen Hefestamm, der aus Norwegen stammt, bei extrem hohen Temperaturen sehr schnell vergärt und kräftige Fruchtaromen erzeugt. Die riechen wir auch – sie erinnern uns an süße, in Konservendosen eingemachte Birnen. Die Cryo-Hops (HBC 630 Cryo, Sabro Cryo und Simcoe Cryo) bringen hingegen eher herbe, an Zitronen oder italienischen Limoncello-Schnaps erinnernde Aromen (und wer, wie ich, zur schon älteren Generation gehört, wird sich vielleicht sogar an den „Sauren Fritz“ erinnert fühlen, an das Kultpartygetränk der 70er Jahre …)
Das „The Next Big Thing” (7,3%), bei dem Sabro Cryo, Idaho 7 Cryo und Simcoe Cryo verwendet wurden, zeigt sich deutlich geschlossener – die Aromenschere zwischen Duft und Geschmack geht nicht so weit auf wie beim vorherigen Bier.
Am überzeugendsten finde ich aber das letzte der drei DDH NEIPAs, das „Classic Insanity“ (8,1%). Gebraut mit HBC 630 Cryo, Simcoe Cryo und Idaho 7 Cryo zeigt es eine hervorragende Balance zwischen kräftigem Malzkörper und ausgeprägter Hopfenbittere, begleitet von herb-fruchtigen Hopfenaromen. Für mich zeigt sich bei diesem Bier, dass die reichliche, fast schon übermäßige Verwendung von Hopfen immer dann zu gelungenen Ergebnissen führt, wenn dem Hopfenreigen auch ein robuster Malzkörper und ein ordentlicher Alkoholgehalt entgegengestellt werden. Die Biere werden dann zwar fordernder im Sinne von „kann man nicht mehr weg-exen“, aber auch harmonischer und in ihrer Komplexität zugänglicher.
spannende Bierverkostung
Spannender Biergenuss, gute Gespräche, neue Bekanntschaften und das Gefühl, endlich mal wieder unter richtig vielen Menschen zu sein – mit guten Gedanken mache ich mich nach dem ersten Tag der offenen Flasche seit über zwei Jahren zufrieden wieder auf den Heimweg.
Auf dass es jetzt wieder regelmäßig möglich sein wird, Bier mit allen Sinnen in der Gemeinschaft zu erleben!
Tag der offenen Flasche – 6. Mai 2022
KommproBier
Mühlstraße 28
88 085 Langenargen
Baden-Württemberg
Deutschland
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