Gerade recht vor der Dienstreise!
Ich packe gerade meine Siebensachen für eine etwas längere Dienstreise. In meinem Büro sieht es aus, wie bei Hempels unter’m Sofa. Da klopft es an der Tür. Natürlich, immer in solchen Momenten …
Etwas knurrig rufe ich „Ja doch, was ist denn?“, und einer meiner Mitarbeiter steckt den Kopf durch die Tür: „Ich habe Post mitgebracht!“
der Pendelkarton
Schlagartig bessert sich meine Laune – es ist der berühmte Pendelkarton, mit dem sowohl mein guter Freund aus Hannover als auch ich das Experiment gestartet haben, wie oft man eine solche Pappkiste wohl hin- und herschicken kann, bevor sie irgendwann einmal auseinanderfällt.
Zufrieden öffne ich den Karton und entdecke zehn verschiedene Biere – keines davon kenne ich. Sehr schön, denn so kann ich das eine oder andere einfach in den Rucksack packen, mit auf meine Dienstreise nehmen und abends im Hotel verkosten. Wenn das Hotelzimmer einen Kühlschrank hat …
Verkostungsnotizen
Nordstadt braut! – 30167 – Hellga Helles; Liquid Story – The Best Part of Waking up are the Hops in my Cup – Coffee IPA; Enigma – Hades – Imperial Stout with Coconut & Vanilla
Nordstadt braut! – 30167 – Hellga Helles (5,0%)
Das Rezept stammt von der Genossenschaft Nordstadt braut!, die ihre Biere unter der Postleitzahl der Hannoveraner Nordstadt vermarktet – 30167. Gebraut wurde das Bier in der Calenberger Landbrauerei.
Kräftig dunkelgelb, fast schon kupferfarben steht das Bier im Glas, ist ganz leicht opalisierend und trägt einen schönen, altweißen Schaum. Sieht gut aus, erinnert an ein klassisches tschechisches Lagerbier, ist aber für ein „echtes Helles“ viel zu dunkel.
Der Duft ist … intensiv von Diacetyl geprägt. Noch ein Indiz für ein klassisches tschechisches Lagerbier. Dicke, intensive, buttrige Duftnoten. In Deutschland als Braufehler verpönt, in Tschechien durchaus beliebt. Wenn’s nicht zu dicke wird. Hier ist es schon fast zu dicke, auf alle Fälle aber sehr intensiv.
Der Antrunk ist weich, fast schon kremig, und auf der Zunge wirkt das Bier zwischen Malzsüße und einer feinen Bittere gut ausbalanciert. Retronasal wird das Aroma geprägt von … Diacetyl. Von dicker, fetter, warmer, zerlassener Butter.
Im Abgang bleibt der Eindruck unverändert. Eine kuchenteigartige Malzsüße, eine balancierende Bittere und viel, viel gute Butter im Abgang.
Hat mit einem Hellen nicht viel zu tun, sondern wirkt wie ein tschechisches Lagerbier aus einer kleinen Dorfbrauerei irgendwo in der Walachei im Osten Mährens.
Liquid Story – The Best Part of Waking up are the Hops in my Cup – Coffee IPA (6,5%)
Ein Bier mit einem langen Namen. Und mit zwei Elternteilen – Liquid Story aus Braunschweig haben dieses Bier in der Wittorfer Brauerei in Neumünster gebraut. Ein IPA mit Kaffee – eine Kombination, die in Deutschland noch unüblich ist. Wenn schon ein Bier mit Kaffee, dann doch bitte schön schwarz. Ein Stout, zum Beispiel.
Irgendeiner Intuition folgend habe ich die Dose im Spülbecken geöffnet, und prompt schoss mir der Inhalt entgegen und floss in großen Teilen durch das Becken. Warum? Warum haben so viele eigentlich doch hochmotivierte Kleinbrauereien ihre Abfüllung nicht im Griff? Speziell die Dosenabfüllung? Immer heißt es, die Dose sei das perfekte Behältnis für Bier, viel besser als die Flasche. Aber das gilt nur, wenn man den Prozess auch unter Kontrolle hat!
Also: Völlig überspundet. Kräftiges Gushing.
So sieht es im Glas dann auch aus: Viel, viel Schaum, darunter ein gelborangefarbenes Bier, milchig trüb, fast wie Maracujasaft aussehend. Wenn der viele Schaum nicht wäre.
Der Duft ist harzig und fruchtig. Kräftige Pampelmusenaromen, feine Maracujanoten, und das Ganze garniert mit einer interessanten, ein bisschen an Kiefernadeln erinnernden Harzigkeit. Einladend.
Der überraschend weiche Antrunk (die gesamte Spundung ist während des minutenlangen Einschenkens völlig verlorengegangen) leitet über zu einer interessanten Kombination aus Restsüße, fruchtig-harziger Bittere und einem feinen Kaffeearoma, das angesichts der hellen Farbe des Biers fast wie ein Fremdkörper wirkt. Schließe ich jedoch die Augen, dann rückt sich alles wie von selbst wieder ins Lot.
Nach dem Schluck wird die Bittere recht dominant, und zwar vorwiegend die Röstkaffeebittere. Da gleichzeitig die Pampelmusenaromen retronasal in den Vordergrund treten, wird die daraus resultierende Melange etwas dissonant.
Alles in allem eine spannende Idee.
Enigma – Hades – Imperial Stout with Coconut & Vanilla (10,0%)
Zehn Prozent Alkohol – heute genau das Richtige, um nach einem chaotischen Tag schnell abzuschalten und Bettschwere zu bekommen. Spätestens um acht will ich das Licht ausmachen und Schlaf nachholen …
Das Bier ist ganz, ganz dunkelbraun mit einem rubinroten Schimmer (nicht stoutschwarz also), es ist leicht trüb, und es entwickelt einen üppigen, beigefarbenen, etwas großblasigen Schaum, der ungleichmäßig zusammenfällt und etwas schmuddelig wirkende Ränder im Glas hinterlässt.
Der Duft ist eine interessante Mischung aus leichten Röst- und Bitterschokoladearomen, ein paar phenolischen Akzenten und feinen Vanille- und Kokosnussaromen. Es fügt sich nicht ganz zu einem harmonischen Ganzen, ist aber soweit in Ordnung.
Der Antrunk ist weich, aber lange nicht so viskos und sämig, wie ich es bei einem zehnprozentigen Imperial Stout aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen erwartet habe.
Auf der Zunge hat das Bier eine hohe Restsüße, nur eine ganz leichte Bittere, und es entwickelt retronasal feine Röst- und Phenol-Aromen, begleitet von Bitterschokolade. Einen Moment später gesellen sich Kirsch- und Liköraromen hinzu, und bald habe ich den Eindruck, flüssige Mon-Cherie zu trinken.
Besonders nach dem Schluck verstärkt sich die Schoko-Kirsch-Kombination ein wenig, und als dann noch etwas alkoholische Wärme hinzukommt, trinke ich gewissermaßen direkt aus der Pralinenschachtel.
Liquid Story – IPAS = CHIT – Double IPA; Nordstadt braut! – 30167 – Rotbier Eins
Liquid Story – IPAS = CHIT – Double IPA (8,0%)
Auch dieses Bier ist von Liquid Story aus Braunschweig in der Wittorfer Brauerei in Neumünster gebraut worden.
Dunkelgelb oder fast schon hellorange steht das Bier im Glas, ist kräftig und schön gleichmäßig getrübt und entwickelt einen üppigen und sehr lange haltbaren, leicht altweißen Schaum.
Der Duft ist kräftig hopfig-herb mit ein paar Pampelmusenschalennoten, einer ganz feinen mentholartigen Frische im Hintergrund und ein paar kräuterigen Noten.
Der Antrunk ist weich und kremig, ähnlich wie der erste Eindruck auf der Zunge. Dann macht sich aber ganz schnell eine kräftige, aber nicht übertriebene Bittere breit, die sich aber ebenfalls weich und kremig verkleidet. Eine gewisse Malzsüße ist zu spüren, und retronasal kommen die Pampelmusenschalen wieder hervor, auch der ganz feine Mentholakzent ist zu spüren.
Nach dem Schluck erzeugt das Bier eine feine alkoholische Wärme im Rachen und im Hals, gleichzeitig zeigt sich retronasal ein dezenter, alkoholischer Charakter (höhere Alkohole).
Nordstadt braut! – 30167 – Rotbier Eins (5,5%)
Beim Öffnen der Flasche zischt es kaum, und auch beim Einschenken gluckert es merkwürdig – die Spundung ist extrem gering, und so bildet sich auf dem rötlichbraunen und nur leicht trüben Bier so gut wie gar kein Schaum aus. Nur ein hauchfeines Schaumkränzchen zeigt an, dass überhaupt ein bisschen Kohlensäure im Bier gelöst ist.
Der Duft ist malzig und melanoidinig und weist im Hintergrund ein paar Kirschlikörnoten auf.
Der Antrunk zeigt sich weich, was angesichts der nicht vorhandenen Spundung keine Überraschung ist. Auf der Zunge ist das Bier merkwürdig. Das völlige Fehlen jeglicher Spritzigkeit macht es müde und dumpf, aber anstatt, dass dann die Malznoten um so kräftiger in den Vordergrund treten würden, wirkt der Körper des Biers eher dünn und wässrig, und aromatisch passiert überhaupt nicht mehr viel. Fast keine spürbare Bittere, kaum Malzaromen, und auch der Kirschlikör ist nun verschwunden. Lediglich eine schwache Süße ist zu spüren.
Und so bleibt es auch nach dem Schluck. Eine nichtssagende Süße, eine ganz schwache Bittere, und ganz am Ende nur noch ein taktiler Reiz in Form von einer leichten Pelzigkeit auf der Zunge.
Das war leider nix.
Burgwedeler Brauerei – Burgwedeler Dunkel; BrewDog – Tiramisu Tyranny – Chocolate & Coffee Stout; Klüvers Delikatessen Manufaktur – Hofgut Craft Beer hell
Burgwedeler Brauerei – Burgwedeler Dunkel (5,2%)
Ein Burgwedeler Bier, das aber in Wirklichkeit aus Celle stammt. Na, wenigstens ist man aber auf dem Etikett ehrlich und schreibt das auch drauf: „Gebraut und abgefüllt in Celle“. Gab ja schließlich schon mal Gerichtsurteile auch gegen bekannte Großbrauereien, zum Beispiel die aus dem Sauerland, die mit den gelben Kästen …
Ein Burgwedeler Dunkel also.
Dunkelrotbraun ist die Farbe, die Trübung ist nur ganz schwach, und über allem thront ein feiner, beigefarbener Schaum, der leider nicht so wirklich lange hält.
Der Duft ist wie auf dem Etikett versprochen: „mit der feinen Karamelnote“. Mit bestimmtem Artikel, also scheint es nur eine Karamellnote zu geben. Diese also.
Der Antrunk ist recht spritzig, auf der Zunge ist das Bier dann aber überraschend dünn, um nicht zu sagen, wässrig. Die Karamellnote verspricht mehr Malzkörper als dann wirklich kommt. Eine feine Malzsüße ist trotzdem zu spüren, ebenso eine leichte, sehr leichte Hopfenherbe, und retronasal noch einmal eine („die“) Karamellnote.
Der Abgang wird leider ein bisschen breit und entwickelt ein paar eher erdige Noten.
Ein Bier also, das vom Duft lebt. Angesichts der vielen Biere, bei deren Geruch ich schon das Gesicht verziehe, ist das allerdings schon etwas! Immerhin!
BrewDog – Tiramisu Tyranny – Chocolate & Coffee Stout (10,0%)
Eins muss man den Jungs von BrewDog lassen: Sie markieren alle ihre Biere, in welcher Braustätte sie gebraut worden sind. Dieses hier ist „brewed in Ellon“.
Tiefschwarz und leicht ölig fließt das Bier ins Glas, und ich kann nicht erkennen, ob es filtriert oder unfiltriert ist. Dazu ist es einfach zu dunkel. Nur langsam bildet sich eine kremige Schaumdecke – es dauert einen Moment, bis die Kohlensäurebläschen sich entbunden und dann durch die viskose Flüssigkeit ihren Weg nach oben gemacht haben. Dann aber steht der Schaum bombenfest, wie Schlagsahne. Nur die kräftige, beige Farbe passt nicht zur Sahne.
Der Duft ist schokoladig süß, mit Vanillenoten und etwas Mokka. Wie eine dieser Schokoladentafeln, die zur Hälfte aus weißer Milchschokolade und zur anderen Hälfte aus bitterer Herrenschokolade bestehen.
Der viskose Antrunk ist süß und leicht klebrig, und auf der Zunge setzt sich dies fort: Pappige Süße, die sich auf der Zunge ausbreitet. Die Kohlensäure tupft einen dezenten, säuerlichen Akzent auf diese Süße. Retronasal kommen Kaffee-, Schokoladen-, Vanille-, Kakao- und Mokkaaromen hervor – alles zusammen in einer schon fast aufdringlichen Intensität.
Nach dem Schluck bleibt ein leicht schleimiges Gefühl an den Schleimhäuten haften. Die Süße klingt langsam ab, die süßen Aromen hingegen bleiben noch eine Weile hängen. Ich habe noch recht lange etwas von diesem Bier und sehne mich zwischendurch nach einem Schluck Wasser.
Was kaum zu spüren ist (noch nicht einmal durch eine feine Wärme im Hals), das ist der hohe Alkoholgehalt von zehn Prozent. Der ist durch die dicke Süße wie in einem Kaffeelikör einfach überdeckt.
Klüvers Delikatessen Manufaktur – Hofgut Craft Beer hell (4,8%)
Nachdenklich drehe ich die Flasche in der Hand. Klüver’s Brauhaus und Fisch Feinkost Klüver, so hieß die Firma früher, und jetzt nennt sie sich Klüvers Delikatessen Manufaktur. Man macht also mittlerweile wohl mehr als nur Bier und Fisch. Ist ja schön.
Was mich allerdings mehr verwirrt, ist, dass es auf der Vorderseite heißt „Craft Beer hell“, während die Rückseite behauptet, es sei „Bier Pils“. Jetzt könnte man zwar einwenden, dass ein Pils immer auch hell sei, aber irgendwie suggeriert das Vorderetikett aber schon ein Bier des Stils „Hell“.
Sei’s drum, ich probiere jetzt einfach mal, und dann werde ich es wohl merken, ob es ein Helles oder ein Pils ist.
Denke ich.
Im Glas steht das Bier kräftig dunkelgelb und gleichmäßig leicht trüb. Der weiße Schaum entwickelt sich nur zaghaft, ist aber schön kremig.
Der Duft ist jetzt weder pilstypisch herb noch hellestypisch malzig, sondern … alt. Ein bisschen muffig und dumpf, kartonartig und scheinbar oxidiert.
Auch der Antrunk und das Gefühl auf der Zunge gehen in die gleiche Richtung. Zwar spüre ich noch eine deutliche Bittere (die auf Pils hindeutet), gleichzeitig aber auch schon viele Alterungsaromen. Noch kann man das Bier recht gut trinken, aber der wahre und brillante Genuss ist es leider schon nicht mehr. Auch der Abgang nach dem Schluck unterstreicht den Eindruck eines in Ehren ergrauten, sprich überlagerten Biers.
Was insofern besonders schade ist, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum noch weit in der Zukunft liegt – über vier Monate sind es bis zum 8. August 2023 noch hin!
Klüvers Delikatessen Manufaktur – Hofgut Craft Beer dunkel; Burgwedeler Brauerei – Burgwedeler Hell
Klüvers Delikatessen Manufaktur – Hofgut Craft Beer dunkel (5,0%)
Oh, ein sehr entgegenkommendes Bier. Es kriecht nach dem Öffnen von allein aus der Flasche und begrüßt mich. Wie schön!
Kein Gushing, aber doch ein unschöner Effekt, denn wenn man nicht aufpasst, hat man ruckzuck die Tischdecke oder, noch schlimmer, den Bierteppich eingesaut.
Das Bier hat eine hellbraune Farbe, ist ganz leicht trüb, und überall schwimmen winzig kleine Flöckchen rum, die sich nach einer Weile im Glas absetzen. Der viel zu üppige, leicht beigefarbene Schaum hält sich eine ganze Weile.
Der Geruch ist leicht malzig, ein bisschen brotig und hat einen schwachen erdig-dumpfen Untergrund.
Der Antrunk ist leicht säuerlich, auf der Zunge wird das erdige Aroma noch einmal kurz präsent, kreist ein wenig und recht unentschlossen um die leichte Säure herum, um dieser dann nach dem Schluck den Vortritt zu lassen.
Aus ferner Zukunft grüßt traurig das Mindesthaltbarkeitsdatum, der 8. August 2023 – eigentlich noch über vier Monate bis dahin.
Burgwedeler Brauerei – Burgwedeler Hell (4,8%)
Noch ein weiteres Celler Bier aus Burgwedel. Oder Burgwedeler Bier aus Celle. Naja, jedenfalls ein Bier namens Burgwedeler, das in Celle gebraut worden ist.
Kräftig gelb und nur leicht trüb steht es im Glas vor mir. Der Schaum ist recht üppig und hält sich dann auch eine ganze Weile. Kremig ist er auch. Nett.
Der Geruch ist herb, hat ein paar heuartige Noten und eine erdige Honignote im Hintergrund. Fast, als sei es schon etwas gealtert.
Der Antrunk ist dann etwas frischer als befürchtet, und auf der Zunge präsentiert sich das Bier mit einer kernigen Hopfenbittere, die von leichten Heuaromen retronasal begleitet wird. Aber auch hier: Leichte Honignoten. Und ein bisschen Karton kommt noch hinzu – glücklicherweise so dezent, dass das Bier gut trinkbar bleibt.
Im Abgang dominiert die Hopfenbittere. Kernig, deftig und ein bisschen breit hängt sie recht lange nach.
Jetzt erst blicke ich auf das Mindesthaltbarkeitsdatum: Vor vier Tagen ist das Bier offiziell abgelaufen, insofern darf ich über den (dezenten!) Alterungsgeschmack auch nicht offiziell schimpfen. Isso! Auch wenn es überrascht, dass vier Tage über dem Termin das Bier pünktlich kippt.
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