Egal was, Hauptsache Fass!
Berlin zeigt sich mal wieder von seiner besten Seite. Umgeworfene Müllbehälter, zerkloppte Gläser auf den Straßen, alles ist mit dummen Parolen besprüht oder mit ranzigen Aufklebern verhunzt, und überall stinkt es. Bis wir durch die Tür von Lemkes Biermeisterei treten – schlagartig umfasst uns eine wohltuende, einladende und ansprechende Atmosphäre. Obwohl sich auch hier beim heutigen Berlin Barrel Summit 2025 viele, viele Menschen unterschiedlicher Herkunft drängen. Geht doch!
Der Berliner an sich ist halt ein Dreckspatz, die Berliner, die wir hier treffen, offensichtlich nicht …
Am Eingang bekommen wir ein Begrüßungsbier in die Hand gedrückt, und dann stürzen wir uns ins Getümmel. Vor uns die Theke der Biermeisterei mit ihrem spannenden Bierangebot, gegenüber steht ein großes Madeira-Weinfass, in dem ein Lemke Imperial Stout reift. Links spielt eine junge Dame Rockmusik, rechts sehen wir, wie der Koch ein gewaltiges Büffet aufbaut, und als wir noch ein paar Schritte weiter in den Schankraum hineingehen, sehen wir drei belgische Brauereien (Rodenbach, 3 Fonteinen und Boerenerf), und dahinter einen Stand mit fassgereiftem Rum.
Wir bummeln noch ein wenig ziellos durch die Räume, verschaffen uns erstmal einen Überblick, lauschen den Begrüßungsworten von Oliver Lemke, und dann – Glückes Geschick! – stehen wir zufällig genau richtig, als das Büffet eröffnet wird. Wir sind fast die ersten in der Schlange …
Mit vollgeladenen Tellern laufen wir die Treppe hoch ins Obergeschoss, suchen uns einen schönen Platz, und nachdem wir uns gut gesättigt haben, erkunden wir auch hier das Angebot: Ein Probierstand mit den unterschiedlichsten Whiskysorten, und daneben gibt es alte, sehr alte und uralte spanische Sherrys und Brandys.
Wir merken schon: Alles, was man irgendwie im Fass ausbauen und reifen lassen kann, ist hier beim Berlin Barrel Summit 2025 vertreten.
Tja, womit fangen wir an? Natürlich mit dem Bier, denke ich, aber da hat uns schon Rob, der Mann an der Sherry- und Brandy-Theke, angesprochen. Seine Begeisterung steckt dermaßen an, dass ich, ganz gegen meine tiefe innere Überzeugung, heute doch tatsächlich mal den einen oder anderen Sherry und Brandy verkoste. In homöopathischen Mengen zwar, aber durchaus mit Freude daran. Es ist halt schon was anderes, ob man bei Großtante Frieda einen alten Mariacron angeboten bekommt, der schon seit fünfzehn Jahren in ihrer Hausbar steht, oder ob man sich fachkundig durch die sensorische Welt eines Brandys führen lässt, der erst zehn Jahre in einem und dann noch weitere fünf Jahre in einem anderen Fass gereift ist. Herrliche Dimensionen der Vielfalt!

der Brunnenbräu auf Abwegen – Alkohol jenseits von Bier
Nebenan am Whisky-Stand steht Peter Eichhorn, der bekannte Bier-, Bar- und Spirituosen-Kritiker und -Verkoster. Wir fachsimpeln ein bisschen, aber ich bleibe trotz lebhaftester Schilderungen standhaft: Nach Sherry und Brandy jetzt nicht auch noch Whisky – schließlich warten unten noch einige Biere auf mich!
Und da gehe ich jetzt auch hin, direkt zu dem riesigen Madeira-Fass mit dem Imperial Stout. Vorsichtig wird mit dem Heber eine Probe aus dem Fass ge … Ja, wie heißt das denn jetzt? Gezwickelt ja wohl nicht, aber vielleicht ge … hoben?
Ach, egal, wichtig ist: Ich habe jetzt rund 50 ml dieses zwölfprozentigen Barrel Aged Imperial Stout im Glas, und schon, als ich schnuppere, schmelze ich dahin. Seidigweich und kremig, röstig, süßlich, fruchtig und mokkaartig – die Vielfalt der Eindrücke und Aromen ist unbeschreiblich. Ein ganz klares Fünf-Sterne-Bier!
Am Büffet wird inzwischen der Nachtisch aufgebaut. Kaiserschmarrn mit eingelegten Pflaumen, Eierpfannkuchen mit roter Grütze und Schokoladenkuchen mit einem Schuss Whisky – alles perfekt zum Barrel Aged Imperial Stout passend. Ich bin glücklich und hochzufrieden. Selbst wenn es für heute bei dieser einzigen Kombination bleiben sollte, hat sich die Fahrt nach Berlin gelohnt …
… bleibt es natürlich nicht – jetzt geht es erstmal zu den Belgiern und ich trinke mich durch das Rodenbach-Angebot. Drei vorzügliche Biere stellt Rudi Ghequire hier vor. Zwar sind sie in recht großem Maßstab produziert, trotzdem aber vorzüglich: Das Classic, ein 5,2%iges Flanders Red Ale mit einer sehr zurückhaltenden Säure und einem feinen, weichen Aromaprofil, dann das Alexander, das mit 5,6% etwas kräftiger ist und mit prägnanter, aber trotzdem kremig-weicher Säure und spürbaren Essig-Aromen zu überzeugen vermag, und schließlich das 6,0%ige Grand Cru, dessen Säure wiederum etwas zurückhaltender ist, das dafür aber angenehme, fast schon vanilleartige und spielerische Aromen aufzeigt.
Alle drei Biere sind der Beweis dafür, dass die Übernahme der Rodenbach-Brauerei durch die Swinkels Family Brewers der Qualität der Biere keinen Abbruch getan hat.
Ein Blick auf die Uhr: Es ist schon kurz vor neun. Gerade mal fünf Biere getrunken, und schon so spät? Wo ist die Zeit geblieben? Ach, es sind die vielen, kleinen Gespräche am Rand. Hier eine alte Freundin getroffen, dort einen Weggefährten von einst. „Hej, schön, Dich mal ‚in echt‘ zu sehen und nicht nur über’s Internet“, und „Mensch, ist das lange her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben!“ Es ist wie ein großes Familientreffen.

ein bunter Wirbel verschiedener Eindrücke
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Zeit für einen Abstecher an den linken Rand der Ausschanktheke bleibt noch – zu den Bieren der Brauerei und Blenderei Boerenerf. Seit 2020 wirken Senne Eylenbosch und Vincent Alluin auf einem kleinen Hof im Sennetal südlich von Brüssel und produzieren dort Lambiks, Weine und hybride Getränke. Sicherlich nichts gegen den Durst, aber hochspannende Produkte, die mit ihrer Vielfalt und Mehrdimensionalität überzeugen können.
Ich verkoste zunächst das Kriek Bourbon, ein Kriek Lambik aus der Barrelseries 2023. 8,9% Alkohol hat es, und zunächst fordert es mich mit einer relativ kräftig ausgebauten, ledrigen und pferdeartigen Geruchsnote, dann aber, auf der Zunge, zeigt es sich mild und fruchtig. Es bleibt zwar knochentrocken, aber die Kirschnoten sind trotzdem deutlich und sehr angenehm zu spüren, und sie werden ergänzt durch eine feine, dezent holzige Whiskynote. Drei verschiedene Kirschsorten sind hier in jungen und alten Lambiks vergoren (mazeriert, heißt der Fachausdruck für diese zusätzliche Gärung, während der die Kirschen komplett vergoren werden und von ihnen kein Fruchtfleisch und manchmal nicht mal mehr die Kerne übrig bleiben), anschließend wurde das Bier noch sieben Monate in Bourbon-Whisky-Fässern gelagert.
Noch spannender ist dann aber das Symbiose, denn das ist mehr als ein Bier, auch mehr als ein Bier-Hybrid. Es ist quasi ein Dreifach-Hybride, nämlich ein Blend aus Lambiek, Cidre und Met. 8,3% Alkohol sind auf dem Etikett angegeben – und das Etikett ziert ein Hochlandrind. „Warum gerade ein Hochlandrind?“, frage ich, und Vincent zeigt mir gut gelaunt einen kurzen Videoclip auf seinem Tablet: „Weil wir auf unserem Hof solche Rinder haben. Schau mal, wie die Jungtiere hier fröhlich herumtoben!“
Die wilden Hefen, der säuerlich-trockene Apfelwein und der aromatische Honigmet geben zusammen ein sehr komplexes Aromenspiel. Quitten-Aromen und deftige ledrige, pferdeartige (oder doch hochlandrindartige?) Noten für die Nase, eine fruchtige Säure auf der Zunge, herbe, leicht adstringierende Eindrücke auf den Schleimhäuten am Gaumen und im Rachen – das ist schon eine besondere Vielfalt, die ich hier spüre. Wirklich meins ist es nicht – ich würde zögern, mir allein eine ganze Flasche zu öffnen. Aber für einen diskussionsintensiven Genuss im Kreise weiterer Liebhaber sicherlich ein ganz wunderbares Getränk.
Schon wieder habe ich mich verquatscht und die Zeit vergessen. Spät ist es geworden, und es zieht mich zurück zum Hotel. Viele verschiedene Biere waren es heute nicht, dafür aber unendlich viele Eindrücke, nette Kontakte, tolle und intensive Gespräche in einer sehr entspannten und harmonischen Atmosphäre. Ein herzliches Dankeschön an Oliver Lemke und sein Team für die Organisation – das war wirklich sein Geld wert. Und auch das Büffet – sparsame Schwaben oder Schotten könnten fast zum Schluss kommen: Allein das Büffet hat die Kosten für das Veranstaltungsticket gerechtfertigt. Alles andere war dann quasi eine Gratis-Dreingabe. Klasse!
Berlin Barrel Summit 2025
Biermeisterei by Lemke
Karl Liebknecht Straße 13
10 178 Berlin
Berlin
Deutschland
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