Früher war das hier mal das Brauhaus Mitte. Eine typische deutsche Gasthausbrauerei. Keine Experimente. Solider Service, gutes Essen, ordentliches Bier, aber keine Überraschungen. Bloß nicht den deutschen Bierdimpfl mit etwas Exotischem abschrecken.
Aber das Konzept hat sich überlebt. Zumindest in Berlin. In der Provinz läuft das noch gut, dort, wo in den Gasthausbrauereien die Standard-Infektion, die allen Bieren gemein ist, als Hausgeschmack angeboten und vom Konsumenten auch akzeptiert wird: „Das muss so sein, das ist hausgebraut!“
In Berlin kann man damit niemanden mehr hinterm Ofen hervorlocken. Deswegen ist das BHM Geschichte, und die Infrastruktur nun Teil des Lemke-Imperiums. Oliver Lemke, der viel zu früh versucht hat, mit spannenden Bierstilen auf dem Berliner Markt Fuß zu fassen. Zu einer Zeit, als auch hier die Gasthausbrauerei noch das Non-plus-ultra war. Hätte ihm wirtschaftlich fast das Genick gebrochen.
Jetzt sieht es anders aus. Brauhaus Lemke am Schloss (Charlottenburg), Brauhaus Lemke am Hackeschen Markt und nun auch hier: Biermeisterei by Lemke am Alexanderplatz.
Biergarten – zu hundert Prozent instagrammable
Spannende Biere gibt’s hier, zeitgemäße Küche auch, und alles ist sehr „instagrammable“ eingerichtet, soll heißen, so dekoriert, dass man neben dem Biergenuss auch immer wieder neue Fotomotive entdecken kann, die es mit dem Bier im Glas davor natürlich sofort bei Instagram hochzuladen gilt. Ist nicht negativ gemeint, ganz im Gegenteil: Ich finde eine solche abwechslungsreiche Deko sehr attraktiv.
Ich sitze also bei bestem Wetter im Biergarten, kucke auf den roten Trecker, die Büsche, die Pflanzkübel, die Holzfässer, die Felsbrocken und das grobe Holzmobiliar. Kein bayerischer Biergarten, aber trotzdem sehr schön. Ansprechend und einladend. So einladend, dass ich völlig vergessen werde, mir die Inneneinrichtung auch mal anzukucken. Ich werde gegessen und getrunken haben, und mir wird erst in der S-Bahn einfallen, dass ich drinnen gar keine Doku-Fotos gemacht habe …
Das stört mich jetzt aber noch nicht, denn gerade bringt mit die sehr aufmerksame und im weiten Rund des Biergartens gewaltige Strecken laufen müssende Bedienung einen Tester mit sechs Bieren. Sechs verschiedene Stile, sechs mal sehr stiltypisch gebraut, und vor allem so zusammengestellt, dass nicht nur der experimentierfreudige Craftbier-Nerd auf seine Kosten kommt, sondern der Bierdimpfl seine gewohnten Bierstile, sein klassisch Brauhaus-Triplett, auch vorfindet: Hell, Dunkel, Weizen. Zwischen Berliner Weisse, Pale Ale und India Pale Ale befinden sich Pils, Original und Weizen.
sechs von zweiundzwanzig …
Genüsslich verkoste ich mich also durch die Reihe der kleinen Gläschen, erfreue mich an der wirklich ausführlichen Beschreibung jedes einzelnen Biers, die mitgeliefert wird und nicht nur über die „technischen Daten“ Auskunft gibt, also über Bittereinheiten, Alkoholgehalt, Stammwürze und Farbwerte, sondern auch eine sensorische Beschreibung im Freitext umfasst.
Fein, da brauche ich mir die Arbeit umfangreicher Notizen gar nicht zu machen, sondern kann mich voll auf den Genuss konzentrieren:
- Budike Weisse – 3,5%
- Bohemian Pilsner – 5,0%
- 030 Pale Ale – 5,0%
- Original – 5,4%
- Weizen – 5,5%
- India Pale Ale – 6,5%
Sechs von insgesamt zweiundzwanzig verschiedenen Bieren, die hier vom Fass oder aus der Flasche angeboten werden.
Wie es immer so ist: Biergenuss macht hungrig. Egal, wie winzig die Gläser sind. Spätestens nach dem dritten, vierten Schluck meldet sich der Magen und wünscht feste Nahrung dazu.
Ich blättere in der Speisekarte und stelle fest: Auch hier gelingt der Spagat zwischen den konservativen Erwartungen und der Szeneküche. Es ist wirklich für jeden was dabei. Gebratene Fleischberge oder bunt arrangierte vegetarische Gerichte. Beides auf seine jeweils individuelle Weise gerechtfertigt und schmackhaft. Und je nach Zielgruppe bei Instagram sind auch beide Richtungen gleichermaßen instagrammable. Die eine Influencerin schmückt sich mit riesigen Rippchen, der andere Selbstdarsteller mit buntem Gemüse.
nicht nur farben-, sonder auch aromenfrohe Küche
Nachdem ich heute im Rahmen einer Konferenz schon mehr als genug fleischlastiges Essen hatte, wähle ich ausnahmsweise mal was Vegetarisches und bin hochzufrieden. Genauso abwechslungsreich wie die Farbpalette ist auch die Sensorik. Fein!
Zufrieden, ja geradezu beschwingt stehe ich auf und laufe zur S-Bahn. Voller Vorfreude, was mir Berlin noch alles bieten wird, steige ich in den Zug, und kaum haben sich die Türen geschlossen, fällt es mir ein: Ich habe drinnen gar keine Doku-Fotos gemacht.
Tja …
Die Biermeisterei by Lemke ist täglich ab 17:00 Uhr geöffnet; sonntags ist allerdings Ruhetag. Zu erreichen ist sie von den Haltestellen am Alexanderplatz aus in zwei, drei Minuten – je nachdem, ob man mit S-Bahn, Straßenbahn, Bus oder U-Bahn kommt.
Biermeisterei by Lemke
Karl Liebknecht Straße 13
10 178 Berlin
Berlin
Deutschland
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