Vor wenigen Wochen noch war die Zukunft der Brauerei ungewiss. Würde die seit 1872 als Brouwerij Het Anker firmierende Familienbrauerei, deren Wurzeln bis 1471 zu den ersten Brauaktivitäten der Beginen in Mechelen zurückreichen, wirklich vom Markt verschwinden? Fast sah es so aus.
Charles Leclef, der die Brauerei seit 1990 in der mittlerweile fünften Generation führte, suchte mit wachsender Verzweiflung einen Nachfolger, denn seine Kinder wollten nicht in den Brauereibetrieb einsteigen. Sorge machte sich breit, ob ein großer Investor die Brauerei übernehmen, die Prozesse nach rein betriebswirtschaftlichen Überlegungen streamlinen und all die hervorragenden und exklusiven, aber nur mit viel Aufwand herstellbaren Biersorten, für die die Brouwerij Het Anker weit über die Grenzen Belgiens hinaus bekannt ist, verwässern würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine uralte Biertradition auf diese Art und Weise verloren ginge: Erst wird billiger produziert und an Rohstoffen und Arbeitszeit gespart. Dann verlieren die Biere dadurch ihren Geschmack, verkaufen sich nicht mehr so gut, und irgendwann wird der Betrieb wegen mangelnder Rentabilität geschlossen – nachdem man kurz vorher noch so viel wie möglich rausgepresst hat. So oder ähnlich schon mehr als nur ‘zig Mal passiert. In Belgien, Deutschland, Tschechien oder Großbritannien – alle klassischen Bierländer können ein Lied davon singen.

Blick auf die wunderschönen, kupfernen Braukessel
Kreuz und quer durch die uralten Gebäude sind wir gelaufen, haben – natürlich! – die großen, kupfernen Braukessel gesehen (wunderschön!), haben hier mal hinter eine Tür geschaut und sind dort eine schmale Stiege hochgeklettert, um das alte Kühlschiff hoch oben auf dem Dach zu sehen. Und nun stehen wir vor einer Art Ahnentafel – einer langen Wand, auf der die Geschichte der Brauerei in Bildern dargestellt ist. „Hier, auf den letzten Bildern, seht Ihr Charles Leclef und daneben die Familie De Laet, die Eigentümerfamilie der Brouwerij Huyghe. Die hat zum Jahreswechsel unsere Brauerei übernommen“, erläutert uns die nette Führerin, die uns bis hierher begleitet hat. „Die Brouwerij Huyghe ist wie wir ein alter Familienbetrieb, und wir sind sicher, dass die De Laets unser Erbe bewahren werden. Die Qualität des Biers wird nicht leiden, und die Bierliebhaber in aller Welt werden die liebgewonnenen und hochwertigen Spezialitäten nicht vermissen müssen.“ Uns fällt gewissermaßen ein Stein vom Herzen.
So schade es ist, wenn nach vielen Generationen ein Familienbetrieb verkauft werden muss, so gut ist es dann, wenn der Betrieb „in gute Hände“ übergeht. Mit dieser guten Nachricht endet unsere ausführliche und liebenswerte Brauereiführung und es kommt der Teil, der als Krönung dazugehört, nämlich die Verkostung der hier gebrauten Biere. Im alten Officierszaal nehmen wir Platz und dürfen die Biere der berühmten Golden-Carolus-Serie probieren. Benannt nach einer Goldmünze, die vom Habsburger Kaiser Karl V., Regent des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, seinerzeit geprägt worden ist, finden sich unter diesem Label hochwertige, vorzügliche Biere, die auch in Belgien sicher zur Spitzenklasse ihres jeweiligen Stils gehören. Ob es nun das neunprozentige Tripel ist, das 8,5%ige dunkle Classic oder das achtprozentige kupferfarbene Ambrio – ein Bier mundet uns besser als das nächste. Dass wir noch gar kein Mittagessen hatten und die hochprozentigen Biere auf leeren Magen vielleicht mehr Wirkung entfalten könnten, als beabsichtigt …? Ach, das müssen wir in Kauf nehmen. Wo sonst auf Erden bekommen wir diese wunderbaren Biere frisch vom Fass, gezapft von denen, die sich am besten damit auskennen, den Menschen der Brauerei nämlich?

drei perfekt gezapfte Biere im alten Officierszaal
Wir geben uns völlig dem Genuss hin, und da wir das Glück haben, dass nicht gleich nach uns schon die nächste Besuchergruppe drängelt, können wir ohne Hast trinken und dem die Bier Aufmerksamkeit zukommen lassen, die es verdient.
In Gedanken gehe ich durch das weitere Portfolio der Brauerei, denke an die Cuvée van de Keizer Biere aus dieser Serie, die teils jahrelang in der Flasche reifen, mit 11% noch einmal ein bisschen stärker sind und auch als Jahrgangseditionen angeboten werden. Oder an das hopfenintensive Strong Blond Ale, das Hopsinjoor. Vielleicht auch an das La Cambre India Pale Ale, das als noch junges Mitglied der Bierfamilie gerade mal 4,9% Alkohol hat und nach den Maßstäben der Brouwerij Het Anker geradezu als Leichtbier zu gelten hat. Was für eine Produktvielfalt, und jedes einzelne Bier mit sooo viel Sachverstand und Liebe gebraut …
Ganz langsam neigt sich unsere Verkostung dem Ende zu, aber einen Trumpf hat die Organisation unserer Reise noch im Ärmel: Jetzt geht es ins Nachbargebäude, in den Brauereiausschank, und dort ist für uns ein großer Tisch für ein schmackhaftes Mittagessen und weitere Biere reserviert. Zwar herrschen hier der Andrang und die Massenabfertigung, die wir im Officierszaal nun überhaupt nicht vermisst haben, aber trotz allen bunten Treibens, trotz aller Hektik bleibt das Personal die Ruhe selbst, bleibt freundlich, geht auf Sonderwünsche ein und gibt uns das Gefühl, wirklich willkommen zu sein.
Ein rundum gelungener Brauereibesuch also, mit eindrucksvollen Bildern alter Kupferkessel, aber auch modernem Design der Eigenpräsentation. Und dass wir so ganz nebenbei auch ein wenig in die Lagerkeller haben schauen dürfen, in denen der ebenfalls hier produzierte Whisky reift (und ihn natürlich auch verkosten haben dürfen), verleiht dem Besuch noch eine ganz besondere Würze.
Die Brouwerij Het Anker bietet Besichtigungen nach vorheriger Anmeldung über den Ticketshop auf der Webite; das Brauereirestaurant ist täglich von 10:00 bis 23:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Kommt man mit der Bahn, läuft man einmal diagonal durch die Altstadt bis an die Nordwestecke zur Brauerei. Das ist zwar schön, dauert aber eine halbe Stunde. Oder man nimmt den Bus (Linien 2, 4, und 6) zum Rode Kruisplein direkt vor der Brauerei.
Brouwerij Het Anker
Guido Gezellelaan 49
2800 Mechelen
Belgien
Vielen lieben Dank an Frederic Paquet und belgoshop.de für die Organisation dieses Besuchs!
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