Von der Begeisterung und der Befähigung der neuen Brauergeneration
Eine Bierverkostung mit Esther Isaak

„Tja, liebe Esther, so wie es aussieht, gehen Begeisterung, Elan und Engagement vieler junger Brauer leider eben nicht Hand in Hand mit ihrer Befähigung, ihrer Qualifikation, ihrem Händchen, ein wirklich gutes Bier herzustellen“, sage ich zum Abschluss unserer Verkostung.

Zwei Stunden haben wir am heutigen Montag im Nebenraum des Bierland Hamburg gesessen und eine ganze Reihe interessanter, neuer Biere verkostet. Eigentlich ist Ruhetag, der einzige Tag der Arbeitswoche, an dem die Bierfans in Hamburg sich mit ihren eigenen Vorräten begnügen müssen und nicht mal schnell in den kleinen, urigen ehemaligen Kolonialwarenladen springen können, um sich mit dem leckeren Trunk für den Abend einzudecken. Der Tag, den Esther Isaak und ihr Mann Thomas brauchen, um aufzuräumen, nachzufüllen, Ordnung zu schaffen.

Oder neue Biere zu verkosten, die vielleicht ins Angebot aufgenommen werden sollen. Immer getreu Esthers Spruch: „Montags hat das Bierland zu – da trinken wir selber!“

Und trinken heißt heute: Verkosten. Vor uns auf dem wackeligen Holztisch steht ein halbes Dutzend Biersorten, eine Wasserflasche zum Durchspülen, und zwar sowohl des Glases als auch des Gaumens, und ein großer Krug für den Fall, dass eines der Biere nicht gut schmeckt und es ganz ehrlich betrachtet nicht wirklich verdient hat, ausgetrunken zu werden. Ein Entsorgungskübel also, gewissermaßen. Dazu noch, klar, ein Notizbuch, und im Smarttelefon jederzeit abrufbar die Kennblätter für verschiedene Fehlgeschmäcker, die wir aber hoffentlich nicht brauchen werden.

Gut gelaunt und optimistisch öffnen wir die erste Flasche. Ein Weizendoppelbock einer blutjungen Brauerei aus Norddeutschland. „Hochmotiviert und richtig nett sind die. Wollen endlich auch im hohen Norden abseits von Hamburg mal was bewegen“, schwärmt Esther. „Ich würde mich freuen, wenn das Bier so gut ist, dass es den Erfolg garantiert.“ Die Erwartungen sind also hoch.

Um so tiefer der Fall, um so größer die Enttäuschung. Statt der erhofften leichten Fruchtnoten im Duft, die einen vollen, malzigen und gleichzeitig (Weizen!) spritzigen Körper umtanzen, weht uns ein dumpfes Aroma überlasteter und entkräfteter Hefe entgegen. Erdig, muffig. Das hört sich schlimmer an, als es ist, das Bier kann durchaus getrunken werden. Aber für den durchschlagenden Erfolg, da fehlt noch viel. Da fehlt das Aromenspiel eines warm vergorenen und lang gelagerten obergärigen Biers, da fehlt die runde, kremige Sämigkeit, die den Malzkörper eines Doppelbocks erst genießbar macht. Weizenböcke sind die mit Abstand komplexesten Biere überhaupt, die die klassische deutsche Brautradition hervorbringen kann, und sie können wahre Meisterwerke der Aromenvielfalt sein. Dieses hier aber leider nicht.

Schweren Herzens leeren wir den Rest der Flasche statt ins Glas in den Entsorgungskrug.

Es folgt ein Strong Ale, angeblich mit Cascade-Hopfen gestopft. Aber auch hier: Statt grapefruitartiger Zitrusnoten vom Hopfen drängen sich Aromen feuchter Kellerregale, alter Schränke mit Wäsche und feucht gewischten Holzfußbodens in den Vordergrund.

Wir lassen das Bier einen Moment atmen und sich aufwärmen, in der Hoffnung, dass es dann besser wird. Aber unsere Geduld wird leider nicht belohnt.

„Schade“, seufzt Esther. „Schönes Konzept, gutes Design, nette Leute. Aber für mich zählt nur der Inhalt, ich will ja, dass meine Kunden wiederkommen …“

Die ersten beiden Biere kommen also schon mal nicht in das feste Angebots-Portfolio.

Es folgt ein gerade mal vier Prozent starkes englisches Bitter. „refreshing bitterness and sweet fruity notes; a rich character with a hint of chocolate and malted flavours” verspricht die Brauerei. Ja, die Bittere spüren wir, das ist nicht das Problem. Aber wo sind die süß-fruchtigen Noten? Der Hauch von Schokolade ist zu spüren, die Malzaromen drängen sich jedoch unschlüssig im Hintergrund zusammen, haben nicht dem Mut, nach vorne, ins Scheinwerferlicht zu treten. Unausgewogen, nicht wirklich spannend.

Esther rollt mit den Augen. Die geplante Erweiterung ihres Bierangebots – heute kommt sie nicht recht voran.

Ein Golden Ale kommt als nächstes dran. „crisp and fresh, light in body but certainly not in flavour, brim full of lemon, grapefruit, passion fruit and pale malt”, heißt es. Naja, nimmt man mal die branchenüblichen Übertreibungen weg, dann stimmt es schon fast. Ein leichtes, spritziges Bier mit fruchtigen Noten, das ist es in der Tat. Andere können es besser, kommen spielerischer daher, aber es ist definitiv schon mal besser als die drei Totalausfälle vorher. Das Bier kommt in die engere Wahl.

Ein schwarzes IPA, der Widerspruch in sich, kommt ins Glas. Eine rumpeldumme Stilbezeichnung. Entweder ist es ein India Pale Ale, also pale, das heißt, hell, oder es ist black, also schwarz. Aber egal. Die Bezeichnung hat sich etabliert. Black IPA also. Kräftiges, harziges Hopfenaroma, ein paar Röstnoten sind ebenfalls zu spüren, und Schokolade. Herbe Schokolade. Richtig schwarze Herrenschokolade, bitter, wie sie nur sein kann. Herber, rauer Kakao. Könnte vielleicht ein wenig frischer sein. Geht eher so in Richtung einer Schokolade, die schon ein Weilchen im Schrank gelegen hat, schon eine hauchdünne weiße Schicht gebildet hat.

Wir bekommen ja fast schon Zweifel, ob die sich konsequent durch die heutige Bierprobe ziehende fehlende Frische bei allen Bieren jetzt nur in unserer Wahrnehmung existiert. Sicherheitshalber trinken wir noch einmal ein großes Glas Wasser, spülen Zunge und Gaumen kräftig durch.

Noch ein Schluck. Nein, frischer wird’s nicht. Aber okay. Das kräftige Schokoladenaroma ist schon in Ordnung. Kein Grund, die Flasche in den Entsorgungskrug umzufüllen.

Die Rettung kommt mit dem letzten Bier, einem Milk Stout. Schokoladenoten identifizieren wir, etwas Kaffee, leichter Bittermandelgeruch und ein paar estrige Fruchtnoten. Eine spannende Aromatik, die in der Kombination Schokolade und Frucht ein wenig an Mon-Cherie-Pralinen erinnert. Und endlich, das erste Bier für heute, dass frisch und zum Weitertrinken ermunternd daherkommt. Und somit als einziges verdient hat, hinter dem Schleier der Anonymität hervorgezogen zu werden: BAD Dazed and Confused Milk Stout aus England. Tätäräh, und Tusch! Der Sieger für heute.

Feierlich leeren wir unsere Gläser. Von diesem Bier kommt nichts in den großen Krug, sondern alles in unsere Münder. Ein wirklich gutes Bier aus sechs, zu denen viel versprochen wurde.

Woran liegt es? Sind die jungen Brauer noch zu unerfahren? Sind es zu oft nur Hausbrauer, die sich nach ein paar im Bekanntenkreis gerne getrunkenen Heimsuden nun auf einem richtigen Sudwerk schwer tun? Sind es Trittbrettfahrer, die eigentlich von Bier keine Ahnung haben, aber schnell auf einen Zug aufspringen wollen, der raschen Erfolg, vielleicht sogar rasches Geld verspricht?

Und warum trauen sich in der neuen Bierszene so wenige, auch mal hart zu kritisieren? Und zwar nicht nach der Otto-Normalbiertrinker-Methode, also alles pauschal und undifferenziert abzulehnen, was vom Standard der Fernsehbiere abweicht, sondern qualifiziert, das heißt, neue Geschmacksrichtungen, neue Experimente, neue Zutaten anzuerkennen, trotzdem aber deutlich zu sagen, wenn das Ergebnis unausgewogen, wenig trinkbar ist?

Wie oft stehe ich auf Bierfesten und bekomme Biere in die Hand gedrückt, bei denen nach dem ersten Schluck klar ist, dass es hier eher um das Experiment mit exotischen Zutaten oder mit übertriebenen Mengenverhältnissen ging als um den wirklichen Genuss. Sauerbiere? Gerne. Aber einen pH-Wert, der den von Essigessenz übertrifft, muss ich nicht im Glas haben. Rauchbiere? Auch sehr gerne, aber sie sollten vielleicht nicht das Aroma verschwelender Autoreifen oder einer abgebrannten Kabelfabrik haben. Knackig bittere India Pale Ales? Gerne, solange neben der Bittere auch Aromen und ein die Bittere ausbalancierender Malzkörper vorhanden sind. Dann darf es auch bis 100 IBU hinauf gehen. Alles darüber ist Quatsch, da die menschliche Zunge dann sowieso keine Nuancen mehr feststellen kann.

Darf ich dann also kritisieren? Oder erweise ich der Bewegung dann einen Bärendienst? Im Sinne von: Seht her, selbst die erfahrenen Experten finden das nicht gut, zurück zum Fernsehbier, also?

Ich nehme es mir raus. Sage den Brauern auch gerne ins Gesicht, dass ihr Sud schmeckt, als habe man die Brennkammer des alten Ölofens mit Apfelessig ausgespült und die Abtropfflüssigkeit dann vergoren. Wenn es denn so schmeckt. Genauso, wie ich die Brauer in den Himmel lobe, wenn ein komplexes Aromenspiel, ein runder, malziger Trunk und ein fester, sauberer Abgang harmonisch miteinander einhergehen und nach jedem einzelnen Schluck Lust auf den nächsten machen. Aber nur dann.

Manchmal also, aber eben nur manchmal, gehen Begeisterung und Befähigung der neuen Brauer Hand in Hand. Manchmal halt auch nicht, und als Esther und ich den fast randvoll gefüllten Entsorgungskrug betrachten, da wissen wir: Leider zu oft nicht. Und es wird die Zeit kommen, wo sich die Spreu vom Weizen trennen wird. Schade um viele begeisterte Jung-Brauer, die scheitern werden. Aber noch viel trauriger wäre es, wenn die begabten unter ihnen gemeinsam mit allen in den Abgrund gerissen würden, weil die Bewegung als Ganzes scheitert.

Wie überall gilt: Auf Dauer hat nur Qualität Erfolg!

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