Vorsichtig luge ich um die Ecke und erwarte, dass jeden Moment der freche Kater Findus zum Vorschein kommt. Mitten in Lissabon scheine ich in Petterssons und Findus‘ Tischlerschuppen geraten zu sein. Überall stehen Sachen herum, neue, alte und uralte. Werkzeug liegt auf dem Tisch, Spanplatten sind an die Wand gelehnt, Emailleschilder, Gläser und irgendwelche merkwürdig aussehenden technischen Utensilien sind an den Wänden befestigt. Selbst ein Fahrrad hängt von der Decke. Für einen Moment glaube ich wirklich, in der Bilderbuchwelt meines Enkels angekommen zu sein und halte verstohlen Ausschau, ob in irgendeinem Winkel ein Muckla steht und mich hämisch angrinst.
Bin ich in Petterssons Tischlerschuppen gelandet?
Aber nein, es ist natürlich nicht der Tischlerschuppen aus den wunderbaren schwedischen Kinderbüchern über Pettersson und Findus, sondern es ist… Tja, was ist es denn eigentlich?
Zum einen ist es eine kleine Brauerei, die LX Brewery, Lisbon’s 1st Craft Beer, wie sie selbst behauptet. Auf einem 200-l-Speidel-Braumeister werden hier leckere Biere gebraut, auf Einweg-KEGs, sogenannte PETainer, und auf Flaschen gezogen und in ganz Lissabon verkauft. Und das sehr erfolgreich. Spannende und süffige Biere.
LX Brewery
Zum zweiten ist es auch ein Homebrew-Shop, das Oficina da Cerveja, die Bierwerkstatt also. Vom einfachen Malzextrakt, den man nur noch mit Hefe anrühren und vergären lassen zu braucht, bis zur vollautomatischen Kleinbrauerei, computergesteuert und komfortabel, wird alles geboten, was man braucht, um in der eigenen Küche, wahlweise natürlich auch gerne im Keller oder der Garage, sein eigenes Bier herzustellen.
Letztlich ist die LX Brewery auch nichts anderes, als eine etwas größer dimensionierte Hausbrauerei. Selbst die winzigen zylindrokonischen Gärtanks, die neben dem Sudwerk stehen, sind für den Hausbrauer interessant und erschwinglich.
eine winzige, noch etwas improvisierte Bar
Und schließlich, zum dritten, ist es eine kleine Craftbier-Bar. Noch nicht so richtig, aber fast. Vier Zapfhähne ragen aus der Wand, an jeden davon ist jeweils ein kleiner PETainer mit Experimentalbier angeschlossen. Davor eine Theke, an der noch gearbeitet wird. Eine Spanplatte liegt lose auf, ich kann gerade einmal vorsichtig mein Glas absetzen, um das Bier zu bezahlen, dann muss ich es wieder wegnehmen. Es wird geschraubt und gesägt, und wenn ich nächste Woche wiederkäme, dann könnte ich vielleicht auch schon an der Theke stehen und mich anlehnen.
Ich schnappe mir also mein Corit’IPA, ein leichtes India Pale Ale mit gerade mal 5,3% Alkohol und 26 IBU, also streng genommen nicht nur ein leichtes, sondern sogar gar kein IPA, aber ein leckeres Bier mit angenehm fruchtigen Hopfennoten und gut trinkbar, und gehe ein paar Schritt aus dem Weg.
Ebenso improvisiert wie die Theke stehen zwei kleine Rundtische in der Ecke. Zwei PETainer sind übereinandergestellt und mit Kabelbindern fixiert. Eine Spanplatte obendrauf, eine dicke Schraube in die Mitte, und fertig ist der Stehtisch für den Ausschank. Ein bisschen wackelig, aber die Höhe und die Größe passen schon mal.
Ich genieße mein Bier und beobachte das Gewusel. Hinter dem Sudwerk stehen zwei junge Mitarbeiter und ziehen frisches Bier auf Flaschen. Jede Flasche wird einzeln gefüllt, mit einem Kronkorken versehen und von Hand etikettiert. Unendlich langsam füllen sich die Pappkartons, einer nach dem anderen wird an die Rückwand der Werkstatt gestapelt.
Ab und an kommt ein Kunde und sucht nach Kleinkram für sein Hobby. Ein Tütchen Hefe, etwas Hopfen, oder es wird eine Bestellung für eine bestimmte Malzsorte aufgenommen. Freundlich und geduldig ist die Beratung, ein kleines Schwätzchen über Bier gehört mit dazu.
Und genauso geduldig wird an der Bar geschraubt und gesägt. Eine Spanplatte nach der anderen wird hereingetragen, probehalber aufgelegt, dreimal gedreht und dann doch wieder gegen eine andere getauscht. Mein Bier ist alle, ich muss den Bastler noch mal unterbrechen und lasse mir ein Glas vom Bockbier einschenken. Kräftig, würzig und rund – so muss ein Bockbier schmecken. Im Gegensatz zum Pseudo-IPA eben ist es auch passend zum Stil gebraut.
Bierflaschen aus aller Welt
Noch lange könnte ich hier stehen, die anderen Biere genießen (neben den vier Fassbieren gibt es auch noch die eine oder andere Flasche mit LX-Bier im Kühlschrank) und bei der Arbeit zusehen. Bobachten, wie die Bar langsam Form annimmt. Die Gespräche mit den Hobbybrauer-Kunden belauschen. Zusehen, wie der Stapel mit den frisch gefüllten Bierkartons langsam in die Höhe wächst. Gerne wäre ich auch einmal dabei, wenn mit dem Braumeister der nächste Sud angesetzt wird.
„Alles kein Problem“, heißt es lachend. „Bleib einfach hier stehen, Bier ist genug da, Du störst uns nicht!“
Doch ich muss weiter. Am Fuß der langen Treppe, der mich in die kleine Gasse und zur LX Brewery geführt hat, wartet meine Frau, Lissabon bietet noch so viele weitere Ecken, die es zu erkunden gilt. Bestimmt genauso schön, genauso freundlich, wenn auch sicherlich nicht so bierfokussiert wie hier.
Die LX Brewery und das Oficina da Cerveja sind vor wenigen Wochen erst in der kleinen Halle im Hinterhof der Rua Ilha Terceira zusammengeführt worden, die Öffnungszeiten sind vermutlich noch nicht endgültig. Derzeit ist montags, dienstags, donnerstags und freitags von 14:00 bis 18:00 Uhr geöffnet, sonnabends von 09:30 bis 13:30 Uhr. Zu erreichen ist die kleine Werkstatt mit der Metro, Haltestelle Saldanha, rote und gelbe Linie, und dann hat man einen Fußweg von rund 350 m vor sich, aufgelockert durch kleine Gässchen oder wahlweise Treppen. Mit dem Bus kommt man näher heran, auf rund 100 m, Haltestelle Estefânia, Linien 720, 726 und 767, liefert sich dann aber dem unregelmäßigen Fahrplan aus. Manchmal kommt der Bus, manchmal halt auch nicht.
LX Brewery & Oficina da Cerveja
Rua Ilha Terceira 42D
Armazém 1
1000-174 Lisboa
Portugal
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