Irgendwo am Ende der Welt. Ein winziger Weiler namens Velký Rybník. Gefühlt vielleicht 200 Einwohner? Am Rande des Orts ein großer Teich, der heute, am 21. Januar 2017, natürlich zugefroren ist. Schon seit Wochen liegen die Temperaturen nachts unter -10°, die ganze Welt scheint eingefroren, alles geht nur noch in Zeitlupe.
Und mitten im Dörfchen ein hellgelb gestrichenes Haus, ein heller Farbtupfer im winterlichen Grau: Domácí Pivovárek – Velkorybnický Hastrman – U Hastrmana steht an die Fassade geschrieben. Die Kleine Hausbrauerei Zum Wassermann.
Auf den ersten Blick ein einfaches Wohnhaus mit einem großen Wintergarten. Auf den zweiten Blick, und nachdem wir eingetreten sind, auch. Wintergarten und Erdgeschoss des Hauses sind in Eigenarbeit in ein kleines, gemütliches Restaurant umgebaut worden. Kein Innenarchitekt, auch keine Firma, die teure Materialien verwendet haben, sondern einfaches, helles Holz und Deko-Artikel, die sich über die Jahre angesammelt haben. In der Ecke ein Kamin, in dem zwei gewaltige Holzscheite lichterloh brennen und den ganzen Raum mit kuscheliger Wärme füllen.
Wir suchen uns ein Plätzchen nicht zu weit weg vom Kamin, möchten nach langem Spaziergang in der eisigen Luft langsam wieder auftauen. Überall an den Wänden hängen einfache Bilderrahmen mit Bieretiketten – eine tolle Sammlung. Erst nach einem kurzen Moment fällt uns auf, dass es keine Sammlung von Etiketten aus der ganzen Welt ist, auch wenn sie so bunt und abwechslungsreich ist. Nein, es sind samt und sonders Etiketten der hier gebrauten Biere.
Mit viel Liebe scheint der Brauer zu jedem Sud, den er ansetzt, ein neues Etikett zu kreieren, jedem Bier einen neuen Namen zu geben, jedes Mal ein neues Rezept auszuprobieren. Wir sind gespannt, welche Sorten es derzeit gibt, und nehmen die Getränkekarte zur Hand. Unsere Augen werden groß und rund. Mindestens sieben oder acht verschiedene Biere gibt es hier, und zwar nicht nur Helles mit unterschiedlicher Stammwürze von 10° bis 13°, wie man es hier in Tschechien so oft antrifft, sondern wirklich verschiedene Biere. Helles, Dunkles, Weizen, Halbdunkles, Winterbier, Kellerbier, India Pale Ale… Gerne auch als Radler mit Agaven-Limonade.
Nicht nur, dass jedes Bier sein eigenes Etikett hat, nein, zu jedem Bier gibt es auch eine eigene DIN-A-4-Seite in der Getränkekarte. Schön laminiert, mit detaillierten Beschreibungen, netten Grafiken, und es ist es Freude, in dem kleinen Ringordner Seite um Seite umzublättern und neugierig das Angebot zu erkunden.
Wir hören ein dezentes Räuspern. Die Wirtin steht neben uns. Ganz alleine bewirtschaftet sie das kleine Restaurant heute Nachmittag, und sie hat keine Zeit, ewig neben uns zu stehen und zu warten, bis wir die ganze Karte von vorne bis hinten und wieder zurück studiert haben. Also, ein schneller Entschluss: Ich nehme das Winterbier. Und für meine holde Ehefrau, die heute einmal wieder am Steuer sitzen muss, einen Früchtetee.
Das Winterbier, oder Zimní Speciál, wie es richtig heißt, entpuppt sich als kräftiges Märzen. 5,5 % Alkohol, leicht bräunliche Farbe, aromatisch-malzig, mit leichten Melanoidin-Noten. Durchaus lecker.
Im Internet suchen wir ein wenig mehr Informationen über die kleine Brauerei, quälen uns aber durch die einzeln hereintropfenden Bits und Bytes. Eigentlich gibt es fast überall in Tschechien ein gutes LTE-Netz, aber hier, in Velký Rybník, am Ende der Welt, starre ich nur auf einen einzigen, winzigen GSM-Balken. Aber immerhin, ein paar Daten bekommen ich zusammen:
Seit 2005 braut Luboš Vorel hier auf einer winzigen Anlage. Zunächst als Hausbrauer, und nachdem sein Bier den Nachbarn und der Familie gut geschmeckt hat, arbeitete er sich durch die Mühlen der Bürokratie, um nun seit September 2006 seine Sude unter der Marke Velkorybnický Hastrman zu verkaufen. Und ein Hastrman, ein Wassermann, ziert auch alle Etiketten. Die Karikatur zeigt ein kleines Männchen mit Glubschaugen, algenartigen Haaren, einer Wasserschnecke im Haar, grün angezogen und rittlings, aber rückwärts auf einem Wels sitzend.
Neben den üblichen Standard-Bieren gab es in den vergangenen zehn Jahren Biere mit allen möglichen und unmöglichen Zutaten und nach immer neuen Rezepturen. Offensichtlich geht es Luboš Vorel aber nicht nur um das Experimentieren um des Experimentierens willen, denn die Produkte sind samt und sonders gut trinkbar, wovon eine Reihe Urkunden und Auszeichnungen an den Wänden des kleinen Restaurants zeugen.
Wenigstens ein zweites Bier möchte ich noch probieren, bevor es wieder weitergehen muss, und ich entscheide mich für ein India Pale Ale, das IPA Šifra Enigma, gebraut mit australischem Hopfen. Schöne Zitrusaromen betören die Nase, auf der Zunge spürt man eher harzige Noten, wenn auch die Zitrusfrüchte nicht völlig verschwinden, und im Abgang kommt dann eine knackige, sehr saubere Bittere zum Vorschein. Ein richtig gutes Bier!
Gerade als wir zahlen wollen, fällt – zum Glück noch rechtzeitig! – mein Blick auf den kleinen Kühlschrank neben der Theke: Alle Sorten gibt es auch in 1-Liter-PET-Flaschen zum Mitnehmen. Im Nu ist der Rucksack prall gefüllt, schwer stapfe ich durch den tiefen Schnee zurück zum Auto.
In kurzer Blick noch einmal auf das hellgelbe Häuschen. Urig und nett. Schade nur, dass ich das Sudwerk nicht habe sehen können – mit ehrlichem Bedauern erklärte mir die Wirtin, dass sie keine Erlaubnis habe, Besucher in die Brauerei zu lassen. Das hätten wir vorher mit dem Brauer direkt ausmachen müssen…
Die Domácí Pivovárek Velký Rybník ist täglich ab 14:00 Uhr bis zum recht frühen Abend (20:00 Uhr) geöffnet; sonnabends und sonntags schon ab 12:00 Uhr. Kein Ruhetag. Zu erreichen ist sie am besten mit dem Auto; man kann direkt vor der Tür parken. Es gibt zwar auch eine Buslinie (Karlsbad – Abertham), die hier entlangführt, aber „allzu oft fahren die Busse leider nicht“, sagt Luboš Vorel auf seiner Homepage.
Velkorybnický Hastrman
Domácí Pivovárek Velký Rybník
Velký Rybník 9
363 01 Ostrov
Tschechien
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