Nachtrag 18. Mai 2023: „Nächste Station: Markthalle Neun. Ihr habt eine gute Dreiviertelstunde Zeit, hier zu essen oder gutes Bier vom Heidenpeters zu trinken“, heißt es während einer Berlintour mit den Schweizer Biersommeliers. Hinein also ins Getümmel!
Die Wahl fällt allerdings schwer. Erst essen und dann Bier? Erst Bier und dann essen? Nur essen? Nur Bier?
Wir fangen mal mit dem Bier an und kämpfen uns durch das Gedränge, bis wir schließlich den kleinen Stand von Heidenpeters Brauerei erreichen. Eine lange Schlange steht davor, aber das Team hinter der Theke ist gut eingespielt, und so dauert es nur ein paar Minuten, bis wir uns mit je einem Glas Bier in der Hand am Rande der Halle wiederfinden.
Saison du Burgund; Weizen
Mit beiden Bieren, dem rot leuchtenden, fruchtigen und gleichzeitig dezent phenolischen 4,7%igen Saison du Burgund wie auch dem simplen, fruchtigen und erfrischenden 5,8%igen Weizen, sind wir zufrieden und nuckeln unsere Gläser genüsslich leer.
Ein Blick auf die Uhr – ob es wohl noch für etwas exotisches Streetfood reicht?
Öh, wohl eher nicht. Es reicht gerade noch dafür, auf dem Weg zum Ausgang schnell noch mal „um die Ecke“ zu gehen und die Blase zu entlasten. Zu lange haben wir uns mit dem feinen Bier aufgehalten, es genossen, und dann war da ja auch noch der Daniel, den wir zufällig getroffen und mit dem wir etwas gequatscht haben, und das Gedränge, und überhaupt …
Der Daniel!
Jedenfalls: Die Zeit ist rum, es geht schon wieder weiter.
Heidenpeters Brauerei
Nachtrag 13. November 2014: Heute im Angebot ein Centennial mit kräftigem Hopfen-Aroma und angenehmen Zitrus- und Harz-Noten; das Pale Ale, hervorragend wie immer; ein Porter, kräftig, malzig, nur leicht röstig, einen Hauch angenehmer Säure, nur wenig Alkohol. Wie immer, ein lohnender Besuch in der Markthalle Neun.
Heidenpeters Brauerei
Nachtrag 27. Februar 2014: Bei einem leider nur kurzen Besuch im Rahmen eines Streetfood-Thursday der Markthalle Neun hatte ich nicht nur die Gelegenheit, drei Biere bei Johannes zu verkosten (Pale Ale – göttlich; Vanilla Porter – himmlisch; Coriand Ale – paradiesisch), sondern auch das Vergnügen, Sylvia Kopp einmal persönlich kennen zu lernen, die gerade mit dem Sender n-tv ein Interview mit Johannes Heidenpeters und ein paar kurze Clips drehte.
Selbstbedienung für den Bier-Chronisten
Heidenpeters – ein Treffpunkt der Berliner Bier-Prominenz?
Heidenpeters Brauerei
Mitte der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts kam das Brauwesen in Deutschland an seinen Kulminationspunkt: Der Pro-Kopf-Verbrauch war so hoch wie nie, aber es fand gleichzeitig eine Konsolidierung des Biermarktes statt – weit über neunzig Prozent des getrunkenen Biers war helles Lagerbier Pilsner Brauart. Der kleinste gemeinsame Nenner des Geschmacksempfindens. Immer größere Brauereikonzerne und –gruppen begannen, den Markt zu beherrschen; mittelgroße Brauereien hatten es zunehmend schwerer.
Eine erste Gegenbewegung begann in den achtziger Jahren, als mehr und mehr Gasthausbrauereien entstanden. Kupferglänzende Sudkessel, rustikal-gemütliches Ambiente und Bier mit etwas kräftigerem, individuellerem Geschmack als das von den Großkonzernen fleißig beworbene Fernsehbier. – Aber auch hier machte sich schnell eine gewisse Langeweile breit: Das Ambiente der meisten Gasthausbrauereien ist völlig austauschbar, weist einen Mangel an Individualität auf, und zu allem Überfluss fehlt den meisten dieser Kleinbrauer der Mut oder die Freiheit, mehr zu brauen, als das allgegenwärtige Triplett: Brauhaus Hell, Brauhaus Dunkel, Brauhaus Weizen. Man glaubt, dem Gast nichts anderes zumuten zu können, oder man ist schlichtweg nicht einfallsreich genug.
Die gleiche Langeweile also, nur auf einem geringfügig besseren Niveau?
Heidenpeters in der Markthalle Neun
Zum Glück gibt es mittlerweile, seit etwa 2010 einen nächsten Entwicklungsschritt: Experimentierfreudige, mutige Kleinbrauer brechen aus dem engen Korsett vermeintlicher Erwartungshaltung des Konsumenten aus, werfen überkommene und selbstauferlegte Einschränkungen über Bord und produzieren an ungewöhnlichen Orten ungewöhnliche Biere. Einer der Pioniere dieser Bewegung ist Johannes Heidenpeter, der im Frühjahr 2013 in der Markthalle Neun in Berlin Kreuzberg seine Brauerei Heidenpeters gründete.
das Sudwerk steht unten im Keller
In einem Teil des uralten Gewölbekellers unter der Markthalle hat er seine Brauerei eingerichtet – auf wenigen Quadratmetern braut er hier mit eigenhändig angepassten Edelstahltöpfen als Braukessel an mehreren Tagen der Woche sein Bier. Bis zu fünf Hektoliter produziert er an einem Brautag, und er probiert immer wieder neue Sorten und neue Rezepte aus. Die Einschränkungen eines verlogenen (R)Einheitsgebotes, das Naturreinheit propagiert, in Wirklichkeit aber wesentlich mehr Zusatzstoffe erlaubt, als der Brauerbund dem Konsumenten weis machen möchte, bleiben dabei fröhlich unberücksichtigt. Stattdessen verwendet Johannes Heidenpeter natürliche Zutaten wie Koriander, Orangenschalen und andere Gewürze, verzichtet im Ausgleich aber auf reinheitsgebots-konforme Chemikalien wie beispielsweise Polyvinylpolypyrrolidon.
der Taproom ist Minimalismus pur
Die Biere, die dabei entstehen, sind spannend. Geschmacksintensiv, individuell, süffig, und vermutlich auch gesund! In einer kleinen Bar, liebevoll zusammengezimmert, in einer Ecke der Markthalle Neun, eine winzige Theke nur, schenkt Johannes seine Biere aus, und am 20. Juni 2013 hatte ich die Gelegenheit, sie vor Ort zu verkosten. Das Thirsty Lady, ein aromatisch gehopftes Bier mit frischen Frucht- und Holundernoten, kräftig im Geschmack und in der Bittere, und mit fünf Prozent Alkohol nicht zu stark, sondern gut trinkbar. Und das Pale Belgian Ale, etwas kräftiger mit 5,3%, dunkel, malziger und deutlich komplexer – nicht so sehr für das rasche Durstlöschen, sondern für den bewussten Genuss. Zwei hervorragende Biere, die Lust machen auf einen erneuten Besuch.
Insgesamt eine kleine Brauerei, an der alles anders ist. Kein Mainstream, keine rustikal-pseudobayerische Gemütlichkeit, keine Einfallslosigkeit, sondern unkonventionelle und unkomplizierte Atmosphäre, Spaß am Brauen, am Bier, am Gespräch mit den Gästen, und vor allem:
Spaß am Biergeschmack!
Der kleine Ausschank der Heidenpeters Brauerei in der Markthalle Neun ist dienstags ab 14:00 Uhr, donnerstags ab 17:00 Uhr, freitags ab 14:00 Uhr und sonnabends ab 12:00 Uhr jeweils bis 20:00 Uhr (donnerstags wegen des Street Food Thursdays bis 22:00 Uhr) geöffnet; angepasst an die Veranstaltungen in der Markthalle Neun. Zu erreichen ist die Markthalle Neun am besten mit der U-Bahn (Linie 1, Haltestelle Görlitzer Bahnhof) oder mit dem Bus (Linie 140, Haltestelle Wrangelstraße). Dann sind es jeweils nur drei, vier Minuten zu Fuß. Mit dem Auto kommen und einen Parkplatz suchen kann man, muss man aber nicht.
Heidenpeters Brauerei
Eisenbahnstraße 42 – 43
10 997 Berlin
Berlin
Deutschland
Der Dreiklang Hell-Dunkel-Weizen findet sich in Berlin nur selten, bzw. immer dann wenn ein Investor ein XY-Gaststätten-Betriebs-Gesellschaft mbH betreibt. Sobald ein Brauer der „Investor“ ist, wird es besser. Heidenpeter hat angekündigt, noch in diesem Jahr kräftig auszubauen. Neue Tanks sind geliefert, die Flaschenabfüllung läuft, der Vertrieb klappt und die lang ersehnte Vergrößerung der Bar soll jetzt (2015) auch kommen.
Tu felix Berolina!
In der Tat, Ludger, der zwar qualitativ nicht notwendigerweise schlechte, aber mutlos-langweilige Dreiklang ist in Berlin wirklich selten.
Im Land aber dafür um so häufiger…
Man kann nun über Berlin denken, wie man will, und die Bandbreite der Meinungen über unsere Bundeshauptstadt ist wirklich enorm, aber die unabhängige Bierszene dort ist wirklich genial. Ganz im Gegenteil zur kommerziellen Bierszene, die zur Konsolidierung aller Marken in lediglich einer verbliebenen Großbrauerei (Bierfabrik) geführt hat.
Volker