Bierreise
Berlin 2023

Seit der grandiosen Bierreise Tessin 2022 ist ein Jahr vergangen.

es geht nach Berlin!

Diesmal macht sich die Schweizer Sektion der Biersommeliers auf in den hohen Norden, in die Hauptstadt des Großen Kantons – Berlin!

18. Mai 2023

Bildergalerie: Der erste Tag

Treffpunkt ist um 14:00 Uhr im Lemke, hieß es noch in der WhatsApp Gruppe, und damit war der Startschuss gesetzt.

Allerdings … zunächst blieb die Frage noch offen: In welchem Lemke? Draußen in Spandau schließen wir jetzt mal wegen „zu weit weg“ aus, aber dann bleiben ja immer noch Das Lemke unter den S-Bahn-Bögen am Hackeschen Markt oder die Biermeisterei by Lemke am Alexanderplatz.

Wie zwei aus unserer Gruppe rasch lernen müssen, ist es heute nicht die Biermeisterei, von der aus sie schon freudestrahlend ihre Bilder posten, aber zum Glück sind es nur wenige Minuten zu Fuß, und nach einer Weile ist die ganze Gruppe zusammen.

Vorhang auf, meine Damen und Herren für: Das Sudwerk!

Wir sind deutlich weniger als beim letzten Mal, aber das Wiedersehen ist herzlich, und gut gelaunt fallen wir im Das Lemke ein. Vatertag ist’s, es ist voll, aber nicht zu voll, und ein bienenfleißiger, aber im Moment völlig überforderter Barmann und Kellner in einer Person versucht, des Andrangs Herr zu werden. Unverdrossen flitzt er zwischen den Gästen hin und her, und er schafft es tatsächlich, die Übersicht zu behalten, kein Getränk, kein Essen, kein Glas zu vergessen und am Ende sogar noch korrekt und zügig abzukassieren. Chapeau!

Das erste Bier ist das 5,0%ige 030 Pale Ale, ein mit kräftiger Farbe und ebenso kräftigen Aromen sorgfältig komponiertes, hopfenbetontes Bier, das mit seinen Bitterstoffen einen hervorragenden Auftakt und guten Aperitif für den heutigen Tag darstellt. Danach schmeckt der hervorragende Salat mit gerösteten Putenbruststreifen nochmal so gut!

gutes Essen, gutes Bier

Aber „Dit is Berlin“, insofern ist es jetzt zwingend erforderlich, noch eine Berliner Weisse zu trinken – gerne auch in der auf Holz ausgebauten Version – Berliner Eiche. Eine Berliner Weisse mit 3,5% auf Holz gereift. Die Säure wird dadurch etwas milder, und da die Reifung nur zurückhaltend erfolgt, spüre ich nur ganz dezente holzige Aromen und eine leichte Adstringenz. Schön ausbalanciert. So lasse selbst ich mir ein Sauerbier gefallen.

Noch ein paar Bilder vom schön in Szene gesetzten kupfernen Sudwerk, und dann geht es auch schon weiter.

Ein schöner Besuch!

Ein paar Stationen fahren wir nun mit der S-Bahn, und am Ostkreuz geht es rüber zum Straßenbräu. Hier empfängt uns Marco Liebig zu einer kleinen Bierprobe und zu vielen, vielen Geschichten rund um das Straßenbräu und dessen Biere.

Straßenbräu

Den Auftakt macht das taz. Panterbräu, ein Rotes Lager mit 5,5% Alkohol. Einerseits als politisches Statement, denn Marco trägt (gut so!) ein T-Shirt mit der Aufschrift „Nein zu Rassismus“, und da ist die taz natürlich genau das richtige Presseorgan, um diese Position zu verteidigen. Andererseits aber auch als Ausdruck seines Stolzes (und des der Brauerei). Ein Bier mit und für die taz zu brauen, das ist für eine so kleine Brauerei schon etwas Besonderes.

Und das Bier transportiert nicht nur eine Botschaft, sondern es schmeckt auch! Nicht ganz so mastig und sättigend wie die Nürnberger Rotbiere, sondern ein wenig schlanker, ein wenig durchtrinkbarer. Trotzdem aber mit einer schönen, brotigen Sensorik. Guter Auftakt!

Weiter geht’s mit einem Witbier, in das der Seba, der Brauer vom Straßenbräu, extra großzügig Koriander und Orangenschale eingebracht hat. Kräftig schlagen die Aromen durch und machen das Bier wuchtiger, als es ob seiner nur 4,7% wirken sollte. Aber fast ist es des Guten schon zu viel, den die Koriandersamen geben schon einen dezent seifigen Touch. Etwas weniger wäre in diesem Fall deutlich mehr gewesen.

Marco erzählt und erzählt – er ist voll in seinem Element. Nur mit Mühe können wir seinen Redefluss unterbrechen und ihm ein kleines Mitbringsel überreichen – eine Flasche Imperial IPA der Braukunst Bern. Es soll ja eigentlich ein Geschenk an ihn sein, dafür, dass er sich mit uns so viel Mühe macht und sich die Zeit nimmt, mit uns ein paar Biere zu verkosten. Aber er hat ein großes Herz, und so ist ruckzuck der Korken entfernt, und jeder von uns bekommt einen kleinen Schluck des zwölfprozentigen Hammerbiers. Geteilte Freude ist doppelte Freude. Beziehungsweise im heutigen Fall sogar zwölffache Freude!

Und weil es gerade so schön ist mit dem Flaschenteilen, kramt Marco aus seinem eigenen Fundus zwei Flaschen recht lange gelagertes, neuneinhalbprozentiges Duvel Tripel Hop Citra hervor: „Da testen wir jetzt mal die dezenten Alterungsaromen!“ Hochinteressant, auch wenn es vielleicht nicht für Begeisterungsstürme sorgt, ist das Bier allemal – es ist immer wieder spannend, zu verkosten, wie sich ein Bier über die Jahre entwickelt.

„Eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit, ich muss dringend weg. Aber ein Bier schaffen wir noch zusammen.“ Marco ist hin- und hergerissen zwischen uns und seinem Termin. Eine weitere Rarität kommt auf den Tisch, und zwar eine Flasche Eni, einem 7,5%igen Kirsch Oud Bruin der Brauerei Flügge. Eine Rarität deswegen, weil Flügge vor einigen Wochen den Braubetrieb eingestellt und das Sudwerk sogar schon verkauft hat. Es ist schade um jede Brauerei, die schließt, auch wenn ich ehrlich sein muss und feststelle, dass mich die Flügge-Biere „nicht abgeholt haben“, wie man es neuerdings ja ausdrückt.

Egal, dieses hier ist gar nicht mal so schlecht, und im Bewusstsein, hier schon einen Schluck Biergeschichte im Glas zu haben, genießen wir es doppelt.

sechs verschiedene Biere im Straßenbräu

Jetzt muss Marco aber wirklich los, und wir haben jetzt die Chance, für uns allein aus der umfangreichen Bierliste auszuwählen. Die Neugier auf Exotisches treibt mich, und ich wähle das Tap Daddy Purple, ein Grape Sour mit Vanille. Fünf Prozent Alkohol, aus dem Hause Straßenbräu, und mit seiner leuchtend violetten Farbe etwas ganz Anderes.

Spannend schmeckt es. Die Trauben bringen ein Aroma hinein, das uns an von der Sonne beschienenes Bauholz erinnert. Im Hintergrund ein wenig Vanille, und dazu eine feine Säure. Ziemlich komplex, das Ganze!

Jetzt wird es aber auch für uns Zeit, aufzubrechen – unser Programm sieht als nächstes die Markthalle Neun vor, in der heute wie jeden Donnerstag der Streetfood Thursday zelebriert wird.

Ein paar Stationen S-Bahn, ein paar Minuten Fußweg, und schon stehen wir vor der proppevollen Markthalle. Rund eine Dreiviertelstunde haben wir nun Zeit, und da fällt die Wahl schwer. Erst essen und dann Bier? Erst Bier und dann essen? Nur essen? Nur Bier?

wir fangen mit dem Bier an

Wir fangen mal mit dem Bier an und kämpfen uns durch das Gedränge, bis wir schließlich den kleinen Stand von Heidenpeters Brauerei erreichen. Eine lange Schlange steht davor, aber das Team hinter der Theke ist gut eingespielt, und so dauert es nur ein paar Minuten, bis wir uns mit je einem Glas Bier in der Hand am Rande der Halle wiederfinden.

Mit beiden Bieren, dem rot leuchtenden, fruchtigen und gleichzeitig dezent phenolischen 4,7%igen Saison du Burgund wie auch dem simplen, fruchtigen und erfrischenden 5,8%igen Weizen, sind wir zufrieden und nuckeln unsere Gläser genüsslich leer.

Saison du Burgund & Weizen

Ein Blick auf die Uhr – ob es wohl noch für etwas exotisches Streetfood reicht?

Öh, wohl eher nicht. Es reicht gerade noch dafür, auf dem Weg zum Ausgang schnell noch mal „um die Ecke“ zu gehen und die Blase zu entlasten. Zu lange haben wir uns mit dem feinen Bier aufgehalten, es genossen, und dann war da ja auch noch der Daniel, den wir zufällig getroffen und mit dem wir etwas gequatscht haben, und das Gedränge, und überhaupt …

Jedenfalls: Die Zeit ist rum, es geht schon wieder weiter.

Ein kurzer Fußweg bringt uns in die Manteuffelstraße zum Schoppe Bräu Taproom im BKK. Die geheimnisvollen Buchstaben BKK leuchten schon von weitem und weisen uns den Weg in Thorsten Schoppes „kleines, schmuddeliges Stiefkind“, wie er es einmal selbst genannt hat, ins Bierkombinat Kreuzberg. Eine kleine Kreuzberger Kneipe, in der man die klassische Kiezatmosphäre noch spüren kann und die sich tapfer gegen die Gentrifizierung des Bezirks stemmt.

Der Meister persönlich steht heute hinter der Theke und möchte mit uns seine Biere verkosten. „Ich habe mir für Euch etwas Besonderes ausgedacht – wir probieren mal die Biere, die es sonst im offenen Verkauf gar nicht mehr gibt“, empfängt er uns und zieht einen Bierkasten aus der Kühlung. „Wir haben während der Pandemie für unsere treuen Fans eine Reihe von Spezialbieren im Abonnement angeboten. Für uns war es eine Möglichkeit, den Umsatzrückgang abzufedern, und für die Fans die Chance, Biere zu bekommen, die sonst niemand hat.“

Verkostung im BKK

Thorsten öffnet die erste Flasche und grinst mich an: „Du kennst die ja alle schon, Dir brauche ich nichts einzuschenken, oder?“ Aber er wartet nicht erst auf meinen Protest, sondern füllt selbstverständlich nicht nur die Gläser der anderen, sondern meins auch …

Den Auftakt macht das Fresh & New Nr. 10 – Session NEIPA, ein 4,5%iges und gut durchtrinkbares New England IPA, das gar nicht so fürchterlich milchig trübe ist, wie die meisten Vertreter dieses Bierstils, sondern den Stil eher konservativ interpretiert. Im Juni 2022 ist es ausgeliefert worden, und ich war seinerzeit sehr zufrieden mit dem Bier. Heute auch wieder.

Gefolgt wird es vom Fresh & New Nr. 11 – Kveik IPA aus dem August 2022. Die norwegische Landhefe Kveik ist ein spezieller Hefestamm, der bei sehr hohen Temperaturen blitzschnell vergären kann, aber mit seinem gelegentlich zickigen Verhalten auch immer mal für eine Überraschung gut ist. In diesem sechsprozentigen Bier hat sie aber Wohlverhalten gezeigt und sorgt für eine schöne, fruchtige und gleichzeitig leicht phenolische Sensorik.

Die Zeit fliegt nur so dahin, und wir sind schon beim dritten Bier, dem Fresh & New Nr. 2 – Witbier mit Minze. Das 5,5%ige Bier stammt aus dem September 2021, hat sich sein frisches Minzaroma aber bis heute bewahrt. Schmunzelnd erzählt Thorsten, dass er es wie beim Kalthopfen macht – statt einer Kalthopfung gab es also eine Kaltminzung.

Die intensive Minze erfordert es allerdings auch, dass unsere Geschmacksnerven eine kleine Erholung brauchen. Ein paar Bissen Weißbrot hat Thorsten auf die Theke gestellt, wir selbst haben uns ein paar Focaccias mitgebracht, und als „Spülbier“ gibt es ein simples Weizen vom Fass – Schoppes orangener Bär. Die Bär-Serie sei eine Serie von Bio-Bieren, die in den regionalen Bio- und Supermärkten gut liefe, berichtet Thorsten stolz. Damit habe er einen Fuß in die Tür des Einzelhandels bekommen.

ein umfassendes Bier-Erlebnis

Nach dem sehr ätherischen Minzbier erdet uns das 5,6%ige Bioweizen jetzt ein wenig und macht uns bereit für die nächsten Verkostungsschritte. Und die haben es in sich!

Mit dem elfprozentigen Triple Weizenbock aus dem jüngsten Bierabonnement, der „Meister-Eder-Serie“, beamt uns Thorsten in andere Sphären. Gewaltige Aromen, eine fette Textur, viel Malzkörper und durchaus gut spürbarer Alkohol machen dieses Bier, das im Februar 2023 an die Abonnenten versandt worden war, zum Gegenpol des simplen Weizens gerade eben. Sehr gelungen!

„Eigentlich hatten wir die ‚Meister-Eder-Serie‘ ja zum Stacheln gedacht und mit der ersten Lieferung auch einen Stachel mitgeschickt, aber dieses Bier ist so schon so gelungen, dass wir es gut auch so genießen können“, erzählt Thorsten und erntet einmütige Zustimmung.

Ob man dieses Bier noch toppen kann? Fast haben wir da gewisse Zweifel, aber dann packt Thorsten das Fresh & New Nr. 6 – Oatmeal Stout (rumfassgereift) aus der Kiste. Mir gehen die Augen über. „Oh, davon habe ich auch noch ein oder zwei Flaschen zurückgelegt“, seufze ich und denke an meinen Bierlagerkühlschrank daheim im Allgäu. Obwohl das Bier „nur“ acht Prozent Alkohol hat, kommt es so wuchtig und komplex daher, dass die ganze Gruppe schwer begeistert ist. Im Dezember 2021 ist es ausgeliefert worden und hat in den anderthalb Jahren seit dem noch an Komplexität gewonnen. Ein Traum!

„Zum Abschluss habe ich jetzt noch ein Bier vom Fass da, dass es so nur ganz selten gibt: Das Katerfrühstück Imperial Vanilla Stout“, leitet Thorsten das Ende der Verkostung ein. Im September 2020, mitten in der Pandemie, war dieses Bier Teil des allerersten Schoppe-Rettungsabonnements, Teil der Serie „Schoppyman braucht mal kurz eure Hilfe“. Kremig und viskos fließt es ins Glas. Pechschwarz präsentiert es sich dort, und betört mit Vanille- und Röstdüften. Auf der Zunge entwickelt es seine Stout-Aromen mit Wucht, und auch wenn es in der Komplexität vielleicht ein kleines bisschen hinter dem rumfassgereiften Oatmeal Stout zurückbleibt, ist es doch ein klares Fünf-Sterne-Bier! Und dann noch vom Fass, wo es doch sonst nur in der Flasche verkauft wird! Wahnsinn!

Hochzufrieden, insbesondere mit den letzten drei Bieren, treten meine holde Ehefrau und ich den Weg zurück ins Hotel an. Der harte Kern unserer Reisegruppe macht sich noch auf, Cihan Çağlars Biererei besuchen, aber uns fehlt es an Kondition.

(Und wie der nächste Morgen zeigen wird, wird es in der Biererei zwar wunderschön gewesen sein, aber die zerknitterten Gesichter werden vom Übermut zeugen …)

19. Mai 2023

Bildergalerie: Der zweite Tag

Es ist schon elf Uhr, als wir uns endlich vor den S-Bahn-Bögen der Brauerei Lemke Berlin treffen.

Hier, auf direktem Weg zwischen der kleinen Gasthausbrauerei Das Lemke und ihrer großen Schwester, der Biermeisterei by Lemke, ist das Reich der handwerklichen Brauerei Lemke. Hier wird geschrotet, gemaischt, gekocht, vergoren und abgefüllt. Sebastian „Basti“ Oberwalder, einer der Betriebsleiter und verantwortlich für die verschiedenen Berliner Weisse Sorten der Brauerei, erwartet uns schon und führt uns durch die einzelnen Abschnitte seines Reichs.

hinter den bunten Graffiti verbirgt sich die Brauerei mit Sudhaus, Lagerkeller und Abfüllung

Wir dürfen einen Blick in Sudhaus, Lagerkeller und Abfüllkeller werfen und staunen, wie weitläufig die Brauerei in den S-Bahn-Bögen letztendlich angelegt ist. Die Höhe der Bögen ist zwar begrenzt, aber ihre Anzahl bietet dann doch ganz schön viel Platz für eine Regionalbrauerei. Und die Technik fasziniert uns schon – ob es das moderne Edelstahlsudwerk ist oder die gewaltigen Gär- und Lagertanks, bei denen wir uns fragen, wie sie denn in die engen Bögen hineintransportiert worden sind. Auch die zwar alte, aber immer noch zuverlässig funktionierende Flaschenabfüllung, die gemeinsam mit KEG- und Dosenfüller einen separaten Bogen füllen, werden uns von Basti in allen Details erklärt.

„Und dann haben wir noch“, Basti deutet an die Decke des Gewölbes, „eine kleine Rohrleitung. Eine Pipeline, quasi, durch die Würze und Bier von hier direkt unter den S-Bahn-Schienen entlang bis zur Biermeisterei by Lemke gepumpt werden können.“ Wir schauen nach oben und sehen die beiden Leitungen direkt unter der Decke in der Wand verschwinden.

Man würde nämlich aus Sicherheitsgründen die Vergärung der Berliner Weisse mit ihren Milchsäurebakterien und wilden Hefen strikt von den klassischen Bieren mit ober- und untergäriger Hefe trennen, um so einer Kreuzkontamination vorzubeugen, erläutert uns Basti. „Nicht, dass man es nicht auch mit guter Hygiene in den Griff bekäme, aber: Sicher ist sicher!“

Wir staunen und löchern ihn mit Fragen, aber irgendwann ist auch die spannendste Brauereiführung zu Ende.

das Sudwerk füllt den S-Bahn-Bogen bis in den letzten Winkel

„Und jetzt verkosten wir mal ein paar von unseren Bieren“, lädt Basti uns ein und öffnet das Tor zu einem weiteren S-Bahn-Bogen. „Hier reifen unsere Biere in den Holzfässern, und hier machen wir auch unsere Verkostungen!“

Uns gehen die Augen über. In bis zu vier Reihen übereinander liegen hier die unterschiedlichsten Holzfässer aus aller Welt, und in ihnen reifen Stouts, Barley Wines und dergleichen und warten darauf, dass sie verkostet, geblendet und abgefüllt werden. Allerfeinste Raritäten entstehen hier.

Verkostung im Fassreifekeller

„Wir fangen mal mit drei verschiedenen Weissen an“, schlägt Basti vor und öffnet die ersten Flaschen.

Es geht los mit der Budike Weisse, einer klassischen Berliner Weisse ohne Frucht- oder sonstige Zusätze. 3,5% Alkohol hat sie, und sie ist nur dezent sauer. Schön ausgewogen, spritzig, perlig, und mit feinen, säuerlichen Birnennoten ist es eine sehr schöne Erfrischung zum Auftakt eines bierigen Tages. Obwohl ich Sauerbieren nur selten etwas abgewinnen kann – die Budike Weisse hat was. In ihrer feinen Balance und mit dem fruchtigen Birnenhauch spricht sie mich durchaus an!

„Womit machen wir weiter? Kirsche oder Himbeere?“ Sebastian schaut uns fragend an. Unentschlossenes Geraune, aber schließlich kristallisiert sich doch eine Mehrheit für die Himbeere raus, und rasch werden ein paar Flaschen geöffnet.

Das leuchtende Hellrot dieses Biers fasziniert. Wir können es kaum erwarten, es zu verkosten, doch zunächst erzählt Basti noch ein wenig von der Herstellung und davon, wie die Brauerei Lemke sich versucht, von den Pseudo-Weissen, die einfach nur mit Himbeersirup versetzt werden, abzusetzen.

Jetzt aber beginnt die Verkostung: Herrliche Fruchtaromen lassen schon vor dem ersten Schluck das Wasser im Mund zusammenlaufen. Dann folgt eine feine, säuerliche und fruchtige Aromenexplosion, die dadurch interessant wird, dass es im Bier keinen Restzucker gibt. Gaukelt der himbeerige Duft eine fruchtige Süße vor, fehlt diese im Schluck dann völlig. Spannend!

Zum Abschluss der Berliner-Weisse-Verkostung gibt es dann noch eine dritte Sorte, die Waldmeisterweisse. „Wundert Euch nicht – die ist gelb und nicht grün. Waldmeister selbst färbt nämlich nicht. Was Ihr sonst so an Waldmeisterbieren bekommt, das ist alles künstlich eingefärbt“, warnt uns Basti vor. Am wunderbaren sensorischen Erlebnis ändert die fehlende Farbe allerdings nichts, und wir genießen die feinen, kräuterigen Aromen des Waldmeisters, eines Krauts, das gar nicht allen Teilnehmern unserer Tour vertraut ist. Waldmeister? Woodruff? Zum Teil muss erst gegoogelt werden, um Verständnis zu erzielen.

Spannend, zu erfahren, dass Waldmeister einiges an Zellulose mit ins Bier bringt und dass die wilden Hefen die Zellulose zum Teil auch vergären können, so dass die Waldmeisterweisse im Gegensatz zu den anderen beiden Weissen trotz gleichen Basisrezepts ein bisschen mehr Alkohol hat: 4,0% statt 3,5%.

insgesamt verkosten wir sechs verschiedene Biere der Brauerei Lemke

„Nehmt mal ein paar Schlucke Wasser, und dann geht’s mit unseren fassgereiften Bieren weiter“, empfiehlt Basti und köpft die erste Flasche.

„Wir haben in dieser Serie fünf verschiedene Biere, und alle fünf haben einen lateinischen Namen mit fünf Buchstaben. Dieses hier ist das Cupam, ein im Roggenwhiskeyfass gereiftes Imperial Stout mit 14,0%“, erfahren wir. Die Komplexität der Aromen überwältigt uns. Auf nüchternen Magen – das Frühstück liegt immerhin schon ein paar Stunden zurück – gönnen wir uns nur winzige Schlucke, aber die haben es in sich. Die Whiskey-Aromen, der holzige Hintergrund, die feine Vanille, die Röstaromen, etwas Mokka und Schokolade – je länger wir schnuppern und schmecken, um so mehr Nuancen entdecken wir.

Es folgt das Misce, ein 12,5%iges Barrel Blend, bei dem Imperial Stout aus unterschiedlichen Fässer geblendet, also sorgfältig verschnitten worden ist. Eines der Fässer war mit Laphroaig-Whiskey vorbelegt, insofern findet sich ein deutlicher, aber nicht aufdringlicher, torfiger Rauchgeschmack im Bier wieder, der nicht jedem in vollem Umfang behagt. An der Komplexität des Genusserlebnisses ändert das aber nichts.

Jetzt sind wir schon beim letzten Bier der Verkostung angelangt, dem Vinum – diesmal ist es kein Imperial Stout, sondern ein Barley Wine, der im Roggenwhiskeyfass ausgebaut worden ist. 13,5% Alkohol bringt er ins Spiel und fasziniert mit seinen weinig-runden Aromen – obwohl der „Wine“ ja nur im Namen vorkommt. Aber die fruchtigen Ester der Hefe, das holzige Fundament, die weiche Vanille, die Whiskey-Aromen – alles zusammen erzeugt einen unendlich runden und weichen, in der Tat  weinigen Eindruck. Für mich persönlich das beste Bier der heutigen Verkostung. Mit Abstand!

„So, das war es für heute“, läutet Basti das Ende der Veranstaltung ein. „Ihr habt nur sehr zurückhaltend getrunken, und so sind noch einige ungeöffnete Flaschen übrig geblieben. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch noch vor der Tür in den Biergarten setzen und die Flaschen in Ruhe austrinken. Wäre ja schade drum, und bezahlt habt Ihr sie ja auch!“

Verkostungsabschluss draußen in der Sonne

Das lassen wir uns natürlich nicht zwei Mal sagen und lassen die Verkostung draußen in der Sonne sachte ausklingen. Der eine oder andere vorüberflanierende Passant schaut neidisch, während wir die restlichen wunderbaren Tröpfchen genießen.

Nicht nur der Blick auf die Uhr, sondern auch das Knurren unserer Mägen macht uns darauf aufmerksam, dass es Zeit wäre, die Location zu wechseln und irgendwo etwas zu essen.

„Rein zufällig habe ich etwas für uns reserviert“, heißt es mit breitem Grinsen, und brav dackeln wir los zur BrewDog Bar Berlin Mitte, wo Bier und Pizza auf uns warten.

Der Hype um BrewDog hat in den vergangenen Monaten nachgelassen; das Bild Risse bekommen. Es gab Vorwürfe von sexuellem und Macht-Missbrauch, einige Bars haben geschlossen, aber hier in Berlin läuft das Konzept unverändert recht gut – insbesondere der DogTap im Süden der Stadt, dort, wo Greg Koch mit seiner Biererlebniswelt Stone Brewing World Bistro & Gardens krachend gescheitert ist, läuft und flutet Deutschlands Biermarkt mit immer wieder neuen, kreativen Bieren und innovativen Marktetingkonzepten.

Große Bierauswahl? Ja, viel mehr aber auch nicht.

Die BrewDog Bar Berlin Mitte überzeugt uns heute aber nicht wirklich. Es ist nicht allzu viel los, was aber das Personal nicht davon abhält, trotzdem lustlos und nur auf nachdrückliches Winken hin die Bestellungen aufzunehmen oder sich anderweitig um uns zu kümmern. Die Biere werden achtlos auf den Tisch gestellt, die Pizzen sind, um es mal vorsichtig auszudrücken, verbesserungsfähig, und insgesamt vermittelt man uns nachhaltig das Gefühl, als Gäste die Ruhe des Personals unwillkommen zu stören.

Den einzigen Lichtblick finde ich auf meinem Teller: Statt Pizza habe ich mir Cajun Chicken bestellt, und damit bin ich außerordentlich zufrieden. Die anderen der Gruppe schauen neidisch …

Ach ja, und dann gab es ja auch noch Bier: Auch da habe ich mit meinem Flanders Phantom, einem 4,4%igen Belgian Ale, durchaus Glück. Ein frisches, hopfiges Bier mit feinen Malznoten, dass durch eine typische belgische Hefe einen feinen Twist bekommt. Abgesehen davon, dass es mit schon zusammengefallenem Schaum serviert wird, passt eigentlich alles. Ein Glücksgriff.

Und auch das Punk AF, das sich meine holde Ehefrau bestellt hat (wobei AF in diesem Falle nicht für „as fuck“, sondern für „alkoholfrei“ steht), erweist sich als gute Wahl.

ich hatte Glück im Unglück

Glück im Unglück, können wir da nur sagen, denn alle anderen aus unserer Gruppe haben viel auszusetzen.

Und womit?

Mit Recht!

Nee, das war heute nix, und da sich die Erlebnisse mit schlechtem Service bei BrewDog häufen, verfestigt sich der Eindruck heute bei dem einen oder der anderen zu einer klaren Aussage: „Nie wieder BrewDog!“

Ein bisschen missmutig dackeln wir zur S-Bahn und fahren ein ganzes Weilchen bis hinaus nach Neukölln, wo die noch ganz junge Berliner Berg Brauerei auf uns wartet.

„Na, dann mal herzlich Willkommen, Ihr Schweizer!“ Torsten Vullriede strahlt uns an und weist uns in Richtung Biergarten.

Der Braumeister der Berliner Berg Brauerei hat in der Schweiz bei der LägereBräu in der Nähe von Zürich gearbeitet, bevor er 2017 bei der Berliner Berg Brauerei eingestiegen ist. Aus der damaligen Zeit kennt er auch das eine oder andere Gesicht aus unserer Gruppe, und lädt uns erstmal auf ein frisches Pils ein.

„Setzt Euch da oben hin, wo die Tische für Euch reserviert sind, und ich bringe Euch erstmal was zum Trinken!“

„Reserviert. Schweiz.“

„Reserviert. Schweiz.“, steht lakonisch auf den kleinen Kreidetäfelchen. Die Sonne scheint, und direkt hinter uns rumpelt die Berliner S-Bahn vorbei. „Wir wollten unsere Brauerei innerhalb des S-Bahn-Rings bauen, also gewissermaßen in der Innenstadt. Und wie Ihr seht, ist es uns gelungen. Ganz knapp“, erzählt Torsten, während er uns die Gläser vor die Nase stellt.

Ohne lange zu fackeln oder sensorische Erläuterungen abzuwarten, zischen wir das 4,9%ige simple, aber hervorragende Pils blitzschnell weg. Die S-Bahn-Fahrt und danach noch eine Viertelstunde Fußweg durch die warme Sonne haben uns durstig gemacht.

„Seit 2015 gibt es uns als Berliner Berg Brauerei. Zunächst nur als Wanderbrauer – wir haben unsere Biere nach unseren eigenen Rezepten bei der Schlossbrauerei Hohenthann gebraut und unter unserer eigenen Marke in Berlin auf den Markt gebracht“, erzählt Torsten. „2017 kam dann unser erstes eigenes Sudwerk dazu – in einem Hinterhof haben wir begonnen, eine Berliner Weisse zu brauen. Unser erstes Sauerbier. Das konnten und wollten wir nicht in Hohenthann machen, und so war das der erste Schritt zu einer eigenen, ‚echten‘ Brauerei.“

Torsten nimmt einen großen Schluck.

Zwei Jahre später hätten die Firmengründer dann ein Grundstück in Neukölln am S-Bahn-Ring gefunden und die Brauerei im Mai 2021 in Betrieb genommen, hören wir weiter. „Es ist alles also noch niegelnagelneu, und das Schöne ist: Die Halle wurde exakt nach unseren Vorgaben gebaut, ebenso das Sudwerk – alles ist genau so, wie wir uns das aus Brauersicht vorstellen. Der perfekte Arbeitsplatz. Und den zeige ich Euch jetzt, aber holt Euch vorher noch mal was zu trinken.“

Das lassen wir uns nicht zwei Mal sagen, und mit einem fünfprozentigen Witbier, dem Vinni Vit, und einem 5,5%igen Pale Ale in der Hand folgen wir Torsten in die große grüne Halle. Riesige Panoramafenster machen den Raum schön hell, und vor allem geben sie den Blick von der S-Bahn direkt auf das Sudwerk frei. „Wenn man da oben mit dem Zug vorbeizockelt, hat man den direkten Blick in die Brauerei“, schwärmt Torsten. „Das ist die beste Werbung!“

im Sudhaus

Er führt uns zwischen den Geräten und Tanks entlang, zeigt uns jeden Winkel und lässt uns jede Ecke erkunden. „Alles genau nach unseren Wünschen aufgebaut und so verrohrt, dass ich als Brauer völlige Freiheit habe, die Tanks und Behälter zu verschalten. Das macht die Arbeit beim Umdrücken und beim Füllen einfacher und sauberer.“

Die Brauerei legt ihren Schwerpunkt auf klassische und vor allem auch durchtrinkbare Biere. Nach einer Phase mit ein paar eher experimentellen Nischenbieren fokussiert man sich jetzt auf Biere, von denen man mehr als nur ein Glas trinken kann und die den Kreativbier-Novizen nicht von Anfang an abschrecken. Und: Aus Nachhaltigkeitsgründen soll es das Bier nur im etwa 50-Kilometer-Umkreis geben. Keine langen Transporte quer durch Deutschland, sondern Bier für die Region.

„Jetzt kommt der wichtigste Punkt jeder Brauereibesichtigung“, schmunzelt Torsten und geht mit uns an einen der großen Gär- und Lagertanks. „Die Zwickelprobe!“

das Schönste ist ja doch immer die Zwickelprobe

Wir dürfen selber zwickeln und füllen uns die Gläser mit einem noch etwas schwefelnden American Lager. „Auf fünf Prozent Alkohol ist das ausgelegt, und das leicht Schweflige, das Ihr jetzt noch riecht, wird in den nächsten Tagen bei der Lagerung noch verschwinden.“

Noch ein kurzer Blick auf die Filterinstallationen, und dann führt Torsten uns zurück in den Biergarten. Die Kinder toben auf dem kleinen Spielplatz herum, die Erwachsenen genießen das Bier und die Frühlingssonne. Ein kleines Idyll haben die Macher der Berliner Berg Brauerei hier geschaffen – und das in einem Eckchen, wo sonst eigentlich nur Gewerbebetriebe zu finden sind. Wie schön!

Torsten setzt sich noch eine Weile zu uns, und gemeinsam verkosten wir die dreiprozentige Berliner Weisse sowie als Besonderheit eine viereinhalbprozentige Berliner Weisse mit Aronia und Tannennadeln, die als einmaliger Auftragssud für einen Kunden entstanden ist, und von der noch ein Fässchen am Hahn hängt.

Den Abschluss, und dann haben wir wirklich alle Fassbiere durch, die am Hahn sind, bildet das 5,9%ige India Pale Ale. Wie alle Biere vorher auch: Blitzsauber, stilgerecht und durchtrinkbar.

jetzt haben wir wirklich alle Fassbiere durch

„Wir wollen Dir Danke sagen“, meldet sich jetzt Martina, unsere „Reiseleiterin“ zu Wort. „Danke, dass Du uns alles so toll erklärt hast, und danke, dass Du Dir so viel Zeit für uns genommen hast. Es war so schön, Dich wiederzusehen – die Zeit bei der LägereBräu ist lange her!“

Spricht’s und zaubert aus der Tasche eine ein paar Jahre alte Flasche eines 8,3%igen Barrel Aged West-Flemish Sour Brown Ale hervor, eine Flasche, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat. „Als kleine Belohnung für Dich!“

Bei genauem Blick auf das Etikett gehen Torsten die Augen über: Es ist ein Bier, das vor vielen Jahren hier in der Berliner Berg Brauerei entstanden ist – als man noch mit spannenden Ideen kreativ gebraut hat. Burgundy of Berlin heißt das Bier, und es hat jetzt eine Reise von Berlin in die Schweiz und wieder zurück hinter sich. Ob das dem Bier ebenso gut tut, wie dem Linie-Aquavit die Reise über den Äquator?

der krönende Abschluss unseres Brauereibesuchs

Die Antwort bekommen wir unverzüglich, denn Torsten möchte die Flasche partout mit uns allen teilen. Ein vorzüglich gereiftes, saures Bier bekommen wir, das seine Säure genauso kremig präsentiert wie ein guter Balsamico-Essig. Wunderbar! Auch wenn jeder nur einen winzigen Schluck bekommt – es ist ein tolles Erlebnis!

Was für ein schöner Abschluss einer ausführlichen Brauereibesichtigung. Wirklich beeindruckend.

Während es unsere kleine Reisegruppe weiterzieht, wendet sich Torsten wieder seiner Arbeit zu – in einer Brauerei gibt es immer was zu tun. Auch am frühen Freitagabend.

Die S-Bahn bringt uns zurück ins Zentrum, und wir gehen am Alexanderplatz in die BraufactuM Bar, in der ein großer Tisch für uns reserviert ist.

Ich überlege kurz: Fast auf den Tag genau fünf Jahre liegt mein letzter Besuch her zurück. Ob sich viel geändert hat?

die quietschbunte Grafik an der Wand scheint unverändert

Die Inneneinrichtung ist auf den ersten Blick unverändert. Aber: Man hat einen ganz eigenen Weg gefunden, mit der Personalknappheit in der Gastronomie umzugehen. Es gibt nämlich keinen Bestellservice an den Tischen mehr. Stattdessen befinden sich auf allen Tischen und Werbeständern QR-Codes, mit denen man auf die Bestellseite von BraufactuM kommt.

Nachdem wir Platz genommen haben, beginnt also ein emsiges Scannen, Herumwischen und -drücken, und – begleitet von leisem Gemurmel – werden Kreditkarten hervorgekramt und Geheimnummern eingetippt.

Es kommt, wie es kommen muss: Die Digitalaffinen in unserer Gruppe haben nach wenigen Sekunden schon ihr Bier vor der Nase stehen, während die etwas Unbeholfeneren noch nicht einmal die erste Seite des Menüs hinter sich haben.

Vom Prinzip her ist es eine effiziente Sache: Ein paar Klicks nur, und nachdem die Bestellung platziert und bezahlt ist (auch Trinkgeld kann man hier geben, weiß zu dem Zeitpunkt aber leider noch gar nicht, wie der Service werden wird …), dauert es bei den Getränken wirklich nur wenige Sekunden, bis sie serviert werden.

Aber: Der Teufel liegt, wie so oft, im Detail. Das System lehnt eine der Schweizer Kreditkarten ab. Bei einer anderen Bestellung wird das Bier zwar in Sekundenschnelle gezapft, dann aber vom Personal auf dem Zapftresen vergessen. Die Küche ist mit der Anzahl der Bestellungen überfordert, und die Gerichte kommen teilweise bis zu einer halben Stunde versetzt an unserem Tisch an. Die ersten haben fertiggegessen, als die letzten ihr Essen gerade erst bekommen.

Die eine junge Dame im Service ist sehr freundlich, der andere junge Mann eher kurz angebunden und von den Gästen genervt. Wem von den beiden fließt eigentlich das eingebuchte Trinkgeld zu? Blöd!

Nee, das sind (noch) zu viele Nachteile, als dass ich diesen Weg gutheißen kann. Obwohl ich mich zu den Digitalaffinen zähle …

Yakeros West Coast IPA

Immerhin war mein Bier in Ordnung. Das Yakeros, ein West Coast IPA, schmeckt angenehm fruchtig und harzig, hat einen voluminösen Malzkörper, den ich so bei „nur“ 6,5% Alkohol nicht erwartet hätte, und gefällt mit seiner Balance durchaus. Auch der Burger, den ich mir bestelle, schmeckt gut. Ich bin zufrieden.

Meine Nachbarn am Tisch allerdings nicht: Bei einigen ist der Burger in ein kaltes, nicht aufgebackenes Brötchen gepackt worden und schmeckt dementsprechend lappig. Die Reklamation wird zwar anstandslos aufgenommen und der Burger noch einmal zerlegt, das Brötchen aufgebacken, und dann alles wieder zusammengesetzt, aber so etwas sollte eigentlich nicht passieren.

Mit sehr gemischten Gefühlen brechen wir wieder auf. Eigentlich eine nette Bar, aber die vielen kleinen Unzulänglichkeiten müssen angesichts des recht hohen Preisniveaus nun wirklich nicht sein.

Ach, ein andermal gehen wir dann lieber woanders hin.

Für heute lassen wir es nun gut sein. Der Tag war abwechslungsreich, bierig und spannend, und wer jetzt wirklich noch Bierdurst haben sollte, dem ist nicht zu helfen …

20. Mai 2023

Bildergalerie: Der dritte Tag

Heute geht es ein wenig früher los – eine längere S-Bahn-Fahrt in Richtung Westen liegt vor uns. Wir besuchen den Teufelsberg, eine riesige Abraumhalde, aufgeschüttet aus den Trümmern des zerstörten Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Anschließend als hochgeheime Abhörstation der West-Alliierten genutzt. Nach der Wende teilweise verfallen und jetzt, als geschichtsträchtiges Denkmal einerseits irgendwie erhalten, andererseits als Street-Art-Gallery genutzt.

Nach rund einer halben Stunde Fußweg bekommen wir hier oben eine über anderthalbstündige Führung durch die Anlage. Und zwar ganz anders als gedacht.

Erwartet haben wir: Irgendwelche alten Bunker mit Wählscheibentelefonen, Schreibmaschinen und abhörsicheren Wechselsprechanlagen. Die mag es hier bestimmt auch bis zur Wende gegeben haben, aber davon sind nur Reste erhalten. Stattdessen bekommen wir: Eine Führung durch Bunker und Kellerräume auf vielen Ebenen mit unendlich viel knallbunter, provozierender, nachdenklich machender und beeindruckender Street Art.

Streetart

Großflächige und unmittelbar die Gefühlsebene ansprechende Graffiti und fotorealistische Bilder wechseln sich ab mit kleinteiligen Parolen, aggressiver Comicsprache, Fabelwesen, surrealen und impressionistischen Darstellungen und sonstigen Kunstformen, die wir auch nicht immer einordnen können.

Hut ab vor dem Einfallsreichtum und dem Aufwand, den die Künstler hier betrieben haben und noch betreiben. Spannende Impressionen, und die Anzahl der hier gemachten Bilder übersteigt die übliche Fotodokumentation der Brauereirundgänge um eine Größenordnung.

Wahnsinn!

wir

Für den Rückweg zurück zur S-Bahn besorgen wir uns am Kiosk ein Wegbier – schließlich müssen wir uns an die Gepflogenheiten der Stadt anpassen. Auch wenn es nur ein Berliner Kindl Jubiläums-Pils ist. Aber so ist zumindest der Bogen zu unserem eigentlichen Reisethema geschlagen …

Wegbier a.k.a. Fußpils

Die S-Bahn-Fahrt quer durch die Stadt zeigt uns einmal mehr, wie groß Berlin tatsächlich ist. Eine ganze Weile sind wir unterwegs, gehen dann noch ein paar Meter zu Fuß, und schließlich stehen wir vor dem Dolden Mädel Braugasthaus.

In Hamburg hat die Ratsherrn-Brauerei mit dem direkt danebengelegenen Braugasthaus Altes Mädchen einen gewaltigen Erfolg. Neben zahlreichen Bieren der Ratsherrn-Brauerei gibt es jede Menge Gastbiere vom Hahn und aus der Flasche, und dazu wird viel Wert auf interessante, nachhaltige und handwerkliche Küche gelegt. Was lag also näher, als dieses Konzept auch auf die Hauptstadt zu übertragen?

Und so entstand 2015 das Dolden Mädel in Berlin.

Für eine Moment stehen wir unentschlossen im Biergarten. Die Sonne scheint zwar, es ist aber auch noch ein bisschen kühl. Drinnen oder draußen? Die Fröös-Ärsche unter uns setzen sich durch: Drinnen! Da sind wir zwar dann die einzigen Gäste, andererseits haben wir es dort dann aber auch gemütlich und warm.

eine schöne Auswahl

Die Einrichtung ist rustikal-ansprechend und von vorne bis hinten auf das Zelebrieren von gutem Bier getrimmt. Der Blick auf die Tafel mit den Fassbieren lässt das Wasser im Mund zusammenlaufen, und der einzige auf Anhieb erkennbare Nachteil ist: Das angebotenen Probierbrettchen „Volles Brett“ beinhaltet nur die Standard-Biere der Ratsherrn-Brauerei, also die, die man ohnehin schon kennt. Die weniger bekannten Biere gibt es dann halt nur in 300-ml-Portionen aufwärts.

Unsere Schweizer sind mit den Ratsherrn-Bieren noch nicht so vertraut, insofern findet das Volle Brett durchaus Absatz, während ich mich zunächst dem 5,4%igen Pale Ale namens Crab #1 des Braunschweiger Labels Crabbs (Vorläufer-Marke der National Jürgens Brauerei) zuwende. Schön fruchtig und herb ist es, ein sehr angenehmer Vertreter seines Bierstils. Ein gelungener Auftakt.

Auch der Veggie-Burger, den ich mir aus Neugier bestellt habe, sagt mir zu. Gut!

Die anderen arbeiten sich systematisch durch ihre Vollen Bretter, und ich lange nach dem 6,4%igen Frostzilla, einem Cold IPA von Bräugier. Schmeckt fein, gefällt gut, aber löst natürlich eine Reihe von Diskussionen aus: Was ist denn überhaupt ein Cold IPA? Ein kalt vergorenes India Pale Ale? Mit einer Hefe, die in der Lage ist, auch bei kalten Temperaturen ihren Stoffwechsel aufrechtzuerhalten? Ist das dann nicht eine untergärige Hefe? Und müsste dann das Bier nicht ein Lager und kein Ale sein? Also eher ein Warm IPL anstelle eines Cold IPA? Oder, konsequenterweise, nicht gleich gar ein hopfengestopftes Pilsner?

Wir lästern so vor uns hin, aber sind uns immerhin einig: Geschmacklich ist das Bier okay! Das ist schließlich das Wichtigste.

Frostzilla & Crab #1

Gut gesättigt, um einige neue Biererfahrungen reicher und – vor allem im Vergleich mit BrewDog Berlin Mitte und BraufactuM gestern – mit dem Service und den Speisen sehr zufrieden, machen wir uns wieder auf den Weg – erneut liegen einige Stationen mit den Öffis vor uns.

Sie, die Öffis, bringen uns hinüber zum Gleisdreieck, zu den achtunddreißig Seecontainern der BRŁO-Brauerei. Bei ihrer Gründung vor einigen Jahren ging man noch davon aus, das Grundstück am Gleisdreieck vielleicht bald wieder räumen zu müssen und konstruierte die Brauerei und den Schankraum daher aus Seecontainern, die rasch wieder hätten zerlegt und andernorts wieder aufgebaut werden können.

Mittlerweile ist aber rund um die Containerburg ein schönes Freizeitzentrum gewachsen, mit Biergarten, Spielplatz, Außenausschank … Man kann (und mag) sich gar nicht vorstellen, das alles hier wieder aufgeben zu müssen.

im Innenraum der der BRŁO-Brauerei

Neugierig betreten wir den Innenraum, und da wartet auch schon der Biersommelier Nils auf uns, der uns in der kommenden Stunde in die Welt des Beer&Food-Pairing einführen möchte.

Wir sammeln uns zwischen den Lagertanks im Sudhaus – wohl wissend, das hier nur noch einzelne Bierspezialitäten gebraut werden und die Masse der erfolgreichen Biere aus dem Grundsortiment von BRŁO etwas außerhalb in einer viel größeren Anlage entsteht.

Mit viel Ehrgeiz, aber leider auch ein bisschen hölzern bleibend, so dass der Funke nicht so wirklich überspringt, bringt uns Nils nun fünf Biere in Kombination mit fünf kleinen Leckerbissen nahe. Den Auftakt macht – Überraschung! – ein alkoholfreies Bier, das Naked, kombiniert mit frittiertem Croissantteig. Zum einen schmeckt uns das Bier hervorragend, man merkt nur an einer feinen Restsüße, dass es ein Alkoholfreies ist, zum anderen passt das Teigstückchen sehr gut dazu. Ein gelungener Auftakt!

Weiter geht’s mit dem 5,0%igen Happy Pils, das mit Shiitake-Pilzen kombiniert wird. Das Pils allein schmeckt hervorragend, die Shiitake-Pilze ebenfalls. Aber die Kombination überrascht: Aroma und Würze der Shiitake-Pilze verschwinden, stattdessen wird die Bittere des Pils sehr breit und regelrecht schroff. Was für ein unerwarteter Effekt!

Das dritte Bier ist die Berliner Erdbeerweisse mit dem Namen Berlin Jam. 4,0% Alkohol, und gebraut mit frischen Erdbeeren von Karls Erdbeerhof, wie Nils stolz erklärt. Kombiniert wird dieses Bier mit einem kleinen Klecks rotbrauner Paste, die sich als Himbeer-Miso entpuppt. Hm, das ist fein. Ich bin hoch zufrieden – eine ganz wunderbare Kombination. Mit meinem Lob ernte ich Zustimmung, aber nicht von allen – die Kombination spaltet unsere Gruppe. Gut die Hälfte ist begeistert, die anderen, etwas weniger als die Hälfte, machen lange Gesichter.

Es geht Schlag auf Schlag weiter – als viertes Bier bekommen wir das Blurry Vision, ein Hazy IPA mit 6,5% Alkohol. Es ist gar nicht so extrem hazy und milchig, wie manche anderen Vertreter dieses Bierstils, und auch seine aromatische und fruchtige Bittere ist aus meiner ganz persönlichen Sicht sehr angenehm und ausgewogen. Ein gutes Bier. Die dazu servierten Schoko-Popcorns schmecken zwar, bleiben aber eher zusammenhanglos neben dem Bier stehen. Weder entsteht etwas Neues aus der Kombination, noch ergeben sich spannende Kontraste. Es ist einfach nur ein Snack zum Bier.

fünf verschiedene Beer&Food-Kombinationen

Die Kombination Nummer 5 wird dafür jetzt aber ganz besonders interessant. Im Glas befindet sich ein Collab von BRŁO mit der norwegischen Brauerei Lervig namens Rosinenbomber. Es ist ein zwölfprozentiges Rum Rosinen Imperial Stout, und es begeistert beim ersten Schnuppern schon genau mit den namensgebenden Aromen – Rum und Rosinen. Aber nicht nur süßlich-fruchtig, wie in der berüchtigten Ostfriesischen Bohnensuppe, sondern in Kombination mit malzigen Röst- und Mokka-Aromen, wie es sich für ein Imperial Stout gehört.

Der Snack dazu: Ein Stückchen geräucherte Sellerie in zerlassener Butter. Sehr aromaintensiv und auch deutlich am anderen Ende des sensorischen Spektrums angesiedelt, aber gerade darum spannend. Der Kontrast zwischen Bier und Snack gefällt mir außerordentlich gut. Ein aus meiner Sicht sehr schöner Abschluss unserer Beer&Food-Pairing-Verkostung, auch wenn diese Kombination erneut polarisiert hat.

im Sudhaus

Wir dürfen uns das Sudhaus noch in allen Details ansehen, und dann entlässt uns Nils in den Biergarten, wo wir nun den Spätnachmittag und Abend ausklingen lassen wollen.

Mit viel Glück und Überredungskunst gelingt es uns, einen großen Tisch für uns zu finden, und in der warmen Sonne machen wir es uns gemütlich. Der Biergarten ist rappelvoll, und die Schlangen am Außenausschank sind ewig lang. Aber nachdem wir entdeckt haben, wie die Online-Bestellung funktioniert, sieht alles schon viel besser aus: Ein paar Klicks auf dem schlauen Taschentelefon, und bis wir dann an den Ausschank vorgelaufen sind, ist das Bier gezapft und wartet an einem separaten Schalter bereits auf uns. So geht das gut!

Nach der vielen Verkosterei tut nun ein großes, simples Pale Ale gut. Ein Bier zum Zischen, aber trotzdem mit Geschmack. 5,0% Alkohol sind nicht zu viel in der Sonne – das passt jetzt mal hervorragend.

Und weil der Durst immer noch groß ist und es gerade so schön passt, trinke ich doch glatt noch ein Berlin Jam – diesmal praktischerweise aus der Dose, das geht noch schneller als mit dem Zapfen.

Biergartenbiere

Nach und nach holt sich auch jeder aus unserer Gruppe etwas zum Essen dazu – quasi jetzt unser ganz persönliches Beer&Food-Pairing. Und dabei bleiben wir ganz klassisch: Zum Zischbier passen am besten die Spareribs. Deftig und fettig, auf dass der Durst nicht nachlasse.

Ach, und da um die Ecke steht ja auch ein Eisbüdchen – wie schön! Schnell noch ein paar Kugeln feines Eis, und die Biergartenidylle ist nahezu perfekt.

Wir genießen die angenehme Atmosphäre und merken gar nicht, wie die Zeit verfliegt. Irgendwann kommt aber doch der Blick auf die Uhr, und die Stimme der Vernunft mahnt: „Ein Bier noch, und dann lass uns aufbrechen. Es waren drei harte Tage!“

So schwer es mir auch fällt, aber ich muss meiner holden Ehefrau Recht geben. Also: Ein letztes Bier, und Berlin wäre nicht Berlin, wenn es nicht wenigstens an einer einzigen Station unserer Bierreise ein queeres Bier gäbe. Also: Pride – das Queer Beer. Gerne auch als Statement.

Es ist zwar mit seiner Botschaft ein besonderes Bier, als Stil (Helles), mit seinem Alkoholgehalt (5,0%) und mit seinem Geschmack (solider Durchschnitt) aber leider nur ein Allerweltsbier. Grelles Etikett, bunter, lebensfroher Claim und Alltagsgeschmack.

Abenddämmerung und Ende einer wunderbaren Bierreise

So, das war’s aber dann für heute, und das war es dann auch für die diesjährige Biertour mit den Schweizer Biersommeliers. Drei tolle und abwechslungsreiche Tage, vierundvierzig verschiedene Biere, spannende Eindrücke von der Berliner Bierszene und viele, viele interessante Gespräche und neue Kontakte.

Schön war’s!


Und hier nochmal die Quick-Links zu allen Bildern:

Bildergalerie: Der erste Tag
Bildergalerie: Der zweite Tag
Bildergalerie: Der dritte Tag

2 Kommentare

    • Hallo, Dieter,

      danke für Deine netten Worte.

      Nein, Arbeit ist das nicht. Das ist Hobby. Arbeit war es, die vielen Biere zu trinken … ;-)

      Mit bestem Gruß,

      VQ

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