Braukeller Erfurt
Erfurt
DEU

Wie schnell ein anfänglich ganz witziger und zwischendurch etwas skurril wirkender Besuch in einer kleinen Gasthausbrauerei doch umschlagen und einen widerlichen Nachgeschmack erzeugen kann …

Es ist der 30. November 2019, der Sonnabend vor dem 1. Advent. Am Nachmittag sind wir über den Weihnachtsmarkt gebummelt und haben das eine oder andere Glühbier verkostet, natürlich musste es auch eine echte Thüringer Rostbratwurst dazu sein, aber mittlerweile sind wir gut durchgefroren und sehnen uns nach einer warmen und gemütlichen Gaststube.

Braukeller Erfurt, so steht es auf dem kleinen Schild, das zu einer schmalen und steilen Treppe ins Untergeschoss eines Geschäftsgebäudes führt, und „Bier aus Kraft und Leidenschaft“ lesen wir auf einem Werbeaufsteller vor der Tür.

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Bier aus Kraft & Leidenschaft

Ja, na dann! Auf geht’s!

Unten angekommen führt eine Glastür mit der Aufschrift „Wir lieben Bier!“ in schmale Räume mit Natursteinwänden, die sehr einladend und gemütlich wirken. Überall ist es ziemlich voll oder zumindest reserviert, aber da wir keinen Hunger haben, sondern nur Lust, uns aufzuwärmen und ein Bier zu trinken, haben wir kein Problem damit, an der Theke Platz zu nehmen.

Kein schlechter Platz, denken wir, denn wir können sowohl dem Hausherrn und Brauer, Marc Bagert, beim Zapfen zusehen als auch Teile der Brauerei rechts von uns herumstehen sehen. Der Braukeller Erfurt setzt komplett auf Technik von Speidel, und während die große Anlage nicht einzusehen ist, steht aber auf einer Art Theke eine kleine Versuchsanlage herum, auf der Probesude entstehen und Brauseminare veranstaltet werden können, und rundherum finden sich die Gär- und Lagerbehälter in feinstem Edelstahl. Schön!

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eine komplette Ausstattung von Speidel

Wir greifen zur Getränkekarte, die vor uns auf dem Tresen liegt. Zwei Biere werden auf dem auf alt getrimmten Papier angeboten: Ein Kellerbier namens Domspuk und ein Schwarzbier namens Nachtwächter. Dazu noch variabel unter der Bezeichnung Jedermann wechselnde Biere, sogenannte Sonderbrauungen. Zwar verständlich ausgedrückt, aber im Duden findet sich dieses Wort bestimmt nicht … „Fragen Sie den Brauer oder den Herrn Ober“, heißt es ermunternd, lässt uns aber insofern ratlos zurück, als wir gerade von einer Dame gefragt werden, was wir denn trinken möchten. Ob sie uns wohl auch antworten dürfte? Oder dürfen wir wirklich nur männliches Personal fragen?

Während ich überlege, blättere ich noch einmal um und sehe ein weiteres Bier angepriesen, das Rot-Weiße Erfurter. Ein hopfenaromatisches Red Ale, heißt es, und benannt ist es nach dem örtlichen Fußballverein. Das erweckt natürlich meine Neugier, und somit ist meine Bestellung klar.

Augenblicke später steht die Flasche vor mir. 4,8% Alkohol, verrät das Etikett. Eine kräftige, herbe Hopfennote ist schon in der Nase spürbar, leichte Malzaromen, die etwas an Biskuit erinnern, bleiben dezent im Hintergrund. Im Mund ist das Bier schön ausgewogen und sauber balanciert zwischen einem runden und vollen Malzkörper und einer kernigen Bittere. Ein sehr schönes Bier.

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Rot-Weißes Erfurter Red Ale

Während ich vor mich hin genieße, ergötze ich mich an dem Schauspiel hinter der Theke. Der Hausherr, Brauer und heute auch Barmann wirkt etwas gestresst und konfus. Zu viele Bestellungen laufen gleichzeitig, und zusätzlich scheint heute wohl eine Bedienung ausgefallen zu sein. Also versucht er, als Chef alles selbst zu machen: Zapfen, Bongen, Organisieren, Kassieren. Leider ohne große Übersicht, und so vergrößert er das Durcheinander nur.

Einer der Kellner hat einen guten Einfall und bittet eine ältere Verwandte, doch spontan vorbeizukommen und zu helfen, und wenige Minuten später ist die nette Dame auch schon da. Sie möchte mit anpacken, aber niemand mag sich die Zeit nehmen, ihr zu sagen, was sie am besten wegarbeiten könnte. So macht sie sich halt ans Gläser spülen, was durchaus sinnvoll wäre, kämen nicht andere auch auf die gleiche Idee. So viel Spülarbeit fällt dann doch nicht an …

Kein Problem. Der Chef entscheidet nun auf Zuruf. Mach mal dieses, mach mal jenes. Auch das könnte funktionieren, würde die gute Dame im Durcheinander nur nicht immer wieder für Sachen eingeteilt, die man dann doch schnell selbst macht, weil man wieder vergessen hat, dass man gerade delegiert hatte.

Ein skurriles Schauspiel, aber für uns als Außenstehende sehr unterhaltsam, wenn wir auch ein bisschen Mitleid mit der Dame haben.

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die Einrichtung ist nicht ungemütlich

Aber wir wollen nicht zu sehr lästern. Immerhin sind wir noch auf die guten Dienste der Damen und Herren hinter dem Tresen angewiesen. Das Rot-Weiße Erfurter ist nämlich mittlerweile alle, und wir würden nun gerne das Schwarzbier, den Nachtwächter probieren.

Serviert wird der Nachtwächter im Halbliter-Tonkrug, schön rustikal. Das Bier, das sich unter dem sahnigen Schaum verbirgt, ist sehr schlank, fast schon ein bisschen wässrig, und zeigt nicht die Spur von Röstaroma. Insofern durchaus stilecht. Zwar hat uns das Red Ale besser geschmeckt, aber zu meckern gibt es am Schwarzbier nichts.

Inzwischen haben wir uns gut wieder aufgewärmt und sind in der richtigen Stimmung, Erfurt weiter zu erkunden. Nicht unzufrieden und immer noch ein bisschen ob der skurrilen Organisation hinter der Theke amüsiert, gehen wir langsam die Treppe hoch in Richtung Ausgang. Neugierig schaue ich mir noch den Internet-Auftritt des Braukellers Erfurt auf dem Bildschirm meines Telefons an …

… und schlagartig verschlechtert sich meine Laune. In drei Tagen findet hier nämlich der offene Bürgerstammtisch der AfD statt. Ausgerechnet … Gerade die Thüringer AfD gefällt sich im ekelerregenden Spiel mit Nazi-Diktion, politisiert mit dem Einsortieren von Menschen in Schubladen und ergötzt sich am Verächtlichmachen von politischen Gegnern und an unappetitlichen Machtspielchen. Immer ganz hart am Rande der Demokratie und der Legalität, gelegentlich drüber und dann wieder zurückrudernd. Eine verachtenswerte Art, Politik zu machen.

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Würg!

Hätten wir es vorher gewusst, wir hätten den Braukeller Erfurt nie betreten, und jeder einzelne Cent, den wir gerade dort unten ausgegeben haben, reut uns nun.

Was für ein widerlicher Nachgeschmack!

Und wer glaubt, dass diese Veranstaltung vom 3. Dezember 2019 nur ein einmaliger Ausrutscher des Wirts war, dem darf ich versichern: Nein! AfD-Veranstaltungen finden hier regelmäßig statt, und darüber hinaus auch, wie zuletzt am 10. März 2020 beim Bürgerstammtisch mit Werner Kirstein, Auftritte von hartnäckigen Leugnern des Klimawandels. Es ist zum Kotzen.

Der Braukeller Erfurt ist donnerstags bis sonnabends ab 17:00 Uhr geöffnet; zu erreichen ist er, wenn dort wirklich noch jemand hingehen möchte, von der Straßenbahnhaltestelle Fischmarkt / Rathaus (Linien 1, 2, 3, 4 und 6) in nur wenigen Schritten.

Bilder

Braukeller Erfurt
Fischmarkt 5
99 084 Erfurt
Thüringen
Deutschland

3 Kommentare

  1. Das Toleranz-Paradoxon wird wirksam, wenn eine tolerante Macht aufgrund ihrer Toleranz intoleranten Kräften erlaubt oder ermöglicht, die eigene Toleranz einzuschränken oder abzuschaffen. Als intolerant definiert der Philosoph Karl Raimund Popper einen Menschen oder Gruppe nach folgenden Eigenschaften: Verweigerung eines rationalen Diskurses sowie Aufruf und Anwendung von Gewalt gegen Andersdenkende und Anhänger anderer Ideologien

  2. Schade, dass Sie hier Menschen diskriminieren, die sich nirgends treffen dürfen. Schade. Ich bin selbst Jüdin und bin froh in einer Demokratie zu leben und nicht in der Türkei, Saudi-Arabien, Ägypten oder wo auch immer Antisemitismus an der Tagesordnung ist. In der AfD kann ich keinen Antisemitismus erkennen. Wirklich nicht. In der SPD bei Maas, Steinmeier und Co. bei den Linken, den Grünen und in der CDU gibt es diesen jedoch immer wieder ausgeprägt.

  3. Saubere Analyse, gut geschriebener Bericht und leider ziemlich sinnfreie Kommentare. Man kann leckeres Bier zum Glück auch in nicht ganz so brauner Umgebung trinken.

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