Lustlos schlappen wir durch die eigentlich ja recht hübsche Altstadt Wangens. Typisches Allgäuer Frühlingswetter durchnässt unsere Jacke, rinnt den Nacken hinab und lässt die Laune langsam aber stetig sinken. Nicht einmal der Schweinehirte mit seinen Sauen und Ferkeln, der als Bronzeskulptur in der Fußgängerzone steht, vermag uns jetzt aufzuheitern. Missmut!
Aber, eigentlich ja auch wieder nicht. Denn wir haben ja ein Ziel. Im Gegensatz zu den anderen Touristen, die sich unter die Vordächer der Häuser drängen, lange Gesichter machen und hoffen, dass es irgendwann einmal wieder aufhört zu regnen. Eine trügerische Hoffnung, denn wer das Allgäu kennt, weiß, dass es durchaus auch eine Woche dauern kann, bis der Regen nachlässt – es wird aber schon spätestens nach zwei bis drei Stunden unter der Markise des geschlossenen Drogeriemarkts langweilig…
Wir laufen also vorbei an den Triefgesichtern, und schon nach wenigen Minuten stehen wir tropfnass vor einer unscheinbaren, grauen Tür mit gelbem Schild: The Craft Beer Bar Allgäu. Im alten Mohrkeller, einem rund 500 Jahre alten Keller mit wunderschönen Ziegelgewölben, der unter anderem eine Weinstube und ein Steakrestaurant beherbergte, befindet sich seit dem 1. Oktober 2015 der Ausschank des Eisenharzer Brauhauses nur wenige Kilometer weiter. Brauereieigner Anton Rieg hat sich entschlossen, hier im historischen Ambiente der Altstadt an insgesamt acht Zapfhähnen seine Bierspezialitäten anzubieten und diese mit zahlreichen anderen ausgezeichneten Kreativbieren zu ergänzen.
Nur für einen kurzen Moment bleiben wir vor dem Schild stehen und schauen uns an. Minimaldesign, das weckt eine bestimmte Erwartungshaltung. Junge Menschen, Hipstertypen, und wenn wir da gleich reingehen in die Bar, dann kucken wieder alle, dann steigt das Durchschnittsalter wieder um fünf Jahre. Rasch gehen wir die steile Treppe in den Keller hinunter, biegen um die Ecke, und sind überrascht: Das erste was wir sehen, ist ein langer Tisch mit rund einem Dutzend Rentnern. Damen und Herren im weißhaarigen Alter. Auf dem Tisch Flaschen und Gläser; die Stimmung ist hervorragend.
Erneut schauen meine holde Ehefrau und ich uns an. Wir werden doch wohl nicht die falsche Tür genommen haben? Nein, ganz gewiss nicht. Das auf den Tischen sind eindeutig Bierflaschen aus dem Eisenharzer Brauhaus und aus anderen Kreativbrauereien. Das sind Verkostungsgläser der feinsten Art, und die Menschen unterhalten sich über das Bier, beugen sich über die schlichte Getränkekarte, diskutieren, riechen, schmecken.
Wir fassen es nicht. Hier, ausgerechnet hier im tiefsten Allgäu, ist die Craft-Bier-Revolution in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Über uns selbst und unser Erstaunen lachend suchen wir uns einen Platz am Rand des Kellers, von dem aus wir alles sehen können. Wunderschöne alte Gewölbe, dazwischen Tische für vielleicht fünfzig Personen, die meisten besetzt. Ein Klavier am Rand, und an der Längsseite, zweieinhalb Ziegelbögen lang, die Theke. Ein Flachbildschirm informiert über die acht Biere am Zapfhahn – jedes einzelne kann im Verkostungsglas als 150-ml-Portion bestellt werden.
Eine kleine Hürde gilt es noch zu überwinden, bevor die Verkostung so richtig losgehen kann: „Habt Ihr auch interessante alkoholfreie Biere?“, frage ich den netten Barmann. „Sonst bekomme ich meine Frau nämlich nicht überredet, zu fahren. Sie hat heute auch mal Lust auf etwas Anderes!“ – „Klar!“, lautet die kurze, aber klare Antwort. „Schau hier!“ Und er stellt zwei Flaschen auf die Theke. Nanny State von BrewDog und Le Chauffeur FreIPA vom Brauhaus Nittenau, in Zusammenarbeit mit der Hamburger Kehrwieder Kreativbrauerei entstanden und von dieser unter dem Namen ü.NN IPA alkoholfrei vertrieben.
Na, das ist doch prima, der Abend ist gerettet. Und, um es vorwegzunehmen, beide Biere schmecken in der Tat hervorragend. Das Nanny State etwas frischer und fruchtiger im Geruch, dafür aber im Körper etwas wässrig, das FreIPA eher harzig in der Nase, dafür aber mit einem volleren, runderen Körper.
Während meine Frau sich ein Glas mit Salzstangen von der Theke stibitzt und die alkoholfreien Biere sichtlich genießt, mache ich mich über die Fassbiere her. Ich beginne mit dem normalen Weißbier und dem Hellen. Zwei grundsolide, jetzt nicht wirklich innovative Biere. Aber sehr ausgewogen und fehlerfrei. Schöne Alltagsbiere, gerne auch mal im großen Schluck, insbesondere, wenn im Allgäu doch einmal die Sonne herauskommen sollte. Heute also nicht.
Dann die Sommerweiße. Sehr schön gehopft, aromatisch und frisch. Ein Bier, mit dem man selbst mich, der ich Weißbier doch gar nicht so sehr mag, bekehren könnte.
Weiter geht’s mit dem Stout. Nur dezent röstig, ein Hauch einer metallischen Note, recht schwach gespundet. Eher ein Genussbier zu kräftigen Knabbereien. Das Glas mit den Salzstangen ist plötzlich leer…
Dann der Hopfenkuss, derzeit in der Version Mandarina, benannt nach dem Hopfen Mandarina Bavaria. Kräftige Hopfenbittere und ein intensives Aroma nach Mandarinenschalen. Sehr schön!
Aber ich bin ja noch lange nicht durch. Es folgt das Hoppy Dream Pale Ale, ebenfalls ein kräftig bitteres, kräftig hopfenaromatisches Bier, dezent noch im Körper und im Alkohol.
Das Hoppy Dream IPA hingegen, sein kräftigerer Bruder, enttäuscht ein wenig, hat eine ganz leicht brenzlige Gumminote. Im Gespräch bestätigt Anton Rieg mir diesen Eindruck. Ein schlechtes Bier sei es ja nicht, darin sind wir uns einig, aber er sagt auch, dass er mit diesem Sud nicht ganz so glücklich sei, wie mit den anderen.
Und zum Abschluss noch ein Hüll Melon IPA, kräftig mit eben diesem Hopfen, dem Hüll Melon, versetzt. Komplexe Hopfenaromen, die mich an alles Mögliche erinnern, definitiv aber nicht an das, was der Name assoziiert, an Melonen nämlich. Trotzdem ein tolles Bier und ein schöner Abschluss des heutigen Abends.
Für einen längeren Schnack mit Anton bleibt keine Zeit, mittlerweile ist die Bar gut gefüllt, und als wir aufstehen, bemächtigt man sich sofort der freigewordenen Plätze. Ein Blick noch einmal rundum. Bunt gemischtes Publikum aller Altersklassen. Wirklich aller: Die Gruppe Rentner sitzt immer noch da. Feiert einen Geburtstag, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, und genießt das Bier. Fachsimpelt mit dem Barmann. Schnuppert am Glas. Lässt eine Bierprobe rundum gehen. Craftbier-Genießer jenseits der 70! Toll!
The Craft Beer Bar Allgäu besticht durch die Lage mitten in der Altstadt im historischen Gewölbekeller. Neben zahlreichen Fass- und Flaschenbieren gibt es auch leckeres Essen, passend zum Bier. Die Bar ist täglich ab 18:00 Uhr bis tief in die Nacht geöffnet; sonntags und montags ist Ruhetag. Zu erreichen ist sie problemlos mit den Öffis – es sind nur fünf Minuten zu Fuß vom Bahnhof, und der Stadtbus hält direkt nebenan. Kommt man mit dem Auto, stellt man es am Rand der Altstadt ab und geht etwa fünf Minuten zu Fuß.
Nachtrag 25. Januar 2017: Heute durfte musste ich in der Schwäbischen Zeitung lesen „Eisenharzer Brauhaus zieht sich zurück – ‚Craft Beer‘-Bar in Wangen wird zu ‚Horns & Crowns‘-Bar – Frederik Boetzelen übernimmt“. Mist. Doofe Meldung. Keine Craft Beer Bar Allgäu mehr. Und dabei hatte ich doch gerade geplant, anlässlich meines alljährlichen Frühlingsaufenthalts im Allgäu dort wieder einzukehren. Mist, Mist, Mist! Schade, Anton – es hatte mich sehr gefreut.
The Craft Beer Bar Allgäu
Herrenstraße 16
88 239 Wangen
Baden Württemberg
Deutschland
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