Die Zeiten sind kurzlebig. Was gestern noch wichtig war, spielt heute keine Rolle mehr. Was uns heute beschäftigt, werden wir morgen vergessen haben. Und was morgen sein wird? Wer weiß? Das unstete „Heute hier, morgen dort“, das Hannes Wader vor vielen Jahren schon besungen hat, prägt unser Leben.
Man kann es bedauern, man kann es spannend finden. Man kann dagegen ankämpfen, man kann es sich zunutze machen und sich selber flexibel zeigen. Ich selbst bin gerne „Heute hier, morgen dort“, und mein ganzes Leben ist davon geprägt.
Die Bierszene ist ebenfalls häufig auf dem Sprung, und wer pfiffig ist, etabliert sich in der Szene, aber auf eine Weise, die ihm oder ihr jederzeit den Sprung ermöglicht. Saus’ und Brau’s möchte eine mobile Brauerei auf einem Anhänger installieren, Bierfestivals kommen und gehen an den unmöglichsten Plätzen, und das Konzept von Tap-Takeovers oder Pop-up Bars lebt ebenfalls vom raschen Wandel. Selbst das, was fest installiert scheint, ist in Wirklichkeit mobiler als gedacht, und mehr als einmal entpuppt sich ein vermeintlich solider Bau als Containerlösung. Ob es die aus einem Container gebaute Bar in der Halle der Landgang Brauerei in Hamburg ist, die in Gänze aus Schiffscontainern gebaute Brauerei mit Restaurant BRŁO in Berlin oder die Beer Box Grill & Beer in Sofia, vor der ich gerade stehe.
Etwas mehr als zwei Jahre ist es her, dass Rumen Parvanov und Zvezdelin Minchev Ende 2015 diese Bar aus Schiffscontainern errichteten. Ein kleines, freies Grundstück direkt neben einer großen und vielbefahrenen Straßenkreuzung im Osten der Stadt lud geradezu dazu ein, ein paar Container aufeinanderzustapeln, einen Zaun drumherum zu ziehen, und fertig.
Wer nun aber denkt, die Beer Box hätte den Charme einer heruntergekommenen Notunterkunft, liegt völlig verkehrt. Man muss schon zwei oder drei Mal hinschauen, um zu erkennen, dass die Basis dieser Konstruktion tatsächlich Container sind.
Ich gehe durch das Tor, überquere den kleinen Vorplatz, auf dem im Sommer bei schönen Wetter lebhafter Biergartenbetrieb herrscht, und betrete die helle und überraschend große Bar. In der Mitte des Raums stehen einige fest verschraubte Tische, im hinteren Bericht befindet sich die Theke. Bei näherem Hinsehen stelle ich fest, dass in die Mitte jedes der großen Tische ein Grill installiert ist. Man kann sich hier die rohen Zutaten bestellen und dann direkt am Tisch selber grillen. Nur leicht angebraten, richtig kross und durchgebraten, oder gerne auch, wenn man statt aufzupassen sich lieber seinem Bier widmet, rustikal verbrannt. Ganz nach Geschmack und Befähigung. Je größer die Gruppe, umso größer der Spaß. Und damit im Falle des unkontrollierten Abbrands eines Bauchspeckstreifens nicht gleich das ganze Lokal verraucht wird, ist in der zentral über jedem Grill installierten Lampe auch jeweils eine kräftige Absauganlage integriert.
Ich bin allein unterwegs, da habe ich keine große Lust auf Grillvergnügen, sondern setze mich lieber direkt an die Theke. Es ist noch früh, und somit ist auch noch nicht allzu viel los. Das Bierangebot ist recht abwechslungsreich, allerdings nicht allzu exotisch. Zahlreiche Flaschenbiere aus aller Welt werden angeboten, viele bekannte Marken sind darunter. Hat man einerseits zwar schon alles gesehen und getrunken, andererseits ist man so auch vor negativen Überraschungen gefeit. Ein paar Biere vom Fass gibt es, und neben der Theke steht noch eine kleine separate Zapfanlage, in der das Bier der Jägerhof Hausbrauerei aus Plovdiv angeboten wird.
Ich frage den jungen Kellner, welche interessanten Fassbiere es denn gebe, und er fängt zunächst an, mir die bekannten Marken aufzuzählen. Bernard aus Tschechien, Schöfferhofer und Weihenstephan aus Deutschland. Ich winke ab und erkläre ihm freundlich, dass mich ja schon eher die lokalen, bulgarischen Biere interessieren täten, und so bietet er mir schließlich ein Galleon Bier ein, ein Dunkles.
Okay, Galleon, das habe ich noch nie gehört, und so bestelle ich ein großes Glas. Es sei eine Spezialität seines Chefs, erklärt mir der junge Mann. Nach dessen besonderem Rezept gebraut.
Ich nehme einen großen Schluck und bin zufrieden. Zwar kein klassisches Dunkles, sondern eher ein britisches Porter oder Stout, aber gut trinkbar. Leichte Röstaromen, kaum Restsüße, recht trocken, ein bisschen bitter. Zwar nicht mein Lieblingsbierstil, aber in Ordnung.
Zum Essen bestelle ich mir ein paar Chicken Wings, und während ich auf das Essen warte, lade ich schon mal ein Bild des Biers in den Social Media hoch. Es dauert nicht lang, bis die erste Reaktion kommt: „Lass Dir nicht erzählen, dass das ein vom Chef gebrautes Bier ist! Es ist das Porter aus der Rhombus-Brauerei!“ Aha, da lag ich mit meiner Analyse des „Dunklen“ ja gar nicht so verkehrt. Rhombus Porter also, verkauft als Galleon Dunkel.
Die Chicken Wings sind da, entpuppen sich als ziemlich scharf, und so wird schnell ein zweites Bier fällig. „Habt Ihr noch was aus Bulgarien?“, frage ich, und bekomme ein Red Ale von Glarus, einer kleineren Brauerei aus Varna am Schwarzen Meer. Es hat einen leicht säuerlichen, aber durchaus erfrischenden Stich, und ich bin mir nicht ganz sicher, ob das so sein soll, oder ob das Bier schon umgeschlagen ist. Ich frage den Barmann, stoße aber an die Grenzen seiner Englischkenntnisse. Hätte ich das Bier als Berliner Weiße oder Gose bestellt, dann würde es jetzt eigentlich hervorragend zu den scharfen Chicken Wings passen, die Säure und die Schärfe harmonieren ganz vorzüglich. Und so trinke ich das Bier denn auch unverdrossen aus.
Schon ist es wieder Zeit für mich, zu gehen. Der Abend ist zwar noch jung, aber der Flieger geht morgen in aller Frühe, die Nacht wird sowieso zu kurz sein. Neue Abenteuer und neue Reisen warten, und wer weiß, ob die Beer Box noch an ihrem Platz stehen wird, wenn ich einmal wieder in Sofia bin, oder ob sie ab- und woanders wieder aufgebaut sein wird. Denn eines ist klar, „dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war“.
Das Bier-Grill-Restaurant Beer Box Grill & Beer ist täglich von 12:00 bis 24:00 Uhr geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist es mit dem Stadtbus oder mit der Metro. Beiden Linien, die blaue und die orangene, fahren die Haltestelle Mladost 1 / Младост 1 an, von dort sind es etwa fünf Minuten Fußweg in Richtung Osten.
Beer Box Grill & Beer
38 Alexander Malinov Blvd / бул Александър Малинов 38
1784 Sofia
Bulgarien
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