Ein gutes halbes Jahr nach den Bundestagswahlen zeichnen sich endlich erste konkrete Ideen zur Regierungsbildung ab; die bisherige und wohl auch zukünftige Bundeskanzlerin Merkel stellt ihre Pläne für das Kabinett vor. Eine große Überraschung dabei: Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Seehofer wird Innenminister, und der Verantwortungsbereich seines Ressorts wird erweitert. Das Ministerium trägt nun die Bezeichnung „Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat“. Die Schreckensvision für alle aufrechten Hanseaten: Ein Erzbayer wird Heimatminister!
Angst macht sich breit. Darf man jetzt noch plattdüütsch snacken? Labskaus essen? Von den Nordseewellen und dem Elbstrand träumen und singen? Oder sind jetzt auch im hohen Norden Krachlederne, Dirndl und Weißbier nicht nur angesagt, sondern obligatorisch?
Wir wissen es nicht, aber um sicher zu gehen und ein gutes Alibi zu haben, falls heute Abend die Gesinnungspolizei an der Hotelzimmertür klopfen sollte, kehren wir mitten in Hamburg im Restaurant Franziskaner ein und dokumentieren das sorgfältig.
Unter den Colonnaden in der Großen Theaterstraße finden wir den kleinen, unauffälligen und bescheidenen, somit ganz unbayerischen Eingang, treten hindurch und verlassen Norddeutschland. Rustikale, oberbayerische Gemütlichkeit macht sich breit. Wuchtige Holztische, schmiedeeiserne Dekorationen, blau-weiß-karierte Tischdecken – oh, ach nein, Entschuldigung, Herr Heimatminister, selbstverständlich, aber sicher doch, Herr Heimatminister, es war ein Versehen, Herr Heimatminister, weiß-blau-rautierte Tischdecken, so muss es heißen, Herr Heimatminister, kommt nie wieder vor, Herr Heimatminister – weiß-blau-rautierte Tischdecken, also, rustikale und deftige bayerische Kost und dazu Bier. Bayerisches Bier. Frisch aus der Franziskaner Brauerei, so ur-münchnerisch, wie bayerisches Bier nur sein kann!
Wie bitte? Was höre ich da Ketzerisches? Die Franziskaner Brauerei gibt es gar nicht mehr? Es sei längst schon die Spaten-Franziskaner-Bräu GmbH, und diese würde zur Spaten-Löwenbräu-Gruppe gehören? Und als solche gar nicht mehr münchnerisch sein, sondern zum belgischen AB-InBev-Konzern gehören? Pssst! Vorsicht! Selbst wenn es stimmen sollte, sprecht um Himmelswillen leise darüber, damit es der Heimatminister nicht hört. Nachher wird uns der heutige Besuch im Restaurant Franziskaner von der Gesinnungspolizei nicht angerechnet, und wir müssen noch ins Hofbräuhaus oder werden gar gleich ganz ausgewiesen…
Wir blättern durch die Speise- und Getränkekarte. Ein alkoholfreies Franziskaner Weißbier und ein Franziskaner Royal, bitte sehr, das hätten wir jetzt gern. Letzteres ist das Jahrgangsbier unter den Franziskaner Weißbieren. Etwas kräftiger eingebraut als das Standard-Weißbier, hopfiger, duftiger und fruchtiger. Ich nehme einen großen Schluck und muss zugeben: Jawoll, das ist in der Tat ein ausgezeichnetes Weißbier. Ein herrlich fruchtiger Geruch, ich erkenne Aprikose, ein wenig Stachelbeere, einen bananigen Hauch. Der erste Schluck ist spritzig, aber nicht überspundet. Relativ weich fühlt sich das Bier im Mund an, eine feine, nur ganz dezente Herbe, stärker aber als in normalen Weißbieren, macht sich breit, gerade so viel, dass nach dem ersten Schluck sofort die Lust auf einen weiteren, vielleicht sogar größeren Zug kommt. Hut ab. Dieses Konzernbier ist den Belgiern – oh, ich bitte erneut um Entschuldigung, Herr Heimatminister, den Münchnern, selbstverständlich, denn die Brauerei Löwenbräu, wo die Franziskaner-Biere entstehen, liegt ja noch in München, jedenfalls gerade noch, kurz vor der Stadtgrenze – also, noch einmal von vorn: Dieses Konzernbier ist den Münchnern ausgezeichnet gelungen. Muss man anerkennen. Die Goldmedaille beim World Beer Cup℠ 2016 war wohl nicht ungerechtfertigt verliehen worden.
Na bitte, das ist dann doch ein schöner Auftakt. Davon dürfte es gerne noch ein zweites sein, wenn es nicht erst früher Nachmittag wäre…
Was wollen wir denn dazu essen? Nach einigem Zögern überspringen wir die Schweinshaxe dann doch und hoffen, dass uns die Urbayern diese Schwäche verzeihen werden. Stattdessen wählen wir eine deftige Linsensuppe mit Wurst und Kässpatzen, letztere schon wieder mit schlechtem Gewissen, denn sie sind doch eher allgäuerisch-schwäbisch als urbayerisch. Hoffentlich geht das gut.
Aber die Bedienung nickt freundlich, als sie die Bestellung aufnimmt. Es scheint also akzeptiert zu werden.
Beides, sowohl die Suppe als auch die Kässpatzen, schmeckt ausgezeichnet. Hätten wir fernab von Oberbayern, der nun bald offiziellen Heimat aller Deutschen, so gar nicht erwartet.
Also dann, ich werde schwach. Vor den entsetzten Augen meiner holden Ehefrau bestelle ich mir ein zweites Franziskaner Royal. Draußen steht die Sonne noch hoch am Himmel, es ist also viel zu früh, eigentlich mag ich gar kein Weißbier, und es handelt sich um ein Konzernbier. Und dennoch: Hier und heute schmeckt es ganz vorzüglich.
Überraschendes Fazit: Heimat hin, Konzernbier her. Wer ein richtig gutes Weißbier trinken möchte, oder vielleicht ein Löwenbräu Hell, Dunkel oder Pils frisch vom Fass genießen möchte, hat im Restaurant Franziskaner in Hamburg eine jenseits aller Vorurteile durchaus empfehlenswerte Adresse. Die Hamburger mögen mich für diese Aussage steinigen, aber mir hat es hier und heute ausgezeichnet geschmeckt.
Das Restaurant Franziskaner ist täglich von 12:00 bis 23:00 Uhr und sonntags von 13:00 bis 21:00 Uhr geöffnet; feiertags ist geschlossen. Mit der U-Bahn (Linie U1, Station CCH, oder Linie U2, Station Gänsemarkt) ist es problemlos zu erreichen – von beiden Stationen aus sind es höchstens drei Minuten zu Fuß.
Restaurant Franziskaner
Große Theaterstraße 9
Ecke Colonnaden
20 354 Hamburg
Hamburg
Deutschland
Hinterlasse jetzt einen Kommentar