Bräuhaus Ten.Fifty. Ein merkwürdiger Name?
Nein, höchstens für den Nicht-Wiener. Jeder Wiener hingegen weiß sofort, worum es geht. Ten.Fifty. Zehn.Fünfzig. 1050. Die Postleitzahl des fünften Bezirks, Margarethen.
Ein sprechender Name: Eine Brauerei in Margarethen also. Ganz einfach.
Oder doch wieder nicht? Die Ankerbrotfabrik steht doch im Zehnten, in Favoriten, und nicht in Margarethen. Wie jetzt? Also doch nicht?
Simon Latzer, der gemeinsam mit Martin White vor wenigen Wochen erst das Bräuhaus Ten.Fifty. und uns vor zwei Minuten die Tür zu eben diesem Brauhaus geöffnet hat, lacht. „Die Frage höre ich oft“, erklärt er. „Die Wiener sind besessen von ihrer Bezirkszugehörigkeit, und wenn dann mal etwas vermeintlich nicht stimmt, haben alle gleich ein Fragezeichen im Gesicht!“
Martin und er hätten vor langer Zeit mit einfachsten Hausbräu-Kits begonnen, ihre eigenen Biere zu brauen, erzählt er weiter. Und dann sei es gekommen wie so oft: Aus dem einfachen Brew-in-a-Bag BIAB sei ein beheizter Plastikbottich geworden, daraus dann eine kleine aber feine Edelstahlanlage, und dann sei der verrückte Gedanke aufgekommen: Lass‘ uns doch eine richtige Brauerei öffnen. Hier bei uns, im fünften Bezirk, in 1050 Wien-Margarethen. Damit hätte der Name schon mal festgestanden, das Schwierigste sei also geschafft gewesen. Alles andere seien ja Kleinigkeiten. Eine Halle finden, in das Equipment investieren, alles aufbauen, von den Behörden genehmigen lassen und in Betrieb nehmen… Hauptsache, der Name stimmt.
Während Simon die Geschichte erzählt, räumen wir gemeinsam mit ihm ein paar Bierbänke vor das Brauereitor in die Sonne. „Und dann seid ihr statt in Margarethen hier in Favoriten gelandet, in der alten Ankerbrotfabrik?“, frage ich ihn. „Genau. Die Hälfte des alten Brotfabrikgeländes ist umgewidmet worden, hier sind jetzt Kulturschaffende drin, die Caritas, eine Musikschule, ein paar Wohnungen, und hier unten im Maschinenraum haben wir eine Halle gefunden. Genau die richtige Größe, passende Infrastruktur, alles passt. Hier können wir uns austoben, keiner stört sich am Brauereibetrieb oder an unseren Gästen. Nur, dass es halt der Zehnte und nicht der Fünfte ist. Aber der Name ist geblieben. Ten.Fifty.“
Naja, Eleven.Double-O. hätte auch etwas holprig geklungen, denke ich mir.
Mittlerweile haben wir draußen die Bierbänke aufgestellt, ein paar Malzsäcke als Sitzpolster verteilt und wären bereit, die ersten Biere zu verkosten, aber vorher müssen wir uns natürlich die Brauerei ein wenig genauer anschauen.
Eigentlich sei es ein in Österreich untypisches Setup, ein klassisch englisches Brauhaus, mit Infusion, bei der der Maischebottich nicht beheizt sei, sondern die Temperatur der Maische durch die Zugabe des Heißwassers gesteuert würde. Technisch sei dies ganz simpel, aber der Brauer müsse halt viel Erfahrung haben, um die Rasttemperaturen auch zielgenau zu erreichen, erzählt Simon, nur um gleich darauf zu relativieren: „Aber wir haben das im Gefühl, das klappt prima!“
„Und Ihr heizt mit Strom?“, frage ich und deute auf den Heißwassertank. Simon dreht die Augen zur Decke: „Ja, aber frag nicht nach der Geschichte…“
„Wir haben extra für die Spitzenstromlast für teures Geld eine Leitung legen müssen, die entsprechende Leistung bereitstellen kann. Ein paar Stunden lang Volllast, danach ist wieder tagelang Pause. Was für ein Aufwand. Aber die Wiener Netze haben darauf bestanden. Die haben ein Leistungsmonopol und uns nicht erlaubt, für die Spitzenlast eine Batterielösung einzurichten.“ Simon kommt ins Schwärmen: „Das wäre technisch eine spannende Sache gewesen. Ein Batteriespeicher á la Tesla!“
Aber egal, jetzt läge die Leitung ja, und nun sei alles gut. Mit einer raumgreifenden Armbewegung umfasst Simon das ganze Sudwerk: „So, Ihr habt alles gesehen, jetzt geht’s zur Verkostung!“
Wir gehen eine Metalltreppe hoch in das obere Stockwerk und stehen im Taproom. Industrial Chic nennt sich das wohl. Unverkleidete Technik überall. Eine schwarze Wand mit Zapfhähnen, die direkt mit bunter Kreide auf der Tafel beschriftet sind. Bierbänke, Europaletten als Tische, leere Key-KEGs mit Polstern als Stühle. Rohe Ziegelwände, Rohre der Belüftungsanlage, einfache Leuchten an der Decke. Sieht nett aus, aber angesichts des herrlichen Sommerwetters zieht es uns doch lieber vor die Tür. Wir lassen uns von Simon ein paar Biere einschenken und gehen die Treppe wieder hinunter.
Drei Sorten werden derzeit angeboten, das sei jetzt für den Anfang mal genug, die Brauerei sei noch keine drei Monate geöffnet, erzählt Simon. Der erste Bierausschank sei auf dem Craft Bier Fest Wien am 11. und 12. Mai gewesen. Stimmt, dort hatten wir uns zum ersten Mal getroffen, und ich hatte mich über die gut gelaunten Gesichter gefreut – Simon und Martin waren sichtlich zufrieden, wie gut ihre ersten Biere angekommen sind und sie das kritische Publikum angenommen hat.
In der Bruthitze des 3. August 2018 sitzen wir nun vor der Brauerei und probieren uns durch das Sortiment. Das Pale Ale mit 5,3% Alkohol und 40 IBU ist ein perfekter Auftakt. Frisch und hopfig, leicht fruchtig, aber nicht zu blumig-süßlich in den Aromen, schön gespundet und im Abgang gerade so kernig und herb, dass es sofort Lust auf den nächsten Schluck macht. Mit Mandarina Bavaria, Cascade und Hallertau Blanc gehopft, erzählt Simon. Sehr schön, einhelliges Lob!
Das zweite Bier, das Wiener Weizen, mit 4,7% Alkohol und 12 IBU, gebraut mit Hallertau Blanc, zeigt sich etwas zickig. Der Schaum ist wunderbar fest und stabil, macht so gar keine Anstalten, zusammenzufallen. Was im Glas wunderbar aussieht und allen gut gefällt, bringt Simon beim Zapfen fast zur Verzweiflung. Es dauert schier ewig, bis die Gläser voll sind. Aber das Warten lohnt sich. Spritzig und frisch zischt das Bier über den Gaumen, und die Gläser sind deutlich schneller getrunken als gezapft.
Das dritte Bier, das Red IPA mit 5,6% Alkohol und 55 IBU, gebraut mit Huell Melon und Cascade, lässt sich wieder deutlich schneller zapfen, so dass für Simon noch ein wenig Zeit bleibt, ein paar Geschichten rund um die Brauerei zu erzählen. Zum Beispiel, dass er und Martin das zusätzlich zu ihren normalen 40-Stunden-Jobs machen, das sei dann schon manchmal sehr zeitaufwändig. Dass ab August jeden Donnerstag ab 18:00 Uhr Taproom-Thursday sei, also eine fixe Zeit, zu der die Gäste mitten in der Brauerei im Taproom sitzen und das Bier verkosten könnten. Dass die kleinen Gärtanks momentan noch den Engpass darstellten und vielleicht noch ein dritter dazukommen müsse, aber das bliebe noch abzuwarten, wie sich alles einspielt. Dass er sehr stolz auf die kleine, aber vollautomatische Etikettieranlage sei, mit der die kleinen 0,33-l-Stubbies im Handumdrehen professionell etikettiert seien. Dass bis auf Weiteres kein Essen im Taproom vorgesehen sei, die Gäste sich aber gerne etwas mitbringen könnten. Und, und, und…
Das Red IPA, das diese Geschichten begleitet, überzeugt mit einem schönen, vollen Malzkörper und einem deutlichen Malzaroma, das recht erfolgreich mit den Hopfenaromen konkurriert. Eigentlich kein Bier für die Sommerhitze, sondern eher etwas für den Abend, wenn es schon kühler wird. Uns mundet es aber trotzdem.
Noch lange könnten wir hier sitzen und uns die kurzweiligen Anekdoten aus der gerade einmal drei Monate langen Geschichte der Brauerei anhören, aber der nächste Termin unserer Städtetour-de-Bier wartet, und so wird es Zeit für den Aufbruch. Schnell räumen wir alle Biertische und -bänke wieder zurück, und auch die Spontangäste, die sich außerhalb der regulären Öffnungszeiten des Taprooms unserer Gruppe angeschlossen und ein paar Biere getrunken haben, müssen freundlich herauskomplimentiert werden.
Viel hätten wir ja nicht getrunken, beschwert sich Simon noch augenzwinkernd, weiß aber auch, dass es dafür heute eigentlich viel zu heiß war. Aber offensichtlich waren wir trotzdem angenehme Gäste, denn er lässt es sich nicht nehmen, jedem von uns noch einen ausgezeichneten Wacholderschnaps aus einer befreundeten Brennerei einzuschenken – als Dankeschön für den Besuch. Für einen Besuch, für den eigentlich wir danken müssen – es war informativ, unterhaltsam und die Biere waren ganz einfach lecker!
Das Bräuhaus Ten.Fifty. ist im Mai 2018 mit seinen Bieren an den Start gegangen, hat am 2. Juni 2018 den Taproom offiziell eröffnet und hat seit August 2018 jeden Donnerstag ab 18:00 Uhr geöffnet. Rampenverkauf (Fässer und Flaschen) auf Anfrage. Zu erreichen ist die Brauerei mit der Straßenbahnlinie 6, Haltestelle Absberggasse, und von dort aus etwa 200 m zu Fuß in Richtung Süden. Der Eingang zur Brauerei ist im Innenhof.
Nachtrag 25. April 2019: Es ist ein Donnerstag, und ich bin in Wien. Zwar ist es schon recht spät geworden, aber noch nicht zu spät: Donnerstags ist im Bräuhaus Ten.Fifty. der Taproom geöffnet, da sollte es doch noch möglich sein, ein Absackerbier zu bekommen. Oder zwei…
Das Taxi rollt vor der Ankerbrotfabrik aus, und wir sehen es auf den ersten Blick: Ja, es ist noch offen, und es sind auch noch ein paar Gäste da. Wir laufen am Sudwerk vorbei und die Treppe hinauf. Der Taproom ist in den vergangenen Monaten ein bisschen gemütlicher, ein bisschen vollständiger geworden. Stück für Stück – Simon und Martin stecken immer mal wieder ein bisschen Arbeit hinein. Am auffälligsten: Der riesige Malzsack, der jetzt als Sitzsack dient und auf dem man sich so richtig schön hinfläzen kann. Das Bier in der Hand, entspannt zurückgelehnt und bereit für den großen Genuss.
Uns zieht es jedoch an die Theke. Beziehungsweise, als Simon uns sieht, dann auch gleich dahinter. Fünf Biere sind am Hahn, und die Auswahl fällt schwer. Ach, ich nehme einfach mal das Red IPA, ein Bierstil, den es anderswo nur selten gibt. Und da die anderen lauter verschiedene Biere wählen, sehe ich eine reelle Chance, überall mal ein wenig zu probieren und mich dann doch durch das ganze Angebot zu verkosten.
Das Red IPA gefällt. 5,6% Alkohol hat es nur, überzeugt mit einer dunklen, fast schon rubinroten Farbe und mit einem kräftigen, malzaromatischen Körper. Dazu eine feine Hopfenaromatik, eher ins harzige denn ins fruchtige changierend. Schon ausgewogen und gut trinkbar. Davon gingen, wenn es drauf ankommt, bestimmt auch mehr als nur ein, zwei große Gläser.
Das Golden Ale, das Wiener Weizen, das Pale Ale und das Unfiltered Pils gefallen durch die Bank ebenfalls – auch wenn ich jeweils immer nur einen winzigen Schluck davon nasche.
Spannender ist dann wieder das India Pale Ale, das es eigentlich noch gar nicht gibt. Simon lässt uns einen Schluck aus dem Tank probieren – es ist noch deutlich hefig und muss, bis es ausgeschenkt werden soll, noch ein wenig reifen. Insofern noch ein wenig unausgewogen, aber das ist in diesem Stadium der Lagerung kein Makel. Bis zum Ausschank ist es noch ein wenig hin, bis dahin wird es sicherlich hervorragend schmecken.
Wie immer, wenn ich mit Conrad Seidl, dem Bierpapst, unterwegs bin, wird es viel zu spät. Ein Schluck Bier hier, ein Schluck dort. Wir erzählen, diskutieren, schwadronieren. Aber was soll’s – dafür ist ein Taproom doch da. Man trifft sich beim Bier, schwätzt über das Bier, und es geht immer rund um das Bier. Frisch aus dem Tank oder dem Fass – auf alle Fälle aber vor Ort, dort, wo es am besten schmeckt.
Bräuhaus Ten.Fifty.
Ankerbrotfabrik Unit 10.2
Absberggasse 27/17
1100 Wien
Österreich
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