Das Craft Bier Fest Wien wirft seine Schatten voraus. Morgen und übermorgen werden sich in der Marx-Halle Brauereien aus ganz Europa präsentieren und ihre Spezialitäten feilbieten. Dutzende Brauereien, hunderte von Biersorten – alles unter einem Dach.
Für die meisten von ihnen bedeutet das zwar eine gute Gelegenheit, sich zu präsentieren, Kontakte zu knüpfen und spannende Gespräche zu führen, andererseits aber auch einen hohen zeitlichen und organisatorischen Aufwand, eine Anreise über hunderte, wenn nicht sogar mehr als tausend Kilometer und den Transport von einigen Bierfässern quer durch Europa. Da liegt es dann nahe, die Gelegenheit zu nutzen. „Wenn wir sowieso schon mit allem Kram in Wien sind“, mag sich die eine oder andere Brauerei gedacht haben, „dann schauen wir doch mal, ob wir uns auch über das Festival hinaus präsentieren können.“ Am besten in Form eines Tap Takeovers, also einer Präsentation, bei der alle oder fast alle Zapfhähne in einer Bierbar von ein und derselben Brauerei bestückt werden und das ganze Portfolio verkostet werden kann.
Im Resultat finden heute in Wien mehr von diesen TTOs statt, als man auch mit guter Kondition an einem Abend besuchen kann. Fast ein Dutzend Veranstaltungen habe ich innerhalb weniger Minuten Recherche im Netz finden können, schön gleichmäßig über die Stadt verteilt. Tja, wo anfangen, wo aufhören? Die Auswahl fällt schwer.
Na, gehen wir doch für den Anfang einfach mal irgendwohin, wo ich noch nicht war, so kann ich dann den Biergenuss beim TTO mit der Erkundung einer neuen bierigen Adresse verbinden. Die Auswahl fällt also auf den Brauhund im 15. Bezirk. Fünf Zapfhähne hat’s hier, vier davon sind heute mit Bieren der walisischen Brauerei Tiny Rebel bestückt. Drei hopfenbetonte, deutlich fruchtige Biere und ein Porter. Wir lassen es ruhig angehen und beschränken uns auf die ersten drei Biere – auch so ist das schon eine Verkostung, die abwechslungsreich genug ist:
Das Peaches & Cream India Pale Ale ist sehr fruchtig und süß, das Piñata Colada Pale Ale eher etwas harzig, und das But Did You Die? New England India Pale Ale sortentypisch fruchtig, sehr, sehr trüb und im Abgang kräftig bitter. Drei interessante Biere, ein schöner Auftakt für einen hoffentlich abwechslungsreichen Verkostungsabend.
Im Brauhund gibt es nichts zu essen, Bier macht aber hungrig, und so hätte unser Aufenthalt hier auch ohne weitere TTO-Konkurrenz relativ rasch geendet. Ein kurzer Blick in mein Telefon, und die Frage, wo es ein TTO und gutes Essen gleichzeitig gibt, ist schnell beantwortet: Im Brickmakers, nämlich. Zu Fuß in guten zehn Minuten erreichbar, mit einer guten und deftigen Küche, und mit einem TTO der niederländischen Brauerei Oedipus. Na dann, auf geht’s!
Der normale Schankraum ist ausreserviert, uns bleibt nur ein Platz an der Theke. Macht aber nix, auch dort wird anstandslos das Essen serviert. Und dazu schon einmal die ersten beiden Biere von Oedipus, nämlich das Thai Thai Belgian Triple und das Offline White Ale. Beide Biere völig unterschiedlich, aber jedes für sich ein schönes Geschmackserlebnis.
Gut gesättigt fühlen wir uns nun gewappnet für eine tiefergehende Verkostung und wechseln in den Nebenraum, die sogenannte Dunkelkammer. Hier sitzen die Brauer von Oedipus und erklären ihre Biere. Wir gesellen uns zu ein paar Bekannten und genießen die anderen drei Biere, die die Jungs von Oedipus mitgebracht haben, nämlich das Mannenliefde Saison, das Spektakel Imperial Pale Lager und die Swingers Gose. Ein breites Geschmacksportfolio. Schön!
Die Zeit vergeht bei interessanten Biergesprächen wie im Flug, und die beiden Oedipus-Brauer erweisen sich als gute Alleinunterhalter.
Kaum haben wir das letzte Bier verkostet und fangen an, zu überlegen, ob wir noch ein bisschen bleiben, weil es gerade gar so schön ist, meldet sich das Telefon in der Hosentasche mit einer Textnachricht: „Bin im AmmutsØn, kommt vorbei!“, meldet sich Ihre Heiligkeit, der Bierpapst Conrad Seidl.
Alles klar, das AmmutsØn also. Eine Bierbar, die auch ohne Tap Takeover immer ein spannendes Bierangebot hat. Die Brauerei Edge aus Barcelona bestückt die Zapfhähne dort heute Abend. Zehn Minuten später treffen wir in der Bar ein, und trotz dichtem Gedränge finden wir Conrad ob seines wie immer skurrilen Outfits sofort. Er ist schon ein paar Biere im Vorsprung und empfiehlt uns aus dem reichhaltigen Angebot die besten: Das Panacea American Pale Ale, das Hoptimista India Pale Ale, das Raspberry Sour und schließlich noch das Barrel Aged Guava Sour. Zum Teil gewöhnungsbedürftige, allesamt aber spannende, aufregende Biere, die hier im AmmutsØn aus Zapfhähnen eingeschenkt werden, deren durchsichtige Tap-Handles mit Hopfendolden und verschiedenen Malzsorten gefüllt sind und immer wieder einen schönen und oft fotografierten Blickfang darstellen. Sehr schön.
Die Jungs von Edge haben einen Porrón mitgebracht, einen Glas-Dekanter, der eigentlich für Wein gedacht ist, natürlich aber auch mit Bier gefüllt werden kann. Rasch entwickelt sich an der Theke ein Wettbewerb, wer denn mit dem größten Abstand zwischen Tülle des Porrón und weit geöffnetem Mund trinken kann, ohne sich von oben bis unten vollzuschlabbern. Manche können es richtig gut, bei anderen führt der mit dem bereits erreichten Alkoholpegel korrelierende Grad an Selbstüberschätzung zu unbeschreiblichen Szenen. Für Spaß ist also gesorgt. Reichlich!
Bei uns siegt allerdings die Vernunft. Oder ist es doch eher die Müdigkeit nach der langen Anreise? Wir belassen es bei drei TTOs und trollen uns in Richtung Hotel, auch wenn wir am nächsten Abend erfahren werden, dass es starke Recken gegeben hat, die alle oder wenigstens fast alle TTOs der Stadt erfolgreich abgeklappert haben. Hut ab vor deren Kondition!
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