Zwei Wochen isolierte Unterbringung im Kampf gegen Corona – das zieht sich. Die Bierszene hat Mitleid mit mir, und schon zum zweiten Mal werden mir ein paar Flaschen leckeres Bier vor die Hotelzimmertür gestellt. Absender: Erneut Frank Reimchen, der mit seinem großen Herz für mich sorgt.
eine große Tasche voller Bier
Dieses Mal: Eine tolle Auswahl regionaler Biere, vom einfachen Zischbier bis zum neunprozentigen Hammer, der nur schlückchenweise genossen werden kann und soll. Zusammengestellt und gekauft im Craft Beer Kontor. Das sollte mir die nächsten Tage wohl versüßen.
ein schönes Line-up
Ich freue mich, und gleich am ersten Abend trinke ich in einem virtuellen Treffen per Videokonferenz mit Frank schon mal die Hälfte der Lieferung weg. Ist aber auch okay so, denn was soll das arme Bier so lange hier im Hotel in der Mini-Bar stehen?
Ein dickes Dankeschön an Frank, und hier sind meine Verkostungsnotizen:
Hildesheimer Braumanufaktur
Gesellensud – Christopher Giesecke
Hildesheimer Braumanufaktur – Gesellensud – Christopher Giesecke
Die noch junge Hildesheimer Braumanufaktur (gegründet 2016) wirbt mit dem netten Slogan „Das Bier aus der Hildesheimat“ Mit dem 5,3%igen „Gesellensud“ stellt der bei Jan Pfeiffer und Malte Feldmann ausgebildete Brauer Christopher Giesecke sein eigenes Bier vor. Eine kräftig gelbe Farbe, eine leichte und gleichmäßige Trübung und ein üppiger, weißer Schaum sorgen für eine ansprechende Optik. Der Geruch ist im allerersten Moment ein bisschen grasig, entwickelt sich dann aber in Richtung eher kräuteriger Hopfennoten (verwendet wurden laut Etikett die eher nicht so bekannten Hopfensorten Premiant und Peterswerder). Der Antrunk ist fest, geradezu robust, malzige Noten und eine solide, aber nicht übermäßige Hopfenbittere stehen in guter Balance: Eine feine Textur sorgt für einen schönen, geschmeidigen Schluck (kommt sie von den laut Etikett verwendeten Haferflocken?); anschließend bleibt eine saubere Bittere für einen kurzen Moment hängen, bevor die sensorischen Eindrücke dann schön gleichmäßig abklingen.
Hildesheimer Braumanufaktur
Keller-Pils – echt und hopfig
Hildesheimer Braumanufaktur – Keller-Pils – echt und hopfig
Hellgelb, nur ganz leicht trüb und mit einem pilstypisch festen, schneeweißen und lange haltbaren Schaum überzeugt dieses 5,3%ige Bier in seiner Optik sofort. Die Nase identifiziert edle Hopfenaromen, kräuterig, ein bisschen blumig, für einen kurzen Moment sogar an Grünhopfen und Geranien erinnernd. Der Blick in die Zutatenliste verrät: Agnus, Saazer und Premiant sind dafür verantwortlich. Der Antrunk ist schlank, schön bitter, zeigt aber für einen Moment auch eine metallische Note auf, die später auf der Zunge noch einmal kurz aufblitzt. Die Bittere ist intensiv, aber nicht übermäßig dominant, sondern einfach nur robust und fest. Restsüße ist kaum zu spüren, und im Schluck zeigt sich das Bier mit einer gleichmäßigen, sauberen Bittere, die nur langsam abklingt. Ein schönes und solides norddeutsches Pils, das eigentlich recht konservativ daherkommt und daher dem auf dem Etikett abgedruckten Motto „Wir erschließen neue bierige Horizonte“ nicht ganz gerecht wird. Schöne Horizonte, das ja, aber neue?
Heavy BREWtal UG
Double Bass Drum – Witbier
Heavy BREWtal UG – Double Bass Drum – Witbier
Ein bisschen erratisch kommt dieses Bier daher. Verspricht die Website der jungen Gypsy-Brauer von Heavy BREWtal für dieses Bier 5,0%, so behauptet das Etikett, dass es 5,2% seien, gleiches gilt für die Stammwürze (12,0°P stehen gegen 12,2°P) und die Farbe (5 oder 7 EBC?). Nur bei der Bittere sind sich beide Quellen mit 18 IBU einig. Ich schenke mir das Bier ein und stelle fest: Die Farbe ist vielleicht sogar noch ein wenig dunkler als 5 oder 7 EBC, sie geht je nach Lichteinfall schon ein bisschen ins Orangefarbene. Dazu eine leichte Trübe, aber wirklich nur eine ganz leichte, und eine schöne und stabile Schaumkrone. Die Nase erschnuppert im ersten Moment ein paar dumpfe Noten, die aber rasch verfliegen und dann eher fruchtigen Eindrücken Platz machen, ohne jedoch die spielerische, zitronige Leichtigkeit eines Spitzen-Witbiers zu erreichen. Der Antrunk ist angenehm frisch, könnte vielleicht ein wenig spritziger sein, vermag aber auch so schon zu gefallen. Eine leichte Restsüße, nur geringe Bittere und retronasal jetzt doch endlich frischer und fruchtiger werdende Aromen drehen den Gesamteindruck noch ins Positive und lassen mich dem letzten Schluck zufrieden hinterher sinnen. Beim Blick aus dem Fenster in den trüben Abend stelle ich aber fest: Das ist kein Bier für den Winter, sondern gehört in den sonnigen Frühling oder den heißen Sommer.
Heavy BREWtal UG
Stage Dive – Golden Ale
Heavy BREWtal UG – Stage Dive – Golden Ale
Noch einmal die jungen Gypsy Brauer aus Lauenau, die erst 2018 begonnen haben, ihr Hobby zu kommerzialisieren („Heavy Metal Infused Craft Beer since 2018“), jetzt mit einem Golden Ale. Kräftig gelb, gleichmäßig, aber nicht übermäßig trüb, eine schöne, weiße Schaumkrone. Die Optik passt. Der Duft entfaltet sich ein wenig behäbig, wird dann aber estrig-fruchtig, wie es sich für diesen Bierstil gehört. Im Antrunk kommt das Bier weich an, fließt dann sanft über die Zunge und kommt erst beim Schluck mit einer leicht adstringierenden Bittere hervor, bei der ich nicht weiß, ob sie vom Hopfen oder der Hefe stammt – fast glaube ich letzteres, denn das würde auch zu ein paar retronasal auftretenden phenolischen Aromen passen. Trotz eines recht niedrigen Alkoholgehalts von 5,2% wirkt dieses Bier recht kräftig und robust – gar nicht schlecht!
Die zweite Hälfte der Lieferung trinke ich einen Tag später, erneut im Rahmen eines virtuellen Treffens mit Bierliebhabern, diesmal mit den beiden Biersommeliers Dominik Ahmidou-Fend und Frank Di Marco:
Mashsee Brauerei Hannover
Mashine IPL
Mashsee Brauerei Hannover – Mashine IPL
Goldgelb, fast klar, nur ganz leicht opalisierend. Ein schöner Schaum, schneeweiß. Passt. Doch halt, was ist das? Während ich noch schnuppere und die herben Fruchtaromen, die in Richtung gelber Pampelmuse gehen, genieße, fällt der Schaum schon zusammen. Hm, habe ich das Glas nicht richtig gespült, oder liegt’s am Bier? Ich weiß es nicht. Aber egal, jetzt ist es so, ich kann es nicht ändern. Noch einmal nehme ich einen tiefen Zug vom Pampelmusenaroma und dann den ersten Schluck. Sauber. Eine kräftige, aber blitzsaubere Bittere, ein bisschen Malzkörper, der den wilden Hopfen zähmt, und dann im Schluck ein kerniger, herber Abgang, währenddessen die Pampelmuse noch einmal um Aufmerksamkeit buhlt. Sachte klingt alles ab, und ich bin zufrieden. Sehr sogar. Auch ohne Schaum.
Ein Blick noch auf das Etikett: 6,8% Alkohol, 60 IBU (Wow!), 15 EBC, 16°P. Und ein selbstbewusster Spruch zum Mashine: „Mit der MASHINE kommst du als Hopfenliebhaber voll auf deine Kosten. Jeder Sud wird unterschiedlich gehopft, so dass immer ein neuer Geschmack auf dich wartet. Garantiert kein Glücksspiel, da wir wissen, was wir tun. Jackpot, Baby!“ An Selbstbewusstsein mangelt es Kolja Gigla von Mashsee also nicht. Perfekt wäre es, wenn auf dem Etikett jetzt bei jedem Sud dieses India Pale Lagers auch angegeben wäre, welcher Hopfen drin ist. Nehmen wir mal an, dass die Beschreibung im Webshop aktuell ist, dann wären es Crystal, Mosaic und Taurus. So!
Hildesheimer Braumanufaktur
Funk Soul Brewers – Burst Generator – New England IPA
Hildesheimer Braumanufaktur – Funk Soul Brewers – Burst Generator – New England IPA
Ich finde es ja immer etwas merkwürdig, wenn noch ganz junge Brauereien schon mit einem riesigen Portfolio an Bieren auf den Markt drängen und diese dann unter verschiedenen Produktlinien anbieten. Aber das ist wohl das Zeichen der Zeit, und die Bierliebhaber, die am liebsten jeden Tag drei verschiedene neue Biere (mindestens!) verkosten würden (ich selbst schließe mich von diesem Interesse ja auch nicht ganz aus), fördern diese Entwicklung natürlich. So bietet die Hildesheimer Braumanufaktur neben den im Etikett eher konservativ gestalteten Bieren auch die Serie Funk Soul Brewers an, unter der Jan Pfeiffer und Malte Feldmann mit eher schrillen und auffälligen Etiketten Biere vermarkten, die den Mainstream verlassen. Der „Burst Generator“, ein New England IPA ist ein solches Bier.
Für ein New England IPA ist es erstaunlich klar, nur eine leichte opalisierende Trübung weist es auf, die Farbe ist dunkelgelb, der Schaum üppig und recht lange haltbar. Fruchtige und im Hintergrund leicht harzige Hopfenaromen steigen in die Nase (verwendet wurden Citra und Enigma). Auf der Zunge ist das 7,5%ige Bier schön ausbalanciert zwischen süßlichem Malzkörper und kräftiger Bittere – das ist sehr harmonisch. Im Schluck drängt sich die Bittere allerdings konsequent in den Vordergrund, was richtig so ist, und genauso richtig klingt diese Bittere langsam und gleichmäßig ab, ohne kratzig zu werden. Schön!
Hildesheimer Braumanufaktur
Mechthild – Die Mächtige – Braujahr 2020
Hildesheimer Braumanufaktur – Mechthild – Die Mächtige – Braujahr 2020
An einen mächtigen Barley Wine wage ich mich als nächstes heran. Mechthild nennt sich dieses Bier, ist edel in richtig dickes Packpapier gewickelt und bringt viel, viel Informationen auf dem Etikett mit sich. „Mechthild – Die Mächtige“ ist schon ein direkter Hinweis auf die 9,0% Alkohol und den dicken, schweren Charakter dieses Bierstils, und es wundert mich, dass die beiden Brauer der Hildesheimer Braumanufaktur der Versuchung widerstanden haben, das Bier wortspielerisch „Mächthild“ zu nennen.
Aber zum Bier: Dunkelbraun und mit einem rubinroten Schimmer steht das Bier im Glas, ist leicht trüb (auch wenn das bei so dunklen Bieren nur schwer zu erkennen ist) und hat im ersten Moment einen für ein so alkoholstarkes Bier erstaunlich üppigen Schaum, der auch verhältnismäßig lange hält. Schwere und volle Malzaromen füllen die Nase, wirken geradezu kremig in ihrer Textur. Malz, Malz, Malz – in allen schönen Nuancen, die dieser Rohstoff zu bieten hat. Ein paar Biskuit-Noten, ein bisschen Karamell, ganz entfernt ein Hauch Honig. Weich rinnt es auf und über die Zunge, füllt den Mund in Gänze mit seinem viskosen Körper und der Aromenfülle. Ein Bier zum Abbeißen. Ein paar süßliche, fruchtige Noten kommen zum Vorschein (in erster Linie retronasal) und erinnern an dunkles Trockenobst, ohne jedoch zu sehr zu dominieren. Der Schluck ist ebenfalls rund und weich, ganz sanft spüre ich eine alkoholische Wärme, wohingegen die auf dem Etikett angesprochene Hopfenbittere (es wurde Summit verwendet) fast überhaupt nicht zu spüren ist. In der Tat ein mächtiges Bier – wunderbar für einen kalten Winterabend.
Laut Etikett ist das Bier ausschließlich mit hellen Malzen gebraut und erhält seine dunkle Farbe durch langes, langes Kochen. Wenn dem so ist, dann ist das perfekt gelungen, und auch die dabei erzeugten Aromen gefallen sehr.
Das Bier ist Braujahr 2020 – ich kann mir vorstellen, dass es, obwohl jetzt schon in der höchsten Liga, durch zwei, drei Jahre Reifung noch runder, noch voller, noch weicher werden könnte.
Die Hildesheimer Braumanufaktur schreibt zu diesem Bier eine halben Roman: „Dieser English Style Barley Wine ist klassisch mit hellen Malzen gebraut. Durch extra langes Kochen entsteht die kräftige rotbraune Farbe und ein ebenso kräftiges Karamellaroma. Eine balancierende Hopfenbittere reitet der Stärke und malzigen Süße entgegen. Eine festliche Speisenbegleiterin oder anregende Solistin, die in einem bauchigen Stielglas Platz zum Entfalten findet. Lichtgeschützt und kühl gelagert kann dieser Barley Wine zur weiteren Entwicklung lange aufbewahrt werden – interessant im Vergleich zu anderen Jahrgängen.“
Hildesheimer Braumanufaktur
Funk Soul Brewers – Midnight Runner – Belgian Dark Strong Honey Ale
Hildesheimer Braumanufaktur – Funk Soul Brewers – Midnight Runner – Belgian Dark Strong Honey Ale
Die Stilbeschreibung verspricht Exotik. Belgian, das steht für ungestüme, raue Hefearomen eines belgischen Hefestamms mit einem phenolischen Charakter. Dark und Strong (ein Alkoholgehalt von 9,0%) lassen auf einen kräftigen Stoutcharakter mit ausgeprägter Röstbittere schließen, die Zugabe von Honig (Honey) lässt auf Süße, Vollmundigkeit und vielleicht auch kräftige erdige und strenge Aromen hoffen.
Ich gieße das fast schwarze, ob seiner Dunkelheit ziemlich blickdichte Bier ein und freue mich, dass sogar ein ordentlicher, leicht kremefarbener Schaum entsteht. Ich schnuppere, und wie erwartet: Phenolische Hefearomen und eine röstige Bittere stechen in die Nase. Aber, ach!, sie harmonieren nicht, sondern bekämpfen einander in der Nase. Ich nehme den ersten Schluck, und der Eindruck setzt sich fort: Alle Aromen und Geschmäcker, die ich ob des Stils erwartet habe, sind vorhanden, aber sie spielen kein Konzert, sondern kreischen in schrillem Diskant um die Wette. Ist es für einen kurzen Moment eine schwere Süße mit warmem Honigcharakter, die ich wahrnehme, so schreit direkt danach eine scharfe Röstbittere um Aufmerksamkeit, nur um von den phenolischen, fast schon in Richtung Heftpflaster gehenden Hefearomen zur Seite geschubst zu werden. Zu allem Überfluss wird der Abgang dann nicht nur schön alkoholisch warm, sondern auch ein bisschen spritig. Jede Komponente für sich wäre schön, hätte Charakter und Wumms, aber alle gemeinsam? Nein, das ist von allem zu viel.
Zwar trinke ich das Bier nicht völlig ohne Genuss, aber es bleibt doch festzustellen: Für jedes überdurchschnittlich bewertete Bier muss es immer auch eins geben, das unter dem Durchschnitt bleibt (so definiert sich ja der ärgerlicherweise oftmals mit negativer Konnotation wahrgenommene Begriff „Durchschnitt“), und letzteres ist bei diesem Bier leider der Fall. Gut gemeint, aber in der Intensität der einzelnen Faktoren weit über das Ziel hinausgeschossen. Schade.
Acht spannende Biere waren das, jedes einzelne ein Unikat und ein Erlebnis, und ihre einzige Gemeinsamkeit ist: Sie stammen alle aus der Region in und um Hannover. Eine Region, in deren Bierszene sich in den letzten Jahren viel getan hat.
Danke für diese schönen Eindrücke, Frank!
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