Und gleich noch einmal!
Vier Tage ist es erst her, dass ein Verkostungspaket aus Hannover eingetroffen ist, und schon klingelt der Paketbote wieder.
Gleiche Paketform, gleicher Absender. Aber der Paketbote denkt sich mittlerweile schon nichts mehr dabei, sondern nimmt es achselzuckend hin. Beim Brunnenbräu werden mehr Bierpakete angeliefert, als ein normaler Mensch sich vorstellen kann.
Aber es ist ja auch nicht normal, sondern besonders. Etwas ganz Besonderes. Liebe Menschen, die mich mit Bier versorgen, und die Begeisterung auf meiner Seite, diese Biere dann auch sorgfältig zu verkosten.
Auf geht’s also: Sechs verschiedene Biere – das macht sechs ausführliche Verkostungsnotizen!
Verkostungsnotizen
Freie Brau Union Bremen – Keller Pils; Freie Brau Union Bremen – Kräusen; Freie Brau Union Bremen – Hanseat 2.0; Freie Brau Union Bremen – Immer Bock – Helles Bockbier; Freie Brau Union Bremen – Swabbie IPA – Bernsteinfarbenes India Pale Ale; BRŁO / Underwood Brewery – МРІЯ IPA
Freie Brau Union Bremen – Keller Pils (4,9%)
„Die Union-Brauerei ist eine 1907 von Bremer Gastwirten gegründete Brauerei, die 1965 von der Haake-Beck AG übernommen und 1968 geschlossen wurde. Im Dezember 2015 wurde der um ein gastronomisches Angebot erweiterte Betrieb wieder aufgenommen“, lässt Wikipedia auf der entsprechenden Seite verlauten. Über sechs Jahre ist das schon her, aber bislang ist es mir noch nicht gelungen, dort oben im hohen Norden einmal vor Ort ein Bier zu trinken. Wie gut, dass ich dieses Bier dann wenigstens zugeschickt bekommen habe!
Das Bier ist hellgelb und gleichmäßig trüb, wie es sich für ein Kellerbier gehört. Der Schaum ist mehr als üppig – wäre es auf dem Balkon nicht so windig, könnte ich einen schönen Schaumturm bauen. Aber auch so ist es, obwohl etwas windschief, durchaus beeindruckend. Der Duft ist ein bisschen getreidig-süßlich und weist nur im Hintergrund eine hopfig-herbe Note mit einem feinen metallischen Akzent auf. Der Antrunk ist überraschend weich, die Kohlensäure sehr fein eingebunden. Auf der Zunge ist das Bier trocken mit einer ordentlichen, aber für ein norddeutsches Pils nicht beeindruckenden Herbe; gleichzeitig machen sich retronasal erneut ein paar getreidige Aromen bemerkbar. Es scheint auch dieser etwas getreidige Eindruck zu sein, der das Bier ein bisschen süßlicher und runder erscheinen lässt, als es eigentlich ist. Im Abgang wird die Hopfenherbe dann etwas prägnanter, ohne jedoch ein großes Aromenspiel zu entwickeln. Ein gut durchtrinkbares und nicht im negativen Sinn eindimensionales Bier.
Freie Brau Union Bremen – Kräusen (5,0%)
Kräusenbiere haben oft einen süßlichen Beigeschmack, der mir nicht behagt, insofern schaue ich im ersten Moment etwas skeptisch auf die Flasche in meiner Hand. Andererseits war das Keller Pils gestern richtig schön herb – vielleicht ist ja auch dieses Bier der Union-Brauerei in Bremen typisch norddeutsch herb?
Hellgelb und gleichmäßig trüb steht das Bier im Glas, ein wenig müde wirkt der Schaum. Zwar ist er schön weiß und kremig, aber so richtig will er sich nicht entwickeln. Der Duft ist malzig bis getreidig mit ein paar süßlichen Noten (gelbe Stachelbeeren?). Der Antrunk ist spritzig, eine feine pfeffrige Schärfe begleitet ihn. Auf der Zunge ringt eine durchaus prägnante Bittere die leichte Malzsüße mit links nieder; es fliegen zwar nicht die Fetzen, aber ein paar retronasale, kräuterige Aromen durch den Mundraum und die Nase. Der Schluck entscheidet auf: Sieg für die Bittere. Kräftig macht sie sich im Rachen bemerkbar, haftet sogar noch triumphierend ein Weilchen, bevor sie dann einen etwas trockenen Hals hinterlässt und so Lust auf einen weiteren Schluck macht. Schön!
Freie Brau Union Bremen – Hanseat 2.0 (6,0%)
Märzen – das ist jetzt nicht gerade der Bierstil, den ich bei einer Brauerei aus Bremen als erstes erwartet hätte. Aber bitte: Doreen F. Gaumann, eine der wenigen Brauerinnen im Business (und das ist rein statistisch in unserer ach so gleichberechtigten Welt leider immer noch signifikant, auch wenn es langsam besser wird), schaut halt über den Tellerrand hinaus. Insofern bin ich nicht nur hochzufrieden, sondern auch neugierig. Neugierig auf die Aromatik, aber auch neugierig, warum das Bier denn nun Hanseat 2.0 heißt und nicht 1.1 oder 1a oder wie auch immer. Den ersten Teil der Neugier kann ich leicht stillen, zum zweiten Teil schweigt sich das Etikett des Biers leider aus.
Das Bier hat eine schöne kupferne Farbe mit leichter Trübung, darüber schwebt eine feinporige, kremige und leicht eierschalenfarbene Schaumschicht – nicht besonders üppig, aber schön lange haltbar. Wie die Crema auf einem frisch aufgebrühten Kaffee. Der Duft ist kräftig malzig – ein paar Brotkrustenaromen, ein bisschen Melanoidinaroma, das ist alles sehr stiltypisch. Der Antrunk ist relativ weich und zeugt von gut eingebundener Kohlensäure, und auf der Zunge macht sich ein solider Malzkörper breit, der aber nicht zuckrig süß, sondern eher behäbig vollmundig wirkt. Die Bittere ist durchaus spürbar – zunächst an den Zungenrändern, nach dem Schluck dann auch tiefer im Rachen. Das Bier haftet ob seiner Fülle an den Schleimhäuten, belegt sie ein bisschen und hält sich so nachhaltig in Erinnerung. Retronasal kommt zu den Melanoidin- und Brotkrustenaromen noch ein bisschen dunkler Honig hinzu, der dem Bier einen dezent erdigen Charakter verleiht.
Freie Brau Union Bremen – Immer Bock – Helles Bockbier (7,2%)
Die Erwartungshaltung ist groß. Norddeutsche Bockbiere sind schlanker und deutlich hopfiger als die süddeutschen. Meistens, jedenfalls – es gibt auf beiden Seiten des Weißwurstäquators Ausnahmen in die jeweils andere Richtung. Aber nachdem die bisherigen Biere der Freien Brau Union Bremen mit Ausnahme des Märzens alle eher hopfig waren, so wird doch wohl auch dieses …?
Vorsichtig schenke ich ein. Die goldgelbe Farbe und dezente Trübung gefallen; der schneeweiße Schaum ist allerdings nicht wirklich üppig. Na gut, das ist beim Bockbier aber auch nicht zwingend gefordert (schön wäre es trotzdem …). Der Duft gefällt. Feine Malzaromen mit feinen Biskuitnoten paaren sich mit ins Heuartige, Grasige gehenden Hopfennoten. Jetzt gibt es in Bremen keine Allgäuer Blumenwiesen, aber trotzdem riecht es ein bisschen wie eben eine solche frisch nach der Mahd. Der Antrunk ist sehr weich – nur wenig Kohlensäure, die noch dazu sehr schön eingebunden, und so entsteht ein angenehm kremiger Eindruck. Auf der Zunge setzt sich dies nahtlos fort: Angenehm kremig, malzbetont, aber nicht klebrig süß oder zuckrig, sondern einfach nur rund und vollmundig. Und wieder mit feinen Biskuitaromen, diesmal aber retronasal auch mit feinem Blütenhonig kombiniert. Am Zungenrand und nach dem Schluck kommt jetzt aber der Hopfen. Die Bittere wird nur im ersten Moment vom Malz übertüncht, dann aber bahnt sie sich ihren Weg. Sie wird nicht übermäßig, aber doch so, dass dieser Bock nicht sättigt, sondern eine sehr hohe Durchtrinkbarkeit entwickelt. Ich spüre die Fülle und eine leichte alkoholische Wärme, und gleichzeitig macht mir der Hopfen die Schleimhäute angenehm trocken und lässt mich nach dem nächsten Schluck gieren. Gefährlich schön!
Freie Brau Union Bremen – Swabbie IPA – Bernsteinfarbenes India Pale Ale (6,8%)
So, einen habe ich noch. Fünf verschiedene Biere der Bremer Union-Brauerei hat mir mein lieber Freund in das Paket gepackt, und schon seit der ersten in den Social Media veröffentlichten Verkostung, nämlich dem Kellerpils, liegt er mir in den Ohren: „Ich bin gespannt, wie Dir das Swabbie schmeckt.“ Nun, mein Lieber, jetzt, hier und heute darfst Du’s erfahren …
Aber zunächst muss ich mich über die Bezeichnung ein bisschen ärgern: „Bernsteinfarbenes India Pale Ale“? Wie ich diese Farbangabe hasse. Wer schon einmal die endlosen Ostseestrände im Baltikum entlangspaziert ist, der wird mir beipflichten: „Bernsteinfarben“? Was soll das sein? Die versteinerten Harzklumpen lassen sich hier in allen möglichen Schattierungen sammeln – von Blassgelb über Gold, Orange und Kupfer bis hin zu Dunkelbraun, fast schon Mahagoni. Bitte schön, welcher dieser Bernsteine ist denn dann bernsteinfarben? Im Souvenirgeschäft kann ich wunderschöne Mosaike kaufen, die die Farbenvielfalt des Bernsteins nutzen, teils komplexe Szenen mit einer beeindruckenden Farbvielfalt darstellen …
Intensiv orange (Sic! Das ist also Bernstein im Bremer Verständnis!) leuchtet das leicht und gleichmäßig trübe Bier in der Sonne; darüber steht ein üppiger, leicht eierschalenfarbiger Schaum – kremig, fest und lange haltbar. Der Duft gefällt auf Anhieb: Kräuterige, würzige Noten, die mich ein bisschen an Wiesenkräuter erinnern, ein bisschen aber auch an Kiefernnadeln und an Baumharz. Der Antrunk ist zwar leicht pfeffrig scharf, präsentiert die Kohlensäure aber dezent und gut eingebunden. Auf der Zunge läuft das Bier zu Hochform auf: Eine feste, robuste, aber dennoch samtig bleibende Bittere und ein schön runder, voller, aber nicht zu süßer Malzkörper ergänzen sich hervorragend. In harmonischer Balance bilden Malz und Hopfen ein solides Fundament, eine Bühne, auf der sich die harzigen und kräuterigen Aromen noch ein Weilchen präsentieren können. Nachdenklich schaue ich während des Hinterherriechens und -schmeckens auf das Etikett. Die dort versprochenen Zitrus- und Mangoaromen suche ich vergeblich, kann höchstens einen Hauch von Pampelmusenschale identifizieren. Aber Mango? Höchstens, wenn ich beim Einkaufen mal Pech hatte und eine völlig unreife Frucht erwischt habe, die kaum aufzuschneiden war und bei der ich eher die grüne, gerbstoffhaltige Schale gerochen habe als das Fruchtfleisch. Aber ehrlich: Ich vermisse sie auch nicht. Ich finde das Bier so mit dem harzigen und kräuterigen Profil viel schöner als die vielen, in ihrer tropischen Früchtevielfalt, die irgendwann zur ermüdenden Einfalt wird, hochgelobten Obstkörbchen-IPAs. Viel durchtrinkbarer, viel besser geeignet als Begleiter zu einem würzig-scharfen Essen – am besten zu kross angebratenem Schweinefleisch süßsauer, das dann seine eigenen Fruchtnoten mitbringt und sie mit der Harzigkeit des Biers perfekt kombiniert. Langsam schlucke ich und freue mich noch für einen Moment an der samtigen und doch kräftigen Bittere. Sie bleibt noch geraume Zeit spürbar, ohne jedoch kratzig „nachzuhängen“, und sie erinnert mich daran, doch bitte bald den nächsten Schluck zu nehmen.
BRŁO / Underwood Brewery – МРІЯ IPA (6,0%)
Die deutschen Brauer zeigen sich mit der Ukraine solidarisch. Es gibt zahlreiche Hilfsprojekte und auch das eine oder andere Bier, das in Solidarität mit der Ukraine eingebraut worden ist. Die Berliner BRŁO-Brauerei hat zum Beispiel eine Kollaboration mit der Underwood Brewery aus Kyiv auf den Markt gebracht – das India Pale Ale МРІЯ. Einer der Gründer der Underwood Brewery, Ievgen, war Ende Februar, als Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine startete, zufällig in Berlin, und in wenigen Tagen waren sowohl die Idee als auch Rezept und Bier unter Dach und Fach. МРІЯ, Traum, so hieß das größte zivile Frachtflugzeug der Welt, die Antonov An-225, die gleich zu Beginn des Kriegs in ihrem Hangar von den Russen zerstört worden ist, und МРІЯ heißt nun auch dieses Bier. Die Erlöse aus dem Verkauf dieses Biers gehen unmittelbar in die humanitäre Unterstützung der Ukraine.
Die Farbe ist ein schönes Sattgelb, und nur ein feines Opalisieren sehe ich, keine richtige Trübung. Der schneeweiße Schaum steht schön über dem Bier, hält sich sehr lang und hinterlässt schöne Trinkränder im Glas. Der Duft ist klassisch für ein India Pale Ale. Im Vordergrund rieche ich Pampelmusenschalen, dahinter entfalten sich eher kräuterige und harzige Aromen. Keins von den nur noch entfernt bierähnlichen Tropenfruchtpürees. Der Antrunk ist angenehm, nicht zu hoch gespundet, und auf der Zunge macht sich sofort eine deutliche, aber nicht übermäßige und vor allem weiche Bittere breit. Der Malzkörper ist spürbar, aber nicht übermäßig stark ausgeprägt – gerade die richtige Menge an Malzigkeit und Süße, um der Hopfenbittere eventuelle Spitzen zu nehmen. Im Resultat ist das Bier angenehm ausbalanciert. Die Pampelmusenschalen- und Kräuteraromen sind auch retronasal zu spüren, dominieren das Bier aber nicht. Es ist also durchaus etwas für klassische Biertrinker, denen manche Kreativkreationen zu wild, zu weit weg von „richtigem Bier“ sind. Auch der Schluck bleibt so schön ausgeglichen und balanciert; die Bittere haftet noch einen Moment und klingt dann gleichmäßig und unspektakulär ab. Kein Bier auf der Suche nach dem großen Wow-Effekt, sondern ein schön durchtrinkbarer IPA-Klassiker.
Immer dieser Hannoveraner
Immer derselbe … ;-)