Oban, die hübsche Hafenstadt im Westen Schottlands, ist das Tor zu den Hebriden. Von hier legt die Fähre nach Mull ab, und dann geht es weiter, über die Inseln und zwischen ihnen hindurch.
Aber Oban ist nicht nur Durchgangsstation, sondern mit seiner kleinen Altstadt auch selbst einen Besuch wert. Und wenn man durch die kleinen Gassen stromert, dann steht man irgendwann vor einem winzigen Biergeschäft: The Oban Beer Seller.
Karen Lindsay hat diesen kleinen Laden als Herzensprojekt im März 2020 eröffnet, nur um ihn nach sage und schreibe einem halben Tag bereits wieder schließen zu müssen – unbarmherzig hat die Pandemie zugeschlagen. Zwölf Wochen später ein Neustart, und jetzt blieben die Türen offen – bis heute! Was für ein Glück, dass Karen genügend Durchhaltevermögen bewiesen hat, um diese extrem schwierigen ersten Wochen zu überstehen.
Es ist August, Erntezeit. Das Bier ist reif!
Jetzt, am 2. August 2023, stehen wir amüsiert vor dem kleinen Lädchen und betrachten den Bierdosenbaum, der vor der Tür steht. „Es ist August, Erntezeit. Das Bier ist reif“, stelle ich fest, und wir gehen hinein.
Der Laden ist winzig – wenn mehr als drei Kunden drin sind, können sie sich wohl nicht mehr umdrehen. Aber es ist gut sortiert, übersichtlich und ordentlich, und es gibt ein sehr vielfältiges und ständig im Wandel befindliches Angebot.
„Wie kann ich Euch helfen?“
Tja, ich überlege. Wie antworte ich denn da halbwegs originell? ‚Mit gutem Bier?‘ Weswegen sind wir denn sonst reingekommen?
„Hm, gibt es in Oban eine Brauerei? Wir würden gerne ein paar lokale Biere mitnehmen.“
„Nein“, lautet die Antwort. „Ich muss Euch enttäuschen. In Oban wird nicht gebraut. Nur gebrannt, aber die Whisky-Brennerei genau gegenüber habt Ihr ja bestimmt schon gesehen.“
„Was ich Euch aber empfehlen kann“, fährt Karen fort, „sind Biere von zwei Brauereien, die nicht allzu weit von hier sind: River Leven Ales und Fyne Ales.“
Nun, „nicht allzu weit“, das heißt in den Highlands immer noch rund eine Stunde Autofahrt, aber trotzdem: Den Vorschlag nehmen wir gerne an. Vier Dosen aus diesen beiden Brauereien stecken wir ein; die Flaschen lassen wir schweren Herzens stehen, sie sind zu schwer und zu zerbrechlich, um sie mit dem Flieger mit heimzunehmen.
kleiner Laden, großes Angebot
Ich sehe mich trotzdem noch ein bisschen im Lädchen um. Viele schottische Biere gibt es, daneben einiges aus dem Rest des Königreichs, und in einem Regalfach stehen Tegernseer, Augustiner und Schneider Weisse einträchtig neben belgischen Spezialitäten wie Duvel, Orval, Timmermans und Boon. „Wenn wir jetzt mit dem Auto hier wären …“, überlege ich und werde von meiner holden Ehefrau jäh unterbrochen: „… dann würdest Du auch nicht mehr mitnehmen. Vergiss nicht: Großbritannien ist nicht mehr in der EU – da musst Du den ganzen Kram verzollen!“
Wie recht sie hat.
Es bleibt also bei vier Dosen und ein paar sehr netten Eindrücken. Und dem Gefühl: Hier kann man bedenkenlos jeden Bierliebhaber vorbeischicken – er wird hochzufrieden sein! Insbesondere, da jede Woche ein paar neue Biere hereintrudeln.
The Oban Beer Seller hat dienstags und mittwochs von 12:00 bis 17:00 Uhr, donnerstags und freitags von 12:00 bis 17:30 Uhr und sonnabends von 11:30 bis 17:00 Uhr geöffnet; sonntags und montags ist zu. Das kleine Lädchen liegt direkt neben der Oban Distillery. Die Linienbusse halten an der Haltestelle Dolce Vita fast vor der Haustür, und bis zum ScotRail Bahnhof sind es vier, fünf Minuten zu Fuß.
The Oban Beer Seller
Stafford Street
Oban PA34 5NH
Schottland
Großbritannien
Und wer an den Bieren interessiert ist, die ich mitgenommen habe, hier kommen die …
Verkostungsnotizen
River Leven Ales – Kinlochleven Brewery – Trans-Atlantic – West Coast Pale Ale; Fyne Ales Farm Brewery – Fyne Lager – Modern Helles; Fyne Ales Farm Brewery – Workbench IPA – India Pale Ale; Fyne Ales Farm Brewery – Easy Trail – Session IPA
River Leven Ales – Kinlochleven Brewery – Trans-Atlantic – West Coast Pale Ale (4,4%)
Das Bier ist goldgelb und klar, und es trägt eine feine, schneeweiße Schaumschicht mit begrenzter Haltbarkeit.
Der Duft ist kernig hopfig mit leicht kräuterigen Aromen, die in eine heuartige Richtung gehen.
Der Antrunk ist frisch und kernig – kaum kommt das Bier auf die Schleimhäute der Zunge und Momente später in den Mundraum, wird eine knackige Bittere spürbar. Jedoch … sie ist zwar sehr kräftig, aber dabei trotzdem weich. Keine Kratzigkeit, keine Rauheit. Sie lässt sogar ein wenig Raum für einen feinen Malzkörper, der mit ganz feinen und zurückhaltenden Biskuitnoten gut gefällt.
Der Abgang unterstreicht die Biskuitnoten und die feinen Kräuteraromen, gleichzeitig werden die Schleimhäute trocken und machen Lust auf den nächsten Schluck.
Fyne Ales Farm Brewery – Fyne Lager – Modern Helles (4,7%)
Das Bier ist goldgelb und nur leicht opalisierend, fast klar. Der schneeweiße Schaum entwickelt sich ordentlich, fällt dann aber verhältnismäßig rasch wieder zusammen.
Der Duft ist zunächst etwas dumpf und kartonartig, nach einer Weile wird er aber frischer, hopfiger, etwas kräuterig und präsentiert eine hauchfeine zitronige Note.
Der Antrunk ist frisch und kräftig hopfig. Auf der Zunge macht sich eine für ein Helles ungewöhnlich knackige Bittere breit, die das Bier schon eher in Pils-Sphären katapultiert. Dahinter ist eine feine Malzsüße mit feinen Biskuit-Aromen zu spüren.
Retronasal werden die kräuterigen und leicht zitronigen Aromen des Hopfens deutlich, und der weiche Abgang rundet den Gesamteindruck angenehm ab.
Nicht stilecht (viel zu hopfig für ein Helles), aber schön!
Fyne Ales Farm Brewery – Workbench IPA – India Pale Ale (5,5%)
Das Bier ist schön goldgelb, ganz, ganz leicht trüb und trägt eine schöne, weiße Schaumkrone.
Der Duft ist würzig und harzig – fast wie ein Kiefernwald im kräftigen Sommersonnenschein.
Der Antrunk ist frisch und herb, und auf der Zunge macht sich sofort eine knackige Hopfenbittere breit, die begleitet wird von retronasalen Harzaromen – auch hier wieder Nadelwald, dazu aber auch ein paar Bitterorangen- und Pampelmusenaromen. Sehr angenehm. Das Bier ist trocken, aber nicht knochentrocken – eine feine Restsüße balanciert die Hopfenbittere bestens aus.
Der Abgang schenkt noch einmal ein intensives, restronasales Aromenspektrum mit viel harzigen Komponenten, die sachte abklingen und ein angenehm trockenes Mundgefühl hinterlassen.
Ein Spitzenbier!
Fyne Ales Farm Brewery – Easy Trail – Session IPA (4,2%)
Das goldgelbe Bier ist klar und trägt eine schöne, aber nicht sehr lange haltbare Schaumkrone.
Der Duft ist ähnlich dem Workbench IPA schön würzig und harzig und erinnert an Nadelbäume in der Sommersonne.
Der Antrunk ist nicht ganz so spritzig wie erwartet, und auf der Zunge zeigt sich neben der kernigen Hopfenbittere eine dezente, eigentlich nicht störende, aber trotzdem spürbare Kartonnote, wie ich sie in Leicht- oder Sessionbieren schon das eine oder andere Mal erspürt habe. Das Bier ist schlanker und trockener als das „richtige“ IPA, und die Hopfenaromen bleiben auch retronasal im Bereich der Kräuter, Harze und Terpene. Fruchtnoten erspüre ich hier keine, auch keine Bitterfrüchte.
Der Abgang ist nicht so komplex, aber sauber und mit der Bittere nicht unangenehm. Es gibt einen feinen, trockenen Eindruck auf den Schleimhäuten und somit ein ausgeprägtes Verlangen nach einem weiteren Schluck. Ansprechend.
The Oban Beer Seller
Stafford Street
Oban PA34 5NH
Schottland
Großbritannien
Hinterlasse jetzt einen Kommentar