Nachtrag 26. Juli 2024: Man sollte es kaum glauben – es ist neun Jahre her, dass ich das letzte Mal in der Bier-Bar Herman eingekehrt bin. Immer, wenn ich in Berlin war, hat die Zeit für die letzten hundert Meter nicht mehr gereicht …
Heute aber!
Glutheiß lötet mir die Sonne das Brillengestell an den Ohren fest – ist das noch Wetter oder schon Klima? Echte Dursthitze, und so ist es vielleicht nicht ganz verkehrt, dass wir zunächst im gerade erst eröffneten Biergarten Augustiner auf Bötzow eingekehrt sind, um den ersten Durst mit einem rasch weggezischten großen Bier zu löschen, bevor es jetzt, nur wenige Gehminuten entfernt, an die guten, belgischen Genussbiere mit hohem Alkoholgehalt geht.
Barts Bier-Bar ist gähnend leer. Die Gäste sitzen alle draußen an der Straße. Trotz Autolärm, trotz Hitze, trotz Staub. Wer weiß, wann in Berlin mal wieder so gutes Wetter ist – das muss man ausnutzen. Drinnen sitzen, das kann man immer noch, wenn wieder Herbst ist. Oder Berliner Regensommer …
Wir schließen uns an, und begleitet vom Rauschen des Straßenverkehrs genießen wir drei wunderbare belgische Spezialitäten: Aus der Brouwerij van Honsebrouck kommt das Kasteel Rouge 8° mit, leicht zu erraten …, acht Prozent Alkohol. Fruchtig, süßlich und gefährlich gut trinkbar. Davon ein Literchen gegen den Durst weggezischt, und der Tag wäre gelaufen …
Das Oude Geuze Marriage Parfait aus dem Hause Boon ist ebenfalls acht Prozent stark, aber bei weitem nicht so gefährlich durchtrinkbar. Mit seinen kräftigen Sauernoten zwingt es zu langsamem, bewusstem Genuss. Vier Jahre ist es alt – 2020 steht auf dem Etikett. Und die Reifung hat dem Bier gut getan. Komplex, weich, trotzdem sauer …
Und um zu guter Letzt Früchte und Säure noch fleißig zu kombinieren, kommt noch das Kriek Marriage Parfait aus dem Jahr 2021 hinzu. Ebenfalls von Boon. Ebenfalls acht Prozent. Viel Säure, viel Frucht, viele komplexe, teils leicht ledrige Aromen. Perfekt. Beziehungsweise Parfait.
Drei Achtprozenter bei Gluthitze? Nun, für heute reicht es, mehr geht nicht.

drei Achtprozenter bei Gluthitze
Herrliche Biere, eine nette und sehr aufmerksame Betreuung durch Bart Neyrinck, und heute mal nicht die minimalistische Atmosphäre des Inneren der Bier-Bar, sondern die rustikale Umgebung eines breiten Berliner Bürgersteigs.
Tut der Qualität der Biere und der Intensität des Biererlebnisses aber keinen Abbruch!
Bier-Bar Herman
Nachtrag 12. Februar 2015: Fast genau ein Jahr später haben wir das Herman erneut besucht. Bart Neirynck selber schmiss heute den Laden, und in bester Bierstimmung stellten wir ihn heute vor ein paar Herausforderungen. Kräftige, ausdrucksstarke und individuelle Biere wollten wir haben, trotzdem aber typisch belgisch, und vor allem, und das ist ja immer der schwierigste Teil, am besten welche, die wir noch nie getrunken haben.

Herausforderung angenommen
Bart nahm die Herausforderung gerne an und stellte sich ihr mit Bravour! Immer neue Spezialitäten förderte er aus Kühlschrank und Lager hervor, und bis spät in die Nacht vermochte er es, uns immer wieder mit hervorragenden Bieren zu überraschen. Ein genialer, belgischer Bierabend, mitten in Berlin, fernab vom Heimatland der hier angebotenen Biere. Meisterlich!
Und über den Start in den folgenden Tag decken wir den Mantel des Schweigens. Nur so viel: Es war ein Freitag, der 13., und er machte seinem Namen durchaus Ehre …
Bier-Bar Herman
Belgische Biercafés sind üblicherweise rustikal, urig, mit viel Holz, warmem Lampenschein, eng, gemütlich, und sie punkten mit einer gewaltigen Bierauswahl, die teilweise weit über 100 verschiedene Biersorten betragen kann. Zu jedem dieser Biere wird das passende Glas gereicht, und die Getränkekarte hat den Umfang des Telefonbuchs einer mittleren Kleinstadt.
Die Bierauswahl ist aber nicht nur quantitativ gewaltig, sondern auch qualitativ – die einzelnen Biere sind individuell, unterscheiden sich stark voneinander, und auch eine Verkostung von zehn oder mehr Bieren bleibt ungeheuer abwechslungsreich bis zum letzten Schluck.

Verbirgt sich hier ein belgisches Bier-Café?
Kann ein vergleichbares Konzept in Berlin funktionieren? Und vor allem, kann es das, wenn es auch die urige Gemütlichkeit eines klassischen belgischen Biercafés zugunsten einer trendigen Minimalatmosphäre verzichtet?
Offensichtlich ja, die Bier-Bar Herman beweist es seit Anfang 2013.
Von außen sieht man zunächst nur das große Fenster – keine Leuchtreklame, keine auffällige Bemalung, lediglich ein Standschild, schlicht und schwarz, mit der Beschriftung „Belgische Biere“. Gleich hinter der Eingangstür auf der linken Seite ein beeindruckendes, mit akzentuiertem Licht gut in Szene gesetztes Bierregal. Wohl zweieinhalb, vielleicht drei Meter hoch mit einer gewaltigen Anzahl unterschiedlicher Bierflaschen. Davor die Theke mit einer Handvoll Zapfhähnen und ein paar Barhockern. Weiter hinten, im sehr schmalen, dafür aber sehr tiefen Lokal, Dunkelheit, nur ganz heruntergedimmte Lampen und Teelichter, einige Holztische und –stühle.
Aber keine Gemütlichkeit. Die hohen Wände sind schlicht grau gestrichen, es gibt keine Brauutensilien als Deko an der Wand, keine großen Sammlungen von Biergläsern, Emailleschildern oder Fässern. Nur schlichte, graue Wände und einfachstes Holzmobiliar. Spartanisch. Zu essen gibt es außer Erdnüssen auch nichts.
Es gibt belgisches Bier.
Punkt.

schlichtes Grau ist die vorherrschende Farbe
Die Gäste werden also dazu genötigt, sich ausschließlich auf ihr Bier und auf gute Gespräche (über das Bier …) zu konzentrieren. Zum Herman kommt niemand wegen der Gemütlichkeit, wegen Schicki-Micki-Drinks oder wegen Tanz und Musik. Man kommt, um belgisches Bier zu genießen.
Das Konzept scheint aufzugehen. Während unseres Besuchs am 28. Februar 2014 war das Lokal gut gefüllt, die Tische standen voller Gläser, die beiden Barmänner hatten gut zu tun, um die Versorgung sicherzustellen. Prima!
Die Bierkarte umfasst in der Tat über 100 Positionen, nach Bierstilen gruppiert und mit kurzen (!) Erläuterungen. Aber es lohnt sich, den Kellner zu fragen, was sonst noch im Angebot ist – es kommen immer wieder neue Sorten herein, andere verschwinden, für Abwechslung ist gesorgt. Zu jedem Bier werden gerne ein paar Erläuterungen gegeben, das passende Glas dazu ist selbstverständlich. Ab und an werden im Rahmen von sogenannten „Tap Sessions“ auch Biere nach belgischem Stil ausgeschenkt, die aber in Berlin gebraut worden sind – die Szene der noch jungen, wilden Berliner Craft-Brewer präsentiert sich gerne auch mit diesen Biersorten mit stolz geschwellter Brust. Und gerüchtehalber (allerdings konnte ich es nicht verifizieren) wird einmal pro Woche auch eine Flasche Westvleteren XII per Los zwischen den Gästen zugeteilt. Aus der Rarität wird eine nette Attraktion.

Bier-Bar Herman
Die Bier-Bar Herman hat Eigentümer Bart Neirynck nach seinem ehemaligen und lange verstorbenen Deutschlehrer benannt; dessen Foto ziert auch die Bierkarte und den Internet-Auftritt der Bar. Als Schwarz-Weiß-Aufnahme fügt sich das Bild in den schlichten, dezenten Stil der Bar ein und lenkt nicht vom Biergenuss ab.
Die Bier-Bar Herman ist täglich ab 18:00 Uhr bis 04:00 Uhr in der Frühe geöffnet, mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist sie problemlos zu erreichen: Sie liegt direkt an der U-Bahn-Station Senefelder Platz. Und wenn man nach dem einen oder anderen Bier doch großen Hunger bekommt und höflich nachfragt, gestattet der Kellner auch, dass man sich in der Nachbarschaft einen Burger oder so etwas holt und ihn im Herman verzehrt. Ehrensache, dass man dann aber den Verpackungsmüll selbst wieder mitnimmt.
Bier-Bar Herman
Schönhauser Allee 173
10 119 Berlin
Berlin
Deutschland
Guten Tag vielleicht sind auch Biere von uns für Sie interessant mit freundlichen Grüßen Robert Brüll
Ganz bestimmt, Robert, danke!
Bei Gelegenheit werde ich mir Ihr Angebot mal näher anschauen, prima! Schön wäre es allerdings gewesen, wenn Sie den Link ohne Tippfehler angegeben hätten – dann hätte ich einfach nur zu klicken brauchen, ohne manuell nachzuarbeiten.
Mit bestem Gruß,
Volker R. Quante