Es ist der 4. März 2017 und vom Wetter her der erste Frühlingstag des Jahres. Das Thermometer zeigt 17° C, die Sonne scheint vom wolkenlosen, blauen Himmel, und das einzige, was noch fehlt, ist das erste frische Grün an den Bäumen und Büschen. Es herrscht noch das Braun des Winters vor, aber das wird sich in wenigen Tagen schlagartig ändern.
Gemütlich bummeln wir durch die Parkanlage unterhalb der Burg Špilberk in Brno und beobachten die kleinen Kinder auf dem Spielplatz und die turtelnden Pärchen auf den Parkbänken, als uns ein junger Mann entgegenkommt. In jeder Hand zwei randvoll gefüllt Bierkrüge, ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Ich drehe den Kopf und sehe ihm neidisch nach…
Ein paar Schritte weiter, und wir treffen ein gemütlich daher spazierendes Pärchen, beide mit einem Krug Bier in der Hand.
Noch ein paar Schritte, und auf einer Parkbank sitzt ein junger Mann, hält ein Bier in der Hand und lässt sich von der Sonne wärmen.
Ich wende mich zu meiner holden Ehefrau, aber noch bevor ich etwas sagen kann, zeigt sie mit dem Finger nach vorne: „Da!“
Vor uns liegt ein kleines Wohnhaus am Rande des Parks. Schlichte Architektur, schmucklos. Das Erste, was auffällt, ist der türkisblaue Zierstreifen, aber diese merkwürdigen Farbakzente findet man in Tschechien häufig. Und das Zweite: Die Menschen vor dem Eingang. Eine kleine Schlange hat sich gebildet, ein paar sitzen auch auf der Bank und einigen Klappstühlen links und rechts vom Eingang.
Wir treten näher und sehen den kleinen, unauffälligen Eingang zum nicht minder unauffälligen Ausschank U Alberta. Eine winzige Bierkneipe direkt am Rand des Parks, und offensichtlich die zentrale Versorgungsstation all derer, die uns heute begegnet sind.
U Alberta – Zum Albert. Albert ist Bierbrauer. Aber Brauer ohne Brauerei. Als Kočovny Sládek, also als streunender Brauer, braut er mal hier, mal da. Mietet sich in kleinen Brauereien der Region ein, produziert dort seine Biere, und schenkt sie hier im Keller seines Wohnhauses aus.
Geduldig warten wir, bis wir an der Reihe sind, die kleine Kneipe zu betreten. Es ist rappelvoll. Die meisten Gäste lassen sich ihr Bier zapfen und gehen wieder hinaus in den Park, aber wir haben großes Glück und ergattern ein kleines Tischchen weiter hinten im Raum. Wir nehmen Platz, werfen einen kurzen Blick in die Runde. Urig und gemütlich ist es hier. Simpel, aber einladend. Ähnlich wie die Zoiglstuben in Windischeschenbach noch vor wenigen Jahren, bevor der Zoigl-Boom die Stadt überrannt hat und aus den kleinen Wohnzimmer-Ausschänken fast schon professionell betriebene Gastwirtschaften wurden.
Ein paar Holztische, viele einfache Stühle, und man rückt zusammen, um Platz zu finden. Die junge Kellnerin kommt kaum noch zwischen all den Menschen hindurch. Und hinzu kommen die Draußen-im-Park-Trinker, die sich rund um die Theke ballen und auf ihr Bier warten. Die Luft ist dick, aber rauchfrei, und die Stimmung ist gut.
Sechs Biere stehen zur Auswahl. Am ersten Hahn immer das Albert 10°, ein einfaches, recht alkoholarmes Helles. Ein Alltagsbier, dass auch an heißen Sommertagen im Park noch gut bekömmlich ist. Die anderen fünf Hähne rotieren durch, immer wieder neue Sorten werden angeboten. Meist eigene Biere, die Albert irgendwo in der Region gebraut hat, gelegentlich aber auch besondere Biere von befreundeten Brauern und Kleinbrauereien in Mähren. Jeden Tag, kurz bevor er den Ausschank am Nachmittag öffnet, gibt er die aktuelle Bierliste bei Facebook bekannt.
Ich entscheide mich für ein Štatl Bitter Pale Ale 11,9°, und die Kellnerin serviert es mir im klassischen Pint-Glas. Eine kräftige, strohgelbe Farbe, nicht übermäßig viel Schaum. Ein deutlich spürbares, eher grasiges denn fruchtiges Hopfenaroma. Im Schluck dann kernig mit einer ausgeprägten, aber weichen Hopfenbittere. Ein schönes Bier, gerne auch für den großen Schluck, nicht nur zum Degustieren. Sehr schön!
Die große Gesellschaft im vorderen Teil der Kneipe hat die Tische zusammengeschoben und packt jetzt erstmal die mitgebrachten Einkaufstaschen aus. Pappteller, Brot, gebratene Schnitzel, sauer eingelegte Würste mit Zwiebeln und Paprika, ein großer Kuchen. Ein gewaltiges Picknick. Und dazu natürlich Bier. Und noch mehr Bier. Eine Familienfeier, so wie es scheint. Die Kellnerin ist fleißig, unablässig serviert sie frische Bierkrüge, nur eine Dame fällt aus der Reihe und trinkt Wein.
Trotz des Andrangs hat die junge Bedienung ein aufmerksames Auge. Kaum ist mein Bitter alle, steht sie an unserem Tisch und fragt, was ich denn als nächstes wolle. Wohlgemerkt, sie fragt „Was?“, und nicht „Ob?“. Das „Ob?“ wird, wie eigentlich überall in Tschechien, einfach als „Natürlich!“ vorausgesetzt.
Na gut, eines geht noch, und ich nehme jetzt das Monasterium 15°, ein Dubbel im belgischen Klosterstil. Rötlich kupferfarben, feine, fruchtige Ester in der Nase, weich und rund auf der Zunge. Ein sehr schönes Bier, das vermutlich noch besser zur Geltung käme, würde es in einem offenen Pokal serviert werden und ein oder zwei Grad wärmer sein. Aber auch so: Ein Hochgenuss!
Ich frage die Kellnerin, in welcher Brauerei Albert die beiden Biere denn gebraut habe. Das Monasterium in Slavkov bei der Slavkovský Pivovar, und das Štatl vermutlich auch, aber bei dem sei sie sich nicht hundertprozentig sicher, lautet die rasche Antwort.
Zufrieden mit uns und der Welt, besonders natürlich mit dem Bier und der wirklich ansprechenden Atmosphäre der kleinen Bierkneipe U Alberta stehen wir auf, zahlen und bahnen uns einen Weg durch das Gedränge zurück in den Park. Die Sonne steht schon wieder tief, aber noch ist es warm, und nur mühsam widerstehe ich der Versuchung, einen großen Krug mit dem Albert 10° mit auf den Weg zu nehmen und noch ein wenig hin und her zu bummeln.
Der kleine und gemütliche Ausschank U Alberta, der die Biere der Kočovný Pivovar Albert anbietet, ist täglich ab 15:00 Uhr geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist er am besten mit der Straßenbahn, Linien 5, 6 oder 12, Haltestelle Šilingrovo Náměstí, und dann fünf Minuten zu Fuß durch die kleine Pellicova-Straße am Fuße des Burgbergs.
Nachtrag 23. Juni 2018: Das winzige Bierfest Minifestival Malých Pivovarů na Zelném Trhu v Brně hat sich als fast schon zu winzig entpuppt, und so entschließen wir uns mit ein paar Freunden, die Brünn noch nicht so gut kennen, einen Abstecher weg vom Kohlmarkt zu machen und stattdessen noch im U Alberta einzukehren. Ein bisschen hat es auch was mit der Sommerhitze zu tun – mitten auf dem Markt brennt die Sonne schon arg, wohingegen es im Ausschank beim Albert angenehm kühl ist.
Es ist noch früher Nachmittag, insofern noch nicht allzu viel los, aber es ist urig, und das Bier mal wieder ganz vorzüglich. Heute ist ein Silvio Pellico angesagt, ein süffiges und frisches Lagerbier im Pilsner Stil, der überall auf der Welt so heißt, außer in Tschechien. Fein gehopft, mit einer milden Herbe, nicht allzu stark gespundet. 12° Stammwürze. Ein Bier für große Schlucke bei heißem Wetter. Passt!
U Alberta
Pellicova 10
602 00 Brno
Tschechien
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