Der Papst und das Känguruh
Wien
AUT

Was hat der Papst mit Känguruhs zu tun? War der Heilige Vater etwa in Australien? Nein, die Antwort ist wesentlich profaner: Anlässlich eines beruflichen Aufenthaltes in Wien nutzte ich die Gelegenheit, mich mit Bierpapst Conrad Seidl in einer der besten, wenn nicht sogar DER besten Bierbar in Wien zu treffen, im Känguruh.

Seit 1986 befindet sich in einer kleinen, grauen Seitenstraße unweit des Wiener Westbahnhofs unter der Adresse Bürgerspitalgasse 20 das Känguruh – ein Mekka für Freunde ausgefallener belgischer Biere und sonstiger, handwerklicher Bierspezialitäten. Man behauptet über den Wirt Fredi Greiner (er selber wäre viel zu bescheiden, so über sich zu sprechen), dass man ein handwerklich gebrautes Bier, eine Bierspezialität, die man im Känguruh nicht bekäme, dann auch nicht irgendwo sonst in Wien oder im Wiener Umland zu suchen brauche – dann gäbe es sie ganz einfach nicht!

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Fredi Greiner

Klein, voll, kuschelig warm und urgemütlich dunkel empfängt mich das Känguruh am frühen Abend des 10. April 2013, und Ihre Heiligkeit, Bierpapst Conrad Seidl, wartet schon an der Bar auf mich, ein leckeres Petrus der Brauerei Bavik vor sich auf dem Tresen. Morgen soll Conrads neuer Bierguide 2013 der Öffentlichkeit vorgestellt werden; ich kann meinen Wien-Aufenthalt leider nicht verlängern, um an der Premiere teilnehmen zu können, aber für ein wenig Fachsimpelei über das Buch und eine leckere Bierverkostung sollte es heute doch reichen.

Fröhlich grinsend zieht Conrad ein kleines Päckchen aus einer Einkaufstüte. „Da ist es mir doch tatsächlich gelungen, für Dich ein Vorab-Exemplar des neuen Bierguides zu ergattern!“, sagt er und drückt mir einen handsignierten Bierguide 2013 frisch aus der Druckerpresse in die Hand. „Und darauf trinken wir jetzt ein besonderes Bier!“ Und so beginnt ein wunderbarer Verkostungsabend mit Conrad Seidl und später auch dessen lieber Ehefrau Viktoria, der uns durch die Bierwelt und den Spezialitätenkeller des Känguruhs führte:

Erst unlängst ist die Brauerei des Stifts Engelszell zur mittlerweile achten Trappistenbrauerei ernannt worden und darf neben Orval, Westmalle, Westvleteren, Achel, Chimay, La Trappe und Rochefort nun ebenfalls stolz das Logo „Authentic Trappist Product“ führen. Das aus Engelszell stammende, kräftige, ein wenig an eine leichte Version eines Orval erinnernde Benno machte mit 6,9% vol. den Auftakt unserer Verkostung – ein leichtes, ledriges Aroma lässt an Brettanomyces denken, die kräftigen Hopfennoten sind intensiv, aber harmonisch. Ein Jahr alt ist die Flasche, das Bier ist wunderbar gereift. Ein einmaliger Genuss – handelt es sich doch um eine der allerletzten Flaschen des ersten Suds, wie Conrad zu erzählen weiß, und man habe in Engelszell danach das Rezept ein wenig angepasst.

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die Bar des Känguruh

Als nächstes das Gregorius aus derselben Brauerei: Mit 9,7% vol. deutlich kräftiger, mit Honig verfeinert und kantiger, spitzer, ein wenig unausgewogen im direkten Vergleich zum Benno, aber dennoch ein eindrucksvolles Bier, insbesondere, nachdem es einen Moment Zeit hatte, im Glas zu atmen und sich ein wenig zu erwärmen.

Auf meine Frage nach einer Spezialität, die man sonst nicht bekommt, empfiehlt mit die junge und hübsche Bedienung nach kurzem Nachdenken das Troubadour Magma der Brouwerij The Musketeers im belgischen Ursel. Ein kräftig hopfengestopftes Bier; eine volle, intensive Hopfennase und ein süßlich-malziger Körper, dazu eine feine alkoholische Wärme, die von den 9,0% vol. herrühren – ein weiteres hervorragendes Bier.

Viktoria Seidl probiert derweil das Gulden Draak 9000 quadrupel der Brouwerij Van Steenberge in Ertvelde, ein bernsteinfarbenes, sehr kräftiges (10,5% vol.) und in der Flasche nachvergorenes Bier. Mit leichten Noten von Bittermandel, und wie die anderen Biere heute mit deutlich spürbarem Hopfenaroma – man merkt, dass Belgien spät zwar, nun aber mit Schwung dem Trend zu hopfenaromatischen Bieren folgt, Hopfenherbe und Hopfennase mit klassischer, fruchtiger Aromafülle der belgischen Hefestämme kombiniert und so zu einer eigenen Interpretation der Pale Ales und India Pale Ales findet.

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Verkostung mit Viktoria und Conrad Seidl

Conrad rundet unsere spontane Verkostung noch mit einer letzten belgischen Spezialität ab und bestellt uns eine Geuze Marriage Parfait von Frank Boon aus dem Jahr 2008. Etwas pfeffrige und ganz leicht schweflige Aromen paaren sich mit einer milden Säure und einem kaum zu spürenden Alkoholgehalt von 8,0% vol. zu einem komplexen, spannenden, und doch ausgewogenen, harmonischen Geschmackserlebnis.

Die letzte U-Bahn geht in wenigen Minuten, und so beschließt dieses Bier den wunderbaren Verkostungsabend. Ein letzter, prüfender Blick in die mittlerweile über 200 Positionen umfassende Bierkarte. So viele Sorten, so wenig Zeit!

Fredi Greiners Känguruh ist montags bis sonnabends von 18:00 bis 02:00 geöffnet. Die über 200 Biersorten haben einen klaren Schwerpunkt auf Belgien, aber auch zahlreiche andere Spezialitäten sind dort zu finden. Zu erreichen ist es in fünf Minuten Fußweg vom Westbahnhof. Hervorragend angebunden! – Und das Beste ist: Die Preise sind fair! Während andernorts seltene Biere völlig überteuert angeboten werden, ist dem Känguruh diese Attitüde fremd. Hier stehen der Geschmack und das Fachsimpeln über das Bier im Vordergrund, und nicht die Gewinnmaximierung. Und so ist es selbstverständlich, dass bei meinem nächsten Wien-Besuch das Känguruh erneut auf der To-Do-Liste stehen wird. Definitiv!

Nachtrag 2. Mai 2019: Etwas über sechs Jahre hat es gedauert, bis ich wieder im Känguruh eingekehrt bin. Die Ausreden, warum das so gekommen ist, sind Legion. Entweder waren wir am anderen Ende von Wien verabredet, oder wir waren tagsüber in der Stadt und am Abend schon wieder weg, oder ich war aus beruflichen Gründen an anderer Stelle verpflichtet oder, und das ist häufiger vorgekommen, es gab eine neue Bieradresse in der Stadt, die ich zunächst erkunden musste, und der feste Vorsatz, anschließend dann aber unbedingt noch auf ein letztes Bier ins Känguruh zu gehen, wurde tief in der Nacht doch nicht mehr umgesetzt.

Schlimm!

Heute aber. Endlich! Wenn auch ohne päpstliche Begleitung.

Den Auftakt macht ein ganz simples, aber trotzdem schmackhaftes Zischbier, das Steckenpferd von BrewAge. Kein exotischer Stil, keine seltsamen Zutaten. Einfach nur ein Bier mit recht wenig Alkohol (4,6%) gegen den Durst. Zisch! Das muss einfach mal sein.

Dann folgen aber schon noch ein paar interessantere Biere – wobei, ehrlich gesagt, interessant nicht gleich schmackhaft heißen muss…

Aus der Brauküche 35 (das ist die Brauerei, die auch schon mal einen Schweinskopf in ihrem Mangalitza-Bier mit eingebraut hat) stammt das Cherry Me!, ein überraschend fruchtiges, vielleicht nur einen winzigen Hauch zu süßes Kirschbier mit 6,7% Alkohol.

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das Misty Sunrise der österreichischen Wanderbrauerei Treibhaus

Es wird gefolgt von einem New England IPA namens Misty Sunrise, gebraut von der noch jungen Wanderbrauerei Treibhaus. 5,4% hat es, ist eigentlich gut trinkbar, aber trotzdem: Mir wird sich dieser Bierstil nicht erschließen. Egal woher, egal wie frisch, egal, ob aus Fass, Flasche oder Dose – die NEIPAs sind nicht meine Welt. Zu stark klaffen Aroma und Geschmack auseinander, als dass ich Biere dieses Stils jemals als harmonisch empfinden werde.

Für ein letztes Bier reicht die Zeit nun noch, und ich wähle etwas Rustikaleres: Oids Troat. Ein Pale Ale mit den historischen Getreidesorten Emmer und Einkorn, 5,2%. Gebraut vom Woif Biersieder, der neben Bier auch Most, Met und Brände herstellt. Spannend schmeckt es, etwas kantig und rau. Ein Bier, das sein Potenzial vermutlich erst zu deftigen Speisen auszuspielen imstande ist. Ein beeindruckender Abschluss eines Besuchs im Känguruh, der schon seit vielen Jahren mal wieder überfällig war.

Bilder

Känguruh
Bürgerspitalgasse 20
1060 Wien
Österreich

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