Das Café Abseits – unverändert der Geheimtipp unter den Bieradressen Bambergs. Ein bisschen abseits der üblichen Touristenrouten gelegen (nomen est omen), bietet es in völlig unauffälligem Ambiente seltene Spezialitäten und überrascht auch den erfahrenen Biergenießer. Positiv, natürlich!
Asche über mein Haupt, dass ich zwar schon ein paar Mal dort war, aber bisher immer noch nicht darüber geschrieben habe!
Und, so viel vorneweg, auch diesmal, am 10. März 2018, wird’s nur kurz und fotografisch nur mäßig dokumentiert.
Du hast trotzdem Lust, weiter zu lesen?
Tja, dann muss ich auch weiter schreiben…
Das wichtigste zuerst: Um zum Café Abseits zu kommen, verlässt man den Bamberger Bahnhof auf der „falschen“ Seite, also in Richtung Nordosten, weg von der Altstadt, und läuft ein paar Minuten an Supermärkten und sonstigen uninteressanten Wegmarken vorbei, bis man in der Pödeldorfer Straße eine unauffällige Kneipenfront sieht. Der Schriftzug verspricht „Café-Restaurant und Bierspezialitäten“, und gepaart mit den Reklameschildern von Erdinger, Schneider, Andechser und Kaiserdom fühlt man sich unweigerlich an die unsäglichen Bierspezialkneipen der letzten Jahrzehnte erinnert, die schon als Mekka der Biertrinker galten, wenn es außer einem Konzernbier vom Fass noch ein Weizen aus der Flasche und ein paar überlagerte, weil weder beworbene noch nachgefragte Flaschenbiere von anderen Konzernbrauereien oder zu Recht unbekannten Regionalbrauereien gab.
Aber nichts könnte falscher sein als dieser erste Eindruck.
Also, hinein, und zu früher Stunde einen Sitzplatz an der Theke ergattert. Fünf Zapfhähne bieten solide fränkische Braukunst. Vier davon sind mehr oder weniger fest vergeben, der fünfte rotiert und führt üblicherweise Spezialitäten, die extrem schwierig zu bekommen sind.
Ich bin müde, war den ganzen Tag auf den Beinen und bin, das sei zugegeben, zu faul, lange zu überlegen. „Ein Mönchsambacher Lager“, lautet meine gedankenlose Bestellung, und Augenblicke später steht das Glas vor mir. Mild und süffig. Ein Bier, um den großen Durst zu löschen. Viele in der Region loben es über den grünen Klee.
Nach ein paar Schlucken werde ich wieder ein wenig munterer und beginne, die Bierkarte zu studieren. Neben dem Mönchsambacher Lager gibt es das Keesmann Herren-Pils und aus Huppendorf das Weizen und das Vollbier vom Fass. Der fünfte Zapfhahn, der mit den wechselnden Spezialitäten, bietet heute ein Bier vom American All-Stars Projekt. Die American All-Stars Brewing Company ist ein Projekt von Sebastian Sauer, dem nimmermüden Tausendsassa, der seine Zeit damit verbringt, durch die Welt zu reisen und immer neue Bierrezepte zu entdecken, zu entwickeln und brauen zu lassen. Unter der Bezeichnung American All-Stars braut er jeden Monat zwei Rezepte eines US-amerikanischen Brauers beim Brauhaus Binkert, füllt sie auf KEGs und bietet sie als einmal-und-nie-wieder Bierspezialitäten an.
Hier und heute gibt es aus dieser Serie das By and Large: Beer for Youngsters. Das Rezept stammt von Jerry Gnagy von der Gasthausbrauerei Against the Grain aus Louisville in Kentucky; gebraut wurde das Bier in Breitengüßbach im Brauhaus Binkert.
Neugierig geworden, bestelle ich mir ein Glas davon und lasse mich überraschen. Der Name lässt keinerlei Rückschlüsse auf den Bierstil zu. Ich bekomme … ein Weizenbierglas mit einer milchigen Flüssigkeit und nicht wirklich viel Schaum. Milchig trüb wie ein New England IPA sieht es aus, und auch die kräftigen Hopfenaromen, die mir in die Nase steigen, deuten ein wenig in diese Stilrichtung. Da es aber im Weizenbierglas serviert wird, muss es sich auch um ein Weizenbier handeln, glaube ich, denn diesbezüglich habe ich in die Fachkunde des jungen Manns hinter der Theke volles Vertrauen.
Der erste Schluck bestätigt es. Ein extrem gehopftes Weizenbier. Sehr fruchtig, sehr trüb, sehr bitter. Double dry hopping, also zweimal hopfengestopft, ist das Geheimnis des dominierenden Hopfencharakters, erfahre ich. Mir persönlich ist es zu unausgewogen; zwar schmeckt es nicht schlecht, aber die Hopfenaromen und die Hopfenbittere sind mit den fruchtigen Estern der Weißbierhefe nicht in der richtigen Balance. Anstatt ein harmonisches Ballett auf der Zunge zu tanzen, ringen sie eher miteinander um die Oberhand. Das Bier lässt mich ein wenig ratlos zurück.
Ich blättere noch ein wenig in der Bierkarte. Zwar sind es nur fünf Zapfhähne, aber dafür ist die Liste der Flaschenbiere um so länger und beeindruckender. Einen schönen Querschnitt durch die fränkische Bierwelt gibt es. Ein halbes Dutzend helle Lagerbiere, ebenso viele Weizenbiere, ein gutes Dutzend Bock- und Doppelbockbier, ein paar Dunkle und – natürlich! – ein paar Rauchbiere. Wer sich die Bierszene Frankens erschließen möchte, ohne viel herum zu laufen oder zu fahren, ist bei dieser Auswahl schon gut bedient und hat nach Ende seiner Trinkkur einen guten Überblick bekommen.
Aber Gerhard Schoolmann, der das Café Abseits betreibt, hat noch mehr zu bieten, und jetzt wird es speziell: Rund zehn Craftbierspezialitäten folgen. Ob von Orca-Brau aus Nürnberg, der noch ganz jungen und stilistisch aufsässigen Brauerei von Felix vom Endt, oder von Pax-Bräu aus Oberelsbach, der Ein-Mann-Brauerei von Andreas Seufert, der immer wieder gerne gegen das sogenannte „Reinheitsgebot“ verstößt und wunderbare Geschmackserlebnisse produziert. Aber auch Biere jenseits von Franken finden sich hier – die verschiedenen Abwandlungen der Berliner Weiße, gebraut von Ulrike Genz in ihrer Berliner Brauerei Schneeeule.
Tja, alleine um mich durch die erste Seite der Bierkarte durchzutrinken, müsste ich eine Woche Urlaub in Bamberg machen, stelle ich fest und blättere um. Seite 2 listet die Biere der Weyermann Braumanufaktur auf. In der Mälzerei Weyermann, vom Café Abseits nur ein paar Minuten zu Fuß entfernt, entstehen in einer kleinen Pilotbrauerei spannende Biere, mit denen die Mälzerei zeigt, was alles in ihren Produkten steckt. Erhältlich sind diese Biere normalerweise nur im Souvenirshop der Mälzerei, aber eben auch hier im Café Abseits.
Ach, und da folgt ja auch noch eine dritte Seite! Ein paar handverlesene Biere aus Belgien. Trappistenbiere, Lambieks und das berühmte Pauwel Kwak.
Das unscheinbare Ambiente des Café Abseits, das doch eher wie ein Studentencafé wirkt denn wie eine Craftbier-Bar, bietet noch so viele bierige Überraschungen, und jenseits der Bierkarte gibt es immer auch noch die eine oder andere Spezialität, von der nur ein paar Flaschen da sind, die es also nicht lohnt, in die Karte aufzunehmen. Eine freundliche Frage an Gerhard oder eine von seinen Bardamen oder -herren lohnt da immer.
Unprätentiös, underrated, tiefenentspannt, glücklicherweise nicht allzu bekannt (obwohl bei Ratebeer schon seit sechs Jahren in Folge als einer der very best places to have a beer in the world ausgezeichnet), unauffällig und somit nicht von Touristen überrannt (!) bietet das Café Abseits bereits morgens zum Frühstück kleine Speisen und leckere Biere und einen preiswerten, gemütlichen Treffpunkt für Studenten, die in Bamberg studieren, Bierliebhaber, die etwas Exotisches suchen, Rentner, die um die Ecke wohnen, Amerikaner, die einen Geheimtipp bekommen haben, Familien, die am Nachmittag eine Pause machen wollen, Ratebeer-Ticker, die ihre Liste ergänzen wollen – kurz gesagt, für jeden. Natürlich auch für die wenigen Touristen, die sich hierher, auf die falsche Seite des Bahndamms, verirren.
Das Café Abseits ist gefühlt eigentlich immer geöffnet. Montags bis sonnabends von 09:00 bis 14:00 Uhr (Frühstück!) und von 17:00 bis 00:30 Uhr (Abendessen!); sonntags gleich ganz durchgehend von 09:00 bis 23:30 Uhr. Normalerweise kein Ruhetag, an manchen Feiertagen ist allerdings geschlossen – die aktuellen Öffnungszeiten findet man zuverlässig auf der Website unter dem Label Öffnungszeiten. Zu erreichen ist das Café Abseits problemlos mit den Öffis. Vom Bahnhof Bamberg, an dem auch viele Buslinien halten, geht man nördlich der Gleise in Richtung Südosten bis zur Pödeldorfer Straße und folg dieser dann in Richtung Nordosten – insgesamt kaum mehr als fünf Minuten.
Nachtrag 6. Juni 2020: Drei Monate lang waren Reisen fast unmöglich, war nicht nur in Deutschland, sondern sogar weltweit die Gastronomie weitestgehend geschlossen und befand sich die Welt im Ausnahmezustand. Während der Corona-Virus sich unverändert rund um den Globus austobt, scheint es nun zumindest in Deutschland wieder aufwärts zu gehen, und vorsichtig öffnen die ersten gastronomischen Betriebe wieder. Zeit, einen Ausflug zu wagen und Bamberg zu besuchen.
Natürlich führt mich dabei der Weg auch ins Café Abseits.
Bereits an der Toreinfahrt erwartet mich der Hinweis auf die Corona-bedingten Vorschriften. Mund-Nase-Bedeckung, Registrierung der Gäste und … riesiger Abstand zwischen den Besuchern und Besuchergruppen. Im Biergarten stehen die Tische und Bänke weit auseinander, aber heute, im Nieselregen, sitzt hier sowieso niemand.
Drinnen, im Schankraum, ein ähnliches Bild. Die Stehplätze an der Bar sind mit rotweißem Plastikband abgesperrt, die runden Cafétische auf insgesamt fünf reduziert. In jeder Ecke des Raums steht jeweils ein Tisch, der besetzt werden kann, und der fünfte Tisch in der Mitte dient als Abstandshalter, damit die Gäste nicht „aus Versehen“ der Versuchung erliegen, sich in der Mitte über die Haushaltszugehörigkeitsgrenzen zu treffen. Wirklich gemütlich kann es so nicht werden, aber immerhin: Man kann wieder auf ein Bier ausgehen!
Der Barmann empfiehlt mir den Huppendorfer Josefi-Bock der Brauerei Grasser. 7,0% Alkohol, hell, samtig weich und üblicherweise um diese Jahreszeit schon längst ausgetrunken. Aber durch die wochenlange Schließung gibt es ihn noch! Rasch steht der Glaskrug vor mir, und ich bereue nicht, dieses Bier bestellt zu haben. Rund und süß, weich und süffig, und im Abgang eine feine, ausgewogene Herbe, die gerade kräftig genug ist, Durst auf den nächsten Schluck zu machen. Höchst gefährlich also, wenn ein kräftiges Bockbier so wunderbar süffig ist!
Ein Weilchen genieße ich vor mich hin und überlege, ob ich nicht doch, obwohl übermüdet, noch ein zweites Bier trinken soll. Aber die Vernunft siegt für heute: Morgen ist auch noch ein Tag, und da werde ich wohl noch einmal hier einkehren.
Nachtrag 7. Juni 2020: Gesagt, getan. Der frühe Nachmittag sieht mich erneut die Pödeldorfer Straße entlang spazieren. Eine kurze Einkehr nur im Café Abseits, um einen abwechslungsreichen Biergarten-Nachmittag und -Abend einzuläuten. Nur ein Bier:
Erneut von der Brauerei Grasser, aber diesmal keinen Bock, sondern das Huppendorfer Vollbier. Dunkelbernsteinfarben, klar, feiner, sahniger Schaum, feine Malznoten, süffig ohne Ende. In Windeseile ist das Seidla geleert, der erste Durst des Tages gestillt. Auf zu neuen Taten!
Café Abseits
Pödeldorfer Straße 39
96 052 Bamberg
Bayern
Deutschland
ach guck, dank Deiner Fotos wieder was gelernt: es heißt also Mönch-Sambach, und nicht, wie ich ohne nachzudenken immer angenommen hätte, Mönchs-Ambach! Das lange s ist dermaßen nützlich, das dürfte gern auch in Nicht-Frakturschriften mal eine Renaissance erleben (Minderheiten-Obsession, ich weiß).
ich weiß gar nicht, wie geheim der Tipp Abseits wirklich ist. In den üblich verdächtigen interessierten Kreisen wüsste ich jedenfalls niemanden, der nicht mit Hochachtung und, ja, wohl auch Zuneigung von Gerhard Schoolmanns Institution spräche. Zugegeben, das könnte auch an den üblich verdächtigen interessierten Kreisen liegen, die ich so kenne… :)
Wir lassen, wenn wir Bamberg besuchen, eine Cafe-Abseits-Einkehr eigentlich nur ausfallen, wenn dort grad Betriebsferien sind.
Hm, fast schon befürchte ich, dass Deine Perzeption Beweis dafür ist, dass der Kreis der Kreativbierliebhaber in Deutschland immer noch winzig klein ist. Wenn jeder aus der Filterblase das Abseits kennt und regelmäßig dorthin geht, und es dort trotzdem nicht überfüllt ist, dann scheint die Blase recht klein zu sein.
Wie frustrierend!
Glaubst Du, Gerhard Schoolmann ist frustriert? Da müssten wir ihn wohl mal fragen… Sicher ist der Kreis der Kreativbierliebhaber in Deutschland eine Minderheit, wenn auch nicht mehr ganz so winzig wie noch vor wenigen Jahren — aber eben zwischen Flensburg und Garmisch, zwischen Stralsund und Freiburg, zwischen Aachen und Görlitz quer durch die Republik verteilt. Und dann ist das Abseits, weil in Bamberg, eben leider doch a weng abseitig für häufigere Besuche.
Ich könnte mir vorstellen, das Abseits ist ungefähr genau so, wo Gerhard es haben will: eine angenehm unprätentiös-ungezwungene Studi- und Nachbarschaftskneipe, die meist ganz gut gefüllt ist, aber selten so, dass man nicht noch spontan ein Plätzchen fände. Wo es solides, gutes fränkisches Bier zu fairen Preisen gibt, aber auch Raritäten, die selbst weitgereiste Besessene überraschen und erfreuen können. Ich finde, das ist eine ganze Menge. Abgesehen von der Erdinger-Reklame draußen vor der Tür fiele mir nicht viel ein, was man verbessern könnte! :)
Nein, Gerrit, ich glaube nicht, dass er frustriert ist. Warum auch? Das Café Abseits läuft doch perfekt.
Die Frustration war lediglich auf meiner Seite – als ich realisieren musste, wie klein die Blase ist. Obwohl … überraschend kommt diese Feststellung ja eigentlich nicht. Wenn man sich einmal bewusst macht, woran das liegt, dass man auf allen größeren Bierfesten immer wieder bekannte Gesichter trifft, und zwar meistens dieselben, dann ist das ja auch schon ein sehr starkes Indiz für den immer noch (zu) kleinen Kreis der Bierliebhaber.
Die Szene wächst, aber sie wächst sehr langsam. Und manch bunte Kapriolen übermütiger Jungbrauer fördern das Wachstum leider nicht, sondern hemmen es eher dadurch, dass sie abschrecken. Aber das ist ein ganz anderes Thema, das vom Café Abseits weit weg führt.