Nachtrag 19. Mai 2023: Fast auf den Tag genau fünf Jahre liegt mein Besuch in der BraufactuM Bar in Berlin zurück. Ob sich viel geändert hat?
Die Inneneinrichtung ist auf den ersten Blick unverändert. Aber: Man hat einen ganz eigenen Weg gefunden, mit der Personalknappheit in der Gastronomie umzugehen. Es gibt nämlich keinen Bestellservice an den Tischen mehr. Stattdessen befinden sich auf allen Tischen und Werbeständern QR-Codes, mit denen man auf die Bestellseite von BraufactuM kommt.
Nachdem wir Platz genommen haben, beginnt also ein emsiges Scannen, Herumwischen und -drücken, und – begleitet von leisem Gemurmel – werden Kreditkarten hervorgekramt und Geheimnummern eingetippt.
Es kommt, wie es kommen muss: Die Digitalaffinen in unserer Gruppe haben nach wenigen Sekunden schon ihr Bier vor der Nase stehen, während die etwas Unbeholfeneren noch nicht einmal die erste Seite des Menüs hinter sich haben.
Vom Prinzip her ist es eine effiziente Sache: Ein paar Klicks nur, und nachdem die Bestellung platziert und bezahlt ist (auch Trinkgeld kann man hier geben, weiß zu dem Zeitpunkt aber leider noch gar nicht, wie der Service werden wird …), dauert es bei den Getränken wirklich nur wenige Sekunden, bis sie serviert werden.
Aber: Der Teufel liegt, wie so oft, im Detail. Das System lehnt eine der Schweizer Kreditkarten ab. Bei einer anderen Bestellung wird das Bier zwar in Sekundenschnelle gezapft, dann aber vom Personal auf dem Zapftresen vergessen. Die Küche ist mit der Anzahl der Bestellungen überfordert, und die Gerichte kommen teilweise bis zu einer halben Stunde versetzt an unserem Tisch an. Die ersten haben fertiggegessen, als die letzten ihr Essen gerade erst bekommen.
Die eine junge Dame im Service ist sehr freundlich, der andere junge Mann eher kurz angebunden und von den Gästen genervt. Wem von den beiden fließt eigentlich das eingebuchte Trinkgeld zu? Blöd!
Nee, das sind (noch) zu viele Nachteile, als dass ich diesen Weg gutheißen kann. Obwohl ich mich zu den Digitalaffinen zähle …
Yakeros West Coast IPA
Immerhin war mein Bier in Ordnung. Das Yakeros, ein West Coast IPA, schmeckt angenehm fruchtig und harzig, hat einen voluminösen Malzkörper, den ich so bei „nur“ 6,5% Alkohol nicht erwartet hätte, und gefällt mit seiner Balance durchaus. Auch der Burger, den ich mir bestelle, schmeckt gut. Ich bin zufrieden.
Meine Nachbarn am Tisch allerdings nicht: Bei einigen ist der Burger in ein kaltes, nicht aufgebackenes Brötchen gepackt worden und schmeckt dementsprechend lappig. Die Reklamation wird zwar anstandslos aufgenommen und der Burger noch einmal zerlegt, das Brötchen aufgebacken, und dann alles wieder zusammengesetzt, aber so etwas sollte eigentlich nicht passieren.
Mit sehr gemischten Gefühlen brechen wir wieder auf. Eigentlich eine nette Bar, aber die vielen kleinen Unzulänglichkeiten müssen angesichts des recht hohen Preisniveaus nun wirklich nicht sein.
Ach, ein andermal gehen wir dann lieber woanders hin.
BraufactuM Berlin
BraufactuM – seit 2011 platziert die Dr. Oetker GmbH mit ihrer Radeberger Gruppe kreative Biere mit hohem Aufwand im Handel. Manche Biere werden weltweit eingekauft, spezielle Rezepte in Deutschland gebraut und ganz besondere Editionen saisonal hergestellt. Mit auffälligem, aber nicht zu schrillem Design werden die Biere professionell in geschlossener Kühlkette ausgeliefert und dann im Einzelhandel ebenfalls im Kühlschrank durchaus hochpreisig angeboten.
Das Ergebnis polarisiert, und zwar unabhängig von der Qualität der Biere. Es gibt die Fraktion der Liebhaber, die die Idee unreflektiert gutheißen, weil sie Exklusivität verspricht und man sich mit ihr schmücken kann, ohne selbst Ahnung von Bier zu haben. Es gibt diejenigen, denen jegliches Konzerngebaren ein Graus ist und die daher die BraufactuM-Biere verachten, weil Radeberger beziehungsweise Dr. Oetker dahinterstehen und sie das Konzept als Verrat an der Craftbier-Idee empfinden. Es gibt die Pfennigfuchser, die nicht bereit sind, auch nur einen Cent mehr zu bezahlen als nötig, egal, ob Qualität und Wertigkeit dies rechtfertigen würden, und deshalb vor dem Kühlregal stehen und schimpfen. Und schließlich gibt es die völlig Ahnungslosen, die angesichts der aufwändigen Präsentation gar nicht merken, dass es sich hier um Bier und nicht um Wein handelt, und daher am BraufactuM-Kühlregal achtlos vorbeigehen und sich ihr Bier anderswo suchen.
Bleibt die Gruppe derer, die die BraufactuM-Biere schätzen und den höheren Preis in Kauf nehmen, um im Gegenzug gepflegte und durchaus auch exklusive Biere dafür bekommen. Offensichtlich scheint diese letzte Gruppe ausreichend groß zu sein, dass sich das Konzept rechnet – sieben Jahre sind in der Bierszene eine lange Zeit.
BraufactuM Berlin
Seit 2017 gibt es in Berlin direkt am Alexanderplatz nun auch eine zu diesem Konzept passende Bar – das BraufactuM Berlin. Die Corporate Identity sticht sofort ins Auge. Schriftzüge, Farbgebung, Stilelemente – der Besucher weiß sofort, wo er dran ist.
Ein kleiner Biergarten mit schwarzen Sonnenschirmen an der einen Seite, robuste Holzmöbel direkt zur Straßenseite an der anderen: Für OpenAir Trinker ist gesorgt. Betritt man den Schankraum, so fällt sofort die farbenfrohe Gestaltung der großen Getränketafel hinter der Theke ins Auge. Das Konzept Schwarzes Brett, das in Craftbier-Bars obligatorisch ist, wird hier professionalisiert. Jedes Bier hat seine eigene kleine Tafel, versehen mit einem bunten Farbbalken. Jede Farbe ein Bier. Die Tafeln sind bedruckt, nicht beschrieben, denn anders als in anderen Craftbier-Bars wird hier ein relativ festes Angebot der BraufactuM-Biere ausgeschenkt, die die Biere rotieren nicht ständig durch. Biername und Bierstil werden in großen Buchstaben gut leserlich verkündet. Für die weiteren Details zu jedem Bier findet sich das Kleingedruckte am rechten Rand jedes Täfelchens; um das lesen zu können, muss man dann allerdings an die Bar gehen.
sechzehn Täfelchen, sechzehn Zapfhähne, sechzehn Biere
Sechzehn Täfelchen, sechzehn Zapfhähne, sechzehn Biere. Die Auswahl ist groß und bietet eigentlich für jeden Geschmack etwas an. Vom leichten Kölsch oder erfrischenden Pils bis zum alkoholschweren fassgereiften Stock Ale findet sich einiges, allerdings ist das Angebot insgesamt zu IPA-lastig. Sechs der sechzehn Biere sind India Pale Ales, sei es als Weizen IPA, als West Coast IPA oder als „einfach nur so“ IPA. Das mag seine Berechtigung haben, weil jedes dieser Biere vermutlich geschmacklich individuell ausfällt, aber eine gewisse Tendenz ist offensichtlich.
Ich entscheide mich heute, am 18. Mai 2018, zunächst für ein simples Märzen, das Marzus, mit 5,5% Alkohol. Kräftig kupferfarben, ein schöner Schaum, ein intensiv malziger Geruch, ein voller und runder Geschmack. Gefällt mir.
Serviert wird es in einem Verkostungsglas ohne Stil, fast bis zum Rand gefüllt. Gefällt mir nicht.
Marzus
Zum einen zwingt mich der fehlende Stil dazu, das Glas mit der Hand zu umfassen. Dadurch wird erstens das Bier zu schnell warm (bei Barrel Aged Barley Wines oder ähnlichen Genussbieren ist dieser Effekt erwünscht, beim Märzen aber definitiv nicht), zweitens wird meine Hand vom Kondenswasser außen am Glas nass. Und zum anderen sind Verkostungsgläser eigentlich so designt, dass man sie nicht bis obenhin, sondern nur zu etwa einem Drittel füllt, um so die Aromen besser wahrnehmen zu können.
Jetzt handelt es sich hier nicht um eine Verkostung, und ein Märzen ist vielleicht auch ein Stil, den man nicht erst minutenlang erschnuppern muss, bevor man zum ersten Schluck ansetzt, aber dann wäre es auch nur konsequent, statt des Verkostungsglases einen zum Bier besser passenden simplen Willibecher oder Krug anzubieten.
Meckern auf hohem Niveau? Mag sein, aber hohes Niveau ist der Anspruch, mit dem BraufactuM antritt.
Während ich auf mein Essen warte (die Küche ist burger-orientiert, bietet aber auch eine gute Auswahl an Salaten und ist sehr abwechslungsreich), bestelle ich mir ein Soleya, ein Saison mit 6,5% Alkohol. Historisch gesehen waren die Saisonbiere leichte Biere für den Sommer, um die Arbeiter auf den Feldern bei Kraft und Laune zu halten. 6,5% sind also eigentlich schon am oberen Rand dessen, was historisch korrekt wäre. Aber die Tendenz geht zu kräftigeren Saison-Bieren, und dieses profitiert auch sehr davon. Wilde, etwas ungestüm wirkende Hefearomen, ein kräftiger und kerniger Geschmack – ein sehr schönes Bier.
Statt eines Verdauungsschnapses gönne ich mir zum Abschluss das Stock Ale namens Barrel 1. Ein alkoholstarkes Bier, das vier Monate in Slyrs-Whisky-Fässern reifen durfte. 11,5% Alkohol sind eine Ansage, und so beschränke ich mich auf 100 ml, also eine kleine Genussportion.
Der freundliche junge Kellner serviert blitzschnell. 300 ml im Probierglas, gut gefüllt. „Aha, so sehen in Berlin also 100 ml aus“, lästere ich. Der junge Mann erkennt seinen Fehler, bietet aber sofort an, für das Glas nur den 100-ml-Preis zu berechnen. Fair enough! Natürlich trinke ich es trotzdem ganz aus, zahle auch den ganzen Preis, aber die Geste ist in Ordnung.
Bei diesem Bier bewährt sich das Verkostungsglas ohne Stil. In der Hand gehalten erwärmt sich das Bier langsam und setzt seine schönen, komplexen Whisky- und Malzaromen frei. Ein herrliches Geruchserlebnis, schon lange vor dem ersten Schluck. Und hätte ich wirklich auch nur 100 ml im Glas, so könnte ich jetzt auch schwenken, schnuppern, wieder schwenken, wieder schnuppern. Aber das Thema Füllhöhe im Verkostungsglas hatten wir ja gerade…
Ein ausgezeichneter Abschluss für den Besuch im BraufactuM Berlin. Ein echtes 5-Sterne-Bier. Sehr schön.
sechzehn Zapfhähne
Die Atmosphäre in der Bar gefällt offensichtlich nicht nur mir. Mittlerweile ist es rappelvoll, alle Tische sind besetzt, hie und da versucht noch jemand, sich dazwischen zu quetschen. Nur draußen an der Straße scheint es zu kühl zu werden – die Holztische bleiben heute frei. Oder sind es die Tafeln mit den bemüht lustigen Sprüchen, die hier draußen hängen, die nicht ankommen? Mich spricht ein Spruch wie „Burger holen ist irgendwie auch kochen!“ nicht an, lädt mich weder zum Verweilen auf den Bierbänken direkt davor ein, noch lockt er mich ins Innere der Bar. Zu abgedroschen und dümmlich-überstrapaziert ist er schon.
Von derartigen kleinen Aussetzern einmal abgesehen ist das Konzept aber professionell erdacht und konsequent durchgezogen. Eine Bierbar mit gewissem Anspruch, aber nicht so elitär, dass man Scheu haben müsste, hier einzukehren.
Die 2017 eröffnete Bar BraufactuM Berlin ist täglich ab 12:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Vom S-Bahn-, U-Bahn- oder Straßenbahn-Haltepunkt Alexanderplatz sind es nur ein paar Schritte – die Bar ist genau auf der anderen Straßenseite vom ParkInn-Hochhaus.
BraufactuM Berlin
Memhardstraße 1
10 178 Berlin
Berlin
Deutschland
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