Braukunst Live! in München. Seit vier Jahren war ich nicht mehr hier gewesen, sondern hatte Mitte Februar andere Termine oder sonst wie begründeten Zeitdruck gehabt. Jetzt, 2019, habe ich aber wieder einmal Zeit, und dann geht es auch gleich mit Schwung, soll heißen mit einer Zwei-Tages-Karte für Freitag und Sonnabend. Als ob es darum ginge, die verpassten Gelegenheiten der letzten Jahre nun auf einmal nachzuholen.
Nur wenige Schritte sind es von der Bushaltestelle bis zum Eingang des MVG-Museums. Über dem Eingang grüßt das vertraute Logo, das diese Veranstaltung von Beginn an begleitet, und darunter … fehlt etwas. Die vertraute, lange Schlange, in die wir uns in den früheren Jahren immer geduldig einreihen mussten. Innerhalb weniger Augenblicke haben wir den Check-in-Bereich passiert, unsere elektronischen Tickets vorgezeigt, die Probiergläser empfangen, und schon stehen wir mitten in der Halle.
Es scheint nicht gar so viel los zu sein wie seinerzeit. Wir können bequem zwischen den Ständen hin und her schlendern, ohne uns mit Gewalt durch die Menschenmassen durchquetschen zu müssen. Das heißt gleichzeitig auch kürzere Schlangen an den einzelnen Ständen und somit weniger Zeitdruck. Muße gewissermaßen. Muße, die wir nutzen, zunächst einmal die Ausstellerliste und den Hallenplan zu studieren: Bis zur laufenden Nummer 78 geht die Liste, es ist also nach wie vor eine erkleckliche Anzahl von Brauereien und Bierhändlern, die ihre jeweiligen Angebote hier feilbieten.
Wie viele waren es in den vergangenen Jahren? Ich weiß es nicht, aber gefühlt waren es mehr. Oder zumindest mehr verschiedene. Oder mehr exotische? Mehr ausländische? Es ist völlig subjektiv, aber nach der ersten Runde durch die Halle kommt es uns vor, als sei das Angebot nicht mehr ganz so spannend, ganz so bunt, ganz so experimentell. Oder haben wir uns über die Jahre so sehr an die Vielfalt gewöhnt, dass wir gar nicht mehr zu beeindrucken sind? Sind wir zu anspruchsvoll geworden?
Frank Böer, der Veranstalter, spricht in seinem Grußwort im Prospekt von dem „größten Festival dieser Art in GSA“, also kann es ja gar nicht so sehr geschrumpft sein, egal was GSA auch heißen mag…
Einen Moment googeln wir vor uns hin. GSA? Geological Society of America? German Snowboard Association? Grenzschutzabteilung? Gustav Siewerth Akademie? Meine holde Ehefrau und ich einigen uns grinsend darauf, dass es wohl German Speaking Area heißen muss, alles andere ergäbe wohl keinen Sinn.
Aber genug des Sinnierens und des Philosophierens. Stürzen wir uns ins Getümmel und fangen doch einfach mal an, zu probieren. Direkt vor uns sehen wir den Stand von Tilo Jänichen mit der Ritterguts-Gose. Schön, Tilo endlich einmal persönlich kennenzulernen und nicht immer nur per eMail oder Messenger. Vier Gosen hat er dabei, neben seiner „normalen“ Gose (soweit man bei diesem Bierstil überhaupt von „normal“ sprechen kann…) eine Spezial-Gose mit drei Hopfensorten und Bergamotte (5,2%), die uns sehr gut gefällt, einen Gose-Bock namens Bärentöter (6,6%), den wir noch besser finden, und schließlich ein Ur-Gose Märzen (5,4%), in dem Zirbenzapfen und Räuchersalz mit verbraut worden sind – beides aber nur sehr dezent, so dass es im Resultat ein sehr trinkbares Bier ergibt, von dem locker auch eine Halbe oder zwei gingen, nicht nur der hier auf der Braukunst Live! übliche winzige Probierschluck. Ein guter Auftakt!
Nur ein paar Schritte weiter der deutlich größere Stand vom Hofbräu München. Sollen wir hingehen, sollen wir nicht? Eigentlich sind wir nicht wegen der großen Brauereien aus München und dem Umland hier, sondern wegen der kleinen, eher exotischen Braustätten. Andererseits: In der Hosentasche haben wir zwei Gutscheine, und der hopfengestopfte Hallodri wird jedes Jahr extra nur zur Braukunst Live! eingebraut. Also doch Hofbräu. Und wer sagt’s denn: Sowohl der Maibock (7,0%) – Maibock im Februar??? – als auch der Geschmeidig gehopfte Hallodri (6,1%) erweisen sich als sehr süffige und gefällige Biere. Gut gelungen!
Geiz ist geil, heißt es in Deutschland doch immer noch, und so angeln wir nach den nächsten beiden Gutscheinen, die wir am Eingang bekommen haben, und gehen an den Stand der Crew-Republic. Hier haben wir mit den Gutscheinen die große Auswahl und entscheiden uns angesichts der noch frühen Uhrzeit für eher leichte Biere, das Easy (4,9%), das uns ein bisschen dünn vorkommt, und das In Your Face (6,8%), das uns schon eher zusagt. Vielleicht passte das Easy einfach nicht in die Reihe der eher geschmacksstarken Biere? Aber war da nicht auch eine leicht dumpfe Note, die in diesem recht leichten Bier dann entsprechen stark spürbar wurde? Wir zweifeln, aber nicht lange, sondern ziehen weiter.
Sehr weit allerdings nicht, denn in hellblauem Polohemd sehen wir Martin Seidl winken. Zu winken hätte er gar nicht brauchen, bei seiner hünenhaften Statur hätten wir ihn gar nicht übersehen können. Ohne dass er uns lang fragt, schenkt er uns von seiner Schwarzen Tinte (6,2%) ein, die er in Zusammenarbeit mit seiner eigenen Dietrachinger Brauerei und dem Tölzer Mühlfeldbräu eingebraut hat, und dann gleich auch noch von der Sauren Tinte (6,2%), einem mild gesäuerten Schwesterbier. „Sonderabfüllung!“, höre ich, und Martin haut mir mit seiner gewaltigen Pranke auf die Schulter, dass das gute Bier fast schon wieder aus dem Glas schwappt. Beide Biere prima, stellen wir fest und bummeln weiter.
Eine kleine Enttäuschung wartet auf uns. Der Gutschein von Weihenstephaner erweist sich als etwas unpfiffig, denn man hätte schon sehr genau hinschauen müssen… Nachdem wir ein paar Minuten geduldig in der Schlange am Stand #8 angestanden haben, erfahren wir, dass er nur und ausschließlich für den Vitus Weizenbock gilt, und nicht für die anderen Biere, die – und auch das erfahren wir erst hier beim Nachfragen – zum großen Teil nicht von Weihenstephan, sondern von der TU München stammen. Na, toll! Wegen des Vitus hätten wir nicht so lange anstehen wollen, denn der ist zwar sehr lecker, aber problemlos auch bei uns daheim im Supermarkt erhältlich. Dann halt nicht, denken wir, und zerreißen enttäuscht unseren Gutschein. Diese Werbung ging wohl nach hinten los, und der eine oder andere, der ebenfalls auf andere Biere am Weihenstephan-Stand gehofft hatte, nickt zustimmend.
Wie gut, dass genau nebenan der Hopfenhäcker-Stand steht. Eigentlich wollen wir hier nur ein oder zwei Biere probieren, geraten dann aber in eine spannende Diskussion mit einem begeisterten Stammgast der Brauerei. Ein Bier nach dem anderen holt er und verkostet mit uns, schwärmt von den Bieren, von der Brauerei und von der tollen Stimmung in den Haidhäuser Hinterhöfen, insbesondere freitags von 16:00 bis 20:00 Uhr, wenn beim Hopfenhäcker Rampenverkauf sei und sich die echten Bierliebhaber Münchens dort träfen. Und so arbeiten wir uns in Windeseile an den Bieren entlang: Wuiderer (5,9%), Kill Bill (4,4%), Roter Münchner (4,9%), Chili-Orangen-Bock (7,5%) und schließlich der Whisky Wuiderer (5,9%). Alle fünf Biere ganz hervorragend, wobei die letzten beiden ganz deutlich nach oben herausstechen. Echte Fünf-Sterne-Biere!
Uns schwirrt mittlerweile schon der Kopf, und so nehmen wir uns eine kurze Auszeit, setzen uns in den Catering-Bereich und essen eine Kleinigkeit. Nach ein paar Minuten sind wir wieder aufnahmefähig – weiter geht’s.
Schorsch Tscheuschner, der Brauer mit den stärksten Bieren der Welt, zieht uns in seinen Bann, und angesichts seines Schorschbock 16 World Strongest Lager Oak Barrel Aged (16,0%) denken wir für einen Moment nach, ob wir unsere Skala erweitern und erstmalig sechs Sterne für ein Bier vergeben sollen. Für einen Moment stimmt einfach alles. Die holzigen und leicht vanilleartigen Aromen, die Malzsüße, die Wärme am Gaumen – der perfekte Digestif nach dem fetten Wammerl eben. Rundum zufrieden setzen wir uns auf die Kante eines der Blumenkübel und genießen einfach nur. Was für ein geniales Bier!
Mit zwei Bieren aus Berlin, genauer gesagt von der Schneeeule, lassen wir den Tag langsam ausklingen. Das Whisky ba Porter (6,0%) ist sehr gefällig, wohingegen die Scharfe Irmi, ein Experimentalsud mit Habaneros und Ingwer, sich als so scharf erweist, dass man wohl locker ein Steak darin marinieren könnte. Gar nicht schlecht vom Aroma, aber nicht geeignet, um davon mehr als nur ein Schnapsglas voll zu trinken…
Viele schöne Eindrücke und auch ein paar spannende Begegnungen, eine fesselnde Diskussion über unser beider Lieblingsthema, das sogenannte „Reinheitsgebot“, mit Holger Eichele, dem Geschäftsführer vom Deutschen Brauer-Bund, zahlreiche Gespräche mit Brauern, ohne deren Biere zu probieren, und fröhliche Treffen in immer wechselnden Runden – allein wegen der Menschen hätte es sich fast schon gelohnt, nach München zu kommen…
Tag zwei beginnt mit einer soliden Verspätung. Nach einem übermütigen Frühschoppen und Weißwurstfrühstück war erstmal Mittagsschlaf angesagt, und prompt haben wir verschlafen… Erst kurz nach achtzehn Uhr laufen wir im MVG-Museum ein.
Voller als gestern ist es, aber trotzdem noch nicht übervoll, und kritische Stimmen unken schon herum, dass es wohl deutlich weniger als in den Vorjahren sei… Frank Böer habe letzte Woche genau zum richtigen Zeitpunkt die Rechte an dieser Veranstaltung an den Meininger-Verlag verkauft, heißt es, denn mit dem derzeitigen Konzept der Braukunst Live! ginge es bergab, wird geraunt.
Ob’s stimmt? Wir werden es nächstes Jahr erfahren. Jetzt stürzen wir uns erst noch einmal in das Gewimmel. Wir beginnen mit der estnischen Brauerei Tanker, einem der wenigen ausländischen Aussteller in diesem Jahr. Das Sauna Session, ein Estonian Birch Ale (4,7%), erstaunt mit intensiv harzigen Aromen, die die Genießer in zwei Lager spalten: Die einen lieben es, die anderen hassen es. Dazwischen scheint es nicht viel zu geben. Deutlich mehr um Harmonie unter den Biertrinkern bemüht ist das Black Stockings Mrs. Porter (6,5%), das trotz seines noch erträglichen Alkoholgehalts als echte Geschmackswumme daherkommt. Vorzüglich! Aber auch das Flanders Red Ale namens Ketser (7,0%) entzückt, wenn es auch im Vergleich zum Rodenbach aus Belgien, dem großen Vorbild, etwas zu wenig Körper aufweist. Tanker – eine Brauerei, die man sich merken sollte.
Bei der Camba Bavaria nehmen wir – gewissermaßen im Vorübergehen – ein Friedenswölckchen (5,5%) mit, ein ganz dezent rauchiges Bier, und probieren den Mastrobator (8,5%), der nicht nur mit seinem Namen immer allerhand dumme Sprüche und schmutzige Assoziationen provoziert, sondern malzig, rund und voll ein stolzer, geradezu prächtiger Vertreter seiner Klasse ist.
Wir spazieren mal hierhin, mal dahin und stillen irgendwann unsere Bräugier am Stand der gleichnamigen Brauerei. Das elektroweizen (5,0%) überrascht mit kräftiger Hopfung, und das nachtschwärmer (5,2%) entpuppt sich als grundehrliches Schwarzbier. Solide, robust, aber trotzdem schlank. Gut!
Nächste Station ist die Hertl Braumanufaktur. Die nach eigenen Angaben kleinste Brauerei Frankens mit David Hertl als Tausendsassa, Chefbrauer, Alleinunterhalter und Unikum mit Rampensau-Qualitäten. Das Mr. Gin Keller (4,9%), ein naturtrübes Kellerbier mit Gin-Gewürzen (wird wohl Wacholder sein, oder womit ist Gin sonst gewürzt?) gefällt gut, obwohl oder gerade weil es nur zurückhaltend gewürzt ist und nicht gleich hammerhart die Zunge verpelzt. Getoppt wird es aber vom Whiskydoppelbock (11,3%), dem es gelingt, trotz langer Fassreifung nahezu ohne Säure seine Aromen zu präsentieren. Sehr schön rund und ausgewogen! Aber auch heftig im Alkohol, so dass sich das Ende des Abends schon abzuzeichnen beginnt.
Auf dem Weg zum Schorschbräu, wo wir den Absacker für heute nehmen wollen, kommen wir noch an der Munich Brew Mafia vorbei. Das Green Business (6,0%), ein Grünhopfen Export, überzeugt mit spannenden, teils grasigen Noten vom frischen Hopfen. Das gefällt! Beim Anniversator Doppelbock (8,0%) zanken wir uns für einen Moment mit der ansonsten doch sehr freundlichen Bedienung, die beim Einschenken nicht bemerkt hat, dass im frisch gespülten Glas noch recht viel Wasser drin war. Erst nach ein bisschen insistieren bekommen wir neu eingeschenkt – es wäre schade gewesen, den Doppelbock durch das zwar saubere Wasser auf vielleicht sieben oder gar noch weniger Prozent hinunter zu verdünnen. Unverdünnt schmeckt er gut; ungewöhnlich ist lediglich der Einsatz von etwas Röstmalz, das dem Bier einen überraschend kantigen Abgang verleiht. Interessant!
Jetzt beschließen wir aber den Abend. Beim Schorsch Tscheuschner gibt es für meine holde Ehefrau noch einmal das sechzehnprozentige World Strongest Lager Oak Barrel Aged. Wenn es gestern schon keine sechs Sterne bekommen hat, so soll es doch wenigstens das einzige Bier sein, das wir bei der diesjährigen Braukunst Live! zweimal verkostet haben. Ich bestelle hingegen beim Schorsch ein „Schankbier“, und erhalte genau das, was ich erwartet habe: Das alkoholschwächste Bier, das er heute dabei hat, den Schorschbock 13 mit eben genau 13,0% Alkohol. Auch ohne Eichenfassreifung ein gewaltiges Bier. Rund und voll, malzig, süß und sämig, am Gaumen herrlich wärmend. Ein grandioser Abschluss für zwei spannende Tage.
Mag sein, dass dieses Jahr nicht mehr so viele und nicht mehr so exotische Biere und Brauereien am Start waren. Mag sein, dass die Ausstellungsfläche etwas verkleinert worden ist. Mag sein, dass weniger Besucher als in den Vorjahren da waren. Und mag sein, dass die Atmosphäre insgesamt ein wenig kommerzialisierter geworden ist. Man spricht viel, diskutiert, mutmaßt, lästert.
Trotzdem war es schön, hier gewesen zu sein. Beeindruckende Biere, nette Brauerinnen und Brauer, spannende Diskussionen, fröhliche Gesprächsrunden und viele, viele Gelegenheiten, bisher virtuelle Kontakte und Bekanntschaften endlich mal live zu treffen und in der Realität zu besiegeln. Gelungen.
Nächstes Jahr also wieder. Und dann werden wir wissen, wie sich der Charakter der Veranstaltung mit den neuen Eignern weiterentwickelt. Es bleibt spannend.
Braukunst Live! 2019
Ständlerstraße 20
81 549 München
Bayern
Deutschland
wie immer, super bericht! danke.
Danke, Daniel, für Deine netten Worte!
Mit bestem Gruß,
VQ
Lese gerne deine Berichte, gelegentlich nutze ich auch die Gastro-Tipps.
Danke für diesen tollen Service!
Ulrich
Sehr gerne, Ulrich!
Und Dir vielen Dank für Deine netten Worte!
Mit bestem Gruß,
VQ