Langsam geht der Tag zu Ende. Die Sonne senkt sich, der Himmel wechselt in ein tiefes, fast schwarzes Blau. Nach und nach verlassen die Gäste den Biergarten, und das Personal freut sich, bald Feierabend machen zu dürfen.
Und dann fährt da doch tatsächlich noch kurz vor Schankschluss ein Kleinwagen mit drei Bierbegeisterten vor, die frohgemut aus dem Auto springen und zielstrebig den Tisch ansteuern, an dem der Jungbrauer sitzt und doch eigentlich die Ruhe genießen möchte …
Kann ich ihn verstehen? Oh, sehr sogar! Irgendwann muss auch der längste Tag mal vorbei sein und Ruhe einkehren.
Und kann ich die Bierbegeisterten verstehen? Oh, sehr sogar! Eine ganze Weile sind sie durch die Region gekurvt und haben zu viele geschlossene Bierkeller vorgefunden. Jetzt wird es wirklich langsam Zeit für ein letztes Bier. Ein ganz schnelles, versprochen! Ehrenwort!
„Hier gibt es übrigens Eisbock“, hatte mir unser eingeteilter Kraftfahrer, Herr M., auf dem Weg vom Auto zum Biergarten der Sonnen-Bräu Mürsbach noch zugeraunt. „Du bist doch ein Eisbockfan, oder?“
Ich bin ein bisschen skeptisch. Eisbock in einem fränkischen Biergarten? In einer kleinen Regionalbrauerei am gefühlten Ende der Welt? Will er mir da nicht nur einen Bären aufbinden?
Wir setzen uns zum Jungbrauer, Daniel Schmitt, an den Tisch. Während die anderen ihre üblichen Biere bestellen, frage ich zögernd nach Eisbock, immer noch nicht an dieses Angebot glaubend.
„Eisbock?“ Daniel grinst mich an. Jetzt kommt’s, denke ich, gleich lacht er mich aus. Sein Mund verzieht sich zu einem breiten Grinsen und … „Welchen denn? Ich habe drei verschiedene zur Auswahl!“
„Äh, wie, gleich drei?“ Für einen Moment muss ich meine Gedanken sortieren. Ein kleines Plakat hilft mir zum Glück dabei. Jedes Jahr füllt die Sonnen-Bräu Mürsbach einen Eisbock in ein vorbelegtes Holzfass und lässt ihn reifen. Ein Jahr lang, anderthalb Jahre, so lange, bis der Brauer zufrieden ist und ihn in kleine 0,33-l-Flaschen füllt. Die kann man sich jetzt für knapp 20,- EUR mitnehmen, oder man kann eine kleine Kostprobe im Verkostungsglas bestellen, etwa 4 cl. Eine doppelte Schnapsglasmenge.
Ich schaue auf unseren Fahrer, und er nickt: „Ja, ja, das habe ich mir schon gedacht. Verkoste ruhig alle drei. So viel Zeit nehmen wir uns noch!“ Und so bestelle ich zunächst den 2016er Jahrgang.
19,4% Alkohol hat dieser Eisbock, 38,2% Stammwürze, und er hat fünfzehn Monate Reifung im Jamaika-Rum-Fass hinter sich. Die Rumaromen kommen sehr schön zur Geltung, wunderbar weich fließt das Bier über Zunge und Gaumen, ist angenehm alkoholisch und wärmend. Herrlich. Ich bin zufrieden und träume mit dem Bier in der Hand von der Karibik. Der nachtblaue Himmel, die warme fränkische Sommerluft und die entspannte Atmosphäre im Biergarten passen harmonisch dazu und machen die Illusion perfekt, im Urlaub zu sein.
Allerdings sind 4 cl nicht umwerfend viel, und so hat der karibische Traum irgendwann ein Ende. „Jahrgang 2017, bitteschön. Ich mache jetzt einen Zeitsprung um zwölf Monate“, scherze ich, und Momente später bekomme ich den nächsten Eisbock. 19,7% Alkohol, 39,6% Stammwürze, achtzehn Monate Reifung in einem Jack-Daniels-Whiskyfass aus Tennessee. Auch dieser Eisbock ist samtig weich und kremig, die Whisky-Aromen kommen deutlich, aber nicht zu dominant zur Geltung. Bei allen Gemeinsamkeiten was die Samtigkeit und die alkoholische Wärme anbelangt doch eine spürbar andere Aromatik als der 2016er Jahrgang. Spannend!
„Der 2018er ist jetzt aber ganz anders“, warnt mich Daniel vor und serviert den dritten und letzten Eisbock für heute. 19,8% Alkohol, 40,3% Stammwürze, achtzehn Monate Reifung in einem Laphroaig-Single-Malt-Whisky-Fass von der schottischen Insel Islay. Heftig schlagen die torfigen Aromen dieses speziellen Whiskys durch. Nicht ganz so harmonisch und in sich geschlossen wie die beiden ersten Eisböcke wirkt diese Kreation. Der weiche Malzcharakter des Biers und der leicht aggressive Torfcharakter bekriegen sich im Mund, die verschiedenen Aromen kämpfen um die Oberhand. Kein schlechtes Bier, ganz gewiss nicht, eine ganz hervorragende Kreation, aber im direkten Vergleich mit den beidem Vorgänger-Jahrgängen schneidet dieses Bier ein wenig schlechter ab. Ganz subjektiv, meinen persönlichen Vorlieben folgend.
Trotzdem: Drei beeindruckende Kompositionen. Drei Biere, die ich in dieser Form nicht erwartet hätte. Jedenfalls nicht hier, „auf dem Dorfe“. Daniel lacht. Offensichtlich bin ich nicht der einzige Gast von auswärts, den das überrascht.
„Wir brauen aber auch sonst schon einige Biere, die über das fränkische Standardangebot hinausgehen“, erzählt er. „Da gibt es India Pale Ales, Stouts, einen Rauchdoppelbock. Nicht immer nur Lager und Dunkles.“ Die Bierliebhaber kommen teils extra wegen dieser Sondersude hierher, aber viele Gäste einfach auch wegen der Gemütlichkeit und der Atmosphäre im Biergarten.
Und wem es hier besonders gut gefällt und wer deshalb regelmäßig hier einkehrt, der lässt sich beim Büttner ganz in der Nähe einen eigenen Holzkrug machen, aus dem er dann als Stammgast hier im Biergarten sein personalisiertes Seidla trinken kann.
Biergartenidyll vom Feinsten!
Spät ist es geworden, und der Himmel ist nicht mehr dunkelblau, sondern tiefschwarz. Schön längst hätte der Biergarten geschlossen werden müssen, und wir drei Reisenden haben Daniel Überstunden beschert. So ist es denn auch viel zu spät, um noch einen Blick in das alte, holzbefeuerte Sudhaus zu werfen – das werden wir dann ein andermal nachholen. Aber das ist ja nicht das Schlechteste: Einen guten Grund zu haben, einmal wieder nach Mürsbach zu kommen!
Aufgrund der CoViD-19-Pandemie ist der Restaurantbereich der Sonnen-Bräu Mürsbach noch geschlossen; der Biergarten ist dienstags und donnerstags ab 13:00 Uhr, mittwochs, freitags und sonnabends ab 12:00 Uhr und sonn- und feiertags ab 11:00 Uhr geöffnet. Montags ist Ruhetag; wenn Montag ein Feiertag ist, dann ist am Dienstag zu. Man kann Mürsbach zwar mit dem Bus erreichen, dessen Abfahrtszeiten sind aber auf Berufspendler und Schüler optimiert. Als Biergartenbesucher verpasst man die letzte Abfahrt mit ziemlicher Sicherheit. Es empfiehlt sich daher die Anreise mit dem Auto und einem eingeteilten Fahrer, der sich von den Eisböcken fernhält.
Sonnen-Bräu Mürsbach
Zaugendorfer Straße 4
96 179 Rattelsdorf OT Mürsbach
Bayern
Deutschland
Ist halt die Frage ob man hier von Eisbock reden kann. Denn bei alkohltoleranter Hefe könnten die Stammwürzen ohne Eisbockverfahren zu den genannten Alkoholgehalten führen, oder unterliege ich hier einem Denkfehler? Umgekehrt ist die Frage, ob ein Bier nach Eisbockverfahren überhaupt mit einer sinnvollen Stammwürzeangabe versehen werden kann.
Ansonsten liegt Mürsbach auf der wohl unbekanntesten aber interessantesten Bierroute, die ich zweimal mit dem Fahrrad gemacht habe. Thema Gemeindebrauereien und Hausbräu. Von Bad Rodach nach Ebing
Hallo, Gernot,
also, Eisbock ist’s schon, da er ja ausgefroren wurde, bevor er in das Fass eingebracht und ausgebaut wurde.
Mit den Alkoholgehalten von knapp 20% wären wohl auch alkoholtolerante Hefen an der Grenze ihre Leistungsfähigkeit – da wäre es sicherlich zu berücksichtigen, dass die Hefe bei vielleicht 14 oder 15% aussteigt, aber Whisky- und Rumkomponenten im Fass den Alkoholgehalt noch hochtreiben. Dazu kann ich aber nichts sagen, das wäre reine Spekulation.
Mit bestem Gruß,
VQ
Hier bei mir in der Gegend wohnt der Spezialist für Eisböcke und „alkoholtolerante Hefen“, Schorschbräu Georg Tscheuschner. Sein „stärkstes Lager der Welt“ hat 16 Prozent, das ist schon recht viel außerhalb der Eisbock-Welt. Die Mürsbacher haben fast 20&, das geht m.E. nur im Eisbockverfahren. Wenn Daniel „Eisbock“ draufschreibt, ist es sicherlich auch einer…Ich hab die 3 im Laden, aber selbst noch nicht verkostet…feine Biere, Treuchtlingen.