Thomas Lang
Goldberg und der unsichtbare Feind
(Online-Lesung mit Verkostung und Musik)

Der 23. April – der Tag des deutschen Biers. Und der Welttag des Buchs.

Koinzidenz? Zufall? Absicht der Vereinten Nationen, als sie 1995 den Welttag des Buchs ins Leben gerufen haben?

Wer weiß. Auf alle Fälle aber eine sehr schöne Gelegenheit, das Trinken von Bier und das Lesen von Büchern miteinander zu kombinieren. Im Idealfall gleichzeitig und mit einem Bierbuch.

Das kann man dann allein auf dem Sofa machen. Draußen wütet vielleicht noch ein später Aprilsturm, drinnen ist es kuschelig und gemütlich.

Oder man macht es in Gesellschaft. Unter Corona-Bedingungen schwierig, aber es geht. Online.

So versammeln sich denn die Buch- und Bierliebhaber vor dem Bildschirm und lauschen dem Autor Thomas Lang, der aus seinem Buch „Goldberg und der unsichtbare Feind“ vorliest, dem Gitarristen und Sänger Matthias Bauersachs der Gruppe Mattheo & die Bringer, der zwischendurch mit viel Verve musiziert, und dem Brauer und Bierkenner Werner Dinkelaker von der Schönbuch Braumanufaktur, der mit den Zuhörern und -schauern vier verschiedene Biere verkostet – in einem Speedtasting, wie er selbst sagt. Um den Autor nicht zu lang zu unterbrechen.

Auf geht’s, Thomas hat das Wort und führt den Hauptcharakter seines in Stuttgart und Belgien spielenden Bierkrimis ein. Stakkatoartig klingen die kurzen Sätze des ersten Kapitels ins Mikrofon. Hastig, atemlos machen sie Lust auf die Handlung, aber auch auf das erste Bier.

Verkostungsbeginn

Szenenwechsel: Werner präsentiert das erste Bier. Nicht ohne hintergründiges Augenzwinkern, denn während die erzkonservativen Brauerbünde Deutschlands und Bayerns den Tag des deutschen Biers untrennbar mit dem sogenannten „Reinheitsgebot“ verquicken, nimmt er sich die Freiheit, ein belgisches Kirschbier vorzustellen. Belgien, weil Ort der Handlung von Thomas‘ Bierkrimi, Kirschbier, weil mit dieser natürlichen und gesunden Zutat ein Dorn im Auge der Konservativen. Das Kriek also, aus der Brouwerij Boon:


Brouwerij Boon – Kriek Boon

Brouwerij Boon – Kriek Boon

Die tiefrote Farbe strahlt klar und ungetrübt im Licht; das Bier ist gekrönt von einer rosafarbenen Schaumschicht. Sauerkirschen dominieren den intensiven Duft, der schon beim ersten Schnuppern das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt – ein herrlicher Eindruck, der sich beim ersten Schluck verfestigt. In Sekunden verteilt sich das intensive Kirscharoma überall im Mund. Eine dezent in die Fruchtaromen eingebundene Säure gefällt, harmonisch erfrischt sie, paart sich mit der durchaus kräftigen Spundung. Beim Schluck kommt eine feine Trockenheit zum Vorschein, und dann offenbart sich retronasal ein ganzes Universum von Aromen: Marzipan, Vanille, holzige Noten und immer wieder dunkle Kirschen. Ein wahres Duft-Universum. Eine faszinierende Aromenintensität – und das bei nur 4,0% Alkohol!


Während die Aromen des Kriek langsam abklingen, spielt Matthias auf und schlägt die Seiten der Gitarre, auf dass auch unsere Ohren zu ihrem Genuss kommen.

Matthias Bauersachs

Wir sind wieder aufnahmebereit, und Thomas liest ein wenig weiter, beschwört rustikale Kneipenromantik und arbeitet die Details seiner Charaktere weiter heraus.

Bis zum nächsten Bier, das ebenfalls aus Belgien stammt:


Westmalle – Dubbel

Westmalle – Dubbel

Ein bisschen vorurteilsbeladen gehe ich an diese Verkostung. Das Westmalle Dubbel habe ich bisher immer als etwas unharmonisch und kantig empfunden. Dunkelbraun, leicht trüb steht das 7,0%ige Bier im Glas. Der beigefarbene Schaum ist nicht üppig, aber recht lange haltbar. Ich rieche eine leicht metallische Note, die ich so von diesem Bier noch nicht kenne, dahinter etwas Dunkelmalz. Nach dem Kirschbier vorher leider etwas unterkomplex, und insbesondere unterstreicht der direkte Vergleich jetzt auch die nach meinem Empfinden durchaus fehlende Harmonie. Der Antrunk ist voll, etwas röstig, leicht karamellig, auf der Zunge macht sich schon eine gewisse Herbe breit, die sich im Abgang zu einer ausgeprägteren und leicht adstringierenden Bittere auswächst, die etwas nachhängt.


Erneut spielt Matthias auf – mit viel Inbrunst und Engagement, was um so höher zu bewerten ist, als dass er ja ganz allein vor der Kamera steht, ohne Rückkopplung seines Publikums und ohne, dass sich eine Beziehung zwischen Musikant und Zuhörer aufbauen könnte.

Nachdem uns Thomas anschließend wieder nach Stuttgart und Belgien entführt hat, kommt die erste Verkostung eines deutschen Biers. Es ist extra für den Kraftpaule gebrautes Bier, der hiermit als Gastgeber der heutigen Veranstaltung das erste Mal Erwähnung findet. Wohl die beste Adresse für kreative Biere, die man in Stuttgart finden kann. Wenn auch, wie viele andere Spezialitätengeschäfte auch, in Corona-Zeiten arg gebeutelt, weil keinerlei Verkostungen vor Ort stattfinden können, ist Thorsten Schwämmle als Kopf hinter Kraftpaule eine der agilsten Personen der schwäbischen Craftbeer-Szene.

Unter Werner Dinkelackers aus Zeitgründen etwas gehetzten, aber dennoch fachkundigen Anleitung lassen wir uns das Kraftpaule-Bier nun schmecken:


Kraftpaule – NEIPA – Double Dry Hopped New England IPA

Kraftpaule – NEIPA – Double Dry Hopped New England IPA

Als drittes Bier im Speed-Tasting ein hellgelbes, sehr trübes und dadurch fast schon etwas graustichig wirkendes 5,8%iges Bier mit sehr viel und lange haltbarem Schaum, der dicke Trinkränder hinterlässt. Die Nase erschnuppert einen ganzen tropischen Obstkorb, viele süße und fruchtige Aromen. Beim Trinken herrschen dann aber zunächst Bitterorange und Mandarine im Antrunk vor. Auf der Zunge wird das Bier fest und kompakt, im Abgang sehr bitter, aber diese Bittere bleibt ganz sauber, wird nicht kratzig oder nachhängend. Retronasal werden die Fruchtnoten wieder etwas leichter und frischer, statt Bitterorange und Mandarine identifiziere ich Zitrone und Limone, vielleicht noch etwas Pampelmuse.


Zwischenspiel: Thomas liest und Matthias spielt. Währenddessen genießen die Zuschauer und Zuhörer vor ihren Bildschirmen daheim das doppelt hopfengestopfte New England India Pale Ale.

Da es nur eine 0,33-l-Flasche ist, gelingt es wohl den meisten, den Genuss so rechtzeitig zu beenden, dass der sensorische Höhepunkt des frühen Abends eingeleitet werden kann, nämlich die Verkostung des Weizenbocks aus Werner Dinkelakers Brauerei:


Schönbuch Braumanufaktur – Weizenbock

Schönbuch Braumanufaktur – Weizenbock

Mittelgelb und schön gleichmäßig trüb steht das Bier im Glas, eine nicht allzu üppige, aber lange haltbare Schaumkrone schwebt luftig darüber. Duftige und leichte Ester verströmen einen betörenden und fruchtigen Duft, komplex und fordernd, aber dennoch federleicht. Der Antrunk ist süßlich, ein bisschen hefig, und dann schwebt das Bier über die Zunge, bis es beim Schluck seidig glatt im Rachen verschwindet. Zurückhaltende Bitternoten kommen eher von der Hefe als vom Hopfen, und rückwärts durch die Nase strömen erneut die wunderbaren, spielerischen Ester, während eine weiche alkoholische Wärme im Rachen sachte abklingt. Ein rundum gelungenes Bier. 7,2% Alkohol.


Das Bier zwingt zum langsamen Genuss, und so ist es nur richtig, dass es für heute den geschmacklich-krönenden Abschluss darstellt. Während wir also betört am Glas schnuppern und uns den Weizenbock tröpfchenweise über die Zunge rinnen lassen, bewirbt Thomas in seinen Abschiedsworten noch einmal sein Buch, bevor Matthias den Abend musikalisch abrundet.

Ausklang

Ausgerechnet jetzt fällt der Ton aus, und wir sehen den Sänger und Gitarristen nur pantomimisch. Zu schade. Aber auch: Großen Respekt vor ihm, denn nachdem der technische Fehler behoben ist, fängt er unverdrossen und mit gleicher Energie noch einmal von vorne an.

Seine Stimme verklingt, ein letzter Schlag auf die Saiten der Gitarre – und das war’s für heute. Vier vorzügliche Biere, mitreißend emotional gespielte Musik, spannende und kurzweilige Ausschnitte aus dem Goldberg-Bierkrimi.

Impressionen

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