Grünhopfenbiere – das sind Biere, bei denen der Hopfen während des Brauprozesses nicht in Form von getrockneten Dolden, Pellets oder gar Extrakt hinzugefügt wird, sondern bei denen die frischen, grünen Hopfendolden direkt nach der Ernte verwertet werden, so dass die unverfälschten Aromen erhalten bleiben und dem Bier seinen ganz besonderen Charakter verleihen.
Aber es ist eine Herausforderung. Schon wenige Stunden nach der Ernte beginnen die Hopfendolden zu welken und das in ihnen enthaltende Lupulin fängt an, zu oxidieren. Passt man nicht auf, entwickeln sich ranzige, unangenehme Aromen, und statt Begeisterung erntet der Brauer üble Kritik und Vorwürfe, er hätte vom Brauen keine Ahnung.
Manche Brauereien machen daher aus dem Grünhopfensud ein Wettrennen gegen die Uhr. Während daheim der Brauer den Sudkessel anwirft und die ersten Rasten der Maische fährt, fährt ein Mitarbeiter oder der Chef ebenfalls, aber keine Rasten, sondern den Transporter, und zwar hin zum Hopfenbauern. Die frisch gepflückten Dolden kommen in den Laderaum, und wenn kein Stau und keine Baustelle die Fahrt verzögern, werden die frischen, grünen Dolden nur wenige Stunden später in die wallend kochende Würze gegeben.
Hm, wie das duftet!
sieben verschiedene Sorten Grünhopfenbier
Zwölf Flaschen Grünhopfenbier sind in dem Grünhopfenpaket vom Christian Zwanzger, dem Bräu aus Uehlfeld von der Brauerei & Gasthof Zwanzger. Sieben verschiedene Sorten, und sie harren einer Online-Verkostung, die am 20. November 2021 per Zoom übertragen wird und hier auch später noch abrufbar ist.
Moderiert wird die Verkostung von Norbert Krines.
Moderation: Norbert Krines
Nach einer kurzen Einführung zum Thema gibt es etwas Konfusion, mit welchem Bier begonnen werden soll, aber schließlich einigt man sich vor der Kamera auf das Weiherer Grünhopfenpils der Brauerei Kundmüller. Fabian Letsch von der Brauerei stellt sein Bier vor und empfiehlt ein klassisches Verkostungsglas dazu, damit sich die Aromen des frischen Hopfens bestens entfalten können. Select und Perle habe er verwendet, und das Bier sei mittlerweile bei den Kunden absolut beliebt. Viel würden es sogar den Winter über kühl und dunkel einlagern und dann erst im Frühling trinken, weil es mit seinen Grünhopfenaromen so ein wunderbares Frühlingsbier sei. Das Mindesthaltbarkeitsdatum von rund einem Jahr gebe das her, auch wenn sich das Aroma während der monatelangen Aufbewahrung natürlich etwas verändern würde.
Norbert kommt zu Bier Nummer Zwei, dem Grünhopfen Kellerpils Treuchtlinger Hopfengärtla vom Hechtbräu aus Zimmern. Bernhard Hecht, der Bräu ist auch zugeschaltet. Er erzählt, wie das Bier entstanden ist: Hinter dem Lädchen Feine Biere in Treuchtlingen baut der Ladenbesitzer, Willi Ruppert, ein bisschen Hopfen an, und der ist dieses Jahr komplett in einen 750-l-Sud reingewandert. Das Resultat: Ein recht kerniges, sehr bitteres Pils mit viel Hopfenaroma.
Bier Nummer Drei ist in der winzigen Hausbrauerei Schober entstanden. Nur etwa 130 Liter wurden gebraut, der frisch gezupfte Hopfen mal eben schnell in zwei Minuten mit dem Fahrrad vom Hopfengarten bis zur Brauerei gefahren, wie Klaus Schober, der ehemalige Braumeister der Patrizier Brauerei, der letzte Braumeister in der schon seit Jahrzehnten geschlossenen Bamberger Hofbräu und mit seinen 76 Jahren jetzt schon seit vierzehn Jahren im Ruhestand, fröhlich erzählt. Er ist ein echtes fränkisches Original – sehr kurzweilig. Seine gute Laune und seine Begeisterung für seine selbstgebastelte Brauerei stecken an.
Der Brauer des vierten Biers, Ludwig Koch vom Brauhaus Floß, kann leider nicht live dabei sein, aber über einen kleinen vorgefertigten Videoclip wird er eingespielt und kann nach ein paar technischen Schwierigkeiten sein Bier vorstellen. Besonders die Malzsüße und die Flaschenform haben es Norbert Krines angetan, und im Dialog mit Christian Zwanzger bringt er noch ein bisschen Wissenswertes über dieses Grünhopfen Spezial Export.
Bier Nummer Fünf ist dann ein „Doppelbier“, wie sich herausstellt. Der Grüne Herbst, ein Grünhopfenbock aus der Handwerksbrauerei Zwanzger ist nämlich zur Hälfte in grünen, zur Hälfte in braunen Flaschen abgefüllt worden, und Christian Zwanzger fordert die Teilnehmer an der Verkostungsrunde auf, beide Biere nacheinander zu probieren.
Wie ärgerlich für mich, der ich nicht live dabei sein konnte und die Verkostung anhand des Videos in den Tagen danach nachhole – ich habe nämlich zwischenzeitlich die doppelten Flaschen verschenkt und vom Grünen Herbst nur noch die Version in der grünen Flasche. Ein Anruf beim Empfänger des Geschenks hilft nicht weiter: „Längst getrunken. War gut!“, lautet die ernüchternde Antwort.
Zurück zur Verkostung: Es wird fleißig diskutiert, ob Lichtgeschmack (also der Effekt, der bei stark gehopften Bieren in grünen Flaschen auftritt), ein Fehlgeschmack ist, wenn eine Großbrauerei ihn gezielt für ihre Biere erzeugt, oder ob er dann nicht als ein bestimmendes Element eben dieses Biers auftritt. Etwas, das meiner Meinung nach genauso für Diacetyl gilt, das üblicherweise unerwünscht ist, im tschechischen Lagerbier, insbesondere beim Pilsner Urquell, aber absichtlich hineinkomponiert wird. Failure oder Feature?
Jetzt geht es hoch in den Norden zu Oliver Wesseloh von der Kehrwieder Kreativbrauerei. Sein Frischer Traum (der ganz zu Anfang mal Feuchter Traum genannt worden war, was ich persönlich viel origineller fand) wird im Riedenburger Brauhaus hergestellt und ist dieses Jahr mit Callista gehopft. Es entwickelt sich ein wunderbares Gespräch zwischen Norbert und Christian mit ihrem weichen fränggischen Dialeggd einerseits und Oliver mit seiner ssspitzen Hamburger Zunge. Letzterer klärt dann auch recht ausführlich den Hintergrund des Namenswechsels vom Feuchten zum Frischen Traum auf.
Das letzte (siebte) Bier führt uns zurück nach Zimmern zu Bernhard Hecht. Er hat in seinem Garten genau vier Hopfenpflanzen stehen, jede eine andere Sorte. Dementsprechend ist auch die maximale Menge des Biers begrenzt – mit vier Hopfenstöcken kann man keine hunderte von Hektolitern erzeugen. Er braut sein Bier mit etwas Dinkelmalz und darf es daher – eigentlich – nicht untergärig verbrauen. Also nennt er es Spezialgärung und scheint damit auf der sicheren Seite zu sein.
Sieben Biere – gute zweieinhalb Stunden. Ein spannender Abend.
Es schließt sich noch eine sehr sachliche Diskussion über Sinn und Unsinn der derzeitigen Anwendung des sogenannten „Reinheitsgebots“ an, bis Norbert und Christian die Veranstaltung dann nach etwas über drei Stunden schließen.
meine Verkostungsnotizen
Brauerei Kundmüller – Weiherer Bier – Weiherer Grünhopfenpils (4,9%)
Eine kräftig gelbe Farbe, eine gleichmäßige Trübung und ein schneeweißer, fester und ewig lange haltbarer Schaum prägen die Optik dieses Biers. Die Nase erfasst frische Hopfenaromen, die an das Heu einer am Vortag gemähten Alpe erinnern. Das Bier bringt von Anfang an, vom Antrunk bis zum Abgang, eine kräftige, aber weiche und äußerst aromatische Hopfenbittere mit. Geradezu kremig macht sie sich auf der Zunge breit, der Duft nach in der Sonne trocknendem Heu steigt rückwärts in die Nase, ein paar Akzente frisch geschnittenen Grases und eine ganz feine Zitrusnote mischen sich dazu. Vollmundig wirkt das Bier im Mund, ohne jedoch malzig-süß zu sein. Nach dem Schluck wirbeln die Heuaromen noch durch den Mundraum, während im Rachen die Bittere für eine leichte Trockenheit sorgt, die sofort Gier auf den nächsten Schluck macht, der aber, bitteschön!, auch wieder diese wunderbaren Heuaromen mitbringen möge! Großes Bierkino!
Hechtbräu Zimmern – Treuchtlinger Hopfengärtla – Grünhopfen Kellerpils (4,8%)
Das Bier ist goldgelb und nach vorsichtigem Einschenken auch klar. Erst nach Aufschwenken und Nachgießen des Bodensatzes macht sich eine von feinen Schwebeteilchen begleitete, leichte Trübung bemerkbar. Der Schaum ist weiß, sahnig-fest und stabil, und er hält ewig lang. Der Duft ist klassisch-hopfig mit feinen Heunoten und einem leicht blumigen Charakter. Beim Antrinken wirkt das Bier frisch, und sehr schnell macht sich eine sehr intensive, aber saubere Bittere auf der Zunge breit. Das Bier ist schlank, eigentlich sogar knochentrocken, und die Bittere hält sich auch nach dem Schluck sehr lange. Der Gaumen und der Rachen werden trocken, man wird gierig auf den nächsten Schluck.
Hausbrauerei Schober – Hopfengold Grünhopfenbier (4,9%)
Nur eine leichte Trübe schwächt den goldgelben Glanz dieses Biers. Der Schaum bleibt zurückhaltend; trotz eines kräftigen Plopps beim Öffnen des Bügelverschlusses scheint die Spundung erstaunlich niedrig zu sein. Der Duft ist vordergründig neutral hopfig mit ein paar Heunoten; hintergründig weist er eine dezent animalische Note auf. Der Antrunk ist wie erwartet nicht sehr spritzig, aber dennoch frisch. Auf der Zunge macht sich rasch eine ausgeprägte Hopfenbittere breit, aber auch eine leichte Malzsüße ist zu spüren. Retronasal kommt die animalische Note wieder hervor, diesmal etwas deutlicher als vorher orthonasal. Die nach dem Schluck etwas nachhängende Bittere ist leicht schroff.
Brauhaus Floß – Grünhopfen Spezial Export (5,5%)
Das Bier strahlt im trüben Licht der Abenddämmerung goldgelb, es ist fast blank, nur leicht opalisierend. Der Schaum hält sich allerdings sehr zurück und verschwindet recht schnell von der Bildfläche. Die Nase erfasst klassische, „grüne“ Hopfenaromen, also Heu, Kräuter und Ähnliches, und im Hintergrund etwas dunklen Waldhonig. Der Antrunk ist aufgrund der niedrigen Spundung zunächst weich, bekommt aber rasch eine ganz leicht pfeffrige Note. Es folgt eine recht kräftige Vollmundigkeit, die es in ihrer Malzsüße mit der spürbaren Bittere recht erfolgreich aufnimmt. Retronasal kommen sehr intensive Honigaromen hervor, die manchmal ein Begleitaroma von überaltertem Bier sein können, hier aber gut in den Gesamteindruck passen. Nach dem Schluck macht sich die Bittere im Rachen recht breit, bleibt verhältnismäßig lange präsent und paart sich minutenlang mit immer wieder neu nach oben steigenden, schweren Honigaromen. Eine recht ungewöhnliche Komposition.
Handwerksbrauerei Zwanzger – Grüner Herbst – Grünhopfenbock (7,4%)
Nach vorsichtigem Einschenken ist das Bier kupferfarben und fast klar, aber in der Flasche bleibt ein dicker, dicker Bodensatz – ein Gemisch aus Hefe und Hopfen. Der Schaum entwickelt sich üppig und hält dann auch entsprechend lang. Der Geruch ist intensiv hopfig. Zu den klassischen „grünen“ Aromen gesellen sich Fruchtnoten – ich identifiziere ein bisschen Mango, etwas Passionsfrucht und einen Hauch von Honigmelone. Bereits der Antrunk ist extrem hopfendominiert, aber noch deutlicher wird es auf der Zunge. Hopfenbittere der robusten Art überall im Mund. Auf der Zunge, am Gaumen, nach dem Schluck auch im Rachen. Nicht kratzig oder rau, aber ob ihrer Intensität ist die Bittere sicherlich nur etwas für extreme Hopheads, für Nerds. Lange haftet sie im Rachen, wird dabei aber nicht unangenehm, sondern bleibt weich. Retronasal gehen die Hopfenaromen eher in Richtung Mango; die Passionsfrucht ist hier nicht mehr zu spüren. Und in der Speiseröhre spüre ich eine feine alkoholische Wärme von den 7,4% Alkohol.
Kehrwieder Kreativbrauerei & Riedenburger Brauhaus – Frischer Traum – Wet Hop Pale Ale (5,7%)
Das Bier hat die Farbe von Waldhonig und ist fast klar. Der Schaum ist kremig, fast schon sahnig fest. Neben „klassischen“ Hopfenaromen rieche ich frisch gemahlenen grünen Pfeffer und rote Pfefferbeeren. Der Antrunk ist ähnlich pfeffrig – sehr würzig. Auf der Zunge kämpfen eine leichte Malzsüße und robustere Bittereindrücke um die Oberhand, aber es stellt sich schnell heraus, dass die Malzsüße chancenlos ist. Sie verklingt, aber die leicht scharfe, pfeffrige Bittere bleibt und begleitet auch den Schluck. Eigentlich sollte der verwendete Hopfen (Callista) eher fruchtige Noten (rote Früchte) in das Bier bringen, aber ich finde nur Kräuter und überraschend stark ausgeprägt (aber auch sehr angenehm!) den grünen und roten Pfeffer.
Hechtbräu Zimmern – Homegrown – Grünhopfen-Spezial (5,4%)
„German Craft made in Pappenheim“ steht auf dem Etikett. Das Bier ist kupferfarben, fast klar (erst ganz am Schluss rutschen ein paar Bröckchen vom Hefe- und Hopfenbodensatz mit ins Glas) und trägt einen leicht gelblich schimmernden Schaum, der recht lange hält. Aus der spannenden Hopfenmischung (Mandarina Bavaria, Comet, 20th Century, Polaris) scheint der Polaris am deutlichsten herauszustechen – ich rieche feine mentholfrische Aromen und erst dahinter ein bisschen Blaubeere, wie sie vielleicht vom Comet kommen könnte. Der Antrunk ist leicht pfeffrig scharf, gefolgt von runden, vollen und eher erdig-fruchtigen Aromen, die sich mit der zurückhaltenden Malzsüße gut verstehen. Hier scheint der Comet in den Vordergrund zu rücken – die Blaubeernoten sind insbesondere retronasal deutlich zu spüren. Die Bittere, die sich zeitgleich auf der Zunge ausbreitet und dann nach und nach den ganzen Mundraum einzunehmen beginnt, ist beachtlich, bleibt aber weich, ohne Rauigkeit oder gar Kratzigkeit. Nach dem Schluck bilden sich retronasal aufsteigend noch ein paar feine Brotkrusten- und nussige Aromen aus, die noch einmal einen ganz neuen Aspekt in den Geschmacks- und Geruchsreigen bringen (vielleicht vom Dinkelmalz?). Sehr interessant und dabei trotz der Komplexität sehr durchtrinkbar bleibend.
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