Verkostungs-
Sammelsurium
(alt und ganz alt)

„Du, ich hätte da mal ein paar alte, formal überlagerte Biere. Zum Teil weit jenseits des Mindesthaltbarkeitsdatums. Hättest Du Interesse, die mal zu verkosten? Du machst doch selbst auch immer solche Versuche mit Langzeitlagerung“, fragt mich Herr J., ein Bierfreund aus dem Oberbayerischen.

Da muss ich nicht lang überlegen. „Klar. Warum nicht? Schlimmstenfalls haben wir einmal Porto verschwendet. Bestenfalls entpuppen sich ein paar dieser Biere als wahre Schätzchen.“

„Dann geht das Paket gleich auf Reisen!“

Und da der Herr J. (Nein, liebe rheinländische Freunde, nit dä Herrjott, sondern der Herr J.) eine Laktoseunverträglichkeit hat, finden sich gleich auch noch ein paar Extra-Biere in diesem Paket, die jenseits des sogenannten „Reinheitsgebots“ gebraut worden sind und eben diese Laktose enthalten.

Na, da bin ich auf die Verkostung aber sehr gespannt. Wird bestimmt abenteuerlich. Oder?

Auspacken und Verkostung

Verkostungsnotizen

Flötzinger – Weihnachts-Bock [2016] (7,0%)

Gestern erst habe ich dieses Bier aus einem anderen Verkostungspaket getrunken, allerdings frisch, aus dem Jahr 2021. Nur ein paar Wochen alt. Dieses Bier hingegen hat schon etwas über fünf Jahre auf dem Buckel. Der Unterschied fällt schon beim Blick auf die Flasche auf: Seinerzeit wurde das Bier noch in NRW-Flaschen abgefüllt, mittlerweile ist die Flötzinger Brauerei auf Euroflaschen umgestiegen. Retro!

Das Bier ist honiggelb und leicht trüb, der Schaum schneeweiß und in Resten stabil. Aus dem Glas steigt eine kräftige, herbe Honignote auf – ein Zeichen für die Alterung. Der Antrunk ist weich; sanft und süßlich fließt das Bier über die Lippen und auf die Zunge. Die Malzsüße ist ausgeprägt, gleichzeitig steigen kräftige, würzige Honigaromen auf, die retronasal sehr deutlich und dominierend werden. Das war es vorerst aber auch schon an alterungsbedingten Sensorikeffekten. Der Rest ist ordentlich und ausgewogen. Vollmundig, malzig und süßlich, im Abgang unverändert weich und rund. Erst ganz am Ende kommt noch einmal eine etwas pappige Herbe hervor – auch sie ein Eingeständnis an die Alterung. Fazit: Auch nach fünf Jahren durchaus noch gut trinkbar.

Testbräu – Schwarzwälder Kirsch Stout [2020] (8,0%)

Testbräu ist eine winzige Brauerei in Nebra. Nebra? Das habe ich doch irgendwann schon einmal gehört! In der Tat: Das winzige Städtchen an der Unstrut in Sachsen-Anhalt wurde 1999 berühmt, als auf einem Acker eine Bronzescheibe entdeckt wurde, die Himmelsscheibe von Nebra. Rund 4000 Jahre ist sie wohl alt, hat Applikationen aus purem Gold und zeigt astronomische und religiöse Symbole.

Astronomisch oder religiös ist die Brauerei Testbräu allerdings nicht. Stattdessen: „Ein Ingenieur, ein Biochemikerin, ein OP-Pfleger und die leidenschaftliche Liebe zum Bier und zum Brauen.“

Das Etikett der Flasche trägt einen 42-strahliger Siemensstern als Logo, der vermutlich irgendwann ab einer bestimmten Anzahl von Testbräu-Bieren vor den Augen zu verschwimmen beginnt. „Testen und brauen. Brauen und testen. Und trinken.“

Was das Etikett nicht trägt, ist eine Angabe des Alkoholgehalts. Das Feld, in das die Zahl eingetragen gehört hätte, ist leer. Direkt daneben ist der Stempelabdruck für das Mindesthaltbarkeitsdatum aber gut lesbar: 19. April 2021. Das ist ein Dreivierteljahr her. Ob das Bier trotzdem schmeckt?

Optisch ist dieses Bier auf alle Fälle schon mal ein Stout. Tiefschwarz steht es im Glas, blickdicht, und darüber wölbt sich eine schöne, hellbeigefarbene Schaumkrone, kremig und lange haltbar. Auch der Duft passt zum Namen des Biers. Ich rieche feine Röstaromen, leicht schokoladig und mokkaartig, und dazu ein dezentes Kirscharoma. Ich muss an Mon Chéri, dieses unbeliebte Dankesgeschenk, denken, das auf der Arbeit von einem Mitarbeiter zur nächsten Mitarbeiterin weitergereicht wird, und von dieser weiter an den nächsten Kollegen. So lange, bis die Pralinen entweder vergammelt sind oder die ursprüngliche Käuferin wieder erreicht haben, die die Schachtel dann wutentbrannt in die Ecke wirft. Geschmacklich setzt sich dieser Eindruck fort. Mokka- und Bitterschokoladearomen, etwas Röstmalz und eine kirschige Fruchtigkeit. Zugesetzter Malzzucker sorgt für eine Restsüße, die damit durchaus harmoniert. Retronasal treten Sauerkirscharomen in den Vordergrund, die auch nach dem Schluck noch ein bisschen „ausdampfen“ und die leichte Röstbittere im Rachen überspielen. Am Schluss bleibt nur ein bisschen klebrige Süße auf der Zunge zurück. Die sorgt dann auch dafür, dass das durchaus angenehme Bier nicht sehr durchtrinkbar ist. Nach wenigen Schlucken setzt eine etwas bappige Sättigung ein.

Klosterbrauerei Reutberg – Reutberger Weihnachts Bock [2017] (6,7%)

Die Klosterbrauerei Reutberg ist seit 1924 eine Brauereigenossenschaft und hat laut Auskunft auf deren Website rund 5200 Genossen (Stand 2019, also zwei Jahre nachdem das vor mir stehende Bier gebraut worden ist). Ihre Bockbiere sind bekannt und beliebt – ob es nun der Josefi Bock ist, der Mai Bock, der Helle Bock, der Weissbier Bock oder der Weihnachts Bock. Rund um’s Jahr kann man dem kräftigen Genuss frönen. Und natürlich gibt es daneben auch noch einige Biere in „normaler“ Trinkstärke.

Hier und heute aber der Weihnachts Bock von 2017.

Hellbraun, leicht trüb und ein wenig viskos fließt das Bier ins Glas, und es hat so gar keine Lust, Schaum auszubilden. Schon bevor ich mit der Nase in die Nähe komme, rieche ich schon intensive Honigaromen, und zwar von der warmen, harzigen Sorte – Waldhonig statt Blütenhonig. Typische Alterungsaromen, aber deswegen durchaus nicht unangenehm. Der Antrunk ist weich, kaum Spundung ist zu spüren. Malzig und süß rinnt das Bier über die Zunge, und retronasal werden die Honigaromen noch deutlicher. Daneben spüre ich ein paar dunkle Früchte, vielleicht Dörrobst, und eine feine alkoholische Spitze. Letztere setzt sich dann auch im Schluck und danach durch – eine noch feine, aber schon deutlich spürbare alkoholische Wärme macht sich im Rachen und im Hals bemerkbar. In Würde gealtert, aber nunmehr auf dem absteigenden Ast.

Browar Gzub – Relaks – Mleczny Czekoladowy Stout [2019] (4,1%)

Die Browar Gzub – das ist eine kleine, erst 2017 eröffnete Brauerei aus Polen, die aber zu diesem Zeitpunkt bereits über drei, vier Jahre Erfahrung als Wander- oder Gipsy-Brauerei verfügte. Das auffällige Kürzel BG auf dem Etikett verspricht nicht pasteurisierte Biere mit Flaschengärung, also etwas, das in Polen über Jahrzehnte völlig unbekannt war und erst seit rund zehn Jahren langsam Verbreitung findet. Das erste Bier war ein Saison, und danach eroberte sich die Brauerei Schritt für Schritt den Markt mit einem bunten Strauß unterschiedlicher Bierstile.

Das Milk Chocolate Stout (oder Mleczny Czekoladowy Stout, wie es auf Polnisch heißt) stammt aus dem Jahr 2019 und trägt ein Mindesthaltbarkeitsdatum von März 2020, ist also schon seit zwei Jahren überfällig. Leider zeigt sich bereits beim Öffnen der Flasche, dass das Datum zu Recht auf dem Etikett aufgedruckt ist. Das Bier schäumt aus der Flasche heraus und lässt sich nur mit Schwierigkeiten einschenken. Es ist dunkelbraun, leicht trüb, und der großblasige, ungestüme Schaum hellbraun. Der Duft lässt bereits erkennen, dass es umgeschlagen ist: Er ist deutlich säuerlich. Ebenso der erste Eindruck im Mund: Eine unangenehme Säure, die alle Röst- oder Schokoladenaromen, die sich in diesem Bier bestimmt gefunden hätten, übertüncht.

Fazit: Dieses Bier eignet sich nicht zum Lagern; es hätte besser ganz frisch getrunken werden sollen.

Flötzinger – Mai Bock [2016] (7,0%)

Die Flötzinger Brauerei ist mir vor rund vierzehn Jahren deswegen besonders im Gedächtnis geblieben, weil ihr Brauereigasthof mit einem der größten Wirtshausschilder, das ich je gesehen habe, prunkt. Eindrucksvoll und wuchtig ragt der Ausleger in Rosenheim über den Fußweg. Die Biere, die wir dort getrunken haben, waren gut, aber dennoch ist das Wirtshausschild immer das erste, woran ich beim Stichwort Flötzinger denken muss …

Das Bier hat eine dunkelgelbe Farbe und ist leicht trüb; in der Flasche bleibt ein etwas krümeliger Bodensatz zurück. Der weiße Schaum hält nicht sehr lang. Das Bier duftet nach Honig, und zwar in der für leicht oxidierte und lang gelagerte Biere typischen Art und Weise. Der Antrunk ist weich und rund, auf der Zunge wirkt das Bier malzig-süß, fast schon mastig. Retronasal steigen dabei starke, alterungstypische Honigaromen auf. Nach dem Schluck bleibt nur eine dezente Herbe, die begleitet wird von einer leicht spritigen, alkoholischen Wärme.

Märkische Spezialitätenbrennerei – Edelstahl – The Mash [2015] (7,5%)

In Hagen gibt es eine Brennerei, die Whiskys, Geiste und Liköre herstellt – die Märkische Spezialitätenbrennerei. Da Whisky ganz zu Anfang seines Herstellungsprozesses wie ein Bier eingemaischt wird und vergoren wird (nur ohne Hopfen) und erst mit Beginn des Destillationsprozesses sich die Verfahren beginnen, grundlegend zu unterscheiden, liegt es ja eigentlich nahe, dass eine Whiskybrennerei auch mal ein Bier produziert. Die Hagener haben es getan, und so entstand das Edelstahl – The Mash.

Viel Schaum entwickelt dieses Bier nicht mehr – es bildet sich nur eine dünne, feinporige, beigefarbene Schicht, die dann aber in Resten ziemlich lange hält. Die Farbe des Biers ist ganz dunkelbraun mit einem ganz leichten rötlichen Stich, und nach vorsichtigem Einschenken ist es klar. Der Geruch ist intensiv malzig und ein kleines bisschen honigartig-kräuterig – er erinnert an Blockmalzbonbons. Der weiche und fast viskose Antrunk setzt diesen Eindruck fort. Dickes, würziges Dunkelmalz. Auf der Zunge ist das Bier behäbig und ein bisschen klebrig-mastig. Retronasal wuchert es mit alterungsbedingten Honignoten, die vor dem Malzhintergrund aber gut passen. Im Abgang bleibt es klebrig und süß und verbappt den Gaumen ein wenig. Gut als Likörersatz trinkbar.

Flötzinger – Josefi Bock [2017] (7,5%)

Und noch ein drittes Mal findet sich im Karton ein Flasche aus Rosenheim von der Privatbrauerei Franz Stegmüller, besser bekannt als Flötzinger.

Das Bier ist mittelbraun und leicht trüb – eine Bierfarbe, die ich nicht sonderlich anregend finde. Die beigefarbene, feinporige Schaumschicht ist nur dünn. Der Duft ist geprägt von leicht karamelligen Malzaromen, dahinter verbergen sich ein paar alterungsbedingte Honignoten, die aber noch nicht sehr ausgeprägt sind. Ein typischer Braunbierantrunk mit süßlichen Malznoten und einer etwas brenzligen Herbe bildet den Auftakt. Auf der Zunge ist das Bier malzig, süß und leicht brenzlig-bitter; retronasal kommen ein paar Roggenakzente zu den zu Beginn schon identifizierten Karamell-, Malz- und Honigaromen hinzu. Der Schluck ist unauffällig, nur ganz am Ende bleibt eine leicht raue Bittere.

Sakiškių Alus – Caraway Barley Wine [2019] (9,0%)

Bier „out of your comfort zone“, das verspricht die litauische Sakiškių Alus Brauerei auf ihrer Website. Einst war Linas Zakarevičius Hausbrauer, nun hat er das kommerzielle Brauen begonnen und geizt nicht mit spannenden Experimenten und ungewöhnlichen Zutaten. Im vorliegenden Bier ist neben Roggenmalz auch eine gehörige Portion Kümmel enthalten.

Das Bier weist eine dunkelbraune, leicht ins Rötliche tendierende Farbe auf und ist nach vorsichtigem Einschenken klar. Der deutlich beigefarbene Schaum ist reichlich, kremig und lange haltbar. Schon beim Einschenken rieche ich die deutlichen Kümmelnoten – Kunststück, das Bier ist ja auch mit Kümmel gebraut. Der Antrunk ist etwas spitz, und auf der Zunge wirkt das Bier ein bisschen säuerlich. Die Kümmelaromen werden retronasal sehr intensiv, harmonieren mit der leichten Säure aber nicht so richtig. Im Abgang entwickelt das Bier eine kräftig bittere Note, die Kümmelaromen dampfen noch lange ab und verschaffen, je nach persönlichem Gusto, anhaltenden Genuss oder nicht enden wollende Pein.

Auspacken und Verkostung

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