Ein Statement für Frieden und Freiheit.
Der Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat am 24. Februar 2022 die Welt erschüttert, und eine Welle der Solidarität brandet durch Europa. NATO und Europäische Union stehen einig und vereint wie nie zuvor; die Menschen in den Staaten Europas packen an und halten zusammen, um den Flüchtlingen aus der Ukraine zu helfen.
Not gebiert Kreativität, und zahlreiche Projekte schießen aus dem Boden, um den Menschen des geschundenen Landes beizustehen und zu helfen. Mutige organisieren Hilfskonvois ins Kriegsgebiet, weniger Mutige oder Unabkömmliche unterstützen aus ihrer Heimat heraus. Die Bier- und Brauerszene macht das, was sie am besten kann: Brauen. Biere, mit deren Erwerb eine Spende verbunden ist.
Am 17. März 2022 machte mich Andrea Seeger aus der Craftbeer Lodge in Freiburg auf ihr Projekt, das PEACE PLEASE PILS, aufmerksam. Es konnte sofort vorbestellt werden und sollte noch in der 12. Kalenderwoche abgefüllt werden.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und bestellte gleich vier Six-Packs, drei davon als Geschenk für liebe Bierfreunde, das vierte toppte ich noch mit einigen Spezialbieren auf und gönnte es mir selbst.
Schon am 29. März war das Bier im Allgäu angekommen. Allerdings noch nicht bei mir daheim – niemand war zuhause, und so wanderte das Bierpaket in die Postfiliale. Abholung am Tag drauf? Aus Krankheitsgründen ist diese Filiale geschlossen. Oh!
Solidarity Brew und sechzehn weitere Biere
Aber heute, am 2. April, ist es dann doch so weit: Ich habe das riesige Paket vor mir stehen und darf auspacken. Sechs Mal das Solidarity Brew, und viele, viele weitere Biere.
„Mit diesem Pils möchten wir ein klares Statement für Frieden und Freiheit geben!
Die Erlöse gehen als eine Spendenaktion für die Ukraine an eine humanitäre Organisation oder eine Miccrobrewery in der Ukraine, die wieder aufgebaut werden soll.
Für jedes Bier das ihr bestellt, spenden wir 1,00 EUR dafür!
Wir werden auf der Website über das Projekt berichten.
UND NATÜRLICH SOLL AUCH DER GENUSS NICHT ZU KURZ KOMMEN:
PEACE PLEASE PILS ist ein craftiges Pils, mit dem deutschen Aromahopfen Callista kaltgehopft, der vom ersten Schnuppern, bis zum Nachtrunk schöne hopfenfruchtige Aromen mit sich bringt. Ihr könnt Nuancen von Früchten wie Passionsfrucht, Erdbeere, Birne, Orange entdecken. Dabei ist es prickelnd erfrischend und süffig schlank.“
(Andrea Seeger)
So schreibt es die Craftbeer Lodge auf ihre Website – und da bin ich natürlich sehr gespannt auf meine eigene Verkostung.
Verkostungsnotizen
Independent Beer Alliance – Peace Please Pils (5,1%)
Solidarity Brew
Das Bier ist hellgelb und deutlich trüb, und es trägt eine sehr üppige Haube aus schneeweißem, flockig wirkendem Schaum, der ewig lange hält und dicke Ränder am Glasrand hinterlässt. Der Duft ist unmittelbar nach dem Einschenken ein bisschen schwefelig – ich fühle mich an den typischen Geruch des Augustiners erinnert. Er verfliegt allerdings rasch und macht eher fruchtigen Aromen Platz: Ein bisschen Maracuja kann ich identifizieren, einen Hauch Mango auch, und dahinter eine ganz leicht karamellige Kremigkeit. Der Antrunk ist frisch und spritzig, fast schon ein bisschen pfeffrig scharf. Auf der Zunge wirkt das Bier zunächst schlank und fruchtig, setzt dann aber retronasal noch einmal ein paar schweflige Noten frei, die im Münchner Hell von vielen immer gerne gesehen (beziehungsweise gerochen) werden, die aber nicht so richtig mit den Fruchtnoten harmonieren. Erst nach dem Schluck kommt eine pilstypische Bittere hervor, die den Gaumen etwas trocken wirken lässt und Verlangen nach einem weiteren Schluck schürt. Ein solides, sympathisches Pils, das aber den Eindruck erweckt, vielleicht etwas früh abgefüllt worden zu sein – die leichte Schwefelnote deutet in diese Richtung.
Natürlich sollen auch die anderen Biere im Paket nicht zu kurz kommen – auch sie verdienen eine gründliche Verkostung!
ergänzende Verkostung
Independent Beer Alliance – Pacific North West – Talus IPA; Beer Lodge – Pferdle Pils – Citra Hop; Moersleutel Beer Engineers – Muscovado Maple Magician – Imperial Stout; Independent Beer Alliance – Pacific North West – Talus Pils; Beer Lodge – Höllentäler IPA – Mandarina Hop; Moersleutel Beer Engineers – Motor Oil – Russian Imperial Stout; Moersleutel Beer Engineers – Motor Oil – Double Vanilla, Double Chocolate & Double Coffee RIS; Moersleutel Beer Engineers – Could You Pass Me the Offset Box Wrench Size 17 – NEDIPA
Independent Beer Alliance – Pacific North West – Talus IPA (7,0%)
Wie das Solidarity Brwew ist auch dieses ein Bier der Independent Beer Alliance – einer Kooperation unabhängiger Bottleshops, wie es auf der Website heißt. Schön, dass es so etwas gibt. Interessante Kreationen, ohne Konzernzwang, gleichzeitig aber im Bewusstsein, dass man das Bier in den eigenen Bottleshops auch gut verkaufen kann und nicht erst neue Vertriebswege erschließen muss. Dieses Bier ist mit einer interessanten Hopfensorte gebraut: Talus. Die habe ich bewusst noch nie verkostet, muss ich zugeben, und ich bin sehr gespannt.
Dunkelgelb und sehr trüb steht das Bier im Glas, und darüber bildet sich eine üppige und sehr feste Schaumschicht aus, die ewig hält. Nicht nur, dass sie Trinkränder hinterlässt, nein, auch nach dem Leeren des Glases ist noch fester Schaum am Glasboden. Der Duft ist fruchtig und changiert ein bisschen zwischen Pfirsich und Mango, dahinter finde ich noch ein paar festere, terpenartige Noten, die an Zitrusfruchtschalen erinnern. Der Antrunk ist spritzig und etwas pfeffrig-scharf, und auf der Zunge wird sofort eine kräftige, robuste Bittere deutlich, die durch die nur sachte Malzsüße nicht völlig ausbalanciert wird. Aber das Bier will sie auch gar nicht, diese Balance. Retronasal sind wieder etwas Mango und ein paar Terpene zu spüren; die Pfirsiche sind abgeklungen. Der Schluck betont die kräftige Bittere noch einmal. Eine ganze Weile krallt sie sich im Rachen fest, bis sie irgendwann doch abklingt. Aber sie bleibt dabei angenehm ausgewogen. Nicht samtig-weich, aber auch nicht kratzbürstig. Gerade so, dass das Bier Durst macht, anstatt ihn zu löschen.
Beer Lodge – Pferdle Pils – Citra Hop (5,1%)
Unter dem Label Beer Lodge und versehen mit dem Hashtag #konzernfrei verkauft Andrea Seeger auch ihre eigenen Biere. So zum Beispiel ein mit der Sorte Citra gestopftes Pferdle Pils – benannt nach dem Holbeinpferd, einer Plastik aus dem Jahr 1936, die in Freiburg an der Holbeinstraße steht und viel Bekanntheit erlangt hat, weil sie von unbekannten „Künstlern“ immer wieder neu bemalt und verziert wird.
Das Bier ist hellgelb, kräftig und gleichmäßig trüb und trägt eine ordentliche und lange haltbare, schneeweiße Schaumkrone. Der Duft wird vom verwendeten Citra-Hopfen dominiert: Intensive Aromen nach Zitronenschale und Limone, die nach einiger Zeit an der Luft und nach Erwärmung des Biers nach und nach immer kräuteriger werden und interessante, entfernt an Petersilie und Liebstöckel erinnernde Akzente bekommen. Der Antrunk ist frisch und leitet direkt über zu einer schlanken, ausgeprägten Bittere auf der Zunge. Retronasal werden weitere Zitronenschalenaromen freigesetzt. Die Bittere begleitet auch den Schluck und gibt dem Bier seinen pilstypischen Charakter. Für einen Moment bleibt eine angenehme Trockenheit im Rachen, die Lust auf den nächsten Schluck entfacht. Sehr schön!
Moersleutel Beer Engineers – Muscovado Maple Magician – Imperial Stout (11,0%)
Die Brauer der Moersleutel Brauerei aus Alkmaar in den Niederlanden nennen sich Beer Engineers und haben sich spezialisiert auf „big, bold and flavorful beers“. Das trifft auf dieses Bier, ein Imperial Stout mit Ahornsirup, sicherlich zu – es ist gewaltig, mutig und aromatisch. Womit aber noch nichts über den organoleptischen Gesamteindruck gesagt ist.
Ganz, ganz dunkelbraun und zähflüssig, fast wie altes Motoröl, ergießt sich das Bier ins Glas. Es entwickelt nur sehr wenig, dunkelbeigefarbenen Schaum. Dieser ist dann aber fein kremig und in all seiner Spärlichkeit lange haltbar. Der Duft zeigt deutlich, was hier wohl reichlich verwendet worden ist: Ahornsirup. Dessen kräftige Aromen dominieren sogar die deutlich spürbaren Röstmalznoten. Der Antrunk ist viskos und zuckrig süß – schwer und klebrig ergießt sich das Bier auf die Zunge. Rasch machen sich die Ahornsirup-Aromen breit, ebenso aber auch, und jetzt stärker auftrumpfend, die Röstmalznoten. Ein bisschen Bitterschokolade und Mokka, etwas Kaffee, ein bisschen Kakao. Die durchaus nicht schwache Bittere wird an den Zungenrändern und nach dem Schluck im Rachen deutlich spürbar, gleichzeitig aber auch vom süßen Papp des Restzuckers zugekleistert. Wenn ich auch keine Fehlaromen feststellen kann, so finde ich das Bier trotzdem nicht hundertprozentig gelungen. Es hat von allem zu viel. Zu viel Süße, zu viel Ahornsirup-Aroma, zu viel klebrigen Zucker, zu viel Viskosität. Nur der gewaltige Alkoholgehalt von 11,0%, der ist kaum zu spüren. Zucker, Sirup und Röstmalz überdecken ihn völlig, so dass er sich erst gegen Ende leicht wärmend in der Speiseröhre bemerkbar macht.
Independent Beer Alliance – Pacific North West – Talus Pils (5,1%)
Die Independent Beer Alliance hat noch ein zweites Bier mit Talus-Hopfen gebraut – ein Pils. Jetzt muss ich aufpassen und nicht in die Verkostungsnotizen des IPA schielen und abkucken, sondern das Bier völlig neu erkunden. Auch, wenn’s schwerfällt, und auch, wenn’s irgendwo im Hinterkopf noch etwas von Zitronenschale herumschwebt und mich doch ein wenig vorurteilsbelastet an die Verkostung herangehen lässt …
Das Bier ist kräftig gelb und gleichmäßig trüb, und es bildet eine wunderbare, schneeweiße Schaumkrone aus, die ich, hätte ich nur mehr Geduld, vermutlich beliebig hoch auftürmen könnte. Habe ich aber nicht – dazu war heute, nach einem langen Arbeitstag, der Durst zu groß. Gerade, dass ich mir vor dem ersten Schluck noch die Zeit nehme, genau hinzuriechen: Wie im IPA auch rieche ich die Zitronenschale (oder bilde ich sie mir vorurteilsbelastet nur ein?), dahinter noch ein paar mehr fruchtige und leicht harzige Noten, die aber so dezent bleiben, dass ich sie nicht genau bestimmten Früchten zuordnen kann. Der Antrunk zeigt eine schön eingebundene Kohlensäure, und auf der Zunge gefällt das Bier mit seinem durchaus schlanken Körper. Die retronasalen Fruchtaromen wollen eine Süße antäuschen, die gar nicht da ist, und fast hätten sie damit Erfolg. Die Hopfenbittere ist durchaus zurückhaltend; innerhalb des Stils Pils sicherlich eher am unteren Rand der Skala – aber noch akzeptabel. Erst nach dem Schluck rückt sie etwas in den Vordergrund, macht den Rachen angenehm trocken und ermuntert zum nächsten Schluck. Und zum übernächsten.
Beer Lodge – Höllentäler IPA – Mandarina Hop (6,2%)
Noch einmal ein Bier des Labels Beer Lodge, ebenfalls #konzernfrei gebraut. Benannt ist es nach dem Höllental südostwärts von Freiburg, an deren engster Stelle der Hirschsprung liegt, wo der Sage nach ein von einem Jäger verfolgter Hirsch in einem gewaltigen Satz über die Schlucht gesprungen und erfolgreich geflohen sein soll. Dem Tier zu Ehren steht auf dem Felsen eine Hirschskulptur, die ähnlich wie das Holbeinpferd immer mal wieder bunt angemalt wird.
Dunkelgelb ist das Bier und sehr, sehr trüb. Ein bisschen flockig wirkt die Trübe, weil sich der Bodensatz in der Flasche sehr festgesetzt hatte und gegen Ende des Einschenkens dann auf einmal ins Glas rutschte. Hätte ich dekantieren sollen? Hätte ich die Flasche vorher, wie bei einem klassischen bayerischen Hefeweißbier, etwas schwenken sollen? Ich weiß nicht … Über dem Bier steht eine bombenfeste, etwas trocken wirkende Schaumkrone, die ewig hält und beim Trinken dicke Ränder im Glas hinterlässt. Der Duft ist intensiv hopfig und fruchtig. Ich rieche Pampelmusenschale, etwas Bitterorange und Mandarinenschale, dahinter eine ganz leicht kräuterige Note (Rosmarin?). Der Antrunk ist kernig – es ist selten, dass ich schon an der Zungenspitze die robuste Bittere spüre. Diese breitet sich dann rasch im ganzen Mundraum aus und macht die Schleimhäute auf angenehme Weise trocken. Nicht wirklich adstringierend, keinesfalls kratzig – aber die Intensität der Hopfenbittere ist schon deutlich. Retronasal sind die Zitrusschalen-Aromen nun nicht mehr ganz so intensiv, die feine Kräuternote kommt dahinter somit etwas stärker zur Geltung. Rosmarin, oder? Ich vergewissere mich bei mir selbst. Ja, Rosmarin, flüstert meine innere Stimme. Ich schlucke und schmecke dem Schluck hinterher. Sehr fest, regelrecht robust ist der hopfenbittere Abgang. Aber immer noch: Nicht kratzig, sondern sehr sauber. Ein wirklich kerniges, dabei aber trotzdem angenehm fruchtiges India Pale Ale. Sehr gelungen.
Moersleutel Beer Engineers – Motor Oil – Russian Imperial Stout (12,0%)
Ein weiteres Bier mit Wumms von den Bieringenieuren der Brauerei Moersleutel. Motoröl nennt sich dieses Russian Imperial Stout, und es trumpft mit beeindruckenden 12,0% Alkohol auf. „Köstlicher schwarzer dicker Gunk, als ob er gerade von einem V8 fließt“, lese ich in einer Rezension im Internet. Das macht natürlich neugierig.
Tiefschwarz und zähflüssig viskos fließt das Bier ins Glas und erinnert mich tatsächlich an meine alten Motorradzeiten, als ich den Ölwechsel an meiner Enduro immer noch selbst gemacht habe. Die hatte zwar nur einen Zylinder und nicht deren acht, aber das Öl wird vermutlich ähnlich ausgesehen haben, wie beim oben zitierten V8. Das Russian Imperial Stout trägt zumindest von der Optik und der Textur her seinen Namen Motor Oil zu Recht. Ein bräunlicher, feinporiger und kremiger Schaum entwickelt sich, der für ein Bier dieser Alkoholstärke durchaus lange hält. Ich schnuppere am frisch eingeschenkten Glas. Uih, das ist komplex. Röstmalze rieche ich, ganz deutlich, aber ebenso deutlich Kakao- und Mokkaaromen, und dahinter eine ganze Reihe von schwächer ausgeprägten Fruchtaromen – dunkle Trockenfrüchte, Rumtopf, Dörrpflaumen, das sind die Assoziationen, die mir zuerst durch den Kopf schießen. Der Antrunk ist fast schon sirupartig viskos, aber in der Zähflüssigkeit ist trotzdem die gebundene Kohlensäure zu spüren. Interessant. Auf der Zunge markiert das Bier erstmal eine muskulöse Röstbittere, die für einen kurzen Moment sogar den gewaltigen Malzkörper in den Hintergrund zu drängen vermag. Aber nur für einen Moment. Rasch kommen die viskose Süße und der klebrige Sirup-Eindruck wieder zurück, und es entfalten sich gewaltige Aromenspektakel, die rückwärts durch die Nase marschieren. Kakao. Bitterste Bitterschokolade. Mokka. Röstkaffee. In deren Windschatten wieder die dunklen Trockenfrüchte, eingelegt in Madeira oder Portwein. Und so geht es weiter, auch nach dem Schluck. Jetzt trumpft allerdings die Röstbittere wieder auf. Sie schubst den Aromenreigen zur Seite, bemächtigt sich der hinteren Zunge und des Gaumens, und als einzigen Partner neben sich duldet sie gerade noch eine leicht alkoholische Wärme, die auf die 12% hinweist. Ein Bier, dass ganz knapp an der Kante entlang balanciert, von allem zu viel zu bieten. Von allem viel, das ja, sehr viel sogar, aber gerade noch die Kurve gekriegt, bevor es zu mächtig und zu fordernd wird.
Moersleutel Beer Engineers – Motor Oil – Double Vanilla, Double Chocolate & Double Coffee RIS (12,0%)
Uff, da haben die Maulschlüssel Bier-Ingenieure aber was zusammengemixt … Was als normales Russian Imperial Stout (naja, was an dem Bierstil so „normal“ ist …) hervorragend gefällt, wird mit zu vielen aromatisierenden Zutaten (so natürlich sie auch sein mögen) zum degustatorischen Overkill.
Aussehen, Konsistenz, Schaum – das ist alles wie beim bereits ausführlich beschriebenen „normalen“ Motor Oil. Im Geruch finde ich dann aber die Vanille-, Kakao- und Mokkanoten in einer Intensität, die ich schon bei den seltsamen Mischungen im Starbucks in der Kombination so schrecklich finde. Im Antrunk, auf der Zunge, retronasal und nach dem Schluck auch. Alles pappt, alles klebt.
Als Dressing über ein Vanille-Eis? Gerne. Aber als Bier? Ach, da wünsche ich mir doch fast, ich hätte corona-bedingte Geruchs- und Geschmackseinschränkungen. Es ist einfach von allem zu viel. Jedes Aroma für sich und als dezenter Tupfer auf dem hervorragenden Grundbier hätte prima gepasst, aber so, wie von allem viel und sicherheitshalber noch jeweils eine Schippe extra verwendet worden ist, pappt es alles einfach nur zu. Ging es darum, zu beweisen, was man alles in ein Bier packen kann?
Sorry für eine etwas unsachliche Verkostung, aber das war nix. Der Löffel Bronchicum gegen meinen potenziellen Keuchhusten war hinterher deutlich milder.
Moersleutel Beer Engineers – Could You Pass Me the Offset Box Wrench Size 17 – NEDIPA (8,0%)
Hätte ich jetzt New England Double India Pale Ale auch noch ausgeschrieben, dann wäre der Biername zwei Zeilen lang geworden. Puh! Ob das wirklich sein muss? Aber immerhin habe ich hier mal ein New-England-Style-Bier vor mir, dessen Geschmack auch das hält, was der Geruch verspricht. Sonst ist es leider oft nur ein wunderbarer Duft, und dann irgendein lustloses sensorisches Rumgeschlonze auf der Zunge und im Rachen …
Hellgelb und kräftig trüb ist das Bier – die Trübe ist schön gleichmäßig, aber von der Milk-Shake-ähnlichen Dichte zum Glück weit entfernt. Der Schaum ist schneeweiß, sehr ordentlich und hält sich tapfer ganz schön lang. Der Duft? Das klassische tropische Obstkörbchen. Allen voran die Passionsfrucht, dicht gefolgt von Mango, auf Platz 3 die Ananas. Dahinter dann alles, was bunt ist und lecker aussieht. Stundenlang könnte ich schnuppern, das muss ich zugeben. Dann kommt der spannende Moment: Hält der Geschmack, was der Duft verspricht? Weich und kremig fließt das Bier über die Lippen, voll und rund ergießt es sich auf die Zunge. Während am Zungenrand die Bitternoten durchaus deutlich werden (aber weder dominieren wollen noch sich kratzbürstig geben), kugeln, kullern, tanzen, springen und hüpfen die Fruchtaromen retronasal genauso übermütig und spielerisch, wie sie es eben im Glas getan haben. Wie viele Jahre ist unser Madeira-Urlaub her? Unsere Begeisterung über den Obstkorb im Hotelzimmer, der jeden Tag wieder neu randvoll mit den frischesten Früchten direkt vom Baum gefüllt wurde? Bei diesem Bier habe ich das Gefühl, es sei erst gestern gewesen. Erst mit dem Schluck klingen die Leichtigkeit und das Spielerische ab und machen einer jetzt doch sich in den Vordergrund drängenden Hopfenherbe Platz. Sachte verliert sich die Harmonie und eine feine, aber durchaus spannende Dissonanz zwischen Hopfenbittere und den Resten der Fruchtaromen klingt an und setzt den Schlussakkord. Hochinteressant. Aber ob ich das jeden Tag haben müsste?
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Moersleutel Beer Engineers – Macaroon Machine – Coconut Pastry Stout (10,0%)
Und noch einmal eines von den mit natürlichen Zutaten aromatisierten Stouts aus der niederländischen Brouwerij Moersleutel – diesmal mit Kokosnuss und Vanille.
Die Konsistenz beim Einschenken entspricht den anderen Stouts, Imperial Stouts und Russian Imperial Stouts, die ich von den Moersleutel Beer Engineers in den letzten Tagen getrunken habe – zähflüssig wie altes Motoröl. Die Farbe passt auch. Aber ein Unterschied fällt mir jetzt doch auf: Hatten die anderen Biere bisher alle einen feinen, kremigen Schaum entwickelt, tut sich hier fast nichts. Ganz kurz nur kommt eine kleine, braune Schaumschicht hoch, fällt aber fast genauso schnell wieder in sich zusammen, wie sie sich gebildet hat.
Der Duft entspricht den Erwartungen, die sich nach Studium des Zutatenverzeichnisses ergeben: Die Röstmalz-, Kakao-, Bitterschokolade- und Mokkaaromen werden ergänzt um etwas Kokosnuss und feine Vanille. Bei weitem nicht so intensiv wie aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit den Moersleutel Beer Engineers, aber doch deutlich und präsent. Und dahinter schwebt noch ein leichter Umami-Akzent, der sich irgendwie etwas fremd anfühlt.
Der Antrunk ist weich, sämig, zähflüssig geradezu und lässt eine leichte Säure spüren, gerade so fein, als sei das Bier etwas überkarbonisiert. Auf der Zunge wirkt es dadurch ein bisschen bizzelig – ein interessanter Kontrast zum dicken, sirupartigen Malzkörper. Retronasal gesellt sich zu den bereits orthonasal identifizierten Aromen noch eine feine Alkoholnote, die auf die doch immerhin zehn Volumenprozent schon mal deutlich hinweist. Und noch etwas fällt auf: Der Umami-Akzent wird etwas intensiver.
Der Schluck betont noch einmal die malzige Fülle. Die viskose Textur zwingt zu winzigen Schlucken; jeder von diesen bringt die Süße, die Kokosnuss, die Vanille, aber auch die typischen Stout-Noten zum Vorschein. Auch eine gewisse Bittere wird jetzt spürbar. Sachte entwickelt sich eine feine alkoholische Wärme im Rachen und in der Speiseröhre – keine Spritigkeit, aber der Alkoholgehalt wird doch deutlich.
Brasserie Surréaliste – Calavera – India Pale Ale (7,0%)
Die Brasserie Surréaliste wurde 2019 gegründet – was für eine unglückliche Zeit, um ein solches Geschäft zu starten. Aber es ist der Brauerei gelungen, die zwei Corona-Jahre zu überleben und in der alten Fabrikhalle am Nieuwe Graanmarkt in Brüssel erfolgreich ihre Biere zu produzieren. Ob es jetzt auch noch zeitnah gelingen wird, einen Taproom und ein Restaurant fest zu etablieren? Es wäre schön.
Das Calavera, das in der surrealistisch gestalteten Dose (der Brauereiname ist Programm) vor mir steht, ist ein India Pale Ale, gebraut mit Gerste, Weizen und Hafer, insofern also eher in die New-England-Richtung gehend.
Das Bier ist leuchtend gelb und schön gleichmäßig trüb; es wird von einem schönen, schneeweißen Schaum gekrönt, der sich durchaus ein Weilchen hält und leichte Trinkränder im Glas hinterlässt. Der Duft ist angenehm fruchtig, ich rieche Ananas, in Dosen als Kompott eingelegte Birnen und ein paar Zitrusschalen mit ihren herben Akzenten. Der Antrunk ist spritzig, auf der Zunge wirkt das Bier trotz seiner Fruchtigkeit recht schlank und weist eine schöne und intensive, gleichmäßige Hopfenbittere auf. Retronasal steigen auf diesem herben Fundament schöne Fruchtnoten auf, jetzt deutlicher in die süßliche Richtung (Ananas, Birne) gehend (und weg von den Zitrusschalen). Nach dem Schluck bleibt diese Verteilung erhalten – eine schöne und sehr weiche Basisbittere, darüber süßliche Fruchtnoten. Der Kontrast ist stimmig, das Trinkerlebnis insgesamt sehr schön.
Brasserie Surréaliste – Double Trouble – Double IPA (8,5%)
Noch einmal die Brasserie Surréaliste – und inzwischen habe ich gelernt, dass es der Brauerei wohl mittlerweile gelungen ist, in Brüssel einen Taproom zu eröffnen. Wie schön!
Das Bier ist hellgelb und zeigt eine leichte, gleichmäßige Trübung. Der Schaum darüber ist recht üppig und sehr fest, dementsprechend auch lange haltbar, und er hinterlässt beim Trinken sogar schöne Trinkränder. Oder besser, da dieses Bier ja aus Brüssel kommt: Brüsseler Spitzen. Der Duft ist recht komplex – neben ein paar vordergründigen Tropenfruchtnoten rieche ich auch herbe, harzige und an Zitrusschale oder sogar Quittenschale erinnernde Aromen. Nicht schlecht! Der Antrunk ist frisch, und auf der Zunge entwickelt sich sofort ein schöner Dreiklang: Ein angenehmer Malzkörper, der eine runde Fülle bringt, eine deutliche Herbe, vor allem an den Zungenrändern, und ein bunter Strauß interessanter Frucht- und Harzaromen, der retronasal dieselben Noten aufgreift, wie ich sie am Glas schon (orthonasal) gerochen habe. Der Schluck bringt die Bittere dann aber deutlich in den Vordergrund. Zwar sind Malzsüße und herbe Früchte immer noch zu spüren, aber das Gesamtarrangement wird von der Bittere dominiert. Und von einer leichten, etwas viskosen und sehr lange spürbaren Schicht auf den Schleimhäuten ergänzt.
Brasserie Surréaliste – Dance Rave Dance – Session IPA (4,5%)
Ein weiteres Bier der Brüsseler Brasserie Surréaliste. Die elegant ganz in Schwarz und Silber gestylte Dose gefällt mir gut; lediglich ein dunkelrosa und violett gefärbter Rahmen bringt ein bisschen Farbe ins Spiel. Sehr dezent, sehr elegant.
Eine kräftige gelbe Farbe, eine gleichmäßige Trübung und ein schneeweißer, fester und lange haltbarer Schaum zeichnen dieses Bier aus. Der Duft weist viel fruchtige Aromen auf: Etwas Ananas, ein bisschen Limone, ein wenig Wassermelone und ein Hauch Pampelmuse. Der Antrunk ist frisch, spritzig und ein bisschen pfeffrig scharf. Auf der Zunge ist das Bier sehr schlank, trocken geradezu, und eine feste Bittere ist deutlich zu spüren. Darüber tanzen ein paar retronasal spürbare Fruchtaromen, die nun in die herbere Richtung (Pampelmuse) gehen. Der Schluck ist glatt, hopfenherb, und er hinterlässt leicht trockene Schleimhäute, die Lust auf den nächsten Schluck machen.
Moersleutel Beer Engineers – Moersleutel Core Tryouts Batch #1 – Fruit Bomb DIPA (8,0%)
Core Tryouts? Was für eine seltsame Bezeichnung. Das hört sich so ein bisschen nach Rumexperimentieren auf des Kunden Kosten an. Soll ich jetzt Schlimmes befürchten? Oder lasse ich mich jetzt einfach mal unvoreingenommen auf die Fruchtbombe ein? Ich entschließe mich zu letzterem und lasse alles auf mich zukommen.
Hellgelb und milchig steht das Bier im Glas – stilecht. Ebenso stilecht der üppige, schneeweiße und sehr lange haltbare Schaum. Der Duft? Viel Ananas, ein bisschen Passionsfrucht, etwas Jakobsfrucht. Auch stilecht. Der Antrunk ist angenehm weich, auf der Zunge überrascht das Bier mit einem sehr ausgewogenen Verhältnis von Malzsüße und Hopfenbittere – ein sorgsam ausbalanciertes Fundament, das als Bühne für die retronasalen Fruchtaromen dient. Neben den schon genannten Ananas, Passionsfrucht und Jakobsfrucht kommt noch ein bisschen grüne Limone und etwas Pampelmusenschale hinzu. All diese Aromen retten sich auch über den Schluck hinweg und „dampfen im Abgang sehr angenehm aus“. Die Bittere, die ich ob der üppigen Hopfengabe befürchte, bleibt aus, so dass ich konstatieren darf: Sehr gelungen!
Brasserie Surréaliste – Pale Ale (5,6%)
Ein Bier der Brüsseler Brasserie Surréaliste ohne besonderen Namen? Einfach nur Pale Ale? Oder verbirgt sich da etwas hinter dem Aufkleber des Importeurs? Vorsichtig ziehe ich ihn ab. Nein – einfach nur Pale Ale. Ist dann halt so.
Das Bier ist goldgelb und leicht trüb; bei genauem Hinsehen sieht man kleine Krümelchen im Bier schweben, und am Boden des Glases sammeln sich ein paar feine Hefebröckchen. Der Schaum über dem Bier ist schneeweiß, recht ausgeprägt, hält aber nicht sehr lange. Und er schafft es trotzdem, schöne Trinkränder zu hinterlassen. Der Duft ist während des Einschenkens deutlich fruchtig, aber schon nach wenigen Augenblicken ist einiges an Komplexität verloren gegangen. Nicht, dass es jetzt schlecht riechen würde, aber aus dem Tropenparadies ist ein eher estriger, fast schon ein wenig künstlich wirkender Fruchtgeruch geworden. Der Antrunk ist durchaus spritzig und ein bisschen pfeffrig scharf, auf der Zunge merke ich eine mittelstarke Süße ebenso deutlich wie eine prägnante, aber nicht zu starke Hopfenbittere. Darüber schweben die Fruchtaromen, die auch auf retronasalem Wege ihren eher estrigen Charakter nicht verleugnen können. Der Schluck betont die Hopfenbittere ein wenig und verschiebt die Fruchtaromen ins leicht Zitronige. Auf der Zunge und im Bereich des Rachens bleibt ein leicht viskoses Gefühl.
Moersleutel Beer Engineers – Smerolie – Mexicake Imperial Stout (11,0%)
Ein psychedelisch-bunter Totenschädel ziert die Dose dieses Biers. Die schwarzen Augenhöhlen haben, ungewöhnlich für einen Skull, Pupillen, und zwar sechseckige, in denen sich ein schwarzer Mailschlüssel widerspiegelt. Ein Spiel mit dem Namen der Brauerei – Moersleutel, Maulschlüssel.
Dick und zähflüssig fließt das Bier ins Glas. Es ist tiefschwarz und blickdicht, und selbst bei langsamem, vorsichtigem Einschenken kann ich nicht erkennen, ob es klar oder trüb ist. Es bildet sich ein hellbrauner, kremiger und sehr fester, lange haltbarer Schaum aus, dem man die viskose Konsistenz des Biers, aus dem er sich langsam aufbaut, ansieht. Der Duft ist geprägt von süßlichen Kakaonoten und einem Hauch Vanille – er erinnert an Milchschokolade. Dahinter spüre ich aber noch eine paprikaartige Schärfe. Der Antrunk bestätigt den viskosen Charakter des Biers – geradezu ölig fließt das Bier über die Lippen und macht seinem Namen „Smerolie“ (Schmieröl) alle Ehre. Auf der Zunge ist das Bier sehr süß; nur eine dezente Röstbittere ist zu spüren, die angesichts des Malzkörpers aber kaum ins Gewicht fällt. Retronasal dominiert jetzt die Vanille, gleich dahinter kommen die Kakaonoten, und dann wieder die leichte Paprikaschärfe. Letztere beginne ich auch, nach dem Schluck sachte im Rachen zu spüren. Der Alkohol und die Schärfe ergänzen sich und erzeugen ein angenehmes Brennen im Schlund, und über dieses feine Brennen legt sich noch ein dezentes Zimtaroma. Spannend! Insgesamt ein bisschen zu süß, da hätte etwas mehr Röstbittere für die Balance gut getan, aber dennoch ein schönes Bier.
Brasserie Surréaliste – Gose (4,5%)
Gestern war ich auf dem Mon Petit Bierfestival 2022. War toll. Aber heute ist der Bierdurst noch nicht wieder so richtig ausgeprägt. Ich schaue im Kühlschrank also nach einem leichten, erfrischenden Begleiter eines ebenso leichten sommerlichen Essens. Die leuchtend blauen Lippen auf der Gose-Dose der Brasserie Surréaliste und die lediglich 4,5% Alkohol lachen mich an und scheinen mir passend.
Die Farbe dieser Gose ist ganz, ganz hellgelb, das Bier schön gleichmäßig trüb. Der Schaum ist mehr als üppig, und es dauert eine ganze Weile, bis ich die Dose eingeschenkt habe. Der Duft ist sehr zitronig und limonig und verspricht schon eine kräftige Säure – ein Eindruck, der beim ersten Antrinken schon nachhaltig bestätigt wird: Sehr spritzig und ausgeprägt sauer ist dieses Bier. Regelrecht zitronensauer. Auf der Zunge zeigt es eine leichte Restsüße, die sich zaghaft hinter der Säure hervortraut, und retronasal bleibt der zitronige, limonige, fast schon ein bisschen künstlich wirkende und an Badezusatz erinnernde Aromeneindruck erhalten. Ich schmecke aufmerksam hinter einem leicht mineralischen Charakter hinterher, wie er eine Gose eigentlich auszeichnet, finde ihn aber nicht. Stattdessen die für eine Gose ungewöhnlich stark ausgeprägte, sehr direkte und nicht in eine weiche Matrix eingebettete Säure. Auch nach dem Schluck: Vorrangig Säure, dahinter ein paar zitronige Aromen, und das war es dann. Ein für heiße Sommertage gut geeignetes saures Erfrischungsgetränk. Aber irgendwie stelle ich mir unter einer Gose etwas anderes vor.
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