Hannovers Wohnzimmer
Hannover
DEU

Ihr kennt das doch auch, oder? Egal wie groß oder klein eine Kneipe ist, egal wie fein oder rustikal – immer sitzt irgendwo in der Ecke jemand, der lautstark alles kommentiert. Der alles besser weiß, der sich in Gespräche einmischt, der nicht merkt, wenn niemand auf seine Einwürfe reagiert, und der, wenn sonst gar nix passiert, im Zweifelsfall auch Selbstgespräche führt. Immer laut genug, dass man ihn hört und auch verstehen kann, aber nie krakeelend oder herumblökend.

Hannovers Wohnzimmer

Ich sitze in Hannovers Wohnzimmer, einer winzigen Kneipe nicht weit vom Aegi, und überlege, ob es hier mehr Zapfhähne als Sitzplätze gibt? Zwölf Hähne zähle ich. Und Sitzplätze? Etwa ein Dutzend. Wie gesagt … eine winzige Kneipe.

Heute Abend sind aber nicht alle zwölf Zapfhähne bespielt – der Betrieb ist nach Corona noch nicht wieder auf volle Touren gekommen. So habe ich halt „nur“ sieben Hähne zu Auswahl. Mein Blick fällt auf das Hausbier: „Wohnzimmer – Granat – 5,8%“. Und das bestelle ich dann mal zum Auftakt.

„Gute Wahl“, tönt es aus der Ecke. „Granat. Das ist dunkel und aromatisch und trotzdem gut trinkbar!“

Nun denn, falsch ist der Kommentar nicht, stelle ich nach dem ersten Schluck fest, und wende mich an Herrn R., mit dem ich heute hierhergekommen bin. „Wohnzimmer Granat – das ist wieder so eine Bierbezeichnung, wo kein Mensch weiß, was genau für ein Bier das ist. Da hilft vermutlich auch googeln nicht viel“, sinniere ich halblaut. „Von Robens ist es jedenfalls nicht“, merkt die freundliche Barfrau an, die uns das Bier in einem Robens-Glas serviert hat. „Aber ich finde, dieses Glas passt sehr gut zu dem Bier!“

„Ich denke, das ist von Härke“, tönt es wieder aus der Ecke. „Die brauen das speziell hier für das Wohnzimmer!“ Der Eckensitzer und Alleskommentierer ist sich seiner Sache sehr sicher.*

„Persönlich trinke ich das Leffe ja lieber“, fährt er fort. „Das ist eine belgische Spezialität!“

Er versucht mit aller Gewalt, ein Gespräch anzufangen. Ein paar höfliche, aber knappe Antworten unsererseits interpretiert er leider als Aufforderung, weiter zu erzählen: „Aus Belgien. Da kommen sonst so Früchtebiere und so her. In Deutschland gibt es so was nicht. Da haben wir ja das Reinheitsgebot! Zum Glück!“

Uff, das hat mir gerade noch gefehlt. Eine wirklich urgemütliche Kneipe mit einer ansprechenden Atmosphäre, einer sehr sympathischen und unaufgeregten jungen Dame hinter dem Tresen und einer guten Bierauswahl. Ich habe Zeit, bin mit einem Freund hier und will in Ruhe mit ihm spannende Biere verkosten und mich nicht über eine Rechtsvorschrift unterhalten, die eh keiner genau kennt und die ihren eigenen Widerspruch schon im volkstümlichen Namen trägt. Reinheit … Als ob das sogenannte „Reinheitsgebot“ irgendetwas mit Reinheit zu tun hätte …

Wir ignorieren den Herrn demonstrativ und wenden uns unserem Bier zu. Kann man gut trinken, das Granat, aber was Besonderes ist es eigentlich nicht. Aber gut – so zum ersten Durstlöschen ist es okay.

Zapfhähne hat es genügend

Die anderen Biere am Hahn bieten zwar eine breite Stil-Auswahl, sind aber nicht allzu exotisch. Ich tu mich etwas schwer, mich zu entscheiden.

„Schau doch mal, was ich alles an Flaschen und Dosen habe“, wendet sich die Barfrau an mich und deutet auf das Regal hinter ihr. „Was Ihr da auf den Regalbrettern seht, steht alles auch trinkfertig im Kühlschrank!“

Oh, das sieht schon viel besser aus. „Da fange ich mal mit dem Motörhead Röadcrew APA an!“ 5,0% Alkohol und in der Camerons Brewery gebraut. Ein schön hopfenaromatisches, kräftiges und ausdrucksvolles Bier. Und allein schon, dass es mit oder für oder auf Bitten von Motörhead gebraut worden ist, rechtfertigt schon den Genuss! Ebenfalls ein sehr schönes Trinkbier – viel Geschmack bei hoher Durchtrinkbarkeit.

zwei gut durchtrinkbare Zischbiere zum Auftakt

„Jetzt darf es aber was sehr Exotisches sein“, überlege ich laut, und bekomme postwendend eine Empfehlung von hinter der Bar: „Ich habe ein Basilikum-Ingwer-Witbier, wie wäre es damit?“

„Das klingt nach chinesischer Gemüsebrühe“, tönt es vom Eckensitzer her, aber wir hören gar nicht hin.

BrewDog hat dieses Bier als Pilot #18 in der Berliner Brauerei gebraut. Klingt interessant und schmeckt erstaunlich gut. Basilikum und Ingwer sind sehr präsent, deutlich zu identifizieren, aber nicht zu dominant. Passt gut zum spritzigen Fundament, das vom Witbier geliefert wird. Sehr erfrischend und mit 5,0% auch von bester Durchtrinkbarkeit. Wäre bestimmt ein tolles Bier für den Hochsommer.

Dass Durchtrinkbarkeit allein kein Kriterium ist, zeigt etwas später allerdings das nächste Bier, das 4,7%ige Buenaveza Salt & Lime Lager von Stone Brewing. Ob das auch in Berlin entstanden ist, auf der Anlage, die mal Stone gehörte? Angeblich gibt es da ja immer noch eine Kooperation zwischen altem und neuem Besitzer. Ich stelle fest, dass das Bier nahezu keinen Schaum entwickelt, und nehme trotzdem mal einen großen Schluck. Hm, viel schmecke ich nicht. Ich schnuppere am Glas. Viel riechen tu ich auch nicht. Irgendwie fehlt es diesem Bier an Schaum, an Aroma, an Flavour. Keine Geschmacksfehler, aber von allem viel zu wenig. Das wirkt völlig verhuscht. Aber durchtrinkbar ist es. Ein paar große Schlucke, und die Dose ist leer. Wenn auch ohne Erinnerungen zu hinterlassen.

Die Zeit ist mittlerweile fortgeschritten. Die Bar hat sich gefüllt, der Alleskommentierer dringt mit seiner Stimme nicht mehr so richtig zu uns durch. Vielleicht hat er aber auch andere Opfer gefunden, denen er ein Gespräch halten kann. Ich habe schon recht viel Flüssigkeit im Bauch von all den durchtrinkbaren Bieren. Jetzt darf es gerne noch etwas Gehaltvolles zum Abschluss sein, signalisiere ich der Barfrau.

Pilot #18; Buenaveza Salt & Lime Lager; Bière du Démon

„Gehaltvoll?“, echot sie. „Das hätte ich was: Von Goudale aus Frankreich das Bière du Démon. 12,0%. Ist das gehaltvoll genug?“ Sie grinst. „Lass uns die Flasche doch teilen“, schlägt Herr R. vor, und genau so machen wir das. Jeder ein Glas, jeder eine halbe Flasche. Passt.

… und reicht auch aus, stellen wir nach dem ersten Schluck fest. Das Bier ist recht spritig, der hohe Alkoholgehalt nicht gut eingebunden, und so zieht sich das eher süßlich-parfümige Bier schon etwas hin. Nicht, dass wir es gar nicht trinken wollten, aber so der richtige Genuss wie erhofft ist es nicht. Es erinnert zu sehr an die unsäglichen Starkbiere, die es beispielsweise in Polen von zwanzig Jahren überall gab: Hochgezuckerte Biere mit wenig Körper und viel Alkohol. Höhere Alkohole und Ester aufgrund hoher Gärtemperaturen wurden zugunsten schnellerer Produktion gerne in Kauf genommen. Ob diese Effizienz-Überlegungen hier beim Goudale auch eine Rolle gespielt haben, weiß ich nicht, das Ergebnis weist aber in eine ähnliche Richtung. Schade.

Viel zu schnell ist der Abend jetzt vergangen. Hannovers Wohnzimmer macht seinem Namen alle Ehre. Eine urgemütliche kleine Kneipe, mit ansprechender Deko, warmer Atmosphäre, unaufgeregt freundlichem Service und einer sehr interessanten Auswahl an Dosen- und Flaschenbieren. Ein Ort, um sich mit Freunden zu treffen und sich zu unterhalten. Um den ganzen Abend zu verhocken und Bier zu trinken. Um Zeit totzuschlagen oder sie zu genießen. Schön!

Und noch schöner, dass ich es in weniger als zwei Minuten zurück zum Hotel schaffen kann …

Hannovers Wohnzimmer ist derzeit lediglich donnerstags bis sonnabends ab dem frühen Abend geöffnet, für den Rest der Woche ist zu. Vielleicht bessert sich das wieder, wenn die Pandemie irgendwann ganz Geschichte ist. Zu erreichen ist es völlig problemlos – vom Aegi kommend Richtung Süden gehen, rechts am Theater am Aegi vorbei, und schon steht man davor. Schafft man, je nach Ampelschaltung, unter einer Minute.

Bilder

Hannovers Wohnzimmer
Maschstraße 5
30 169 Hannover
Niedersachsen
Deutschland

* Per Facebook-Messenger haben wir von der Wirtin des Wohnzimmers später erfahren: Das Granat ist nicht von Härke, sondern aus der Hasseröder Brauerei. Soviel als kleiner, korrigierender Nachtrag.

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