Eine kurze Geschichte des schwachen Willens …
Die Bierkühlschränke sind prall gefüllt. So sehr, dass wir damit locker über den Winter kommen können. Bis weit, weit ins neue Jahr hinein. Kein Grund also, Bier zu kaufen. Zumal zu erwarten steht, dass das eine oder andere Bier auch so seinen Weg in unsere Kühlschränke findet – sei es als Mitbringsel, als Weihnachtsgeschenk oder als Bestandteil eines ohnehin noch laufenden Bier-Abonnements.
Klarer Fall also für eine deutliche Willensbekundung: „In diesem Jahr kaufe ich kein Bier mehr!“
Zwei Tage später ein Dialog mit der holden Ehefrau:
„Du, sag mal“, säuselt sie. „Ich möchte mir so gerne im ZEIT Shop dieses und jenes bestellen. Was meinst Du?“
„Na, wird schon wieder so’n überteuerter Kram sein“, brummele ich. „Aber mach mal!“
„Jetzt sei doch nicht so muffelig. Es gibt schließlich auch Dinge für Dich! Schau mal hier – ein Bierpaket!“
sechs verschiedene Biere aus der Kehrwieder Kreativbrauerei
Ich schaue. Ein Bierpaket. Tatsächlich. Sechs verschiedene Biere aus der Kehrwieder Kreativbrauerei von Oliver Wesseloh. Klingt ja nicht uninteressant.
Und überhaupt: Soll das Geld auf dem Konto liegen bleiben und dort vielleicht Stockflecken bekommen? Dann geben wir es doch lieber für Bier aus!
„Bestell halt. Und das Bierpaket auch!“
So endet unser Dialog. Meine deutliche Willensbekundung auch. Ich habe dieses Jahr doch noch Bier gekauft …
Verkostungsnotizen
Prototyp; Das Rote; SHIPA Solero
Kehrwieder Kreativbrauerei – DIE ZEIT – Prototyp (5,5%)
Prototyp? Kennt man ja. Wie langweilig. Könnte man sagen. Könnte. Konjunktiv. Wäre dann aber falsch, denn der Prototyp, den Oliver Wesseloh für DIE ZEIT gebraut hat, unterscheidet sich vom Standard-Zugpferd der Kehrwieder Kreativbrauerei: „Der Klassiker der Kehrwieder Kreativbrauerei ist ein New Style Lager – neu aufgelegt exklusiv für DIE ZEIT. Der ZEIT PROTOTYP baut auf dem gleichen prämierten Malzgerüst aus böhmischem Tennenmalz auf, präsentiert sich jedoch schlanker und süffiger. Vor allem in der Wahl des Hopfens grenzt sich unser ZEIT PROTOTYP von seiner Vorlage ab: Mit Cashmere und Centennial haben wir dem Bier zwei neue Hopfensorten hinzugefügt, die den bewährten Noten von Maracuja und Lychee einen frischen Touch geben und zudem Nuancen von Pink Grapefruit und Limette ergänzen.“
Also, es scheint sich wohl zu lohnen, hier mal genauer hinzuschmecken.
Das Bier ist goldgelb, dezent getrübt und trägt eine üppige, unkaputtbare Schaumkrone. Auch nachdem ich das Glas geleert habe, ist immer noch ein wenig Schaum übrig. Der Duft ist fein und fruchtig – die Limetten- und Lychee-Noten, von denen ich auf dem Etikett gelesen habe, kann ich sofort bestätigen, die Maracujaaromen finde ich eher im Hintergrund, und die Nuancen von Pink Grapefruit bleiben mir verborgen. Für mich eher gelbe Pampelmuse, nicht die rosafarbene.
Der Antrunk ist angenehm spritzig, auf der Zunge dominiert eine kräftige Bittere, die vom eher schlanken Malzkörper nur mit Mühe ein wenig in die Schranken gewiesen werden kann. Wirkt daher durchaus norddeutsch. Retronasal ist nun die Pampelmuse ein wenig intensiver, spielt die Hauptrolle, während Lychee und Maracuja in die zweite Reihe zurücktreten. Die Limette lässt sich nicht mehr sehen, sie hat sich orthonasal bereits ausgetobt.
Die kräftige Bittere bleibt über den Schluck hinweg spürbar, haftet noch eine Weile auf den Schleimhäuten und trocknet diese ein bisschen aus. Das macht Durst auf den nächsten Schluck, um sie wieder zu befeuchten. Süffig nennt Oliver das, und ich nenne es durchtrinkbar. Gut!
Kehrwieder Kreativbrauerei – DIE ZEIT – Das Rote (4,7%)
Auch hier wieder viel Information auf dem Etikett: „DAS ROTE ist ein Red Ale – exklusiv gebraut für DIE ZEIT bei der Kehrwieder Kreativbrauerei. 8 verschiedene Malze – darunter zwei englische Karamellmalze (crystal malt) verleihen dem Red Ale seine leichte Süße mit malzbetonten Noten von Brioche, Toffee, kandierten Früchten und frischgebackener Brotkruste. Geschmacksnoten von karamellisiertem Zucker runden seinen Charakter vollständig ab, die kräftige kupferrote Farbe, die an einen Sonnenuntergang im Spätherbst erinnert, ist namensgebend für unsere exklusive ZEIT-Edition.“
Das Bier hat die Farbe von dunklem Kupfer, ist bei vorsichtigem Einschenken fast klar und trägt eine nur dünne, aber haltbare, hellbeigefarbene Schaumschicht. Es duftet nach Brotkruste und etwas zu scharf karamellisiertem Zucker mit einer ganz feinen, rauchig-angebrannt wirkenden Note.
Der Antrunk ist dezent spritzig, und auf der Zunge machen sich malzige und bittere Komponenten die Vorherrschaft streitig: Ein bisschen brotiges Malz, eine etwas harsch wirkende und adstringierende Bittere, beide sind zunächst nicht übermäßig kräftig und rangeln miteinander um die Oberhand. Dann aber beginnt die Bittere zu erstarken, deren leicht pelzig wirkender adstringierender Effekt auf den Schleimhäuten länger anhält und prägender wirkt – ein Effekt, den ich auch in britischen Ales häufiger antreffe und den ich persönlich nicht so goutiere.
Nach dem Schluck hängt die Adstringenz ein bisschen nach, während retronasal ein paar brotige und etwas angebrannt-röstige Akzente ausklingen.
Kehrwieder Kreativbrauerei – SHIPA Solero (7,5%)
Ausführlich erläutert Oliver auf dem Etikett die Idee hinter dem SHIPA: „SHIPA (Single Hop India Pale Ale) – Die Biere unserer SHIPA-Serie zeigen, dass Hopfen so viel mehr kann, als nur bitter zu sein. Jeder Sud wird identisch eingebraut, einzig die Hopfensorte ändert sich. Dabei begeben wir uns auf eine Reise zu den verschiedensten Hopfen-Anbaugebieten der Welt und bringen für jedes neue SHIPA eine von über 200 verschiedenen Hopfensorten mit nach Hause. Lasst Euch überraschen, welches Aroma der Hopfen diesmal in unser SHIPA bringt.“
Das Bier ist dunkelgelb und weist eine dezente, gleichmäßige Trübung auf. Der altweiße Schaum entwickelt sich gut und hält auch eine ganze Weile.
Der Duft ist dezent, aber sehr interessant. Ein paar Kokosnussnoten, die aber eher in die holzige Richtung gehen, nicht in Richtung eines Milky-Way-Schokoriegels. Nach einer Weile des Aufwärmens wird das Aroma langsam fruchtiger, bleibt aber eher warm und voll, nicht tropisch-spielerisch.
Der Antrunk ist einerseits weich und kremig, andererseits hat er auch eine feine pfeffrige Spitze. Auf der Zunge entwickelt sich eine schöne Bittere, die mit einem vollen, aber nicht zu süßen Malzkörper harmonisch Hand in Hand geht. Auch hier wieder – jetzt retronasal – warme und volle, tendenziell eher fruchtige Aromen, die ich aber keine Frucht zuordnen kann.
Der Schluck ist angenehm weich, das Malz kommt jetzt stärker hervor und entwickelt feine Biskuitaromen, während die samtige Bittere ganz langsam abklingt.
Elbe Gose; Westwind Saison; ü.NN – IPA Alkoholfrei
Kehrwieder Kreativbrauerei – Elbe Gose (4,7%)
Auch hier wieder viel erläuternder Text: „Elbe – Fast wäre die Gose, einer der ältesten Bierstile der Welt, komplett von der Bildfläche verschwunden. Aber nun ist sie zurück und begeistert durch eine milde, weißweinartige Säure, eine leichte Gewürznote und eine spritzige Frische. Wir haben unsere Elbe Gose mit Salz aus der Sylter Meersalzmanufaktur gebraut.“ Ach ja, und eine Aussage in großen Buchstaben, die man eigentlich gar nicht oft genug wiederholen kann: „Kein Bier für Nazis“!
Das Bier hat eine goldgelbe Farbe, ist bei vorsichtigem Einschenken nur ganz leicht trüb, und es schäumt ohne Ende. Nicht in dem Sinne, dass es überschäumt, aber die hohe Spundung nährt feine Ketten von Kohlensäurebläschen, ohne dass eine Ende absehbar ist. So bleibt die schneeweiße, kremige und langsam fest werdende Schaumkrone unverändert stehen. Und steht. Und steht. Und steht.
Der Duft ist ganz dezent weinig-säuerlich und erinnert an einen hellen, spielerischen Weißwein. Eine feine fruchtige Note von Limonen glaube ich auch noch zu spüren.
Der Antrunk ist spritzig-frisch und dezent salzig. Nicht sehr aufdringlich, aber doch im ersten Moment schon spürbar.
Auf der Zunge entwickelt das Bier eine feine Säure, die mit dem leichten Salzgeschmack auf sehr interessante Weise kontrastiert. Retronasal erkenne ich die zitrusartigen Aromen wieder, die jetzt aber etwas fester, nicht so spitz daherkommen und ihre Herkunft verraten: Es ist der verwendete Koriander.
Der ist es wohl auch, der im Abgang für eine etwas ungewohnte Textur sorgt und einen seifigen, nicht unangenehmen Effekt erzeugt, der noch einen Moment anhält. Ich möchte unmittelbar den nächsten Schluck nehmen, um diese dezent glitschige Textur von der Zunge zu spülen – und viel schneller als geplant leere ich daher das Glas. Sehr durchtrinkbar, also!
Kehrwieder Kreativbrauerei – Westwind Saison (6,5%)
Um den Bierstil Saison und insbesondere um seine Geschichte und Herkunft ranken sich zahlreiche Geschichten. Das wäre dann mal ein Thema für einen eigenen Blogbeitrag. Auf dem Etikett der Flasche findet sich Folgendes: „Unser Westwind Saison führt uns auf eine spannende Reise nach Belgien in eine längst vergangene Zeit, als Farmarbeiter das für sie im Winter gebraute Bier nach einem beschwerlichen Arbeitstag als erfrischenden Durstlöscher genießen durften. Für das Westwind verwenden wir belgisches Spezialmalz und unsere Saisonhefe. Spannende Gewürz- und Zitrusdüfte strömen aus dem Glas. Schlank, verspielt, jedoch komplex und trocken mit einer Anmutung von Pfeffer und Nelke. Für alle, die sich nach einem mühsamen Tag verwöhnen und sich an einem frischen Bier mit Weizenmalz erfreuen möchten. Zudem ist es ein wunderbarer Aperitif und Speisenbegleiter, kurz gesagt: Westwind geht immer!“
Das Bier ist dunkelgoldgelb und nur leicht trüb; der Schaum entwickelt sich üppig, und ähnlich wie bei der Gose wird er lange von feinen Kohlensäurebläschenketten genährt (ach, wie ich diese langen Komposita in der deutschen Sprache liebe …).
Der Duft ist phenolisch mit feinen, würzigen Aromakomponenten, aber auch einem dezenten Zitrusfruchthauch im Hintergrund – sehr typisch für die Saisonhefen, die mich mit ihrem etwas rauen, ungestümen Charakter immer sehr begeistern.
Dem dezent pfeffrigen Antrunk folgt ein würziger Eindruck auf der Zunge. Eine mittelstarke Bittere, kräftige retronasale Gewürzaromen und ein komplexes, phenolisches Finish gefallen. Nach dem Schluck bleibt ein leicht trockenes Gefühl, ganz dezent dampfen die würzigen, etwas an Gewürznelken und Kümmel erinnernden Aromen aus und sachte klingt das Bier aus.
Kehrwieder Kreativbrauerei – ü.NN – IPA Alkoholfrei (0,4%)
Als sechstes und letztes Bier kommt ein Alkoholfreies, und da hält Oliver Wesseloh mit Eigenlob nicht hinter dem Berge: „üNN. Alkoholfrei und aromaintensiv passen wunderbar zusammen – der Beweis ist unser ü.NN, das erste deutsche India Pale Ale alkoholfrei, das auch weltweit für Furore sorgt. Vollgepackt mit fantastischen Aromahopfensorten und gebraut mit einer Hefe, die Malzzucker nicht vergären kann, ganz ohne Manipulation. Natürlich unfiltriert.“
Das Bier ist kräftig braun mit einem deutlichen Rotstich und ist nur ganz leicht trüb. Es trägt eine schöne, dezent beigefarbene Schaumkrone, die lange hält und schöne Trinkränder hinterlässt.
Der Duft ist intensiv hopfig mit herben und harzigen Noten, trägt aber auch einen ganz feinen karamelligen Akzent.
Der Antrunk ist frisch, und auf der Zunge ist das Bier im ersten Moment recht trocken und herb, es dauert ein bisschen, bis sich der für alkoholfreie Biere typische, leicht süßliche Getreidegeschmack einstellt, aber er bleibt auch ganz, ganz zurückhaltend und stört überhaupt nicht – ganz anders als bei fast allen anderen Alkoholfreien. Retronasal spüre ich die Karamellaromen nur ein bisschen deutlicher; das hopfig-harzige geht ein wenig zurück.
Nach dem Schluck bleibt eine etwas merkwürdige Textur auf der Zunge und im Rachen – nicht wirklich schleimig oder glitschig, aber leicht in diese Richtung gehend. Ein ähnliches Gefühl, als wenn man Seife mit extrem weichem Wasser abwaschen möchte – da bleibt auch immer noch so ein ganz feiner, rutschiger Film auf der Haut. Es ist aber kein unangenehmes Gefühl, nur ungewöhnlich und stammt wohl von den komplexen Malzzuckern, die von der speziellen Hefe nicht mitvergoren worden sind.
Kehrwieder Kreativbrauerei
Sinsdorfer Kirchweg 74 – 92
21 077 Hamburg
Hamburg
Deutschland
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