Nachtrag 3. Juli 2024: Anfang 2024 musste die Vagabund Brauerei Insolvenz anmelden, lese ich heute im Netz und finde ein Zitat von Matt Walthall:
„Leider haben uns explodierende Beschaffungskosten und eine geplatzte Finanzierungsrunde gezwungen, Anfang 2024 Insolvenz anzumelden.“ sagt Matthew Walthall, einer der drei Gründer und ehemaligen Geschäftsführer.
Gut aber auch, zu lesen, dass sich ein Investor gefunden hat, der die Brauerei übernehmen und weiterführen möchte:
„Umso mehr freut es uns, dass die DF-Gruppe an uns herangetreten ist, um den Geschäftsbetrieb und die Brauerei zu übernehmen und weiterzuführen.“
Na, dann mal viel Glück. Ich würde mich wirklich außerordentlich freuen, wenn es weiterginge!
Vagabund Brauerei Kesselhaus
Es begann alles schon 2009, als Matt Walthall, David Spengler und Tom Crozier begannen, gemeinsam Bier zu brauen. Als Hobbybrauer zunächst. Aus dem Hobby wurde eine Nebenerwerbsbrauerei, aus dem Nebenerwerb ein echter Beruf, und schon im November 2014 konnte ich in der Antwerpener Straße in Berlin die winzige Vagabund Brauerei mit ihrem Taproom besuchen, die gerade ein Jahr vorher eröffnet worden war.
Acht Jahre sind seitdem vergangen, und aus der winzigen Brauerei ist Größeres geworden. Die Vagabunden haben eine alte Fabrikhalle gefunden, die ehemaligen Bergmann Electricitäts-Werke. Bekannt dafür, dass es die erste Glühlampenfabrik in Deutschland gewesen war. Glühlampen sind mittlerweile out, aber schon lange vor ihrem Verbot war die Produktion hier eingestellt worden, und die Halle gammelte vor sich hin.
Ein schönes, aber auch herausforderndes Objekt, um hier eine größere Brauerei mit einem eigenen Ausschank einzurichten. Vermutlich war es sau viel Arbeit, aber inzwischen sind Brauerei und Taproom geöffnet – offiziell seit rund einem Jahr.
ein eklig nasser Dezembertag
An einem eklig nassen Dezembertag, dem 1. Dezember 2022, habe ich zwei Stunden Aufenthalt in Berlin, bis mich der Nachtzug nachhause bringen soll. Gerade genug Zeit, mit der Straßenbahn bis zu den Osram-Höfen zu fahren und in der Vagabund Brauerei Kesselhaus ein oder zwei Biere zu trinken.
Der leichte Schneeregen macht die spärliche Beleuchtung des hinteren Teils der Osram-Höfe noch düsterer, als es ohnehin schon ist, aber die kleine Außengastronomie ist hell erleuchtet und weist mir den Weg. Ein einsamer Raucher steht draußen und schlottert, dafür ist es drinnen ziemlich voll.
Es dauert einen Moment, bis meine beschlagenen Brillengläser wieder frei sind, und dann suche ich mir einen Platz nicht weit von der Theke. Das Publikum ist bunt gemischt, insbesondere international, und so wundert es mich nicht, dass auch die beiden netten jungen Männer hinter der Theke nur englisch sprechen.
„What’s on offer, and what’s your recommendation?“, frage ich, und einer der beiden weist auf eine große rote Tafel am anderen Ende des Raums. Dort stünde alles, und er würde mir für den Anfang das Pony empfehlen.
„Pony?“ Ich sehe nichts. Die rote Tafel ist gefliest, und in den blanken Fliesen spiegeln sich die Lampen und Strahler, so dass alles nur schwer zu lesen ist. Und als sei das noch nicht schlimm genug, wird die untere Hälfte der Bierliste von Gästen verdeckt, die direkt davor sitzen.
„Okay. So be it!“, bestelle ich ein Pony, das sich dann als Pale Ale namens „My Saddle, My Pony & Me“ herausstellt, als ich etwas näher an die rote Tafel herangehe. 5,2% Alkohol hat es, ist also nicht allzu stark, dafür glänzt es aber mit schönen fruchtigen Hopfenaromen und einer prägnanten, aber nicht zu dominierenden Hopfenbittere. Ein schönes Bier für den großen Schluck.
Ziemlich schnell ist das Glas leer, und ich schaue auf die Uhr: Da geht noch leicht ein zweites, vielleicht auch noch ein drittes. Schau’n wir mal.
Das zweite ist das Chasing Sunsets, eine Salted Lime Gose mit 5,0%. Warum man bei einer Gose dazuschreiben muss, dass sie salzig ist, weiß ich nicht. Heißt es in Zukunft dann auch Dark Dunkles? Oder Hefeweißbier mit Weizenmalz? Und genauso frage ich mich, was Lime in einer Gose zu suchen hat. Irgendwie scheinen die ganzen kleinen Brauereien der Meinung zu sein, in eine Gose gehörten irgendwelche Früchte. Was leider Quatsch ist.
Die Bierszene wird sich anpassen. Wenn erst mal alle glauben, dass Gose mit Früchten gebraut werden muss, dann wird sich das zu einer neuen Norm entwickeln – die „normative Kraft des Faktischen“, um es mal hochtrabend auszudrücken.
Und wie schmeckt die salzige Fruchtgose? Nun ja, sie ist viel zu salzig. Wie so oft, hat sie keinen leicht mineralischen Charakter, sondern ist salzig wie eine frische Brezel. Und das Lime-Aroma ist demgegenüber relativ zurückhaltend. Man kann das Bier trotzdem in großen Schlucken wegtrinken und Spaß dran haben, aber es ist halt nicht so richtig stilgetreu, finde ich.
es ist tatsächlich Zeit für drei Biere
Tja, die großen Schlucke haben natürlich einen Vorteil: Es ist tatsächlich noch Zeit für ein drittes Bier, bevor ich mich wieder in die Straßenbahn setzen muss. Also gibt es noch ein Hauptstadt Helles mit 4,9%. Auch ein schönes Zischbier, aber ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass ich vorher so frucht- und hopfenbetonte ausdrucksstarke Biere getrunken habe, oder ob das Helle tatsächlich recht wenig Frische aufweist. Ein bisschen lustlos dümpelt es im Glas vor sich hin. Dumpf wäre zu viel gesagt, aber frisch und agil zeigt es sich eben auch nicht.
Egal, auch hier gilt: Jammern auf hohem Niveau. Schlecht ist das Bier nämlich nicht, sondern sehr solide.
Drei schnelle Biere, ein bisschen unter Zeitdruck, aber ich freue mich trotzdem, dass ich hergekommen bin. Die Atmosphäre ist angenehm, der ausgeprägte Industrial Chic stimmig, alles ist trotzdem sauber (manchmal ist Industrial Chic ja gleichbedeutend mit „wir lassen alles vergammeln“ …) und die Bierauswahl ist riesig. Da kann ich gerne noch ein paar Mal vorbeikommen und immer wieder neue Biere verkosten.
Ich trete hinaus in den Schneeregen, und jetzt erst sehe ich den kleinen Food-Truck neben dem Biergarten. Tja, da hätte ich vorhin besser aufpassen sollen, dann hätte ich zu meinem Bier auch eine Kleinigkeit essen können. Nun ist es zu spät, und ich werde zwar nicht durstig, aber doch ein wenig hungrig im Nachtzug sitzen … Na, besser als umgekehrt.
Die Vagabund Brauerei Kesselhaus ist täglich ab 17:00 Uhr geöffnet; kein Ruhetag. Mit den Straßenbahnlinien M13 und 50 fährt man bis zur Haltestelle Osram-Höfe, und dann sind es nur noch zwei Minuten zu Fuß in den hinteren Innenbereich der Osram-Höfe hinein. Dann sieht man schon die markanten Schornsteine auf dem Kesselhaus.
Vagabund Brauerei Kesselhaus
Oudenarder Straße 16-20
13 347 Berlin
Berlin
Deutschland
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