Muted Horn
Berlin
DEU

Nachtrag 18. November 2023:Muted Horn. Ich komme wieder!“ So habe ich es vor über fünf Jahren geschrieben.

Bin ich wiedergekommen? Nun ja, schon, aber eben erst heute – nach über fünf Jahren.

Asche über mein Haupt.

Ich betrete am frühen Abend den Schankraum, und alles wirkt vertraut. Die gleiche einladende Atmosphäre wie seinerzeit. Die eleganten Tap-Handles aus Holz. Die umfangreiche Bierliste. Die Laid-Back-Stimmung. Die professionellen Jungs und Mädels hinter der Theke. Das blaue Leuchten des Logos an der hinteren Wand.

Ich finde einen freien Platz – so nahe an der Theke, dass ich die Biere auf der großen Tafel entziffern kann, ohne aufstehen zu müssen. Lediglich für das „Kleingedruckte“ müsste ich näher rangehen.

Da es erst viertel nach sieben ist und ich eben an anderer Stelle schon ein wenig vorgeglüht habe, fokussiere ich mich zunächst mal auf Bier mit nicht übermäßig hohem Alkoholgehalt, und da fällt mir das Schederndorfer Rauchbier der Brauerei Will ins Auge. Gerade mal 5,2% Alkohol, dafür aber bestimmt mit wuchtigem Geschmack.

Ich werde nicht enttäuscht. Kräftig dunkel und malzig, aber auch mit einer durchaus kernigen Bittere, und vor allem mit einem intensiven, aber blitzsauberen Raucharoma schlägt mich das Bier in seinen Bann. Wie oft ist es mir schon so gegangen, dass ein intensiv geräuchertes Bier an Kunststoff erinnernde Phenolnoten aufweist und ich beim Genuss immer an einen Kabelbrand denken muss? Unzählige Male, wenn ich ehrlich bin!

Hier und heute aber nicht. Phenolisch-rauchig? Klar, das schon. Aber wunderschön sauber. Der Fokus liegt auf dem holzigen Rauch und auf nichts anderem. Wie schön!

Ach, wenn es doch nur so weiter ginge …

Schederndorfer Rauchbier; Mt. Nelson Pale Ale; Space Trace 2023

Aber leider erweist sich die nächste Wahl als Schuss in den Ofen. Das 5,7%ige Mt. Nelson Pale Ale von Cellarmaker ist vom Ansatz und der Anmutung her alles andere als ein Pale Ale. Als New England IPA könnte ich es mit seiner Trübe und seinem saftigen Ansatz noch akzeptieren, aber out of Style bleibt out of Style. Hinzu kommt ein intensiv schwefliger Geruch, der mich abschreckt. Ich bin zugegebenermaßen gegenüber schwefligen Aromen sehr sensibel, mir ist schon der Schwefelhauch im Augustiner Hell viel zu intensiv, aber das, was ich hier rieche, das ist kein Hauch mehr, sondern schon ein gewisser Gestank.

Untrinkbar war es jetzt nicht, aber ein echter Genuss auch nicht …

Gut, dann lassen wir das jetzt mit den eher alkoholschwachen Bieren und gönnen uns was Heftiges, nämlich das 12,7%ige Space Trace 2023, ein Barrel Aged Imperial Stout von Bottle Logic. Das erweist sich jetzt als echter Glücksgriff!

Kremig und viskos, wuchtig und geschmacksstark. Herrliche Aromen, und die sagenhaften 12,7% Alkohol sind so gut eingebunden, dass man sie beim Trinken erstmal gar nicht merkt. Erst danach … wenn die Wirkung einsetzt.

Ein schönes Fünf-Sterne-Bier, mit dem ich den heutigen Besuch hier abrunde. Fein!

Und mein Fazit?

Wie beim letzten Mal: „Muted Horn. Ich komme wieder!“

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Muted Horn

Berlin ist voll von genialen Bier-Adressen, die man keinesfalls versäumen sollte. Kleine Brauereien, Craft-Bier-Bars, Bier-Projekte, Bottle-Shops, Pop-up Stores und was nicht noch alles. Vermutlich kann man völlig problemlos an jedem lieben langen Tag des Jahres ein anderes Ziel ansteuern, ein anderes Event besuchen. Trotzdem bilden sich natürlich gewisse Vorlieben heraus, und je nachdem, wen man in Berlin fragt, bekommt man dann seine oder ihre Favoriten empfohlen. Mal eher traditionell, über den Horizont des klassischen Gasthausbrauereigewerbes nur zögerlich hinausschauend, mal ganz progressiv und experimentell, sich bewusst von jeder Brautradition absetzend.

Wann immer aber von der kleinen Bierbar Muted Horn in Neukölln die Rede ist, verziehen sich die Mienen anerkennend. „Das ist eigentlich ein Muss, egal, nach was Du suchst“, heißt es dann, ergänzt von dem Hinweis, dass es das Bier X aus der Brauerei Y nur in ganz limitierter Auflage gebe, es eigentlich in Deutschland überhaupt nicht zu bekommen sei, aber das Muted Horn es mal wieder geschafft habe, dieses Bier zu bekommen. „Aber, psst“, so heißt es weiter, „erzähl es niemandem weiter, ich habe es nämlich auch noch nicht getrunken, kann aber erst am nächsten Montag dorthin. Ich möchte, dass dann noch etwas davon da ist!“

Die Erwartungshaltung ist somit hoch, als ich mich am späten Nachmittag des 17. Mai 2018 aufmache, meine Bildungslücke zu schließen und endlich auch einmal in der schon vor mehr als zwei Jahren gegründeten Bierbar vorbeizuschauen. Lange kann und soll der Besuch nicht dauern, wie immer bin ich beruflich in Berlin und muss am nächsten Morgen früh aufstehen. Aber für ein paar leckere Biere und einen ersten Eindruck möge es reichen.

Nur ein paar Schritte sind es von der U-Bahn-Haltestelle Boddinstraße bis zum Penny-Markt in der Flughafenstraße, und direkt daneben, bescheiden in den Hintergrund gerückt und erst auf den zweiten Blick von der anderen Straßenseite zu sehen, das Muted Horn. Violett leuchtet der schlichte Schriftzug an der Hauswand, und davor stehen ein paar robuste und simple Holzbänke und Tische. Nichts deutet darauf hin, was hier angeboten wird. Ob Burger-Braterei, Kaffeehaus, orientalisches Restaurant oder eben Bierbar – der simple Auftritt könnte alles verbergen.

Außenansicht

Drinnen bleibt es ähnlich schlicht, aber sehr ansprechend. Rechter Hand ein paar schmale Tische mit hohen Hockern, weiter hinten im Raum mehrere Sitzgruppen mit niedrigen Tischen und dicken Ledersesseln und Sofas, in die man sich bequem reinfläzen kann. So bequem, dass man nach dem zwölften Bier nicht wieder rauskommt …

An der Wand ein Schrank mit einer beeindruckenden Sammlung von Gesellschaftsspielen. Perfekt für schlechtes Wetter. Lange Verkostungsabende mit geselligem Spiel – so wird die Bar zum zweiten Wohnzimmer.

Linker Hand, gleich nach dem Eingang, ist die kleine Theke und an deren Rückwand, recht minimalistisch, eine lange Reihe von 22 Holz-Zapfhähnen. Eng nebeneinander, schmucklos, sauber durchnummeriert. Darüber eine schwarze Kunststofftafel, auf der mit weißen Plastik-Steckbuchstaben die Biere angepriesen sind. Eine beeindruckend lange Liste – wertvolle Lektüre!

schlichte Zapfhahn-Batterie mit spannender Lektüre darüber

Lektüre, in die ich mich sogleich vertiefe. Zwei ganz klassische Biere stehen unter Nummer 1 und 2 – ein einfaches Helles aus der Schönramer Brauerei und ein ebenso simples Dunkles der Staffelberg-Bräu. Wobei einfach und simpel sicher nicht die Qualität der Biere meint, sondern lediglich feststellt, dass es sich dabei nicht um irgendwelche Exoten handelt, sondern um Vertreter von Bierstilen, die es quasi „schon immer“ gibt.

Danach wird die Liste aber bunt und exotisch, und ich bin froh, dass es Test-Brettchen mit vier kleinen Gläsern gibt, so dass ich die Chance habe, wenigstens ein paar der angebotenen Biere zu verkosten. Es ist nämlich in der Tat so, dass sich hier zahlreiche seltene Biere finden, die nicht ohne weiteres an jeder Straßenecke angeboten werden.

Nach kurzer Überlegung entscheide ich mich für vier Sauerbiere zum Auftakt. Drei davon stammen aus der schwedischen Brauerei Brekeriet, zum Teil in Collaborationssuden gebraut. Das erste Bier, das Transient Bridgman Camper, ist für meinen Geschmack zu scharf, zu aggressiv in der Säure; das zweite, Wrapped in Red, verspricht im Aroma einiges, lässt intensive Fruchtaromen der Nase schmeicheln, überrascht dann aber damit, dass sich von diesen Fruchtaromen fast nichts im Geschmack oder im retronasalen Empfinden wiederfindet.

Das dritte Bier, Collabski, ein Kollaborationssud mit Brewski, ist erneut zu aggressiv in der Säure, lässt eine schöne, weiche Matrix, die die Säure umhüllt, vermissen. Lediglich das vierte und letzte Bier, das Midnight Bramble der Cascade Brauerei vermag mich persönlich heute zu überzeugen. Weich und rund ist die Säure, und fruchtige Aroma- und Geschmacksnoten verleihen dem Bier einen lieblichen Charakter. Sauerbiere kann jeder, aber die Säure so zu verpacken, dass sie mild und aromatisch daherkommt, das ist eine Kunst.

Angesichts dieser, nun ja, irgendwie doch enttäuschenden Erfahrung (obwohl die Biere nicht schlecht waren, hatte ich mir doch mehr davon erhofft), entschließe ich mich, ganz gegen meine guten Vorsätze doch noch einen zweiten Tester zu bestellen, diesmal jenseits des Sauerbier-Trends.

Testbrett No. 2

Das erste Bier, Everything is under Control von Fürst Wiacek lässt mich noch nicht jubeln, aber ich bin durchaus zufrieden. Ähnlich verhält es sich mit dem Woozy Double IPA, einem Kollaborationssud von Garage und Stigberets. Mächtig, aber nicht ausgewogen. Deutlich besser das dritte Bier, das Coconuts der norwegischen Brauerei Lervig. 12,5% Alkohol sind eine heftige Ansage, aber die vielen und vielfältigen Aromen, weit mehr als nur Kokos, spielen mit der Wärme des Alkohols und führen zu komplexem Genuss. Kein Bier,von dem ich mehr als ein kleines Gläschen trinken könnte, dazu ist es viel zu intensiv und fordernd, aber definitiv eines, an dem ich heute sehr viel Spaß habe.

Die Krönung folgt aber mit dem letzten Glas, dem Porter Baltique der kanadischen Brauerei Les Trois Mosquetaires. 10,0% Alkohol, kräftige Röst- und Schokoladenaromen, gepaart mit komplexen Fruchtaromen von Trockenpflaumen und anderem dunklem Obst. Ein beeindruckendes Bier. Einziger kleiner Nachteil: Das wäre eher ein Bier für einen kalten Wintertag, wenn man sich abends am Kachelofen oder dem offenen Kamin wieder aufwärmt. Für heute, für einen warmen Frühlingstag empfiehlt es sich vielleicht nicht so ganz …

Ich komme ein wenig mit meinem Nachbarn ins Gespräch, der ebenfalls zwei Test-Brettchen verkostet hat und nun überlegt, aufzuhören oder vielleicht doch noch ein weiteres Bier zu verkosten. Wir beschließen, eine gute Flasche zu bestellen und zu teilen: Das Wood Ya Honey von Jackie O’s. Ein Wheat Wine Style Ale Brewed with Honey and Aged in Bourbon Barrels, wie das Flaschenetikett verrät. 13,0% Alkohol! Aroma und Geschmack unbeschreiblich komplex. Jeder Atemzug, jeder Schluck der pure Genuss.

gemütliches Gestühl, um sich hinzufläzen

Mein Nachbar und ich schauen uns an: Sollen wir es bei diesem Genuss belassen, oder sollen wir noch ein zweites Bier dieser Brauerei bestellen, auch auf die Gefahr hin, dass wir enttäuscht werden? Ach, komm, wie oft sind wir in Berlin? Ich bin aus Tschechien angereist, er aus Frankreich. So schnell kommen wir beide nicht wieder ins Muted Horn. Augenblicke später steht eine zweite Flasche von Jackie O’s vor uns, diesmal das Dark Apparition, ein Russian Imperial Stout mit „nur“ 10,5% Alkohol. Völlig anders vom Charakter als der Barley Wine gerade, aber nicht minder komplex. Glück gehabt – es ist keine Enttäuschung, sondern – ganz im Gegenteil – eine Bestätigung, dass diese Brauerei offensichtlich Großes kann. Eine perfekte Abrundung eines gelungenen Verkostungsabends.

Draußen ist es mittlerweile dunkel geworden. Früh wollte ich ins Bett, nur wenig Bier trinken wollte ich. Bis dann die guten Vorsätze über Bord gingen. Aber es hat sich gelohnt. Drei Fünf-Sterne-Biere zum Abschluss des Abends, was will ich eigentlich mehr?

Höchstklassiger und vielfältiger Biergenuss in einfachem, aber trotzdem einladendem Ambiente. Muted Horn. Ich komme wieder!

Die von den aus Kanada stammenden Betreibern Jenia Semenova und Corbin Crnkovic vor zwei Jahren eröffnete Bierbar Muted Horn ist täglich ab 17:00 Uhr bis weit nach Mitternacht geöffnet, sonnabends und sonntags bereits ab 15:00 Uhr; kein Ruhetag. Von der Haltestelle Boddinstraße der U-Bahn-Linie 8 sind es sprichwörtliche zwei Minuten zu Fuß – perfekt auch für eine gründliche Verkostung des reichhaltigen Angebots.

Bildergalerie

Muted Horn
Flughafenstraße 49
12 053 Berlin
Berlin
Deutschland

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