Nachtrag 18. November 2023: Gerade eben waren sie noch mit lauter, selbstbewusster Stimme zur Tür reingepoltert, die fünf jungen Männer, und jetzt stehen sie am Stirnende der Theke in der Biererei, schauen auf die große Holztafel mit den zwanzig Positionen und wirken ein wenig unsicher.
Zwanzig interessante Biere. Vom einfachen, vertrauten und höchst durchtrinkbaren Keesmann Pils aus Bamberg bis zum 15%igen Quadrupel Bock von Hoppin‘ Frog reicht die Spannweite. Weiter als das Vorstellungsvermögen des Quintetts.
Einen kleinen Moment lässt Cihan Çağlar die Jungs noch zappeln, dann macht er ihnen einen Vorschlag: „Ich habe einen Würfel mit zwanzig Seiten. Wenn Ihr Euch nicht entscheiden könnt, nehmt den Würfel. Der nimmt Euch die Entscheidung ab!“
Ein kurzer Moment des Staunens, dann aber Begeisterung: „Jau, gute Idee!“
Die Jungs versammeln sich an der Theke. Gleich der erste Wurf ist eine Sechs. Ein kurzer Blick zur Tafel, dort steht an sechster Stelle das 8,1%ige Ooey Gooey Elvis Fruited Sour Ale von Brewing Project. Harter Tobak. So ziemlich das Exotischste, was die Bierkarte heute vorhält.
„Ich trink das. Mir egal. Ich hab das erwürfelt, also trinke ich das!“
ein zwanzigseitiger Bierwürfel
Die anderen vier erwürfeln sich auch spannende, aber nicht mehr ganz so exotische Biere, und als alle ihr jeweiliges Bier vor sich stehen haben, wird es an der Theke wieder etwas ruhiger.
„Geht doch, oder?“, grinst Cihan und reicht mir mein Bier, das ich nicht erwürfelt, sondern aus freien Stücken erwählt habe.
Nach über fünf Jahren bin ich endlich mal wieder hier. Höchste Zeit, und eine schöne Gelegenheit, ein paar Biere aus der riesigen Liste zu verkosten und ein bisschen mit Cihan zu schwätzen.
Seine Biererei hat sich etabliert und ist zu einer der besten Bieradressen Berlins geworden. In jedem Detail merkt man, das Cihan für seine Bar brennt und mit höchstem Ehrgeiz alles immer weiter perfektioniert. Die Holztafel brandaktuell gehalten, edel wirkend und übersichtlich. Die Zapfhahnbatterie stets blitzsauber und aufgeräumt. Sein Gebaren gegenüber den Gästen hochprofessionell. Hilfestellung gebend, wenn notwendig. Gerne aber auch mal jemanden etwas auf den Arm nehmend, wenn dieser gar zu forsch, überheblich oder gar unhöflich agiert.
Gute drei Stunden sitze ich hier, beobachte, wie sich die Bar am Spätnachmittag und frühen Abend füllt, wie immer mehr interessante Gäste kommen und die hervorragenden Biere genießen. Und am Ende dieser Zeit ist eine interessante Liste an verkosteten Spezialitäten zusammengekommen:
- Fürst Wiacek – Return to the Plain – Nitro Stout (4,8%)
- Craftcore Brewing – IPA (6,2%)
- Blech Brut – Citrine Rhombus – IPA (6,5%)
- Central Waters – Bourbon Barrel Stout (10,5%)
Für eine Spätnachmittag eine hervorragende Ausbeute.
Hoffentlich dauert es nicht wieder fünf Jahre, bis ich hier das nächste Mal einkehre …
Biererei
Ich bin einfach nicht oft genug in Berlin. Und wenn, dann halten mich berufliche Termine und angeblich fürchterlich wichtige Geschäftsessen davon ab, die Stadt zu erkunden. Die Liste der Tipps und bierigen Empfehlungen wird lang und immer länger, und nur ab und an kann ich den einen oder anderen Punkt davon abarbeiten.
So war es auch diesmal. Was? Du bist in Berlin? Dann musst Du hier vorbeigehen, hier, hier und hier. Und vielleicht noch hier und hier. Oder hier.
Äh, kleiner Einwand: Ich habe heute, am 26. Juni 2018, nur einen einzigen freien Abend, und auch an dem muss ich mich beschränken, weil ich am nächsten Tag früh raus muss! Da reicht es höchstens für eine Adresse. Mehr nicht.
So ist es dann auch gekommen. Eine Doppel-Adresse zwar, aber eigentlich doch nur ein bieriges Ziel heute Abend: Die Biererei. Auf nachdrückliche Empfehlung einiger meiner bierigen Berlin-Kontakte.
der Biererei Store
Ich stehe vor einem kleinen Laden, wie er für Berlin nicht typischer sein kann: Die bestimmt mal ansehnlich-elegante graue Fassade eines alten Bürgerhauses bunt besprayt, alte Fahrräder lehnen an der Hauswand, ein Bushaltestellenschild ziert den brüchigen Asphalt und die sich langsam auflösenden Reste des Kopfsteinpflasters, und – natürlich! – ist alles dicht an dicht zugeparkt mit Autos. Lediglich eine einsame Biergarnitur und der Neon-Schriftzug CRAFT BEER weisen darauf hin, dass sich hier der Biererei-Store befindet und es hier gutes Bier gibt.
Ein paar Stufen führen mich hinauf ins Hochparterre, und dort, in einem winzigen Raum, wartet das Paradies auf den Biergenießer. Kühlschränke und Lagerregale – jeder Zentimeter Stellfläche entlang der Wände ist genutzt. Flaschen über Flaschen. Ordentlich sortiert, aber für eine aufwändige Präsentation ist der Platz zu knapp. Oder das Angebot zu groß. Egal, ob hochpreisiges Sonderbier oder eher Allerwelts-IPA – jede Flasche bekommt nur genau so viel Platz, wie sie einnimmt. Nichts drumherum.
die vollgepackten Regale
Die Versuchung ist groß, und es juckt in den Fingern. Wie gerne würde ich jetzt hier einen Großeinkauf machen, mir den Rucksack bis zum Bersten voll mit leckeren Bierspezialitäten packen. Aber dann? Wohin damit? Ich bin auf Reisen, im Hotelzimmer gibt es außer der Minibar keinen Kühlschrank. Und wann soll ich es trinken?
„Wenn überhaupt, dann jetzt“, beantworte ich mir die letzte Frage selbst und wende mich an den freundlichen jungen Mann, der mich schon aufmerksam beobachtet. „Kann ich die Biere auch hier vor Ort trinken? Einfach so, direkt aus dem Kühlschrank?“
Er lacht. „Eigentlich schon. Aber dann stehst Du beim Trinken hier entweder einfach nur so rum, oder Du quetscht Dich draußen noch mit auf die Bierbank zwischen den parkenden Autos.“
„Warum gehst Du nicht einfach in unsere Bar, die ist gerade ein paar Häuser weiter auf der anderen Straßenseite, und die haben alle Biere, die wir hier auch haben. Und noch ein paar mehr!“, fährt er fort. „Vor allem Fassbiere gibt es dort. Wir haben hier ja nur die kleine Füllstation, aber drüben findest Du 20 Zapfhähne.“
Er drückt mir einen Bierdeckel mit der Adresse in die Hand. „Oranienstraße 185. Gleich da vorne!“
Ich stehe wieder auf der Straße. Für einen kleinen Moment blendet mich die Sonne, aber dann sehe ich die Biererei-Bar schon. Es sind wirklich nur ein paar Schritte.
die Biererei Bar
Hier stehen ein paar mehr Sitzgruppen vor der Tür, und durch die großen, weit geöffneten Türen sieht man in die Bar hinein. Nix ist hier gesprayt, nichts dem typischen Berliner Verfall preisgegeben. Ganz im Gegenteil. Alles ist schnieke und nagelneu. Es ist, als hätte ich nach diesen vielleicht 80 m eine andere Welt erreicht.
Aber es ist, wie so oft, nur das Äußere. Viel wichtiger ist doch, dass die Bierauswahl stimmt, und dass ich beim Biertrinken auf nette Menschen treffen kann. Und das klappt in schnieken Bars genauso wie in besprayten Bottle Shops. Oder umgekehrt.
Viel los ist in der Biererei-Bar allerdings noch nicht. Es ist früher Abend, und die Berliner Szene denkt noch gar nicht daran, jetzt schon aufzubrechen. Hier verlässt man das Haus erst dann, wenn die Dörfler wie ich schon seit ein oder zwei Stunden im Bett liegen und schlummern.
Ich nehme an der Bar Platz, und zwar so, dass ich einmal die Batterie der Zapfhähne entlang sehen kann – 20 Stück, fein sauber aufgereiht und perfekt ausgerichtet. Perspektivisch läuft die Linie der Hähne genau auf die große Holztafel an der gegenüberliegenden Wand zu, an der die zwanzig Biere aufgelistet stehen. Ein paar gute, mehr oder weniger schon klassische Lagerbiere, viele India Pale Ales, viele Sauerbiere, ein paar Stouts und einige Cross-over Stile. Entweder klassisch, oder gleich extrem, scheint die Devise zu lauten.
Ich beginne vorsichtig mit wenig Alkohol – mir steht der Kopf nach einem erfrischenden Durstlöscher. Kennedy, eine Berliner Weisse mit 3,0% Alkohol von Schneeeule, der Marke von Ulrike Genz. Genau das Richtige nach einem heißen Sommertag. Eine feine, nicht zu aufdringliche Säure, erfrischend und spritzig durch eine recht hohe Spundung, und der geringe Alkoholgehalt passt auch dazu. Ein sehr schöner Auftakt.
20 Zapfhähne – beeindruckend
Viel zu schnell ist das Glas leer. Ich überlege, wie es weiter gehen soll. Der schwarze Rauschebart hinter der Theke, ein Bart, der selbst in Hipsterzeiten beeindruckend wirkt, empfiehlt, doch erstmal bei den Sauerbieren zu bleiben. „Was hältst Du von Wild Beer, vom Tepache? Das ist ein Bier mit Ananas, Zimt und Gewürznelken. Aber nur ganz dezent gewürzt.“ Ich stimme zu und werde nicht enttäuscht. Eine feine Säure, dezente Ananas-Aromen, und von den Gewürzen spürt man fast nichts, gerade nur so viel, dass man merkt, dass etwas da ist, aber nicht sofort, was es ist. Ein Hauch nur. Fein, wenn auch mit 6,0% Alkohol ein wenig gefährliches als die Schneeeule vorher!
Cihan Çağlar verbirgt sich hinter dem wild wuchernden Bart – er ist der Mann hinter der Biererei. Vor drei Jahren hat er den Store eröffnet, und vor vier Monaten die Bar. Dass ihm viel an den Bieren liegt, merke ich sofort. Während er mir das dritte Sauerbier zapft (die Sleeping Lemons Export Gose, ebenfalls von Wild Beer), erzählt er über dieses Bier. Leicht salzig sei es, für eine Gose typisch. Und es sei mit Zitronen hergestellt, deren Schalen dem Bier eine leicht dumpfe, fast schon erdige Note verleihen würden. Ausnahmsweise käme die mal nicht von einer Brettanomyces Hefe, wie im Moment sonst so oft, sondern tatsächlich von den Zitronenschalen. Und Export hieße die Gose, weil sie mit 6,0% Alkohol etwas stärker sei als die normale, die es sonst gebe.
Mir ist die Gose fast schon etwas zu salzig, soll heißen, man schmeckt das Salz, anstatt dass es nur einen ganz leicht mineralischen Charakter verleiht. Aber ansonsten ist es ein hervorragendes Bier.
In der hinteren Hälfte der Bar sehe ich einen mit Glas abgetrennten Bereich, in dem sich Bierflaschen in den Regalen stapeln. Ein Raucherbereich ist es gewiss nicht, eher erinnert es mich an eine Art begehbaren Humidor.
Ich frage Cihan und stelle fest, dass ich mit meiner Interpretation gar nicht so falsch liege. Ein temperierter Lagerraum für besondere Biere sei es, konstant auf 12° eingestellt und mit einer ebenfalls kontrollierten Luftfeuchtigkeit. So könnten besondere Biere in Ruhe reifen, die Korken würden dabei nicht rissig, und zum perfekten Zeitpunkt könnten die Spezialbiere dann den Kunden angeboten werden.
Gemeinsam werfen wir einen Blick in das Lager, und mir stechen sofort die Moosballen an den Wänden ins Auge. Sie sind in der Tat echt! „Mit dem Moos halte ich die Luftfeuchtigkeit gleichmäßig hoch“, erklärt Cihan. „Zu trockene Luft würde die Korken zu rasch altern lassen, zu feuchte Luft würde Schimmel wachsen lassen. Das Moos hält es stets im richtigen Rahmen!“
mit echtem Moos klimatisiert
Spannende Sache. Aber heute widerstehe ich der Versuchung, schon einmal das eine oder andere gut gelagerte Spezialbier zu verkosten – eine 0,75er Flasche wäre jetzt vielleicht doch etwas zu heftig.
Stattdessen finde ich mich wieder an der Theke ein und wechsele jetzt weg von den Sauerbieren, hin zum Hefeweißbier. Aber zu einem besonderen: El Hefe, ein Kollaborationssud von BRŁO und Tiny Rebel. Knackig hopfig, gleichzeitig hefig aromatisch. Ein sehr schönes Crossover zwischen klassischem bayerischem Hefeweizen und US-amerikanischer Hopfenbombe. Exzellent, und danke für diese ganz konkrete Empfehlung, Cihan.
Ein Weilchen unterhalten wir uns noch, beispielsweise darüber, dass Cihan keine „Brückenbiere“ anbietet. Entweder ein klassisches Lager, oder gleich etwas Exotisches. Keine Biere dazwischen. „Warum?“, will ich wissen. „Hast Du keine Lust, Deine noch unerfahrenen Gäste an die Hand zu nehmen und langsam an die etwas fordernden Biere heranzuführen?“
„Eigentlich schon, aber das funktioniert nicht. Bei einem nur geringfügig anders schmeckenden Standardbier kommt sofort die Frage, warum es denn so viel teurer sei als ein beliebiges Industriebier, wenn der Geschmack doch nur ein bisschen anders ausfällt“, lautet die offene und ehrliche Antwort. Keine Brückenbiere also, sondern wenn, dann gleich in die Vollen.
Etwas ganz Besonderes, das ich bisher noch nicht gesehen habe, ist Cihans Dosenabfüllung. Wer möchte, kann sich sein Lieblingsbier frisch in eine Dose abgefüllt mitnehmen. Das Bier wird in den leeren (und sauberen…) Dosenrohling gefüllt und dann an einer kleinen Maschine zugebördelt. Die Dose ist dicht, genauso robust wie eine industriell befüllte Bierdose aus dem Lebensmitteleinzelhandel, und Cihan gibt 48 h Garantie auf den Inhalt. Praktisch für jemanden, der schnell noch ein Bier für unterwegs oder zuhause haben möchte, und gesellschaftlich in Berlin eher akzeptiert als die in Tschechien so weit verbreiteten PET-Flaschen.
Eigentlich wird es ja nun langsam Zeit, zu gehen, aber da fällt mir noch ein Bier auf der Tafel ins Auge. „Wie könnte ich gehen, ohne dieses probiert zu haben?“, frage ich mich, und obwohl ich genau weiß, dass der Name überhaupt nichts über die Qualität eines Biers aussagt, lasse ich mich auf dieses Spiel ein.
„Brian, where is my rubber duck?“
Ein Bier, das so heißt, darf nicht ungetrunken bleiben. Eine Art New England IPA von Fürst Wiacek ist es, 6,4% Alkohol, und schön fruchtig und herb. Lange nicht so exotisch wie sein Name, aber trotzdem ein Bier, bei dem ich nicht bereue, es bestellt (und getrunken) zu haben. Ein netter Abschluss des Abends hier, und langsam lenke ich meine Schritte wieder in Richtung U-Bahn-Station. Eine sehr gute Adresse, absolut empfehlenswert!
Der Biererei-Store hat täglich von 12:00 bis 24:00 Uhr geöffnet; sonntags ist Ruhetag. Die Biererei-Bar ist täglich, auch sonntags, von 15:00 bis 24:00 Uhr geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen sind beide mit der U-Bahn, Linien U1, U3 und U8, Haltestelle Kottbusser Tor, und von dort aus drei, vier Minuten zu Fuß.
Biererei Store
Oranienstraße 19
10 999 Berlin
Berlin
Deutschland
Biererei Bar
Oranienstraße 185
10 999 Berlin
Berlin
Deutschland
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