Prolog
Nürnberg, so lautete das Ziel der diesjährigen, der immerhin schon zwölften Tour de Bier.
Nürnberg also. Einerseits vertrauend auf die Organisationskunst von Hans Rolf Linke, andererseits ein wenig zweifelnd ob der vermuteten Reichhaltigkeit, oder vielmehr deren Abwesenheit, des Bierangebots saß ich vor dem Bildschirm, las das Programm und versuchte, mir ein eigenes Bild der Bierszene Nürnbergs zu machen. Seit meinem letzten Besuch vor sieben Jahren ist gerade mal eine kleine Brauerei hinzugekommen, die Schanzenbräu.
Ansonsten: Nihil novi sub sole, nichts Neues unter der Sonne, und ich glaubte, mich erinnern zu können, unlängst erst in irgendeinem Bierbuch gelesen zu haben, bei Nürnberg handele es sich, seines Alters (über 1000 Jahre), seiner Größe (fast eine halbe Million) und seiner Lage (Franken) zum Trotz, um ein rechtes Bier-Desaster, dominiert von der Großbrauerei Tucher, die über die Radeberger Gruppe zum Oetker-Konzern gehört.
Eine Tour de Bier zu einem Bier-Desaster. Nun, nun!
Freitag, 29. Mai 2015
Die seit Monaten schwelenden, phasenweise heftigen Zankereien zwischen Lokführergewerkschaft und Deutscher Bahn waren gerade rechtzeitig ein wenig abgekühlt, von Streik war gerade mal keine Rede. Um die Anreise per Eisenbahn gleichwohl nicht zu langweilig werden zu lassen, hatte sich die Bahn aber andere Überraschungen ausgedacht: Eine glücklicherweise noch wenige Tage zuvor per eMail angekündigte Fahrplanänderung, und für diejenigen, die wider Erwarten flexibel darauf reagieren konnten und ihre Reisepläne angepasst hatten, einen liegengebliebenen ICE im Provinzbahnhof Limburg, der zu einspurigem Verkehr und entsprechender Improvisation führte.
„Faszinierend!“ dachte der Vulkanier in mir, als wir dennoch, zwar nicht pünktlich, aber zeitgerecht in den Nürnberger Hauptbahnhof einliefen.
Nur wenige Meter Fußweg zum Hotel Probst, ein blitzschnelles Einchecken, kurze Verwunderung über das das Hotel umgebende Rotlichtviertel, verbunden mit der Hoffnung, hier trotzdem richtig zu sein, und dann ging es los zum ersten Treffpunkt, dem Barfüßer Brauhaus am Hallplatz. Nach und nach trudelten hier alle 45 Tourteilnehmer ein, viele altbekannte Gesichter, aber auch ein paar neue, und bei einer ersten Portion fränkischer Rostbratwürste lief sich die Gruppe warm.
Das Bier trug leider nur bedingt zu Begeisterung bei – das Helle war süßlich und schien unausgegoren, noch zu jung zu sein; das Dunkle hingegen erkämpfte sich hartnäckig wenigstens den dann allgemein in der Gruppe bestätigten Ruf, immerhin gut trinkbar zu sein. Über den Rest der Bierliste decken wir den Mantel des Schweigens, denn alle weiteren Biere waren Fremdprodukte, mit Masse aus der den Nürnberger Markt beherrschenden Tucher-Brauerei. Wenigstens machte die Getränkekarte ehrlich auf diese Fremdbiere aufmerksam und versuchte nicht, deren Herkunft zu vertuschen.
Ich musste an die Formulierung vom Bier-Desaster denken….
Gut gesättigt traten wir nun eine Stadtführung auf den Spuren der Brauereien Nürnbergs an. Kreuz und quer liefen wir durch die Innenstadt und bestaunten eine Reihe von alten Gebäuden, die in längst vergangenen Zeiten auch einmal eine Brauerei beherbergt hatten. Weniger staunens- aber dennoch erinnernswert waren die Gebäude, die schon gar nicht mehr existierten, getreu dem Motto: „Stellen Sie sich vor, anstelle dieses gesichtslosen Beton-Neubaus stünde hier ein altes Fachwerkbürgerhaus, von dem aus die Brauerei XY jahrhundertelang das Stadtviertel mit leckerem Bier versorgte!“ Phantasie und Vorstellungsvermögen waren gefragt, und die schiere Anzahl der mittlerweile erloschenen Brauereien bekam bedrückende Ausmaße.
Bier-Desaster. Also doch!
Fast zweieinhalb Stunden lang hatten wir so die Stadt erkundet und mittlerweile natürlich großen Durst. Welch‘ Glück, dass die Tour einen Biergutschein umfasste, und welch‘ Überraschung, wenn auch weniger Glückes behaftet, dass dieser ausschließlich für Tucher-Bier umgesetzt werden durfte. Im Bratwursthäusle fanden wir ein ansprechendes Ambiente, um unsere Gutscheine abzuarbeiten, und die frühsommerliche Hitze ließ auch das Tucher-Fabrikbier durchaus munden.
Es stand uns der Sinn nach anderen Bieren, und als die Gutscheine aufgebraucht waren, trollten wir uns weiter. Standhaft an allen Tucher-Reklameschildern vorbeimarschierend, liefen wir am Eingang des Handwerkerhofs ein, im Balkon. Ein kleiner Biergarten auf dem Balkon des Königstors. Einfach, unprätentiös, aber mit einer Reihe interessanter Biere aus nicht minder interessanten Brauereien. Nikl Hell, Nikl Dunkel, Gansbräu Rot, einige Gutmann-Weizenbiere, Reh-Bräu vom Fass. In Kombination mit der Aussicht auf die Fußgängerzone, auf die bunte Menschenmischung, die sich durch die Fußgängerunterführung zum und vom Bahnhof schob, und mit dem wunderbaren Wetter war das Urteil schnell klar: Hier ließe es sich, gerne auch länger, aushalten!
Dagegen sprach aber der Zeitplan, denn um 19:00 Uhr wartete das Abendessen im Barfüßer auf uns. Knackig-krosse und knusprige Schäufala, Schweinsbraten und Rostbratwürste, und dazu – mangels Alternative – größere Mengen an Hellem und Dunklem aus der eigenen Produktion. Wenn auch die Atmosphäre sehr schön ist, der Service ausnehmend freundlich, so merkte man doch, dass das Bier nicht ganz so lief, so gut rutschte, wie wir es mit dieser Gruppe in anderen Jahren schon erlebt hatten.
Sonnabend, 30. Mai 2015
Erstaunlich, wie gut ein Frühstück auch nach einem so reichhaltigen Abendessen schon wieder schmecken kann. Das Hotel Probst verwöhnte uns mit hervorragendem, herzlichem Service und leckerem Frühstück und verschaffte uns so eine solide Grundlage für einen weiteren, spannenden Tag.
Er begann mit einer deutlichen Symbolik – der kleine Kunststoffhund, der seinen Kopf in den Sand beziehungsweise das Straßenpflaster steckte, schien uns doch sehr sinnbildlich für unser Verhalten gestern, um der allgegenwärtigen Tucher-Reklame zu entkommen.
Und nur wenige Schritte weiter drängten sich die Gedanken an das Nürnberger Bierdesaster doch schon wieder in den Vordergrund: Unter der vielversprechenden Aufschrift „Tucher-Bräu am Opernhaus“ prangte ein Schild „Gaststätte geschlossen!“ Glückes Geschick, dass dies nicht unsere nächste Station hätte sein sollen.
Stattdessen besuchten wir das Eisenbahnmuseum. Auf drei Stockwerken ist hier die Geschichte der Deutschen Eisenbahn dargestellt, einschließlich einiger Lokomotiven und Waggons im Original und einer großen Modelleisenbahn. Im Fluge verging so der Vormittag, und es regte sich tatsächlich schon wieder der Hunger, als wir uns auf den Weg in den Nürnberger Ortsteil Gostenhof machten.
Die Schankwirtschaft der unlängst erst gegründeten Schanzenbräu erwartete uns hier – und zwar mit drei eigenen Bieren (Blond, Rot, Schwarz) und ein paar leckeren Gastbieren. Dazu eine wunderbare Linsensuppe aus roten Linsen, und die Laune hob sich! Von Bier-Desaster durfte fortan nicht mehr die Rede sein – hier gab es Nürnberger Bier, das richtig gut schmeckte. Na bitte, es geht doch!
Nächste Station, ein Stück weiter Richtung Westen, war die Lederer Kulturbrauerei. Das alte Sudhaus, das 1992 eingeweiht und nach nur drei Jahren Betrieb stillgelegt worden war, dient jetzt als Dekoration für eine Event-Kneipe. Wenn es auch nur ein interessantes Bier hier gibt, nämlich das Lederer Kroko unfiltriert, so ist doch die Einrichtung und die Sammlung von vielen dekorativen Kleinigkeiten rund um das Thema bereits einen Besuch wert. Und sowohl Biergarten als auch die verschiedenen Schankräume sind gemütlich und einladend.
Ein gemütlicher Spaziergang von nur wenigen Metern führte uns danach zum Veit-Stoß-Platz, wo wir für einen Moment einem Live-Rockkonzert zuhörten, uns dann aber im Biergarten des Imbiss-Kiosks Laguz niederließen, um ein Enzenssteiner Imperial zu genießen. Ein geniales Bier, aus einer historischen Gerstensorte gebraut und mit einer verschwenderischen Menge Hopfen gewürzt – wenn auch nicht in Nürnberg gebraut. Hier könnte man sitzen bleiben und noch eins trinken. Und noch eins. Und schließlich noch ein Letztes. Und ein Allerletztes. Um dann wieder von vorn anzufangen…
Ach, ja!
Aber weiter ging’s – die Unruhe der Bierreisenden trieb uns unerbittlich voran. Pünktlich um 17:00 Uhr starteten wir eine Führung durch die Keller und Stollen unter der Altstadt, in denen früher Bier gelagert worden war und die auch als Schutzräume im Krieg gedient hatten. Mitten im Innenhof der Altstadthof-Brauerei kamen wir wieder an die Oberfläche und wurden hier mit einem frischgezapften Hellen empfangen. Eine kurze Brauereibesichtigung, ein Bummel durch den Souvenirladen und eine Besichtigung der Holzfässer, in denen der hier destillierte Whisky langsam vor sich hin reifte, bildeten den Auftakt für einen gemütlichen und leckeren Abend.
Bei ungesundem, dafür aber um so schmackhafterem Essen verkosteten wir alle fünf Biersorten des Altstadthofs (Hell, Rot, Schwarz, Rotes Weißbier, Maibock) und verbrachten einen schönen und gemütlichen Abend mit vielen, interessanten Gesprächen.
Ende des heutigen Tages war dann für einen kleinen, harten Kern noch ein kurzer Abstecher in das Wirtshaus Hütt’n genau gegenüber. Ein paar Biere aus kleinen fränkischen Brauereien gab es hier auf der Terrasse noch zu verkosten, und während sich langsam die Nacht auf Nürnberg herniedersenkte, klang der schöne Tag aus.
Sonntag, 31. Mai 2015
Traditionsgemäß bildete das leckere Frühstück in der Unterkunft den Abschluss der diesjährigen Tour de Bier. Noch einmal schlug man sich die Bäuche voll, tauschte die letzten interessanten Neuigkeiten aus, und dann machte man sich auf den Weg, verteilte sich wieder in alle Himmelsrichtungen.
Ein paar Mal piepte noch das Signal der WhatsApp-Gruppe und berichtete von erreichten Zwischenstationen der Heimreisenden, bevor dann die Aktivitäten langsam verebbten und endgültig, wenn auch schweren Herzens, akzeptiert werden musste: Die Tour de Bier 2015 war vorüber.
Epilog
Vielen herzlichen Dank an Hans Rolf Linke für die professionelle Organisation – es war alles perfekt gelaufen. Und Dankeschön an alle, die dabei waren. Es war lustig, abwechslungsreich, spannend mit Euch allen. Bis zum nächsten Jahr, bis zur Tour de Bier 2016!
Für die nächste Nürnberg-Reise bei schönem Wetter empfehle ich den Biergarten der Restauration Kopernikus. Nicht ganz leicht zu finden: oben auf der Stadtmauer beim Krakauer Turm (ca. U-Bahn Wöhrder Wiese). Da gibt es fränkisch-polnisches Essen (von unterschiedlicher Qualität), aber vor allem auch verschiedene fränkische Biere vom Fass und aus der Flasche – Spalter Zwickel, Hetzelsdorfer, Krug, usw. OK, das sind keine Nürnberger BIere, aber immerhin regional und kein Tucher. Und wer unweit der Burg Durst auf ein leckeres Bier bekommt, der könnte im Bieramt des Café Wanderer vorbeischauen, wo jede Woche zwei neue Aktionsbiere am Hahn sind.
Na, das sind doch mal konkrete und wertvolle Tipps, Nina. (Auch wenn sie für dieses Mal zu spät kommen…)
Ich werd’s mir merken und wenn ich das nächste Mal in Nürnberg bin, mich hoffentlich rechtzeitig dran erinnern!
Danke!