Die Craftbeer Lodge – ein kleiner Bierladen unweit vom Schwabentor in Freiburgs Innenstadt. Einer von vielen Spezialbierhändlern, die von der CoViD-19-Pandemie und den resultierenden Kontaktbeschränkungen erheblich getroffen wurden. Laufkundschaft? Persönliche Beratung und gemütlicher Klönschnack im Laden? Abendliches Bierseminar in den Verkaufsräumen? Alles entweder Fehlanzeige oder auf ein Minimum reduziert.
Aber Andrea Seeger, die Inhaberin dieses Lädchens, ist nicht nur Diplom-Biersommelière, sondern auch Informatikerin, und so liegt der Gedanke nicht fern, Teile des Geschäfts ins Internet auszulagern. Der Online-Versandservice funktioniert schon hervorragend, und zusätzlich bietet Andrea nun auch Bierseminare online an – die Cyber Tastings.
Jedes dieser Tastings hat ein Leitthema, heute steht es unter der Überschrift „Internationale Bierstile“.
Zwei Tage vorher ist der Karton mit der Bierlieferung bereits angekommen. Fünf verschiedene Biere, ein paar schriftliche Unterlagen und, wenn der Seminarteilnehmer den Karton selbst im Laden abgeholt hat, ein Verkostungsglas – für alle anderen werden stattdessen die Versandkosten übernommen.
In meinem Karton war alles doppelt vorhanden – ich hatte einen kompletten zweiten Verkostungssetz bestellt, um einem lieben Arbeitskollegen zum Geburtstag eine Freude zu machen. Zwei Verkostungsbögen, zwei Aroma-Räder, zwei Bierstammbäume, zwei Werbeflyer der Craftbeer Lodge und zehn … nein, hoppla, sogar zwölf Flaschen Bier.
Zwölf? Als kleine Aufmerksamkeit hat Andrea noch ein weiteres Bier in den Karton gepackt, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum fast abgelaufen ist, das aber als niederländisches Trappistenbier zu schade zum Entsorgen wäre: Das La Trappe Puur der Bierbrouwerij de Koningshoeven, ein helles und hopfiges, pilsähnliches Bier mit 4,7% Alkohol. Völlig untypisch für ein Trappistenbier, und auch nicht Bestandteil der heutigen Verkostung.
Schnell ist im Wohnzimmer der Laptop aufgebaut und mit dem großen Fernsehbildschirm verbunden. Baguettebrot, milder Käse, stilles Wasser und viele, viele Verkostungsgläser stehen bereit, und unter dem Tisch warten in einer Kühlbox die Biere auf die Verkostung.
19:00 Uhr – der Bildschirm belebt sich und innerhalb weniger Minuten poppen mit Andrea und zehn verschiedenen Verkostungsteilnehmern oder Gruppen elf kleine Bildchen auf. Eine kleine Vorstellungsrunde bricht das Eis und gibt die Möglichkeit, Kamera- und Mikrofoneinstellungen noch ein bisschen nachzujustieren, und dann geht es auch schon zur Sache.
„Bier Nummer eins ist die Dose, die ich Euch geschickt habe“, erklärt Andrea, und wir hören elfmal ein leises Zischen beim Aufreißen der Lasche. Das „White Geist“ ist eine Berliner Weiße aus der Stone Brewing in Berlin. Der Amerikaner Greg Koch hatte vor ein paar Jahren im alten Gaswerk in Berlin Mariendorf viele Millionen Euro investiert, eine Brauerei und das Biererlebniszentrum Stone Brewing World Bistro & Gardens aufgebaut, letzteres wirtschaftlich gegen die Wand gefahren, alles an die schottische Brauerei BrewDog verkauft, aber das Recht, dort weiter Bier zu produzieren, in den Vertrag eingebaut. Also kommt die Berliner Weiße nach wie vor aus Berlin.
Das Bier ist mit 4,7% Alkohol für eine Berliner Weiße verhältnismäßig stark, knochentrocken, nur verhältnismäßig dezent sauer und erstaunlich gut trinkbar. Eine schöne Erfrischung für einen heißen Sommertag, da sind wir uns rasch einig. Besser als erwartet.
Wir klönen noch einen Moment über den Stil als solches, über die Dose als bevorzugte oder aus Überzeugung abgelehnte Verpackung, und irgendwie gelingt es uns, das Thema Reinheitsgebot zu umschiffen, obwohl auf der Dose deutlich draufsteht: „Dieses Bier wurde nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut, aber wir glauben nicht an diese Einschränkung.“
Ein sehr interessanter Auftakt, auch wenn ich persönlich jetzt nicht gerade der Sauerbier-Fan bin.
Aber die Wiedergutmachung für mich kommt bereits mit dem zweiten Bier, dem „Beverly Pils“ aus Kolja Giglas Mashsee-Brauerei in Hannover. Eigentlich ein Pils, aber erstens nicht gefiltert und zweitens mit wunderbar fruchtigen Hopfensorten gestopft. Der Duft eines prall gefüllten Obstkorbs steigt in die Nase: Ananas, Zitrusfrüchte, ein Hauch Blutorange. Der Antrunk ist frisch und klar, die Fruchtaromen tanzen auf der Zunge noch ein bisschen Ballett, und dann macht sich eine sehr kräftige, aber ebenso saubere Bittere breit, die den Rachen belegt, die retronasal erneut sich vordrängen wollenden Fruchtaromen in Schach hält und einfach nur Lust auf den nächsten Schluck macht. Auch dieses Bier hat 4,7% Alkohol.
Hochzufrieden lehnen meine holde Ehefrau und ich uns zurück, genießen Schluck für Schluck und freuen uns, dass auch der überzeugte Weintrinker unter den Seminarteilnehmern für dieses Bier lobende Worte findet und geradezu ins Schwärmen gerät.
Anhand dieses Biers erläutert Andrea uns ihren Verkostungsbogen, weist uns in das strukturierte Vorgehen beim Verkosten ein und gibt uns Tipps, wie wir den Genuss beim Trinken durch das richtige Glas noch weiter steigern können.
Von der Berliner Weiße über ein etwas ungewöhnliches Pils geht es nun zu einem India Pale Ale, ein Bierstil, der ursprünglich in England für die Truppen in den indischen Kolonien gebraut worden ist. Warum Ale? Warum Pale Ale? Warum India Pale Ale? Andrea nimmt sich den mit dem Verkostungspaket ausgelieferten Bierstammbaum und erläutert uns, wie die Bierstile der Welt zusammenhängen und wie sie entwickelt haben, welcher Stil von welchem abstammt.
Dann endlich dürfen wir das dritte Bier öffnen und einschenken, das „Luponic Distortion No. 13“ der Brauerei Firestone Walker in Paso Robles in Kalifornien. Matt Brynildson, der Head Brewer dieser Brauerei, sorgt dafür, dass die Produktqualität stets auf gleichbleibend hohem Niveau ist. Man kann Biere der Firestone Walker Brauerei nahezu blind kaufen – sie sind allesamt exzellent und stets stilgetreu. Schlimmstenfalls kann man mal bei einem Stil landen, der einem persönlich und grundsätzlich nicht schmeckt, aber dafür kann dann die Brauerei nichts.
Das Luponic Distortion ist ein India Pale Ale, wird mit stets anderen Hopfensorten gebraut (hier also schon in der dreizehnten Version) und zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht, wie in den USA so oft üblich, nach dem Prinzip „viel hilft viel“ gebraut wird. Es ist reichlich Hopfen verwendet worden, das riecht man und schmeckt man, aber es ist nicht übertrieben. Der fruchtigen, mit Kokos- und Kräuternoten überraschenden Aromawolke folgt ein durchaus malzig-vollmundiger Eindruck auf der Zunge und eine kräftige, aber dennoch runde und weiche Bittere. Eine sehr schöne Balance aller sensorischen Eindrücke, und mit 5,9% Alkohol auch kein Hammer, der eine systematische Verkostung nun vorzeitig beenden würde. Die Begeisterung in allen elf Bildschirmfenstern ist groß.
Das vierte Bier fällt bereits beim Einschenken deutlich aus dem Rahmen: In kräftigem Weinrot steht es im Glas, gekrönt von einer feinen Schaumschicht. Ein intensives Marzipanaroma sticht in die Nase, gefolgt von Noten überreifer Kirschen und einer prallen Süße. Das Bier, das „Handcrafted Organic Fruit Beer Cherry“ der Samuel Smith Brewery in Tadcaster in England, wird mit Kirschkonzentrat und Kirschextrakt gebraut. Die Brauerei legt Wert auf die Verwendung von organischen Zutaten, gibt aber auch, wie die Kirschen ebenfalls weit jenseits des sogenannten „Reinheitsgebots“, Rohrzucker hinzu. Das 5,1%ige Resultat hat mit herkömmlichem Biergeschmack nun nicht mehr viel zu tun. Nur ganz dezent im Hintergrund sind schwache malzige Noten und eine sehr zurückhaltende Hopfenbittere zu spüren – Kirscharomen und Süße dominieren und lassen dieses Bier eher wie eine Fruchtlimonade wirken. Als solche schmeckt sie auch ganz vorzüglich, und jeder muss mit sich selbst ausmachen, ob er diesen Geschmack unter der Überschrift „Bier“ akzeptiert oder nicht. Ein spannendes Verkostungserlebnis ist es allemal!
Seit zweieinhalb Stunden sind wir schon am Verkosten, Diskutieren, Fachsimpeln und Lachen. Das fünfte und für heute letzte Bier naht. Es stammt aus der Porterhouse Brewing Company aus Dublin und nennt sich „Oyster Stout“. Stout ist ein sehr weit gefasste Bierkategorie mit zahlreichen Unterkategorien, manche nur schwach alkoholisch, andere hingegen wahre Alkoholhämmer mit zweitstelligen Prozentzahlen. Das „Oyster Stout“ wartet mit lediglich 4,6% auf, siedelt sich also am unteren Ende der Skala an. Der Name kommt nicht von ungefähr – beim Brauvorgang werden tatsächlich Austern hinzugefügt. Sie sollen dem Bier einen leicht mineralischen Charakter verleihen.
Vorsichtig schnuppern wir am Glas. Röstaromen vom Röstmalz identifizieren wir, auch einen leicht metallischen Geruch, der ebenfalls vom Röstmalz stammt. Der Antrunk ist trocken, sehr schlank, in der Tat ein bisschen mineralisch, aber irgendwie fügen sich die sensorischen Eindrücke für mich nicht zu einem harmonischen Ganzen. So schön das Bier im Glas aussieht, so interessant es duftet, so spannend die unterschiedlichen Geschmackskomponenten auch sein mögen – sie stehen nebeneinander, buhlen um Aufmerksamkeit, aber jede nur für sich. Es entsteht kein geschlossenes Bild, und meine holde Ehefrau und ich bleiben ein bisschen ratlos zurück.
Einen Moment bleiben wir alle noch online, diskutieren unsere Erfahrungen und Eindrücke während dieses wirklich eindrucksvollen und sehr souverän moderierten Bierseminars. Wenn man sich schon nicht persönlich treffen und nur vor dem Bildschirm gemeinsam trinken kann, dann doch bitte so, unter dieser fachkundigen und stets fesselnden Anleitung Andrea Seegers.
Ein großes Lob also, und wenn irgend möglich, sind wir bei einer der nächsten Cyber Tasting Runden gerne wieder mit dabei!
Craftbeer Lodge
Oberlinden 10
79 098 Freiburg im Breisgau
Baden-Württemberg
Deutschland
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