Schneeeule
Salon für Berliner Bierkultur
Berlin
DEU

Rund dreihundert Jahre dürfte es her sein, dass in Berlin ein besonderer, ein eigener Bierstil entstand: Die Berliner Weisse. Auf Weizenbasis, milchsauer vergoren, relativ niedrig im Alkoholgehalt und spritzig. Ein Erfrischungsgetränk für den Sommer? Sicherlich, aber mehr noch ein Getränk, das sich im Alltag als Durstlöscher für jedermann (und jederfrau) breit gemacht hat.

Nicht jedem schmeckte die leichte Säure, und nicht jedem genügte der niedrige Alkoholgehalt von rund drei Prozent. Und so wurde es rasch Mode, die Berliner Weisse mit einem Schuss Sirup zu versüßen und ihre Säure zu überdecken oder sie mit einem ordentlichen Schuss Kümmelschnaps zu verstärken.

Die beiden Weltkriege veränderten nicht nur das Antlitz Berlins, sondern auch seine Kultur, und so starb der Bierstil fast völlig aus. Nur noch eine einzige Brauerei, die Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei, produzierte so etwas Ähnliches wie die Original Berliner Weisse, wenn auch nicht mit den eigentlich für die leichte Säure verantwortlichen Brettanomyces-Hefen und andere Säurebildner, sondern wohl einfach durch das sogenannte Kesselsauerverfahren, bei dem die Maische warm stehengelassen und mithilfe von Milchsäurebakterien angesäuert wird. Einfach zu kontrollieren, aber geschmacklich leider auch eindimensional.

Erst vor rund zehn Jahren kamen einige Berliner (Hobby-) Brauer auf die Idee, Berliner Weisse wieder nach altem Rezept herzustellen. Dabei erwies es sich am schwierigsten, die Original-Hefestämme wieder zu bekommen, aber es ist tatsächlich gelungen, aus uralten Flaschen noch lebende Hefezellen zu separieren und so ganze Hefekulturen zu revitalisieren.

Schneeeule Salon für Bierkultur

Ulrike Genz war eine der Brauerinnen, die an diesen Experimenten beteiligt war, und heute steht sie mit ihrer 2016 gegründeten Brauerei Schneeeule für die Wiederbelebung der echten Berliner Weisse.

Innerhalb weniger Jahre hat sich die Marke Schneeeule weltweit einen Namen gemacht, und ihre kleinen Stubbiflaschen findet man mittlerweile auf fast allen Kontinenten in den entsprechenden Fachgeschäften. Zugegeben: Man muss schon ein wenig suchen. Ein zweites Heineken ist die Schneeeule sicherlich noch nicht geworden. Und wird es wohl auch nicht.

Noch nicht allzu lang ist es her, dass Ulrike im Berliner Wedding ihren ersten eigenen Ausschank eröffnet hat, den Schneeeule Salon für Bierkultur.

Und in dem sitze ich jetzt.

Es ist früher Freitagabend, noch ist nicht viel los, und ich habe Zeit, mich mit Ulrike zu unterhalten. Sie erzählt von der Geschichte ihrer Brauerei und des Bierstils, aber auch davon, wie sie über die „normale“ Berliner Weisse, die von ihr so genannte Marlene, hinaus den Stil immer mal wieder variiert. Mal wird der Alkoholgehalt erhöht, mal werden Gewürze wie Chili hinzugefügt, mal wird mit Jasminblüten oder Ähnlichem experimentiert.

„Jetzt gerade habe ich Elise am Start, eine Berliner Stockholm Weisse. Etwas alkoholstärker, also 5,2%, und mit feinen Aromen, unter anderem auch von etwas Anis und Lakritze.“ Mit Schwung schenkt sie mir ein Glas ein.

Ich bin ja nicht so der Sauerbierfan, aber in der Elise ist die Säure sehr fein eingebunden, schön rund und nicht aufdringlich. Gleichzeitig gefallen mir die spannenden Duftnoten. Die versprochene Lakritze rieche ich ganz dezent, aber daneben auch Anis und ein paar blumige Noten, etwas Rose und einen Hauch Paradieskörner. Schön! Jetzt werde ich deswegen nicht gleich zum Sauerbierfan, aber das Bier hat was!

Schneeeule – Elise

Eher meinen persönlichen Präferenzen entsprechend ist das Bier, das Ulrike jetzt aus dem Kühlschrank fischt. Sie hat nämlich nicht nur ihre eigenen Biere im Angebot, sondern auch eine sehr schöne Auswahl an kreativen Bieren anderer Brauereien. „Varvar“, sagt sie. „Trotz Krieg und aller damit verbundenen Probleme schaffen die es immer noch, in Kyiv zu brauen.“

Sie gießt mir einen dunkelbraunen Barleywine ein, Solidøl. Immerhin 10,4% hat er. Dick und sämig, süßlich und mit Aromen von dunklem Steinobst gefällt er mir vorzüglich. Den hohen Alkoholgehalt spüre ich überhaupt nicht. Nun ja, jedenfalls nicht sensorisch. Erst später, als die Flasche geleert ist …

Ein ganz vorzügliches Bier, genau nach meinem Geschmack.

Varvar – Solidøl

Ich schaue auf die Uhr. Ich habe nur einen kurzen Zwischenstopp in Berlin, bin mit der Brandenburger Bimmelbahn gekommen und fahre gleich mit dem Nacht-ICE weiter. „Ich muss gleich los!“

Als Reaktion darauf bringt Ulli mir ein Glas Leitungswasser. Ich schaue sie verdutzt an: „Was soll das?“

„Du musst jetzt unbedingt noch einen kleinen Schluck von der sieben Jahre lang gereiften Berliner Weisse Marlene probieren, so viel Zeit ist noch. Aber vorher musst Du Dir den süßen Papp von der Zunge spülen, sonst schmeckst Du die Feinheiten doch gar nicht!“

Genau so mache ich es. Ein Schluck Wasser, und dann eine kleine Probe der sieben Jahre alten Marlene. Die Säure ist nur noch ganz dezent vorhanden, stattdessen ein paar ledrige Aromen der Brettanomyces-Hefe. Aber auch die nur sparsam. Das hat sich sehr schön entwickelt und schmeckt mir definitiv besser als die frische Marlene.

Schneeeule – Marlene [7 Jahre alt]

Drei hochinteressante, völlig unterschiedliche Biere. Das war ein netter Verkostungsabend. Dazu ein paar gute Gespräche, so tiefschürfend, wie es die kurze Zeit zugelassen hat. Gerne einmal wieder.

Bevor ich zum Bus laufe, sehe ich mich noch einmal um. Die Räumlichkeiten haben früher mal ein Café beherbergt, Teile des Mobiliars stammen noch aus der Zeit. Ein bisschen aus der Zeit gefallen, recht rustikal, aber dennoch ansprechend. Eine Handvoll Zapfhähne an der Theke und drei große Kühlschränke präsentieren das Bierangebot. Viele verschiedene Versionen der Schneeeule Berliner Weisse, eben auch viele lang gelagerte, und eine bunte Auswahl teils recht seltener Flaschenbiere von befreundeten und geschätzten Brauern.

Eine gute Anlaufstelle, und da neben den guten Bieren hier auch gute Musik läuft (wer als Gast seine eigenen Vinylplatten mitbringt, darf die auch auflegen!), komme ich hier bestimmt noch mal wieder hin. Dann hoffentlich mit mehr Zeit.

Die kleine Bierbar mit dem sorgfältig kuratierten Sortiment Schneeeule Salon für Bierkultur ist donnerstags und freitags ab 18:00 Uhr, sonnabends und sonntags ab 15:00 Uhr geöffnet; den Rest der Woche ist zu. Zu erreichen ist der Salon vom Hauptbahnhof am besten mit dem Bus der Linie 120, Haltestelle Glasgower Straße. Von dort aus sind es zwei Minuten zu Fuß bis in die Ofenstraße.

Bilder

Schneeeule
Salon für Berliner Bierkultur
Ofener Straße 1
13 349 Berlin
Berlin
Deutschland

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